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MARVEL-BROKER/022: Die Fantastischen Vier & die Rächer - Heldenfall 2


Brian M. Bendis, Christopher Priest, Mark Ricketts David Finch, Joe Bennett, Tony Harris


Die Fantastischen Vier & Die Rächer: Heldenfall 2



Die Ruhe vor dem Sturm

Sei gegrüßt, zu dem letzten Abenteuer "der" Rächer, deren Geschicke der Leser seit nun mehr über vierzig Jahren begleitet hat. Das Team der mächtigsten Superhelden der Erde gehört bald der Vergangenheit an, so will es das neue Kreativteam bei Marvel, Brian M. Bendis und David Finch. In der vierteiligen, 100seitigen, monatlich erscheinenden Miniserie "Heldenfall" schlagen so manche alte Haudegen ihre letzte Schlacht, bevor sich, aus den Überlebenden und verstärkt durch andere Superhelden, der Phönix aus der Asche erhebt: das neue Zeitalter der Rächer beginnt.

Naja, wird der eine oder andere berechtigt einwenden, es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, schließlich hat man in all den Jahren so manche Höhen und Tiefen an der Seite der Rächer überstanden und wohl ziemlich alles gesehen, was Marvel in seinem Universum ersonnen hat. Denn zu den Rächern gehören zahlreiche Superhelden, die inzwischen zur Reserve zählen, weil in dem Team ein Kommen und Gehen herrscht, aber "die Rächer" an sich blieben letztendlich immer bestehen.

Nun bildet die Hauptstory "Chaos", die in den Reihen der Rächer spielt, tatsächlich den Auftakt zu einer neuen Ära, erschien doch in den USA bereits die vierte Ausgabe der "New Avengers", und die Mehrheit der Leser scheint wohl mit der neuen Richtung der Autoren einverstanden zu sein. So sollen zwar während der amerikanischen Veröffentlichung von "Avengers Disassembled" (Heldenfall) einige Leser sehr erbost über die Storyline gewesen sein, besonders über den Tod eines altgedienten Rächers, doch selbst diesen Fans sagt man nach, daß sie von dem neuen Team hellauf begeistert seien. Und so darf Bendis sein in Heldenfall angelegtes, nicht unumstrittenes Konzept fortsetzen, was bei Marvel Deutschland erst im Jahre 2006 als Mega-Crossover zwischen den Rächern, X-Men und Fantastischen Vier zu lesen sein wird.

Hierzulande wird der Leser aufgrund der Zeitdifferenz beim Erscheinen der Hefte sowieso vor vollendete Tatsachen gestellt und hat noch weniger Einfluß auf die Entwicklung der Storyline als die amerikanischen Fans. Nach dem Motto "Friß oder stirb" kann der deutsche Leser seinen Unmut bestenfalls durch einen Kaufboykott äußern, doch die meisten sind so sehr Fans der Rächer, daß sie die Recken nicht missen möchten. Also wird in den sauren Apfel gebissen, und die ans Herz gewachsenen Helden werden in der stillen Hoffnung begraben, sie vielleicht eines Tages in einer anderen Geschichte aus einem Marvel-Parallel-Universum wiederzusehen.

Der zweite Teil der Hauptstory "Chaos" konfrontiert den Leser schon nach den ersten beiden Seiten mit einer außer Kontrolle geratenen She-Hulk, die gerade im Begriff ist, Captain America unter einen Armeefahrzeug zu begraben. Ansonsten führt die Story eher in ruhigere Gewässer. Doch es ist die Ruhe vor dem Sturm, der über die letzten beiden Ausgaben hinwegfegen wird. Im Moment hat der Leser an der vorliegenden Geschichte genug zu knabbern, fühlt sich doch der Eiserne von seinen Teamgefährten im Stich gelassen, da sie seine Vermutung von einer Verschwörung hinter den Ereignissen (aus dem letzten Band) nicht teilen und Hawkeye ihm sogar vorwirft, er wolle nur seine eigene Verfehlung vor den Vereinten Nationen kaschieren.

Erinnern wir uns an die Geschehnisse im letzten Band: Alarm im New Yorker Rächer-Hauptquartier. Das tote und wiederbelebte Mitglied Jack of Hearts reißt bei seiner Explosion den Gefährten Scott Lang, alias Ant-Man II, mit in den Tod und zerstört dabei das halbe HQ. Die Helden sind noch völlig geschockt, da stürzt ein Rächer-Quinjet mit ihrem Mitstreiter Vision als Pilot auf das Anwesen und läßt eine Horde von Ultron-Robotern auf sie los. Der nun entbrannte Kampf endet mit der Vernichtung der Ultrons, doch der Preis ist zu hoch, denn die zur Raserei gesteigerte She-Hulk zerfetzt nicht nur kurzerhand Vision, sondern will Captain America ins Jenseits befördern, nachdem sie bereits zahlreiche Teamgefährten zum Teil lebensgefährlich verletzt hatte.

Während dies alles geschieht, spricht der US- Verteidigungsminister Tony Stark, alias Iron-Man, zur gleichen Zeit vor den Vereinten Nationen in New York, als er auf einmal die Beherrschung verliert, daß man meinen könnte, er sei betrunken. Er attackiert zunächst verbal den Vertreter aus Latveria und schickt sich an, ihm auch körperlich Schaden zuzufügen, kann aber von seinem Gefährten Henry Pym, alias Yellowjacket, rechtzeitig daran gehindert werden. Tony Starks skandalöser öffentlicher Auftritt bei den UN, vor den politischen Führern der Welt, bringen ihn in Verruf und lassen ihn bestürzt und sozial isoliert zurück, da ihm keiner Glauben schenkt, daß er von einer fremden Macht manipuliert wurde.

In der zweiten Geschichte, "Die Singularität", die unmittelbar nach dem Auftreten von Stark bei den UN spielt, entschließt sich seine ehemalige Geliebte, Rumiko Fujikawa, ihn in dieser schweren Stunde beizustehen. Auch die Freunde und Angestellten Starks, Happy Hogan und seine Frau Pepper, unterstützen weiterhin ihren Chef, ohne zu ahnen, daß Iron Man gerade den Aufsichtsrat seiner Firma eliminiert hat.

In der aktuellen Ausgabe wird diese zweite Geschichte von den Autoren eindeutig für Propaganda in Sachen Irak-Krieg mißbraucht. Ein Senator namens "Zimmer" setzt sich vor einer Untersuchungskomission für Tony Stark ein, indem er die Verdienste des Eisernen an einem Beispiel aus dem Kriegsgebiet des Iraks schildert, drei Monate nach dem Sturz Saddam Husseins. Bei diesem Spezialeinsatz wird Iron Man von seinem Vorgesetzten gefragt, wer der Feind sei, und Iron Man, der ja ursprünglich als Kriegswaffe von der Rüstungsfirma "Stark" konzipiert worden war, spult die etwaigen Feindbilder herunter, die auch von der Bush- Administration gebetsmühlenartig in der Welt verbreitet werden: Übriggebliebene Baathisten, Saddam-Getreue, Al-Kaida und Mudschaheddin. In einem geheimen Versteck hofft Iron Man die ABC- Waffen zu finden, "über die alle Welt faselt" (S. 34). Dabei vergessen die Autoren, daß die mutmaßlichen ABC-Waffen im Irak eine Lüge der USA und nicht "der Welt" waren. Sie dienten allein dem Vorwand - obwohl die Amerikaner wußten, daß der Irak solche Waffen nicht besaß -, den Angriff auf den Irak zu legitimieren.

Seitdem der frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz dies in aller Öffentlichkeit zugegeben hat, ohne daß das irgendwelche Folgen für die Verantwortlichen gehabt hätte, sollte man doch meinen, daß dieser Zusammenhang selbst in der medial weitgehend gleichgeschalteten USA bekannt sein müßte. In der Comic-Geschichte "Die Singularität" dagegen wird nur die neue Lesart der Propaganda aufgezeigt: Der böse, skrupellose amerikanische Geschäftsmann und Rüstungsmanager "Clarance Ward" liefert dem Feind Waffen und wird zum Verräter an seinem Land. Natürlich wußte die "grundgute" und "anständige" amerikanische Administration nichts davon.

Eine übliche Form der Propaganda besteht bekanntlich darin, den Feind lächerlich zu machen und zu beleidigen. In dieser Story bedeutet das, daß der Feind selbst dem "bösen" Amerikaner Ward unterlegen ist. Der eliminiert seine irakischen Geschäftspartner mit den klischeeträchtigen Worten: "Macht's gut Jungs. Grüße an Allah und die Jungfrauen." Und der "gute" Amerikaner Iron Man, der für die Geheimdienste arbeitet, die wesentlich zu dem Angriff auf den Irak beigetragen haben, sprengt die geheime Anlage der Feinde, die ausgerechnet in der Nähe von Falludscha liegt. Dadurch soll wohl das mörderische Kriegstreiben der Amerikaner in dieser Stadt, das in der Hauptsache gegen die Zivilbevölkerung gerichtet war, im nachhinein gerechtfertigt werden.

Selbst über das Medium Comic wird die menschenverachtende Arroganz einer Weltmacht gegenüber anderen Länder und Kulturen in die Welt getragen und bestätigt wieder einmal, daß der Comic zu "Aufklärungszwecken" eingesetzt wird. Die Altleser erinnern sich vielleicht an Captain America, der in den Comics der vierziger Jahre als Supersoldat im Zweiten Weltkrieg schließlich den Prototyp des Helden darstellte und später nicht zufällig ins Rächerteam integriert wurde. Symbolisieren doch die Superhelden - zu denen auch der Supersoldat gehört - wie keine anderen die Lebensart des anständigen Amerikaners.

Und genau diese uralte Comic-Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs um Captain America und seinen Partner Barnes Bucky, der im Einsatz sein Leben fürs Vaterland opfert, wird in der dritten Story "Ausgetrickst" verarbeitet. Davon mehr im Heldenfall 3 ...

Euer Marvel-Broker


Die Fantastischen Vier & Die Rächer: Heldenfall 2
Autoren: Brian M. Bendis, Christopher Priest, Mark Ricketts
Zeichner: David Finch, Joe Bennett, Tony Harris
Panini, Stuttgart, Juni 2005
100 Seiten, farbig, Softcover-Album, Kleinformat, 6,- Euro