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ANTIQUARIAT/067: "Trau keinem über 30! - Die 68er" (SB)


Seyfried, Poth, König, Becker und andere


Trau keinem über 30! - Die 68er



"21 Zeichner halten Rückschau auf Lust und Frust der Rebellion gegen die 'deutsche Sofakissendiaktatur' (Spiegel) und fragen, was geblieben ist von dem Traum, die Demokratie neu zu erfinden." heißt es auf der Rückseite des Einbandes. Herausgekommen ist dabei eine recht unorthodoxe und sehr unterhaltsame Mischung von Comics und Cartoons (u.a. von Franziska Becker, Ralf König, Marie Marcks, Chlodwig Poth, Volker Reiche und Gerhard Seyfried) unterschiedlichster Thematik und in den verschiedensten Stilrichtungen. Gerade das macht den besonderen Reiz dieser Anthologie aus, denn auf diese Weise entstand ein gelungener Spiegel der sogenannten 68er Generation, von der man in erster Linie sagen kann, daß es "die 68er" gar nicht gegeben hat.


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Wie unterschiedlich diese Zeit erlebt wurde, kann man exemplarisch an einigen autobiographisch gehaltenen Beiträgen dieses Albums erkennen. Für die einen war Musik das Höchste und ihr Protest bestand darin, möglichst oft und möglichst laut die den Eltern so verhaßte "Jiddelmusik" zu hören. So beschreibt es zum Beispiel Ulf Harten. Für ihn war der "Grundig TK 241", den ihm der Großvater mitsamt der Aufnahme einer 30minütigen Gardinenpredigt ("Folge immer dem Wort deiner Eltern, denn nur sie wissen, was gut für dich ist ...") zur Konfirmation schenkte, der Lichtblick in seinem Leben. Jeder, der ebenfalls begeistert "NDR II, Musik für junge Leute nach der Schule" mitgeschnitten hat, und sich damit vom Musikgeschmack der älteren Generation unabhängig machte, kann das nachvollziehen. Andere, wie etwa Harald Juch, waren "aktiv" und immer am Brennpunkt des Geschehens (jedenfalls ihrer persönlichen Meinung nach). Da sein Foto-Comic jedoch in der Hauptsache auf eine peinliche Selbstbeweihräucherung hinausläuft, gehört er zu den weniger interessanten Beiträgen dieser Sammlung.

Sehr humorvoll nimmt Erich Rauschenbach die alten 68er auf die Schippe: Zwei schon leicht angegraute Männer sitzen sich in der Kneipe gegenüber: "Das Allerschlimmste war für mich damals der radikale Verlust jeglicher Mitte!", sagt der eine zum anderen und fährt fort: "Der kontinuierliche Zuwachs an den Rändern war zwar anfangs ein Trost, muß aber heute mehr denn je unter Kontrolle gehalten und von Zeit zu Zeit energisch gestutzt werden!" Mit den Worten: "Hallo, Jungs! Diskutiert ihr etwa immer noch wie in alten Zeiten die globale politische Entwicklung?" tritt ein Dritter hinzu. "Nicht doch. Kalle redet über seine Haarprobleme", lautet die lakonische Antwort.

Als Vertreterin der Nach-68er-Generation kommt Ziska Riemann, 1973 als Kind "typischer 68er-Eltern" geboren und "klassisch antiautoritär" erzogen zu Wort. In ihrem (leider nur mäßig originellen) Comic beschreibt sie das Verhältnis zu ihren immer bürgerlicher werdenden Eltern, die am Ende frustriert unter dem Che Guevara-Poster sitzen und sich als "blöde Spießer" beschimpfen lassen müssen.

In Ralf Königs wie immer gelungenem "rosa" Beitrag werden Manfred und Paul mit einem Generationskonflikt ganz eigener Art konfrontiert, als Manfred seinem schwulen Neffen anläßlich eines Referates über die Anfänge der Schwulenbewegung berichten soll und dieser nur noch "Bahnhof" versteht. "Ein Tag in der K 3" von Mali Beinhorn und Werner Büsch verballhornt - und spiegelt dabei gleichzeitig so manche "bürgerliche" Vorstellung - die Lebensweise in einem maoistischen Kommune-Kader. Andere Beiträge beschäftigen sich auf weniger persönlich gefärbte Weise mit einem Rückblick in diese Zeit. So etwa der Cartoon mit einem alten Polizeipferd, das einer Schar von gelangweilten Bauernhoftieren zum X-ten Mal eine dramatische Version seines heldenhaften Einsatzes auf einer Demonstration schildert. Kommentar einer sichtlich entnervten Kuh: "Ich kann's nicht mehr hören!"

Nicht ohne Grund an den Anfang gesetzt wurde die Geschichte von Gerhard Seyfried, denn sie gehört zu den besten: Anläßlich der Sonderschau "1968 - Das Jahr, in dem die Republik brannte" im "Deutschen Hysterischen Museum" beschließt ein altgedienter 68er, es sei Zeit, daß sein kleiner Neffe erfährt, was damals los war. Nach dem Durchschreiten der von einer "Dickaz"-Büste (Dickaz = "Dickster Kanzler aller Zeiten") gesäumten Tür befindet man sich im "Aufruhr-Saal", wo die in Stein gemeißelten Porträts eines "Agitators" mit Flüstertüte und eines wuschelmähnigen "Aufrührers" nebst einem Original-Pflasterstein-Wufgeschoß unter Glas besichtigt werden können. Vom "Springer-Saal", der ausgewählte Pressedokumente beherbergt ("Scheußliche Sexszenen in Kommune-Bett", "Ungewaschene Radaubrüder toben durch unsere Stadt") geht es weiter zu "Hippies, Kommunen", wo sich neben anderen Exponaten auch ein "Lotterbett der Kommune XIII" findet. Der Neffe, als typischer Vertreter seiner Generation an seinen XXXXL-Klamotten zu erkennen und völlig in seinen Gameboy versunken, merkt erst auf, als der Onkel mit leuchtenden Augen verkündet: "Wir hamm uns nix gefallen lassen! Wenn uns was nicht gepaßt hat, hammwas einfach angezündet!" - "Angezündet?! Erzähl doch keinen Scheiß, Alter!" meint er pampig. "Ach! Ist also Scheiß, was ich da erzähle?!" schnaubt der erboste Onkel zurück. Im letzten Bild sieht man, wie der immer noch ergrimmte und nun rußbeschmierte Onkel seinen verblüfften Neffen, der im Moment sogar sein Spielgerät vergessen hat, am Kragen packt und von der brennenden Kulisse des "Deutschen Hysterischen Museums" wegzieht ...


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Wer dieses zeichnerische Resümee, ein "Zeitbild aus Flower Power und Ho Tschi Minh", wie es ein Radiokommentator seinerzeit treffend beschrieb, "zwischen den Zeilen" - in diesem Fall auch zwischen den einzelnen Beiträgen - zu lesen versteht, erhält ein facettenreiches und ebensowenig wie diese Zeit es eben war, "auf den Punkt" zu bringendes Zeitdokument. Nicht zuletzt, und auch das ist ein Grund, nach diesem Album zu stöbern, findet sich hier eine repräsentative Auswahl deutscher Zeichner versammelt.

Ein - bei diesem Thema wohl unvermeidlicher - redaktioneller Beitrag mit dem Titel "Schön war's doch" von Friedemann Bedürftig rundet das Album ab.

11. Januar 2008


Trau keinem über 30! - Die 68er
Seyfried, Poth, König, Becker und andere
Carlsen Verlag, Hamburg, Mai 1998
80 S., Softcover, teilweise farbig
ISBN 3-551-73382-1