Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

HINTERGRUND/012: Li'l Abner - Ein Hillybilly-Boy macht Geschichte (SB)


Beißende Satire im hinterwäldlerischen Gewand


Am 13. August 1934 erschien die erste Folge von "Li'l Abner" in der Tagespresse der United Features und wurde auf Anhieb ein grandioser Erfolg. Im hinterwäldlerischen Gewand verbirgt sich hinter dieser Serie eine beißende Satire auf Amerika, die Amerikaner und den American Way of Life.

Li'l Abner, die Hauptfigur der Serie, ist ein typischer junger Mann vom Land aus dem amerikanischen Süden, etwas brav und unbedarft zwar, dafür jedoch sowohl mit einer guten Portion Muskeln als auch gesundem Menschenverstand ausgestattet. Der 19jährige, der mit vollem Namen Abner Yokum heißt, lebt in Dogpatch, einem verschlafenen Nest irgendwo in den Bergen. Die Angelegenheiten, in die dessen skurrile Bewohner verwickelt werden, entwickeln sich wunderbarerweise stets zu tragender Bedeutung für das künftige Schicksal der Menschheit.

Die wichtigsten Personen im Leben Li'l Abners sind seine Freundin, die ebenso üppige wie naive und gutherzige Daisy Mae Scragg, die ihn seit frühester Kindheit liebt und später - nach zähem Ringen und unter Ertragung zahlreicher Unhöflichkeiten und Herabwürdigungen - seine Frau wird (ein Ereignis, das dem "Life Magazin" sogar eine Titelstory wert war) sowie Pappy und Mammy Yokum. Mammy Yokum, das eigentliche Familienoberhaupt und heimliche Hauptfigur der Serie, scheint mit ihrer Maiskolbenpfeife und dem verkniffenen Gesichtsausdruck nicht nur äußerlich, sondern auch von ihrer Schlagkraft her eine Verwandte des Popeye-Clans zu sein. Kein Wunder, daß ihren Anordnungen nicht nur ganz Dogpatch und sogar der verfeindete Scragg-Clan bedingungslos folgen, nein, auch der amerikanische Präsident sagt nur noch ja und Amen, wenn Mammy Yokum ihm bei einem ihrer wiederholten Besuche erklärt, wo's langgeht.

Im Laufe der Zeit wurden die Ansichten des Autors nach Meinung mancher Kritiker etwas einseitig und waren teilweise heftig umstritten, dennoch war Li'l Abner lange Zeit eine der populärsten Comic-Serien, um deren Inhalte zum Teil regelrechte Mythen entstanden, wie etwa um den "Sadie Hawkins Day": Seit in Dogpatch am 15.11. jeden Jahres einer Al Capp zufolge "gesetzlich abgesegneten schottischen Tradition" folgend der sogenannte "Sadie Hawkins Day" veranstaltet wurde, an dem alle Junggesellen des Ortes zu Freiwild erklärt und von den unverheirateten Frauen gejagt werden durften (wenn eine dieser "Jägerinnen" vor Sonnenuntergang einen Mann erwischte, hatte sie das Recht ihn, notfalls auch gegen seinen Willen, zu heiraten), war dieser Tag weithin berühmt. Man übertrug diese Veranstaltung sogar in die Realität und so wurde zeitweise an zahlreichen Universitäten des Landes tatsächlich ein solcher Tag organisiert.

Bis zur Einstellung 1977 führte Capp seine Serie weiter, die zweimal, 1940 (unter Mitwirkung von Buster Keaton) und 1959 verfilmt wurde. Außerdem produzierte Filmmogul Dave Fleischer 1944/45 einige Zeichentrickfilme nach der Vorlage von Daily Strips und 1956 wurde am Broadway eine Musicalfassung der Serie aufgeführt. 1968 gründete Al Capp mit seinem Unternehmen Capp Enterprises in Boston den Vergnügungspark "Dogpatch". Er wurde 1993 geschlossen; Bemühungen, ihn wiederzueröffnen, scheiterten bisher.

Wie es sich für eine echte Kultserie gehört, in der übrigens auch zahlreiche Prominente (u.a. Frank Sinatra) Gastrollen hatten, entstanden nicht nur um die Figuren zahlreiche Gerüchte, sondern auch um den Zeichner selbst. So soll Capp z. B. ein Angebot von King-Features-Syndikatchef Connolly abgelehnt haben, der Capp statt der 50 Dollar, die er von United Features Syndicate erhielt, 200 bis 250 Dollar pro Woche für seine Serie anbot - allerdings unter der Bedingung, daß er einige grundlegende Änderungen vornähme. Capp, so will es die Legende, waren seine 50 Dollar, für die er von seinen Vorstellungen nicht abzuweichen brauchte, lieber.

Eine Geschichte mit tragischem Ausgang, an der Al Capp ebenfalls beteiligt war, dreht sich um den Boxer-Comic "Joe Palooka", den Capp vor "Li'l Abner" zeichnete. Ham Fisher, der die Serie erfunden hatte, ließ sich die Zeichenarbeit schon bald von anderen, u. a. Al Capp, abnehmen. Ende der 40er Jahre schrieb Capp einige Artikel im "Atlantic Monthly", in denen er Fishers Ausbeutung junger Zeichner anprangerte. Fisher verklagte ihn daraufhin vor Gericht, warf ihm "Nestbeschmutzung" vor und legte zum Beweis eigene Zeichnungen vor, die jedoch dummerweise in Capps Stil gezeichnet waren. Er verlor den Prozeß und wurde daraufhin aus der National Cartoonists Society ausgeschlossen. 1955 beging er wegen starker Depressionen Selbstmord.

Al Capp, eigentlich Alfred Gerald Capplins, wurde am 28.9.1909 in New Haven/Connecticut geboren. Schon sehr früh wurde sein Talent entdeckt und er gestaltete ab 1927 für die Associated Press einen wöchentlichen Comic namens "Mr. Gilfather". Später übernahm er die schon angesprochene Boxer-Serie "Joe Palooka" von Ham Fisher. Doch bald wurde er es leid, immer nur nach den Ideen anderer zu arbeiten und schuf nach seinen eigenen Vorstellungen "Li'l Abner". 1942 kam eine weitere Serie namens "Fearless Fosdick" hinzu, eine unterhaltsame Parodie auf "Dick Tracy", deren Hauptfigur der ungeschickte und ewig vom Pech verfolgte Polizist Fosdick war, der auch gelegentlich auch bei "Li'l Abner" auftauchte, welcher wiederum "Fearless Fosdick" als seine Lieblingslektüre angab. Von John Steinbeck als "bester Schriftsteller der Welt bezeichnet" schlug dieser ihn 1953 für den Nobelpreis vor. Al Capp arbeitete außerdem als Texter an den Serien "Abbie an' Slats" (1977-45) und "Long Sam" (1954-62) mit. Er starb 1979.

21. Juni 2007