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MARVEL-BROKER/029: Batman & Superman - Identity Crisis 1 bis 7


Brad Meltzer, Rags Morales


Batman & Superman: Identity Crisis 1 bis 7



Batman, ein Superschurke?

Die packende Storyline von "Identity Crisis", die schon im Jahre 2005 als Miniserie aus Einzelheften ausgesprochen erfolgreich war, dürfte auch im Jahre 2006 als Sammelband die Fans nochmals in ihren Bann ziehen. So oder ähnlich mögen die Macher von DC Comics ihre Politik der Sammelbände vor sich selbst begründen, und sie liegen dabei noch nicht einmal falsch. Denn das vollständige Krimirätsel von Autor Brad Meltzer und Zeichner Rags Morales in einem Stück und ohne Unterbrechung verschlingen zu können, hat für viele Leser seinen besonderen Reiz, entfaltet sich die Handlung doch erst über einen langen Erzählbogen im vollen Ausmaß ihrer tragischen Dichte.

Als Sue Dibny, die schwangere Ehefrau von Ralph alias Elastoman brutal ermordet wird, stehen seine fassungslosen und zutiefst erschütterten Mitstreiter von der Justice League of America um Superman, Batman und Wonder Woman vor einem Rätsel: Ein Mörder geht um und er tötete Sue in ihrem Zuhause, d.h. er verschaffte sich Zutritt in eine der am besten geschützten Wohnungen Amerikas. Damit versetzte er die Helden der JLA in Angst und Schrecken, denn er konnte sie an ihrer verwundbarsten Stelle treffen, nämlich bei ihren Verwandten, Geliebten und Freunden. Er kennt das private Leben der Helden und wird nicht vor weiteren Angriffen auf deren Lieben zurückscheuen. Aber wer ist überhaupt in der Lage und besitzt die notwendigen Mittel, um so einen Mord durchzuführen? Und was sind seine Beweggründe für solch eine Tat?

Schleichend langsam wird den Liga-Mitgliedern bewußt, daß dieser Mord wohl nicht der letzte sein wird und erst nach dem zweiten Anschlag auf Jean Loring, der geschiedenen Frau von Ray Palmer alias Atom, mobilisieren sie alle Kräfte, um ihre Freunde und ihre Familie zu schützen. Aber als sich die Jagd nach dem mysteriösen Mörder zuspitzt, wird ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit der Justice League offenbart und droht die Gemeinschaft der Helden zu zerreißen.

Das Drama entwickelt sich langsam, als Elastoman mit seiner Kollegin Lorainne Reilly alias Firehawk auf Patrouille ist und in nostalgischen Erinnerungen schwelgt, wie er seine Frau Sue vor rund zwanzig Jahren kennengelernt hat. Einem Damoklesschwert gleich hängt eine finstere Wolke von Gefahr über ihnen, und diese zunächst unterschwellige, sich dann aber aufs Unerträglichste zuspitzende Bedrohung führt den Leser gezielt auf eine falsche Spur. Verstärkt wird dies durch die verschiedenen, kurz gezeigten Schauplätze und Handlungsstränge, die den eigentlichen Angriff nicht einmal ahnen lassen. Zwar ist jene `falsche' Stoßrichtung mit der Hauptstory verwoben, aber um so härter trifft den Leser die völlig unerwartet hereinbrechende Katastrophe, als ihm das wahre Geschehen so furchtbar offenbart wird - der gnadenlose Mord an Sue Dibny.

Doch nicht die Hauptstoryline (siehe MARVEL-BROKER/025) von "Identity Crisis" soll an dieser Stelle weiter beleuchtet werden, vielmehr soll das Augenmerk des Lesers auf das bereits angelüftete (siehe MARVEL-BROKER/016) dunkle Geheimnis der Liga gerichtet werden. So setzen wir nochmals an diesem düsteren Punkt in der Geschichte der Liga an, weil auch dort die eindeutigen Kriterien von Batmans schurkischer Vergangenheit zu finden sind.

Was war bloß in der Vergangenheit geschehen, fragten sich Green Lantern V und Flash III, daß einige spezielle Altmitglieder der Gerechtigkeitsliga nach dem Mord an Sue ausgerechnet den einfältigen Dr. Light verdächtigten? Sie konfrontierten Green Arrow damit und erhielten die schockierende Antwort, daß Dr. Light vor Jahren Sue Dibny nicht nur brutal mißhandelt und mißbraucht, sondern auch der Liga offen gedroht habe, daß er Sue wiederfinden und darüber hinaus auch alle anderen aufspüren werde. Um das unter allen Umständen zu verhindern, sollte die Magierin Zatanna einen illegalen Eingriff vornehmen, etwas, das einige Ligamitglieder zwar schon des längeren heimlich ausübten, in das aber erst jetzt die Nachfolgehelden Flash III (früher Barry Allen, heute Wally West) und Green Lantern V (früher Hal Jordan, heute Kyle Rayner) eingeweiht wurden:

Die Justice League of America aus einer Ära, als sich das Hauptquartier in einem Satellit im Erdorbit befand, hatte damals illegale und moralisch verwerfliche Handlungen an ihren Gegnern vorgenommen. Wenn irgendwelche Superschurken die Geheimidentität von den Mitgliedern der Liga herausgefunden hatten, wurde ihnen die Erinnerung daran magisch durch Zatanna genommen, d.h. die damalige JLA manipulierte bereits bewußt den Verstand ihrer Gegner, um ihre Geheimidentitäten und damit auch ihre Freunde, Bekannte und Verwandte zu schützen.

Befürwortet haben dieses Vorgehen die `alten' Flash und Green Lantern, sowie Hawkman, Black Canary, Green Arrow und Atom. Diese sieben Helden bezeichnen sich selber als Liga innerhalb der Liga. Superman und Batman sind die Großen, die von Kampf zu Kampf eilten, aber die "Kollateralschäden" beseitigten meist die Sieben allein. Und sie entschieden sich auch für die illegale Methode des magischen Vergessens. Bei Dr. Light gingen sie jedoch noch einen Schritt weiter und wollten seine Persönlichkeit verändern. Dabei führten sie mit Hilfe von Zatanna eine magische Lobotomie durch und veränderten derart nachhaltig seinen Geist, daß seine ursprüngliche Persönlichkeit ausgelöscht wurde, was im Prinzip einem Mord gleichkam. Im Sinne westlich demokratischen Rechtsverständnisses wäre solch eine Bestrafung Dr. Lights durch die Liga ebenfalls eine Mißhandlung und ein Mißbrauch und müßte daher genauso strafrechtlich verfolgt werden wie das von Dr. Light begangene Verbrechen an Sue.

In diese dunklen Epoche der Justice League of America fällt auch Batmans schurkisches Auftreten, das anhand spezifischer Kriterien, die das Böse an sich charakterisieren, nachgewiesen werden kann.

Dem Bösen haftet im DC Comic-Universum meistens das Stigma des Wahnsinns an. Nicht umsonst sind die Superschurken, wie der Joker, der Riddler, der Pinguin, Two Face, die Vogelscheuche und viele mehr, Geisteskranke und somit Stammgäste in Arkham Asylum, der Irrenanstalt Gotham Citys. Der Wahnsinnige an sich hat sich nicht unter Kontrolle, findet sich in dem normalen bürgerlichen Leben nicht zurecht und wird somit von den "anständigen" Mitgliedern der Gesellschaft als Randständiger ausgegrenzt. Die Bösen selbst haben sich ebenfalls von der Gesellschaft abgewandt - und wer das macht, muß ja wahnsinnig sein, weil er das auf keinen Fall aus freiem Willen getan haben kann.

Im Comic ist es bekanntlich ein untrügliches Kennzeichen des Wahnsinnigen und damit auch des Bösen, daß er die Kontrolle über sein Mienenspiel verliert, was sich bei den Protagonisten entweder in den entgleisten oder den zu Grimassen verzogenen Gesichtszügen äußert, wie in dieser Story bei Dr. Light oder dem bösen Slade. Das Böse, in diesem Fall Dr. Light, wird mit Vergessen oder sogar mit magischer Lobotomie bestraft, d.h. auch die Bestrafung an sich ist bereits ein Beweis des Bösen.

Und so kommen wir nun zum guten, alten Batman. Als er seine Mitstreiter aus der Justice League of America bei der illegalen magischen Lobotomie an Dr. Light erwischt, gerät er außer sich vor Zorn. Im Nu erfaßt er, was da vor sich geht, und da er aufgrund seiner ethischen Gesinnung diese Handlungsweise nicht gutheißt, fordert er die sofortige Beendigung des Eingriffs. Sein Gesicht verzog sich vor wahnsinnigem Zorn zu einer Grimasse - also Kontrollverlust der Mimik. Böse!

Da die sieben Mitglieder des inneren Kreises nun befürchten mußten, daß die Liga aufgrund der aufgedeckten illegalen Missetaten auseinanderbrechen könnte, beschlossen sie einstimmig, wenn auch mit großem Unbehagen, Batman auf magischem Wege die Erinnerung an diesen Vorfall zu nehmen. So hat Zatanna in Batmans Verstand eingegriffen, auf gleiche Weise wie zuvor nur Superschurken bestraft wurden. Batman könnte also aufgrund der Merkmale des Bösen - Wahnsinn, ausgedrückt durch Kontrollverlust der Mimik und eine Bestrafung seitens der Guten - den Schurken zugewiesen werden. Aber halt! Ist Batman nicht eigentlich ein Guter? Oder gerät er etwa als Vertreter alter Werte und mit seinem instinktiven Gefühl für Gerechtigkeit, bei dem auch der "böse" Mensch eben noch ein Mensch mit all seinen Rechten ist, automatisch auf die Seite der "Bösen", weil seine Wertvorstellung nicht mehr in die heutige politische Landschaft mit ihren extremen Polarisierungen paßt? Bringt ihn das bereits an den Rand der gesellschaftlichen Norm?

Offene Fragen für den aufmerksamen Leser. Doch allein, wenn sich eine Liga innerhalb der Liga bilden konnte, ohne das Wissen aller Mitglieder, zeugt das nicht gerade von Vertrauen und Freundschaft. Wie sollte also ausgerechnet die Mißhandlung Batmans die Liga vor dem Zerbrechen bewahren?!

"Identity Crisis" bildet bei DC den Auftakt für weitere Einzelhefte oder kleinere Heftserien, wie z. B. "Identity Crisis Special: Flash" oder "Infinite Crisis", die der Leser bereits kennen dürfte. Die JLA hat in diesem Sammelband noch "überlebt", aber ob sie wirklich "ALLES überlebt", wird sich in den nächsten Abenteuern zeigen. Vielleicht steht das dicke Ende noch bevor.

Euer Marvel-Broker


Brad Meltzer, Rags Morales
Batman & Superman: Identity Crisis 1 bis 7
Panini, Stuttgart, März 2006
232 Seiten, farbig, Heftformat, Euro 19,95
ISBN 3-86607-161-2