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PORTRAIT/014: Elzie Crisler Segar - Zeichner von "Popeye" (SB)


Elzie Chrisler Segar - Zeichner, Angler, Lebenskünstler


Kindheit und Jugend

Elzie Crisler Segar wurde am 8. September 1894 in der kleinen Stadt Chester in Illinois geboren, die am Ufer des Mississippi liegt. Von diesem Fluß war auch die frühe Kindheit des Jungen geprägt, der leidenschaftlich gerne schwamm, angelte, auf einem Floß den Fluß erkundete oder zu einer Insel übersetzte, die er und seine Freunde als bevorzugten Spielplatz auserkoren hatten.

Die Freude am Angeln behielt Segar sein Leben lang bei. Er verstand es späterhin meisterhaft, zumindest einen Teil seines Arbeitspensums mit den angenehmen Seiten des Lebens zu verbinden. Wie sein langjähriger Assistent und enger Mitarbeiter Bud Sagendorf aus eigener Anschauung berichtete, verrichtete Segar einen Großteil seiner schöpferischen Arbeit in einem Ruderboot oder beim Angeln am Pier. Auch der Zeichner Walter Berndt, der in Segars frühen Jahren in New York eng mit ihm zusammenarbeitete, erzählte ähnliches: "Segar und ich schlichen uns aus dem Büro, gingen nach New Jersey und angelten an einem verrotteten Steg. Wir unterhielten uns und kamen mit einem großen Eimer voller Fische und mindestens vierzig neuen Ideen zurück."(1)

Doch das war vorerst noch Zukunftsmusik. Der aus bescheidenen Familienverhältnissen stammende Segar mußte sich schon früh den Anfordernissen des Lebens stellen und das hieß in erster Linie: Geldverdienen. Hierbei stellte sich schon der zehnjährige Knabe recht findig an. So nutzte er zum Beispiel des Besuch eines Schiffes der U.S. Marine in Chester aus, um einen eigenen "Fährdienst" einzurichten. Während sich die meisten Stadtbewohner für 25 Cents mit der Fähre zum Schiff bringen ließen, beförderte Segar seine Kunden, die Jungen und Mädchen des Ortes, zum Preis von nur 5 Cents mit einem alten Ruderboot, das er einige Tage zuvor gefunden und repariert hatte, an Ort und Stelle.

Seine erste feste Arbeit hatte Segar mit zwölf. Für ein Gehalt von 50 Cents am Tag - damals eine Menge Geld für jemand seines Alters - arbeitete er nun für das "Chester Opera House", das örtliche Stummfilmkino, das gleichzeitig als "Kulturzentrum" von Chester fungierte. Er war erstaunlich, was für eine Vielzahl von Aufgaben der Junge bewältigte. Neben dem routinemäßigen Wechseln der Plakate unterstützte er den Klavierspieler, der den Film akustisch untermalte, am Schlagzeug, stellte Reklameschilder für den Kinoeingang her und entwarf Werbedias, die eingeblendet wurden, wenn der Vorführer die Filmrollen wechseln mußte. Außerdem malte er jeden Samstagmorgen mit bunter Kreide Cartoons auf das Pflaster, die den Film der kommenden Woche ankündigten. Obendrein lernte er alle Tricks des Filmvorführens, so daß er sich auch hier unentbehrlich machte. Auf die Ausübung dieser speziellen Tätigkeit war Segar so stolz, daß er sich die Buchstaben M. P. O., Motion Picture Operator (Filmvorführer), auf den Arm tätowieren ließ.

Auch in seiner freien Zeit war Segar nicht untätig. Malerarbeiten, Plakate kleben und Schaufensterdekorationen gehörten zu seinen Aufträgen, an denen es ihm auch nicht mangelte, nachdem ihm einmal die ganze Angelegenheit mangels Erfahrung gründlich in die Hose gegangen war. Eine Scheunenwand, die der Junge für einen Eisenwarenhändler als Reklamefläche gestaltet und die wegen ihrer offensichtlichen Qualität zum Stadtgespräch geworden war, wurde schon eine Woche später ein Opfer des plötzlich einsetzenden Regens, denn bedauerlicherweise hatte der Knabe wasserlösliche Farben verwendet.

Einen besonders wohlwollenden Mentor hatte Segar in seinem Arbeitgeber Bill Schuchert vom Chester Opera House. Dieser ermunterte ihn stets, sein zeichnerisches Talent zu üben. Er war es auch, der seinem jungen Angestellten die Studiengebühr von 20 Dollar für einen Fernkurs im Cartoon-Zeichnen bezahlte, nachdem dieser mit einer Auswahl seiner Zeichnungen bei einer Zeitung in St. Louis abgeblitzt war. Sein Geld hat Mr. Schuchert, wie man weiß, nicht umsonst investiert und Segar zeichnete sich auch hier durch besonderen Fleiß aus - wenn im Kurs eine Zeichnung verlangt wurde, sandte er acht bis zehn Stück ein, die, das war wiederum ein Glück für den Jungen, allesamt ausführlich besprochen und beurteilt wurden.

Segar sagte später, daß ihn die für die damalige Zeit recht hohen Verdienstmöglichkeiten von bekannten Comic-Zeichnern bei seiner Berufswahl nicht unwesentlich beeinflußten, und so wagte er Anfang des Jahres 1919 den Sprung in die Großstadt Chicago, um diesen Beruf zu ergreifen. Einen guten Einstieg hatte er durch seinen dort lebenden Bruder. Dieser stellt ihn dem Zeichner Richard Felton Outcault vor, der mit seiner Serie "Yellow Kid" zu Berühmtheit und Wohlstand gelangt war. Outcault empfahl den jungen Segar an den "Chicago Herald" weiter, wo man ihm einen eigenen Strip namens "Charlie Chaplin's Comic Capers" zuwies, an dem sich schon einige vor ihm versucht hatten. Segar machte sich mit viel Elan an die Arbeit - und hatte Erfolg. Als der "Herald" verkauft wurde, machte er beim "Chicago American" weiter, wo er eine sehr beliebte Kolumne namens "Looping the Loop" zeichnete. Das Thema waren hier aber eher die Veranstaltungen, die täglich in Chicago stattfanden, als die Comics. Seinem Herausgeber wäre es sogar lieber gewesen, wenn Segar die Zeichnungen ganz weggelassen hätte, um so mehr Platz für die Berichterstattung zu schaffen.

Doch Segar wollte trotz des momentanen Erfolges nicht ewig Kolumnist bleiben. Glücklicherweise waren seine witzigen Zeichnungen und Kommentare bereits an einflußreicher Stelle aufgefallen - der Journalist Arthur Brisbane, der für den Hearst-Konzern arbeitete, bot ihm an, für das King Features Syndicate in New York zu arbeiten. Dieses Angebot nahm Segar dankend an.

New York

Segar hatte eine günstige Zeit erwischt. Die Comics waren in einer Phase der Expansion, denn Herausgeber und Verleger hatten erkannt, daß die bunten Bilder hervorragend dazu geeignet waren, die Auflagen ihrer Blätter zu steigern und veröffentlichten mehr und mehr davon. Die Strips wurden zudem über ein Syndikatsystem vertrieben, d.h. die einzelnen Zeitungen hatten nicht mehr ihren eigenen Comic-Zeichner, sondern Syndikate (= Agenturen), nahmen die Zeichner unter Vertrag und boten ihre Arbeiten verschiedenen Zeitungen und Verlagen an. Dadurch kam es nicht selten vor, daß der Strip eines Zeichners in Hunderten von Zeitungen gleichzeitig erschien, was die Verdienstmöglichkeiten natürlich enorm erhöhte.

Als die Segars (Segar hatte in seiner Chicagoer Zeit seine Freundin Myrtle Johnson geheiratet) in New York ankamen, hatten sie zunächst einen etwas unglücklichen Start: Angesichts des bevorstehenden Antrittsgesprächs wollte Segar auf keinen Fall provinziell erscheinen und man beschloß trotz der mittlerweile beträchtlich zusammengeschrumpften Finanzreserven, einen neuen Anzug zu kaufen. In einem Bekleidungsgeschäft, das "Anzüge zu Sonderpreisen" anbot, wurde man fündig und die Wahl fiel auf einen klassischen hellbraunen Herrenanzug. Es mußten zwar noch einige Änderungen gemacht werden, doch zum Montagmorgen sollte alles pünktlich fertig sein. Groß war die Enttäuschung, als sich das "Hellbraun" bei Tageslicht als ein auffällig leuchtendes, helles Orange erwies. Doch es war zu spät, man konnte nichts mehr daran ändern und Segar mußte "als kleiner, vertrockneter Kürbis", wie er sich selbst beschrieb, und provinzieller als je zuvor im Hearst-Gebäude vorsprechen.

Wie auch immer er ausgesehen haben mag, man störte sich nicht daran und Segar erhielt den Auftrag, einen Comic-Strip mit dem Titel "Thimble Theatre" ("Fingertheater") zu machen. Die Comic-Zeichner bei Hearst hatten sich übrigens mit einer ebenso originellen wie waghalsigen Idee über die Tatsache hinweggeholfen, daß ihre Abteilung aus Platzmangel in einem Nachbargebäude untergebracht worden war. Um sich ständiges Fahrstuhlfahren zu ersparen, überbrückten sie die drei Meter Entfernung vom Hauptgebäude zu ihrem eigentlichen Arbeitsplatz "per Luftlinie" mit Hilfe eines Brettes, das sie der Höhe des 4. Stockwerks von Fenster zu Fenster gelegt hatten. Wie man ihm wohl nicht verdenken kann, konnte Segar sich nie so recht daran gewöhnen, in schwindelnder Höhe von einem Gebäude ins andere zu kriechen.

Thimble Theatre

Die neue Serie war so konzipiert, daß jeden Tag ein in sich abgeschlossener Strip erscheinen sollte. Doch Segar wollte Geschichten erzählen und die einzelnen Episoden wurden mit der Zeit länger und erstreckten sich über eine Woche und mehr. Die ursprünglichen Besetzung bestand aus Olivia Öl (Olive Oil), Olivias Bruder Castor Öl (Castor Oyl), Olivias erstem Freund Ham Gravy, Olivias Vater Papa Öl (Cole Oyl) und Olivias Mutter Mama Öl (Nana Oyl). Nachdem 1929 auch noch Popeye auf den Plan trat, war das Arrangement perfekt: Seemänner erleben Abenteuer und Abenteuergeschichten sind lang. Nun konnten sich auch die Zeitungsredakteure nicht mehr dagegen sperren, die für die Beibehaltung der kurzen Gags gewesen waren und Angst hatten, sie würden verwässert werden. Am Ende erwies sich die täglich erscheinende Fortsetzungsgeschichte jedoch als ausgesprochen erfolgreich.

Sappo

"Thimble Theatre" war nicht die einzige Serie, die Segar zeichnete. Ab 1921 kam "Five-Fifteen", später "Sappo" genannt, hinzu, ein Strip, der ebenfalls sehr erfolgreich wurde. Eingebracht hatte ihm diese zusätzliche Arbeit seine Angelleidenschaft. Dem Leiter der Comic-Abteilung war eines Tages aufgefallen, daß einer der Zeichner, die alle in einem großen Raum arbeiteten, immer blitzschnell mit seiner Arbeit fertig war und sich anschließend gerne verdrückte. Tatsächlich zog es Segar zum Angeln und er schwänzte (oft gemeinsam mit Walter Berndt, dem Schöpfer des "Smitty"-Comic) mehrere Male in der Woche die Arbeit, um nach New Jersey zu fahren und am Hudson River zu angeln. Wenn Segar Zeit zum Angeln habe, dann habe er auch Zeit für einen zusätzlichen Comic, meinte der Chef. Hauptakteure der neuen Serie, die vom Leben der Pendler in den Vororten erzählte, waren ein kleinen Mann namens Sappo und seine große Frau Myrtle (nach Segars Frau).

Im Zuge einer Formatänderung erfand Segar eine weitere Figur: Professor O.G. Watasnozzle (O.G. Allezwizzer), der die phantastischsten und verrücktesten Erfindungen machte (Segar war selber ein leidenschaftlicher Bastler). Auch seine Vorliebe für Science Fiction konnte Segar nun einbringen, und der Professor, der Atomkerne so leicht wie Walnüsse spaltete, reise mit Sappo und Myrtle sogar zu fernen Planeten.

Segars Arbeits- und Lebensweise, seine Vorbilder

Viele Elemente des frühen Thimble Theatre erinnern an Kurzfilme von Charlie Chaplin, die Segar während seiner Tätigkeit als Filmvorführer kennengelernt hatte. So war etwa Chaplins "Easy Street" aus dem Jahr 1917 Vorbild für manche Figuren in Segars frühen Strips: Der große Bösewicht mit schwarzem Bart, der kleine tapfere Held und das hilflose Mädchen.

Wie viele andere Comiczeichner bewunderte auch Segar seinen Kollegen George Herriman, den Schöpfer von "Krazy Kat". So deuten einige Figuren und die Hintergründe des Thimble Theatre eindeutig auf Herrimans Stil hin. Die beiden lernten sich jedoch nie persönlich kennen, obwohl auch Herriman Segar schätzte und sie lange Zeit nur 30 km voneinander entfernt wohnten. Beide liebten jedoch die Zurückgezogenheit und wollten sich nicht aufdrängen.

Segar, der als klein, schmal, schüchtern und introvertiert beschrieben wird, war anderen Leuten gegenüber eher reserviert und unsicher, vor allem wenn er sie nicht kannte. Aufbrausen tat er nur, wenn andere sich geringschätzig über seinen Beruf äußerten, was er überhaupt nicht leiden konnte. Bei größeren Einladungen gebrauchte er oft die Ausrede, er müßte zum Angeln, um an einer Idee zu arbeiten. Außer seiner Angelleidenschaft spielte er gerne Billard - wie viele Altersgenossen aus der Kleinstadt hatte auch er einen großen Teil seiner Freizeit beim Billard verbracht.

Als Segar zu Erfolg gekommen war und entsprechend gut verdiente, zog er mit seiner Frau ins vornehme Santa Monica. Doch waren wahrscheinlich weder die schöne Umgebung noch das edle Ambiente, wohl aber das nahegelegene Meer und der Angelsteg ausschlaggebend für diese Wahl gewesen. Als Mitglied des örtlichen Skeet-Clubs (Tontaubenschießen) fand Segar sich Seite an Seite mit Teamgefährten wie Clarc Gable oder Gary Cooper. Er nutzte den Club als "Ideenschmiede" und ließ ihn wiederholt in Anspielungen auf seinen Sonntagsseiten auftauchen.

Segar arbeitete gern nachts. Und er schwor darauf, daß er die besten Ideen entwickeln konnte, wenn er zusammen mit seinem Assistenten Bud Sagendorf nachts im Boot vor der Küste von Santa Monica angelte. War der Köder am Haken und die Schnur im Wasser, machten sie es sich bequem und besprachen die Arbeit der kommenden Woche. Und da man kaum etwas witziges produzieren kann, wenn man nicht ebenfalls in gehobener Stimmung ist, ging es dabei immer recht lustig zu. Sie erzählten sich gegenseitig, was ihnen einfiel. Wenn sie dann irgendwann über alles lachten, wußten sie, daß es an der Zeit war, die wirklich komischen Einfälle auszuwählen, um mit ihnen weiterzuarbeiten.

1934 bekam Popeye einen Dämpfer. Der Seemann mit den Bärenkräften durfte nicht mehr fluchen und auch mit seiner Gewalttätigkeit sollte es ein Ende haben, forderte der Boß von King Features, William Hearst. Widerwillig milderte Segar Popeyes Sprache und ließ ihn auch nicht mehr grundlos zuschlagen. "Ich bins jetzt ein Gentlemensch!", kommentierte der kauzige Seemann die Veränderung, die mit ihn vorgegangen war.

Elzie Crisler Segar verstarb - viel zu früh - am 13. Oktober 1938. Nach seinem Tod wurde "Popeye" von verschiedenen Zeichnern und Textern weitergeführt, wobei die Serie jedoch viel von ihrem ursprünglichen Reiz verlor. Aus den skurril-verstiegenen Abenteuergeschichten der Anfangszeit wurde eine reine Humorgeschichte für ein jugendliches Publikum.

(1) aus: Popeye - Die ersten 50 Jahre, Ehapa Verlag, Stuttgart

18. Juni 2007