Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

UMFELD/180: Robert Crumb - der Retter mittelalterlicher Idylle (SWH)


Szene WHatcher - Das Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für triviales Entertainment seit 1995, No. 256 vom 23. Mai 2007

Rettet das Mittelalter!


Die französische Supermarktkette ED, ein Ableger von Carrefour, dem weltweit zweitgrössten Einzelhandelsunternehmen (nach Wal-Mart), möchte in einem Dorf namens Sauve, nahe der Stadt Nîmes, eine Filiale eröffnen und aus diesem Grund von dem dort ansässigen Grundbesitzer Serge Saby ein 4.300 qm grosses Stück Land kaufen, auf dem vor langer Zeit eine Textilfirma den Kampf gegen die Massenproduktion aus Fernost verloren hat.

Nun, dieser alltägliche Vorgang würde wahrscheinlich niemanden interessieren, wäre da nicht ein Häufchen unverdrossener Kämpfer für Landschaft und Umwelt mit einem Feindbild aus Urbanisierung, Verkitschung und architektonischer Verblendung, die alles daran setzen um die Errichtung des Supermarktes zu verhindern und an deren Spitze Robert Dennis Crumb steht, der bekannte Comic-Autor und -Zeichner aus den USA, der noch allen Spätsechzigern und Frühsiebzigern in bester Erinnerung sein sollte.

Vom Horror des american way of life verschreckt, hatte sich Crumb bereits vor gut anderthalb Jahrzehnten in Sauve mit seiner Frau Aline Kominsky-Crumb und Tochter Sophie niedergelassen, um in dem verträumten, vergessenen Landstrich der französischen Provence die Uhr etwas zurückzudrehen. Das 1.800-Seelendorf ist, wohl durch Mundpropaganda, ein Anziehungspunkt für viele finanziell unabhängige Ex-Städter aus aller Herren Länden geworden, was zur Folge hat, dass sich die Bevölkerung der Ortschaft mittlerweile aus über 20 Nationen zusammensetzt. Die Aussteiger-Idylle hat natürlich ihren Preis, so sind die Lebenshaltungskosten und die Immobilienpreise in Sauve kräftig angestiegen, was die betuchten Zugereisten nicht in Panik versetzt, denn sie geniessen unbeeindruckt die exklusiv-lässige Atmosphäre im Dorfe, während den Einheimischen ihre Heimat immer fremder wird und die steigenden Kosten bereits viele Ureinwohner in eine Wohnwagensiedlung nahe des Flusses Vidourle getrieben haben.

Crumb verabscheut die Konsumgesellschaft, die ihn jetzt in Form des Supermarktes einzuholen droht und ihm obendrein den Blick ins Tal verschandeln könnte. Zusammen mit einigen Gleichgesinnten hat Crumb deshalb der Supermarktkette und Serge Saby den Kampf angesagt, indem er eine Unterschriftensammlung gegen den Bau des Einkaufszentrums unterstützte und in dem mittelalterlichen Dorf selbstentworfene Plakate kleben liess. Das Plakat zeigt ein betonklotziges Gebäude aus dem heraus zwei starke Crumb-typische Arme die liebgewonnene Idylle zerstören, während Serge Saby triumphierend, mit Euroscheinen wedelnd, auf dem Supermarché herumtänzelt.

Die Bevölkerung des Dorfes ist indes über das Supermarkt-Projekt völlig zerstritten. Saby, dessen Familie seit vielen Generationen in Sauve ansässig ist, beklagt die Ignoranz der reichen Zugereisten, die sich wenig um den Lebensstandard der Einheimischen kümmern, und der Bürgermeister Joseph Malgoire, ein Metzger aus Sauve, favorisiert den Supermarkt, der Arbeitsplätze schafft und vor allem Steuern ins Dorfsäckel schwemmt. Und diese Steuern hat der Ort dringend nötig, denn die mittelalterliche Bausubstanz verfällt zusehends, besonders nachdem auf Grund von Veruntreuungen des ehemaligen Bürgermeisters die Kassen leer sind. Zudem wird den zugereisten Lebeleuten unterstellt, sie wollten das Dorf für sich vereinnahmen und ihre Beteiligung am Dorfleben würde sich in "exotischen Disziplinen" (Le Figaro) wie Tanz- und Yoga-Kursen erschöpfen.

Crumb indes wettert über die Einheimischen, die aus seiner Sicht, kurz nachdem sie zu Geld gekommen sind, entweder das Dorf verlassen oder sich auf der Sonnenseite der Gegend häuslich niederlassen. Allerdings scheinen sich beide Parteien zwischen Kommunalpolitik, Wahlen und individuellen Interessen kurz über lang aufzureiben. Schon bedauert Crumb, dass ihm auf der Strasse nicht mehr uneingeschränktes Wohlwollen entgegengebracht wird, sondern ihn auch mal ein unwirscher Blick trifft. Die Stimmung in dem Dorf steht ungefähr 50:50 (Stand Frühjahr 2007) und Crumb gibt die Hoffnung nicht auf, dass die Architectes des Batimênts de France, die Aufsichtsbehörde für landschaftsgerechtes Bauen, dem Multi Carrefour letztendlich doch noch einen Strich durch die Rechnung macht und das Projekt verbietet.

Was bleibt, ist ein Dorf, in dem die Bevölkerung zweigeteilt ist, und wohl auch bleiben wird, die Preise von einer Ansammlung reicher Zugereister auf Dauer versaut sind und die Politik sich mit Kompromiss-Gestückel über die Runden rettet. Crumb bleibt zwar der Ruf des Verteidigers der dörflichen Idylle von Sauve, aber sein Traum von einer Welt ohne verrohter Ellenbogengesellschaft, infrastrukturellem Terror und architektonischer Arroganz hat einen Knacks bekommen, der ihm schlimmstenfalls nur eines lässt - die abermalige Flucht.


*


Quelle:
Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für
triviales Entertainment seit 1995, No. 256 vom 23. Mai 2007
Herausgeber: Joachim Heinkow
Luisenstrasse 32, 12209 Berlin-Lichterfelde
Tel.: 030-768 051 26, 0171-681 74 11
E-Mail: heinkow@gmx.de
Internet: http://www.szene-wHatcher.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2007