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BERICHT/047: Was zusammenwächst ... Die Bewegung der interkulturellen Gärten (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 4/2009

Was zusammenwächst ...

Die Bewegung der interkulturellen Gärten

Von Isolde Aigner


Die interkulturellen Gärten stehen im Zeichen einer neuen sozialen und ökologischen Idee und schaffen neue Lebensräume für Menschen unterschiedlicher Herkunft. In Oberhausen steht nun die Entstehung eines interkulturellen Frauengartens bevor.

In den letzten Jahren entstanden weltweit Initiativen, die von der Öffentlichkeit ungenutzte Flächen in vielfältige Gärten "verwandelten". Die sogenannten interkulturellen Gärten gelten als Begegnungsorte für Menschen, die sich hier treffen, austauschen, Pflanzen und Gemüse anbauen.

In Detroit - einer Stadt, in der seit der Wirtschaftskrise jedes zweite Haus nicht mehr bewohnt ist - entstanden in Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität Gärten, die sich zum kulturellen Treffpunkt entwickelten. In New York gibt es viele Gärten, die auf besetztem Land gebaut wurden. Ein Teil dieser Bewegung nennt sich die Green Guerilla, die interkulturelle Gartenprojekte mit aufbaut, unterstützt und vernetzt. In einem Township bei Kapstadt entstand der 'Frauen-Friedensgarten'.

Allein in Deutschland gibt es insgesamt ungefähr 80 interkulturelle Gärten. Die Stiftung Interkultur unterstützt, berät und stellt Gartengeräte und Pflanzen zur Verfügung. Ausgangspunkt der Stiftung ist der Gedanke einer partizipativen Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Eine zentrale Fragestellung lautet: Wie können wir "kulturelle Unterschiede" bestehen lassen und anerkennen, ihnen gleichzeitig aber Raum zur Veränderung geben? Für die Stiftung gibt die Initiierung eines interkulturellen Gartens darauf eine Antwort: "Integration benötigt Orte und praktische Bezüge" und "hier können die MigrantInnen ankommen, ihr mitgebrachtes Wissen anwenden, Neues kennen lernen und sich eigene Wege in den neuen Lebenszusammenhang bahnen."

In Oberhausen wird seit zwei Jahren ein interkultureller Frauengarten geplant. Initiiert wurde das Gartenprojekt durch Ellen Diederich vom Internationalen Frauenfriedensarchiv. Mittlerweile wurde dem Projekt das Gelände der früheren Stadtgärtnerei zugesagt. Der interkulturelle Garten ist außerdem in die Förderung der Kulturhauptstadt gekommen.

Die Bewegung der interkulturellen Gärten reagiert auf gesellschaftliche und politische Missstände wie Armut, fehlende Existenzsicherung und soziale Ausgrenzung. Häufig sind die jeweiligen Initiativen ökologisch ausgerichtet. Sie widmen sich der Situation von MigrantInnen und Erwerbslosen, dienen als Anlaufstelle und schaffen neue Perspektiven.

Im interkulturellen Garten können die Menschen beispielsweise Gemüse aus ihrem Heimatland anbauen und erhalten die Möglichkeit, eigenständig einen Teil ihrer Nahrungsversorgung zu sichern. "Sie wollen ihr Leben auch im Exil in die Hand nehmen", so die Filmemacherin Ella von der Heide, die in ihren Dokumentarfilmen "Eine andere Welt ist pflanzbar" Initiativen und Gartenprojekte aus Berlin, Argentinien und Südafrika zeigt. Darüber hinaus ist der interkulturelle Garten ein Ort der Begegnung, des Austauschs, der Überwindung von Grenzen und Vorurteilen.

Im Mittelpunkt steht der Garten als Symbol der Integration:

Die Wurzeln, die sanft in den Boden gepflanzt werden - ein Stück Heimat auf neuem Boden.

Die Knospen stehen für den Neuanfang, die nicht eingezäunten Beete sind Zeichen der Überwindung von Grenzen, die Äste Symbol der unendlichen Möglichkeiten, die durch den direkten Austausch im interkulturellen Garten entstehen: Diskussionen, Austausch von Wissen und Fertigkeiten, gegenseitige Hilfestellungen, politische Diskussionen, Freundschaften ...

In Oberhausen soll mit dem interkulturellen Frauengarten auch auf die gegenwärtig prekäre Lebenssituation vieler Menschen reagiert werden. Im Stadtteil Oberhausen-Mitte leben 48 % der Kinder unter der Armutsgrenze, sie kommen oft hungrig zur Schule, ein kostenloses Mittagessen bieten nicht alle Schulen an. Für viele ist scheinbar die nächst beste Lösung die 'Tafel': Hier soll aufgefangen werden, was der Staat nicht leistet. Gegen diese "Vertafelung der Gesellschaft" (Diederich) möchte die Initiatorin ein Zeichen setzen. Denn die Tafeln sind nach Diederich nichts weiter als eine Symptombehandlung, die nichts mit wirklichen Lösungen zu tun hat und mit der sich die PolitikerInnen aus ihrer Verantwortung ziehen.

Ein weiteres Ziel des Projekts ist der Aufruf gegen eine Spaltung der Gesellschaft und die Förderung der Solidarität zwischen MigrantInnen, AsylbewerberInnen, Erwerbslosen und Kindern, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Entscheidend ist die Partizipation der Menschen und das Einbeziehen ihrer Wurzeln: "Das vorherrschende Konzept der Integration stellt die Beschäftigung und Anpassung an das deutsche Leistungssystem und die deutsche Kultur in den Vordergrund. Wir sind der Meinung, dass eine emanzipierte Integration nur gelingen kann, wenn Menschen sich der eigenen Herkunft bewusst sind." Es geht also nicht um Unterordnung ("Heute lernen wir, wie der Deutsche Kartoffeln anbaut."), sondern um den Prozess des Lernens: miteinander und voneinander.

Mit dem interkulturellen Gartenprojekt knüpft Diederich an das Subsistenzprinzip an. Bei diesem Prinzip geht es darum, dass Menschen lernen, wie sie einen Teil ihrer Ernährungsgrundlage selber produzieren können, indem sie die Ressourcen der Natur nachhaltig nutzen.

Der Garten in Oberhausen wird sich vor allem an Frauen mit Migrationshintergrund richten, da sie häufiger von Isolation betroffen sind, während die Männer zur Arbeit und die Kinder zur Schule gehen. Durch den interkulturellen Frauengarten könnte diese Situation positiv verändert werden.

Dass die Idee des interkulturellen Gartens zukunftsweisend ist, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass jene Gärten genau da etwas bewirken, wo Gesetzgebungen oder staatliche Maßnahmen häufig scheitern: In New York geht in den Stadtteilen mit interkulturellen Gärten die Gewalt zurück, es entstehen kleine Märkte, wo das Angebaute verkauft wird. In Kalifornien hat man den Versuch gestartet, mit Gefangenen Nahrungsmittel anzubauen, hier ist die Rückfallquote um 70 % niedriger als in anderen Gefängnissen.

Die Bewegung der interkulturellen Gärten zeigt auf eine bewundernswerte Art und Weise, dass Menschen die Kraft und Kreativität besitzen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, um auf soziale und ökologische Missstände zu reagieren.


Interkulturelle Gärten in Deutschland:
www.stiftung-interkultur.de


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Quelle:
Wir Frauen - Das feministische Blatt, Winter/4 2009
27. Jahrgang, Seite 15-16
Herausgeberin:
Wir Frauen - Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf
E-Mail: info@wirfrauen.de
Internet: www.wirfrauen.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2009