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BERICHT/063: Kultur als Instrument der Nachhaltigkeit unterschätzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Oktober 2014

Entwicklung:
Kultur als Instrument der Nachhaltigkeit unterschätzt - Forum fordert Berücksichtigung in Post-2015-Agenda

von A. D. McKenzie


Bild: © A. D. McKenzie/IPS

Kultur mehr ins Rampenlicht rücken
Bild: © A. D. McKenzie/IPS

Florenz, 6. Oktober (IPS) - Die Anerkennung von Kunst und Kultur als treibende Kräfte für nachhaltige Entwicklung haben Experten auf einer Konferenz Anfang Oktober in Florenz gefordert.

Kunst und Kultur seien entscheidende Faktoren für Wirtschaftswachstum, Arbeitsplatzbeschaffung und Innovation, hieß es auf dem Treffen vom 2. bis 4. Oktober in der italienischen Kulturmetropole. Ihre Förderungswürdigkeit müsse deshalb in der UN-Nachhaltigkeitsagenda verankert werden. Ab 2016 werden die sogenannten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) die bisherigen Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zur Armutsbekämpfung ablösen.

Nach Angaben der Weltkulturorganisation UNESCO hat sich der globale Handel mit Kulturgütern und -dienstleistungen in den zurückliegenden zehn Jahren auf 620 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Doch zusätzlich zu den finanziellen Aspekten trägt der Kreativsektor zu sozialer Inklusion und Gerechtigkeit bei, wie die UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokowa erklärte, die das Forum im Palazzo Vecchio in Florenz eröffnet hatte.

"Die Länder müssen mit der gleichen Entschlossenheit in Kultur investieren wie in Energie oder neue Technologien", betonte sie. "In einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld müssen wir Aktivitäten ins Auge fassen, die die soziale Kohäsion wiederherstellen. Kultur bietet hier Lösungen."


Kultur als Motor für Entwicklung

Mit der Konferenz habe man den Beitrag der Kultur zu unterschiedlichen MDGs wie Armutsbekämpfung, Grundschulbildung für alle, Stärkung der Rolle der Frau und ökologische Nachhaltigkeit unter Beweis stellen wollen, betonte die UNESCO-Chefin im IPS-Gespräch.

Dennoch geben viele Regierungen zu wenig für den Kultur- und Kreativsektor aus, "Viele Staaten investieren lieber in oftmals schlecht besuchte Fußballstadien als in die Künste", bemängelte Lloyd Stanbury, ein in der Musikbranche tätiger jamaikanischer Anwalt. Er verwies auf das Beispiel Jamaika. "Reggae und Rastafari haben uns einen Platz auf der Weltkarte erobert."

Stanbury plädiert dafür, dem Kunstunterricht denselben Stellenwert wie jedem anderen Schulfach einzuräumen. Es gelte die schönen Künste in vielen Ländern aufzuwerten und als förderungswerten Industriezweig anzuerkennen. Der Jurist betonte zudem, dass viele Musiker und andere Kulturschaffende nicht darauf aus sind, ein harmonisches Agreement mit ihrer Regierung und deren Institutionen einzugehen, sondern vielmehr einen politisch-gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem sie mit ihrer künstlerischen Arbeit gegen Korruption und Vetternschaft antreten.

Für viele Staaten genießen Gesundheit, sanitäre Grundversorgung, Energie und Infrastruktur Priorität vor der Kunst- und Kulturförderung. Doch Peter N. Ives, Interimsbürgermeister der US-amerikanischen Stadt Santa Fe schilderte auf dem Forum in Florenz, wie sich der Kultursektor mit kleinen Handgriffen unterstützen lässt. Ein Prozent der Hotelbettsteuer wird für kulturelle Aktivitäten ausgegeben.

"Santa Fe hat mehr Pro-Kopf-Kulturvermögenswerte als jede andere Stadt in den USA", sagte er. Dank der Inklusion aller kulturschaffenden Gruppen würden sämtliche kreative Fähigkeiten benutzt.

Santa Fe Stadt verfügt zudem über einen Kunstausschuss, der empfiehlt, welche Programme und Maßnahmen im Sinne der künstlerischen Exzellenz gefördert werden. Auf diese Weise hat die Stadt nicht nur Schriftsteller und andere Künstler angezogen, sondern auch Museen und öffentliche Ausstellungsräume geschaffen, die sich wiederum als Touristenmagneten erweisen.

Kein Wunder also, dass die Stadt von der UNESCO in den Rang einer kreativen Stadt erhoben wurde. Das im Rahmen der Globalen Allianz für kulturelle Vielfalt 2004 ins Leben gerufene UNESCO-Programm 'Creative Cities' vernetzt weltweit Städte, die Erfahrungen, Strategien, Ideen und modellhafte Praxis im Bereich zeitgenössischer Kunst und Kultur inklusive der Kulturwirtschaft austauschen wollen.

Vielen Ländern, die mit Armut und Konflikten zu kämpfen haben, mögen solche Erfolgsgeschichten als nicht nachahmbar erscheinen. Doch Experten auf der Konferenz berichteten von einem Rückgang von Gewalt in Kommunen, in denen die Menschen aufgefordert wurden, sich künstlerisch zu äußern.


Kohäsion und Stolz durch kulturelle Leistungen

Andere schilderten, wie in vielen Ländern Film- und Literaturfestivals ein Gefühl von Stolz und Kohäsion schaffen konnten. In der Karibik und in Teilen von Afrika und Asien haben Festivals und Kulturpreise den bildenden Künsten eine enorme Schubkraft verliehen - eine Erfahrung, wie sie die reichen Staaten seit langem vorweisen können.

Das Forum, das von der UNESCO, der italienischen Regierung, der Region Toskana und der Stadt Florenz organisiert worden war, beschäftigte sich auch mit der Frage nach Möglichkeiten, Kulturgüter in Kriegsgebieten zu schützen, wobei der Fokus auf UNESCO-Projekten zum Schutz des kulturellen Erbes etwa in Afghanistan und Mali lag.

Konferenzteilnehmer aus Dänemark und Belgien gaben einen Einblick, wie die Förderung kultureller Aktivitäten als Teil einer Übersee-Entwicklungshilfe dazu beitragen kann, Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen sowie junge Menschen zu einem größeren gesellschaftlichen Engagement zu bewegen.

"Wir leben in einer für die Entwicklungszusammenarbeit, die Kultur und Entwicklung sehr feindlichen Atmosphäre. Dennoch möchte ich einen Appell zugunsten einer größeren Zusammenarbeit in diesen Bereichen aussprechen", erklärte Frédéric Jacquemin, Leiter von 'Africalia', einer belgischen Organisation, die Kunst als wichtigen Motor für nachhaltige menschliche Entwicklung betrachtet.

Die Teilnehmer des Forums forderten in ihrer 'Erklärung von Florenz' die "vollständige Integration von Kultur in internationale, regionale und lokale Strategien für nachhaltige Entwicklung unter Einhaltung fundamentaler Errungenschaften, wie sie Menschenrechte, Redefreiheit, kulturelle Vielfalt, Geschlechtergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Offenheit und Ausgewogenheit gegenüber allen kulturellen Ausdrucksformen bedeuten". (Ende/IPS/kb/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/10/sustaining-the-future-through-culture/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2014


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