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MEDIEN/150: Propaganda in Kindermedien (ROSA)


ROSA:38 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - Februar 2009

Von Prinzessinnen und Pinguinen

Von Jasmine Keller


Beinahe jede politische Kampagne hat zum Ziel, die Jugend zu erreichen. Menschen schon im Kindesalter für eine Ideologie zu gewinnen ist äusserst verlockend. Manchmal subtil, manchmal explizit wird in Kinderliteraturen ein Weltbild propagiert; meist ein äusserst konservatives. Ein Appell, genauer hinzusehen.


Erinnern wir uns an früher, damals, als ein Jahr noch ewig dauerte und ein Buch mit bunten Bildern oder eine Videokassette noch die Kraft hatten, unsere Augen zum Leuchten zu bringen. Bestimmt erinnern wir uns alle an die eine oder andere Geschichte, bei erneutem zu Gemüte Führen im Erwachsenenalter wird einem oder einer jedoch wohl so einiges auffallen, was im jungen Alter nicht wahrgenommen wurde. Was genau wurde uns denn damals zur Unterhaltung vorgesetzt? Erziehungsberechtigte setzen die Kinder, meist ohne sich dessen bewusst zu sein, Inhalten aus, welche die Kinder in ihrem Denken und Handeln in subtiler Weise beeinflussen können. Meistens ist Kinderbüchern eine konkrete erzieherische Absicht inhärent, die junge Leserschaft soll nicht nur unterhalten werden, sie soll aus der Lektüre auch etwas über die Welt lernen. Da in der Kindheit die Weichen für das ganze Leben gestellt werden und Kinder von ihrer Umwelt lernen, was normal, was gut und was schlecht ist, muss Kindermedien einen hohen Beeinflussungsgrad zugerechnet werden. Die Werte, die uns in unserer Kindheit vermittelt werden, begleiten und beeinflussen uns für den Rest unseres Lebens, weshalb den vermittelten Inhalten von jeglichen Kindermedien eine grosse Bedeutung zugemessen werden muss.

Gleichzeitig können die in Kinderbüchern mehrheitlich repräsentierten Werte auch als Spiegel der herrschenden Gesellschaftsnorm betrachtet werden. Kinderbücher bilden einen wichtigen Bestandteil der Populärkultur, Kinderliteratur bedient sich aller möglichen Genres und kann so als ein in seiner Komplexität reduziertes Abbild der in einer Gesellschaft produzierten populären Literaturen betrachtet werden. Populär bedeutet in diesem Fall beliebt, das bedeutet, populäre Lesestoffe oder auch Filme, Fernsehserien, oder andere Medien, sollen der breiten Masse entsprechen. Somit ist anhand der Produkte ebendieser Populärkultur stets ziemlich genau abzulesen, welche Werte in einer Gesellschaft vorherrschend sind. Es soll also erlaubt sein, von den in Kindermedien propagierten oder als richtig dargestellten Werten und Normen Rückschlüsse auf die Gesellschaft zu ziehen.


Bewusste Kinderbuchanalyse im Schulunterricht

Der US-amerikanische Universitätsprofessor Frank Taylor(1) veröffentlichte einen Vorschlag für eine gezielte Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen in der Kinderliteratur im Rahmen des Schulunterrichts. Den Kindern sollen die stereotypen Muster aufgezeigt werden, indem sie ihre eigenen Bücher selbstständig nach vorgegebenen Merkmalen untersuchen. So schreibt Taylor in seinem Paper von der Aussage eines männlichen Schülers, der feststellte, dass in den untersuchten Büchern sehr selten männliche Figuren von weiblichen gerettet würden, was in umgekehrter Konstellation hingegen oft vorkomme, und dass in keinem der von ihm bearbeiteten Büchern die Frauen grösser gezeichnet waren, als die Männer. Die Erkenntnis dieses Jungen konnte nur durch die intensive Beschäftigung mit der Geschlechterdarstellung in seinen Büchern hervorgerufen werden; in den allermeisten Fällen wird die Abbildung der Familienwelt in Kinderbüchern oder -filmen allerdings unreflektiert gelassen und den Kindern wird dadurch suggeriert: So, wie es da steht, so ist es normal und richtig.

Des Weiteren erklärt Taylor, dass im Grossteil der Kinderbücher, die er für diese Analyse immer wieder heranzieht, ein konservatives Familienbild als Ideal dargestellt wird. Medien, die kindsgerechte Inhalte vermitteln wollen, bedürfen einer Reduktion der Komplexität, Beschränkung auf zentrale Aussagen. So werden gesellschaftliche Normalitäten selten hinterfragt, sondern schlicht reproduziert.(2) Stereotypisierung ist eine logische Folge dieser Vereinfachung, im Hinblick sowohl auf ethnische, religiöse oder andere mögliche Schubladisierungskategorien, sowie auch in der Geschlechterfrage.

Erinnern wir uns an Papa Moll, dessen strenge, aber herzensgute Frau immer mal wieder schimpft, wenn er gemeinsam mit den Kindern Unfug treibt und an die dampfenden Pfannkuchen von Petzis Mama, oder an Pingus Erlebnis, als er mit seinem Vater Post verteilen durfte und am Abend beide von der Mutter im warmen Heim mit einem liebevoll zubereiteten Nachtessen in Empfang genommen wurden. Des Weiteren sind die Märchenverfilmungen von Walt Disney, die ganz gezielt Kinder ansprechen sollen, im kulturellen Gedächtnis in unseren Breitengraden tief verwurzelt. Noch immer schmückt sich der Millionenkonzern mit seinen Figuren, allen voran mit den schönen Prinzessinnen. Die Filme, mittlerweile allesamt auf DVD erhältlich, sind noch immer überall zu finden, wo Unterhaltungsmedien für Kinder angeboten werden. Die Themenparks Disneyland, beziehungsweise Disneyworld, werden als die Kinderparadiese schlechthin gehandelt. ((Welche Prinzessin bist du?, fragen unzählige Webseiten, die eindeutig ein junges Publikum ansprechen. Ja, welche möchtest du denn sein, liebes Mädchen? Ariel, die ihr Leben und ihre Familie aufgibt, um einen Mann zu heiraten, der sie nur liebt, weil sie so hübsch ist? Oder doch lieber Beile, die jegliche Bösartigkeiten des Biestes mit Gutmütigkeit und Liebe erträgt, damit es sich schliesslich in einen Mann verwandelt, und sie ehelicht? Oder gar Mulan, die starke, unabhängige junge Frau, die China rettet und vom Kaiser ein hohes öffentliches Amt angeboten bekommt, dann aber in ihrer weiblichen Rolle das grosse Glück findet und in Demut zu ihrem Vater und ihrem Verlobten zurückkehrt, um eine brave Ehefrau zu werden? Dieses Ideal der hübschen, bescheidenen Frau, die ihr grosses Glück in einem männlichen Retter findet, wird von dem Kultstatus, den die Prinzessinnen zweifellos besitzen, immer wieder aufs Neue zementiert.

Weitgehende Ausblendung alternativer Familienmodelle Nicht nur starke Frauenfiguren finden ungenügenden Einfluss in die Erzählstoffe, von denen Kinder umgeben sind, auch eine Alternative zur klassischen Familie wird selten angeboten. Eine herzensgute Mutter, ein fröhlicher Vater, zwei Kinder, am besten ein Junge und ein Mädchen. Weicht die Familie des Protagonisten oder der Protagonistin von diesem Ideal ab, macht dies die Hauptfigur meistens traurig und sie wünscht sich eine heile Welt. Diese Darstellung widerspricht klar der gesellschaftlichen Realität. In der Schweiz kommen auf vierzigtausend Hochzeiten zwanzigtausend Scheidungen(3), es gibt viele Familien mit alleinerziehenden Müttern oder Vätern, bei denen das vorherrschende Ideal von zwei Elternteilen, bei dem der eine Elternteil ausschliesslich fürs Wohl der Kinder zuständig ist, bereits aus organisatorischen Gründen verunmöglicht wird. Was zudem weitgehend gänzlich ausgespart wird, sind Haushalte in denen Kinder leben, die von zwei Müttern oder zwei Vätern grossgezogen werden. Zwar wird das Modell der Patchworkfamilie hoch stilisiert, alternative Familienmodelle, allen voran solche mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren, werden jedoch, wenn nicht offen abgelehnt, so zumindest totgeschwiegen.

Die Vorstellung, Kinder seien leere Leinwände, die sich nach eigenem Gutdünken gestalten lassen, führt unweigerlich dazu, dass bereits Kindermedien zu politischen und ideologischen Propagandazwecken missbraucht werden. Die konservative christliche Rechte ist in den USA sehr stark, und da sie Homosexualität als kranke Erscheinung einer kranken Gesellschaft ansieht, haben radikale Christen, mit dem Wissen, um den enormen Einfluss von Kindermedien, ein Anti-gay book lanciert. Besonders brisant daran, Richard Cohen, der Verfasser dieses enorm erschreckenden Kinderbuches bezeichnet sich selber als einen "Ex-Gay". In dem besagten Buch wird ein Junge porträtiert, der aufgrund von sexuellem Missbrauch in der Kindheit und einem Mangel an Zuwendung seitens seines Vater schwul ((wird)), was mit Hilfe eines Psychologen und der Einsicht des Vaters jedoch rückgängig gemacht werden kann. Am Schluss des Buches ist zu sehen, wie Vater und Sohn in eine Diskussion vertieft sind, während die Mutter im Hintergrund kocht, und als Text zum Bild steht geschrieben: "Now I realize, I'm not gay. (...) Finally, I'm happy at home."(4)

Zwar hat dieses Buch durchaus Entrüstung ausgelöst, wird aber von homophoben Kreisen propagiert und versinnbildlicht auf äusserst krasse Weise, wie direkt Kinder angesprochen werden, um sie für eine ideologische Sache zu gewinnen.


Eine Trendwende?

Diese Tatsache wird auch von liberalen Gruppierungen wahrgenommen und im USA-internen Ideologienstreit zwischen den beiden grossen Parteien, nehmen auch demokratische und gayfriendly Menschen das Bedürfnis wahr, Kindern bereits in jungen Jahren eine Welt zu zeigen, wie sie es für wünschenswert halten: Tolerant, bunt und gewaltfrei. So kamen vermehrt Kinderbücher über Geschichten von Kindern mit homosexuellen Eltern, oder von Jugendlichen, die ihr Begehren zum gleichen Geschlecht entdecken, auf den Markt. Diese Kinderbücher wurden mit der klaren Absicht verfasst, bereits den Kleinsten zu verstehen geben, dass es genauso normal zu sein hat, zwei Mütter zu haben, wie eine Mutter und ein Vater, oder eine Mutter, einen Vater und einen Stiefvater. Sehr schön wird dies in Leslea Newmans "Heather has two Mummies" illustriert. Das Mädchen Heather, das entdeckt, dass andere Kinder nicht unbedingt zwei Mütter haben, wie sie dies hat. Oder das Kinderbuch "And Tango makes three)) (in der dt. Übersetzung: "Zwei Papas für Tango"), das der wahren Geschichte der beiden schwulen Pinguine im New Yorker Zoo nachempfunden ist, die beginnen, einen Stein auszubrüten und schliesslich von Wärtern ein echtes Ei bekommen, und so das daraus schlüpfende Küken Tango adoptieren.

Diese dogmatisch geführten Ideologiekämpfe sind in der Schweizer Gesellschaft zwar nicht derart stark ausgeprägt, wie in den USA, doch nur weil Homosexuelle nicht öffentlich als Todsünder angeprangert werden und Frauen nicht mehr allzu oft zurück an den Herd gekettet werden wollen, bedeutet dies nicht automatisch einen offeneren Geist. Subtile Manipulation und bewusste Aussparung nicht genehmer Inhalte funktionieren vielleicht sogar effizienter, da sie schwerer zu entdecken und tiefer verwurzelt sind. Bleibt nur die Hoffnung, dass Kindergärten, Schulen und Erziehungsberechtigte sich der enormen Bedeutung von Kinderliteratur bewusst sind oder werden und den Kindern das Hineinwachsen in eine bunte Welt ermöglicht wird.


Anmerkungen:
(1) Taylor, Frank: Analysis and Gender Stereotypes, in: Children's Books, in: Teaching Sociology, Vol. 31, No. 3 (Jul., 2003), S. 300-311.
(2) http://findarticles.com/p/articles/mi_m2294/is_3-4_52/ai_n13651301 (23. Januar 2009).
(3) http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/06/blank/key/05.html (23. Januar 2009).
(4) http://www.collegeclassifieds.com/blog/?p=11 (23. Januar 2009)


Zur Autorin:
Jasmine Keller studiert Germanistik an der Universität Zürich und wollte schon immer am liebsten die Disney Prinzessin Jasmine sein, des Namens, und des fliegenden Teppichs wegen.


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Quelle:
ROSA:38 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe Februar 2009, S. 38-40
Redaktionsanschrift:
Rämistrasse 62, 8001 Zürich, Schweiz
E-Mail: rosa.gender@gmail.com
Internet: www.rosa.uzh.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2009