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MEDIEN/152: DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2009

Der verklärte Blick zurück
DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm

Von Gerhard Jens Lüdeker


20 Jahre Wiedervereinigung heißt auch 20 Jahre historischer Blick auf die untergegangene DDR im Film. Das Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien (ifkud) an der Universität Bremen untersucht, wie der deutsche Film nach 1989 die DDR und den Mauerfall darstellt und die gesellschaftliche Wahrnehmung widerspiegelt.


Neben den traditionellen Gedenkveranstaltungen wird das 20. Jubiläumsjahr des Mauerfalls und der Wiedervereinigung vor allem als Medienereignis zelebriert. In Talkshows erklären Prominente, wie sie den Mauerfall erlebt haben. In TV-Events wird die Geschichte vom Ende der DDR in Spielfilmen und Dokumentationen wiederaufbereitet. Damit würdigen die Sendeanstalten nicht nur das Jubiläum am 9. November. Vielmehr kommen sie einem deutlich erkennbaren Bedarf an Vergangenheit nach, sei es, weil die Zeitzeugen der Schrecken des 20. Jahrhunderts aussterben oder weil die jüngere Generationen sich nach einer Normalisierung im Verhältnis zur eigenen Geschichte sehnt.

Die Darstellung des Endes der DDR im Film ist einem Wandel unterworfen, der sich in ähnlicher Weise vollzieht wie wir es vom anderen großen deutschen Themenkomplex kennen, dem Nationalsozialismus. Der Forschungsansatz des ifkud verbindet als Gedächtnisforschung Elemente der Film-, Kultur-, Sozialwissenschaft sowie der Sozial- und Individualpsychologie. Damit ist es möglich, den Bedeutungswandel und die damit verbundene Sicht auf die Vergangenheit im Film systematisch zu analysieren.

Geschichte ist in Gedächtnismedien wie Filmen niemals objektiv oder authentisch präsent, sie ist immer nur eine Transformation, die gegenwärtigen Bedürfnissen entspricht. Oft handelt es sich dabei um Bestrebungen der jüngeren Generation sich von der älteren abzugrenzen, oft um Konstruktionen nationaler Identität, die einer veränderten sozial-politischen Situation geschuldet sind. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Darstellung von Mauerfall und Wiedervereinigung seit 1989 im Film im Kontext von Gesellschaftswandel und Filmgeschichte verstehen.


Ost-West-Stereotypen

Nach 1989 fallen zunächst die Filme ehemaliger DEFA-Regisseure auf, wie etwa Die Architekten (Peter Kahane, 1990) oder Miraculi (Ulrich Weiss, 1991). Der Blick dieser Filmemacher auf ihren untergegangenen Heimatstaat ist kritisch, aber ebenso skeptisch sind sie, was die neuen Möglichkeiten durch die Wiedervereinigung betrifft. Parallel dazu entwickelten westdeutsche Filmemacher die Ostkomödie. Dazu gehören Go, Trabi Go! (Peter Timm, 1991) oder Wir können auch anders (Detlev Buck, 1993).

In der Ostkomödie werden besonders die Unterschiede im Habitus und in der Mentalität zwischen der Bevölkerung in West- und Ost-Deutschland nach der Wende durch Stereotypen und Klischees herausgestellt. Speziell die Figuren des "dämlichen Ossi" und des "gierigen Wessi" haben sich auf problematische Weise für lange Zeit im kulturellen Gedächtnis der Nation und auch des Auslands eingeschrieben. Es ist fraglich, ob dieser humorvolle Umgang mit verbreiteten Vorurteilen zu deren Abbau beitragen konnte.

Ende der 1990er Jahre reagierte der Film verspätet auf die gesellschaftlich bereits etablierte Ost-Nostalgie oder "Ostalgie", einer heiteren Verklärung des Lebens in der DDR, die dem Verlust der Heimat der Ostdeutschen entsprang. In Filmen wie Sonnenallee (Leander Haußmann, 1998) und zuletzt NVA (Leander Haußmann, 2006) werden die Gegensätze und Klischees der Ostkomödie aufgehoben. DDR und Mauerfall werden heiter dargestellt, es wird gezeigt, dass sich das Leben im real existierenden Sozialismus nicht grundlegend von dem in anderen Teilen der Welt unterschieden habe.

Einen anderen Blickwinkel haben die etwas unkonventionellen Filme von Volker Schlöndorff (Die Stille nach dem Schuss, 1999) und Oskar Röhler (Die Unberührbare, 2001). Dort erscheint die Wiedervereinigung als traumatisches Menetekel für die Protagonisten, deren Identitäten als RAF-Terroristin oder als linke Schriftstellerin untrennbar mit der DDR verbunden waren.


Das Volk als Opfer

Mit Das Leben der Anderen (2006) leitete Florian Henckel von Donnersmarck einen neuen filmischen Diskurs ein. Im Zentrum seines Films steht nicht die sonnige, sondern die finstere Seite der DDR. Besonders in den nachfolgenden Fernsehfilmen wie Das Wunder von Berlin (2008) oder Wir sind das Volk (2008) hat man erkannt, dass die Darstellung der DDR als Täterstaat besonders geeignet ist, um emotionale und zuschauerwirksame Dramen zu generieren. Dabei wird der Mauerfall in der Form eines negativen Gründungsmythos zelebriert, bei dem das Schlechte, die DDR, durch das Gute, das wiedervereinigte Deutschland, abgelöst wird.

Durch die Freisprechung der Zivilbevölkerung als Opfer des Staates und durch die mythische Interpretation des Mauerfalls, den das Volk bewirkt habe, wird die aktuelle Identität des Landes gefestigt, die Vergangenheit positiv besetzt. Dieser Prozess kann im Vergleich mit anderen Ländern durchaus als Normalisierung bezeichnet werden.


Gerhard Jens Lüdeker ist Literatur- und Medienwissenschaftler an der Universität Bremen und promoviert über "Kollektive Erinnerung und nationale Identität im Film. Nationalsozialismus und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989". Erinnerung, Gesellschaft und Moral in den Medien sind seine Forschungsschwerpunkte. Lüdeker ist seit 2007 Mitglied des Instituts für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien (ifkud). Derzeit läuft im Kino Schauburg die Reihe "Mauerblicke - Die DDR im Spielfilm", die von Lüdeker mitorganisiert wird.

Weitere Informationen:
www.deutschlandstudien.uni-bremen.de


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2009, Seite 26-27
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2009