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MEDIEN/162: Apokalyptische Szenarien in der heutigen Populärkultur (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 8/2011

"Das Ende aller Dinge ist nahe"
Apokalyptische Szenarien in der heutigen Populärkultur

Von Elisabeth Hurth


Am 21. Dezember 2012 soll nach dem Maya-Kalender (wieder einmal) die Welt untergehen. Die Aufmerksamkeit für dieses Datum ist nur ein Beispiel für die Aktualität apokalyptischer Vorstellungen: Eine ganze Reihe von Thrillern beschäftigt sich mit dem Ende der Welt beziehungsweise ihrer Rettung in letzter Minute. Auch sonst feiern in populären Medien vermeintliche Katastrophen fröhliche Urständ.


"Das Ende aller Dinge" (1 Petr 4, 7) scheint dieser Tage näher denn je zu sein. Der atomare (Super)-Gau in Japan, der Klimakollaps, verheerende Erdbeben und Tsunamis, aber auch politische Umstürze und Terroranschläge - all das löst heute verstärkt Untergangsängste aus. An apokalyptischen Bildern ist dabei kein Mangel. Die Apokalypse dient gleichsam als Inventar, um den drohenden Weltuntergang schreckensreich zu beschreiben und liefert zudem den "Plot" für das nahe Ende: Der Ablauf des Weltuntergangs, so glauben nicht wenige, folgt vor allem den in der Offenbarung des Johannes beschriebenen Katastrophen, die auf die Erde hereinbrechen.

Von seiner historischen Herkunft her gesehen ist der Begriff "Apokalypse" inhaltlich jedoch nicht einseitig als eine Schreckens- oder Unheilsbotschaft zu bestimmen. Die Apokalypse ist keine Erzählung vom katastrophalen Ende der Welt. Es geht vielmehr um den Anfang im Ende, der in der Apokalypse - ihrem ursprünglichen Wortsinn gemäß - "offenbart", "enthüllt" wird. Dabei steht auch die Vermittlung der Offenbarung selbst im Vordergrund. Durch Traumgesichte, Visionen oder Auditionen erhalten auserwählte Menschen einen Einblick in den Verlauf der Heilsgeschichte, insbesondere in das nahe Ende der Welt. Gerade das Ende des "alten Äons" markiert aber zugleich den Beginn einer neuen Welt, die Wende zum endgültigen Heil.


Eine heilsgeschichtliche Wende wird heute nicht mehr erwartet. In einer Zeit, in der das "Ende aller Dinge" der Verfügung Gottes entzogen scheint, wird der Mensch selbst zum "Herren der Apokalypse" (Günther Anders). In dem vom Menschen "hergestellten" Ende fällt die heilsgeschichtliche Dimension des Danach aus. Die Hoffnung auf den Anfang mit und in Gott verliert zunehmend an Bedeutung. Apokalypse als Erzählung vom katastrophalen Ende der Welt ist heute vor allem ein (medialer) Megatrend, der geradezu eine Lust am Untergang offenbart. Dabei zeigt sich, so die kulturpessimistische Diagnose von Charles Martig, eine "Apokalypse-Geilheit", die sich an Weltuntergangsszenarien unterhaltsam schadlos hält. Im Gewand der Unterhaltung wird der Weltuntergang zum "Thrill", in dem mit der Angst vor dem Ende auf eine Weise gespielt wird, die eben diese Angst entschärft und bändigt.


Der Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit führt auf dem Nachrichtenmarkt dazu, dass Medien ihren Rezipienten in immer kürzeren Abständen immer brisantere Nachrichten anbieten. Um Beachtung zu finden, müssen Nachrichten dabei vor allem "betroffen" machen. Medien mutieren so zu "Affektmedien" mit einem stetig steigenden Betroffenheitsgrad, der jedoch wiederum den Rezipienten aufgrund der Reizüberflutung zunehmend abstumpfen lässt. Ein probates Mittel gegen diesen Abstumpfungseffekt im globalen "News"-Wettbewerb ist die apokalyptische Aufladung von Ereignissen. Wer Nachrichten apokalyptisch einkleidet, erreicht nicht zuletzt einen emotionalen Mehrwert. Mit apokalyptischen Bildern und "Plots" können Ängste geschürt und Befürchtungen gesteigert werden, so dass selbst informationell bereits abgehandelte Ereignisse ein neues Interesse auf sich ziehen.


Apokalypse als Medienstrategie versieht Krisen und Katastrophen mit einer zusätzlichen "Endzeit-Bedeutung": 50 Menschen sterben in Deutschland an den Folgen einer EHEC-Infektion, und das ganze Land droht mit einem Mal von einem "Killer-Keim" (so "Bild" am 28.5.2011) ausgelöscht zu werden. Im Sommer kommt es zu einer Hitze- und Dürreperiode, und der globale Klimakollaps scheint damit unausweichlich zu sein. In Fukushima ereignet sich eine Kernschmelze, und die Welt ist nunmehr dem nuklearen Untergang geweiht.

Apokalypse als Medienstrategie bedeutet vor allem eine Sensationalisierung von Katastrophen aller Art. Der mediale Untergangsterror dramatisiert (und egalisiert dabei zugleich) Ereignisse auf ein Höchstmaß. Ob nukleare Störfälle oder der Tod des Knuddel-Eisbären Knut, Tsunamis oder Bankencrashs - alles wird mit der gleichen Sensationssoße garniert. Je austauschbarer die Inhalte dabei werden, desto größer die Zahl der Untergangspropheten. Die Apokalypse ist nicht länger ein einmaliges, der Prophetie besonderer Seher zukommendes Ereignis. Mediale Unheilspropheten - vor allem der Boulevards - konfrontieren ihr Publikum regelmäßig mit Szenarien vom individuellen Untergang. Die Boulevardisierung (vermeintlich) "apokalyptischer" Ereignisse stellt Wertigkeiten auf den Kopf: Knut und Co. verdrängen die Kernschmelze-Katastrophenmeldungen.


Cocktail aus Lovestory und Weltuntergangsstimmung

Sensationalisierung ist auf ein sinnliches Empfinden und Erleben bezogen. Das Medienmotto "Jetzt kannst du was erleben" gilt heute auch für die Apokalypse. Sie wird zum Nervenkitzel. Der Offenbarungsgehalt der Apokalypse entfällt. Was zählt, sind nunmehr Horroreffekte und lustvoller Schauder. Diese Bedeutung der Erlebnisdimensionen für apokalyptische Szenarien zeigt sich am anschaulichsten in so genannten Endzeitthrillern, die gegenwärtig zu Bestsellern avancieren. Ob die Welt nun durch einen "Todespilz" vom Untergang bedroht ist - siehe Paul McEuens "Spiral" (Frankfurt 2010) - oder durch Machenschaften einer Geheimgesellschaft - siehe Jon Lands "Die dunkle Prophezeiung" (Augsburg 2010) -, in den Thrillern werden jeweils Endzeitszenarien thematisiert, die auf reale Ängste Bezug nehmen, sie aber zugleich in spannende, mitreißende Unterhaltung ummünzen.

Mit ihren dramatischen "Plots" richten sich die Endzeitthriller an ein Publikum, das nach dem Schrecklichen und Katastrophalen geradezu zu gieren scheint. In seiner Studie "Von der Moral erwischt" (Frankfurt 1983) verwies Dieter Wellershoff in diesem Zusammenhang auf die Monotonie des "zivilisierten Alltags", der allzu durchsichtig und durch die Abwesenheit äußerer Gefahren langweilig geworden sei. "Eine Gesellschaft, die zuviel Sicherheit bietet, muss", so Wellershoff, "künstliche Risiken und Gefahren schaffen." Diese sollen den "Reizhunger" von Menschen "sättigen" und ein "Vehikel" sein für den stetig wachsenden "Aktionsdruck". Endzeitthriller können eine solche Vehikelfunktion erfüllen. Sie bieten Reize, "Kicks" und bedienen dabei eine unterschwellige Angst- und Sensationslust von Menschen, die der Langeweile ihres Lebens entkommen möchten.


Als Thriller trägt die Apokalypse keine lebensbestimmende Lehre in sich, sie wird trivialisiert. Man spielt sie gefahrlos und folgenlos durch, weil man gewiss sein darf, dass der drohende Untergang im letzten Moment abgewendet werden kann. Selbst in postapokalyptischen Szenarien sind die dabei transportierten "Thrills" stets "Safe Thrills", die den Untergang auf Distanz halten und dem Rezipienten zusichern, dass seine Welt letztlich heil bleibt oder zumindest ein Neuanfang möglich ist. Dieses Happy-End ist in Thrillern wie R. Scott Reiss' "Serum" (Berlin 2011) Unterhaltungsgesetzen geschuldet, in denen die Apokalypse zu einem effektheischenden Spannungselement verkommt. Ein apokalyptisches Szenario dient hier lediglich dazu, einer Krimihandlung den letzten "Kick" zu geben und sie aufzuwerten.


Dass man apokalyptische Versatzstücke auch zu einem spannenden Cocktail aus Lovestory und Weltuntergangsstimmung verquirlen kann, zeigt Liz Jensens Thriller "Endzeit" (München 2011). Die nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselte Psychotherapeutin Gabrielle Fox bekommt die 16-jährige Bethany als Patientin zugewiesen, die ihre Mutter auf grausame Weise ermordet hat. Bethany besitzt eine einzigartige "Begabung": Sie kann Katastrophen verlässlich vorhersagen und kündigt schließlich sogar die Apokalypse an: Eine durch den Klimakollaps verursachte Naturkatastrophe wird die Menschheit auslöschen.

Gabrielle kümmert sich jedoch zunächst weniger um den drohenden Weltuntergang als vielmehr um ihre "persönliche" Apokalypse. Gabrielle vermag die schrecklichen Folgen ihres Unfalls, vor allem ihre körperliche Behinderung und den Verlust ihres ungeborenen Kindes, nicht zu bewältigen. Gabrielle fühlt sich minderwertig und nimmt sich nicht mehr als liebens- und begehrenswerte Frau wahr. Am Ende löst sich dieses schicksalhafte Ungemach in Wohlgefallen auf. Gabrielle findet die große Liebe und wird wieder schwanger. Aber ihr Kind wird in einer Welt leben, die von einer Katastrophe als Strafe für menschliche Hybris heimgesucht wurde und nur den "Guten" und Geläuterten einen Neuanfang in Aussicht stellt.

Ähnlich moralin geht es in Kate Thompsons apokalyptisch verbrämten Thriller "Der vierte Reiter" (München 2007) zu, der den Leser mit dem Schrecken davonkommen lässt und ihn mit der Gewissheit des "Es bleibt - vorläufig - alles, wie es ist" (ver-)tröstet. Nachdem es Thompsons jugendlicher Heldin gelungen ist, einen gentechnisch erzeugten Genozid im letzten Moment zu verhindern, zieht sich das fahle reiterlose Pferd zurück, das mit den drei anderen apokalyptischen Reitern als Vorbote des Untergangs aufgetaucht ist. Solange Menschen mit der Natur "vernünftig" umgehen, wird, so das mahnende Schlusswort der Autorin, "dieses entsetzliche bleiche Pferd ohne Reiter" sein und "die Apokalypse dort bleiben, wo sie hingehört. Irgendwo in der Zukunft". Aufgrund dieser erleichternden Erfahrung des "Noch-einmal-Davongekommenseins" kann man dem (immer wieder neu) beschworenen Weltuntergang gelassen entgegensehen.

Die Hollywoodisierung der Apokalypse

"Es liegt an uns", so Thompsons Heldin zu ihren zwei Gefährten, "die Welt zu retten." Diese Welt, aber auch das persönlich-private Leben von Thompsons Heldin "ist vollkommen aus den Fugen". Mit der Rettung der Welt bekommt die Heldin auch ihr Leben wieder in den Griff. Dieser Zusammenhang von Weltuntergang und persönlicher Lebenskrise ist eine Themenkonstante von unterhaltsamen Endzeitszenarien, die in der Apokalypse einen Helden profilieren, der zur Identifikation einlädt, weil er exemplarisch vorlebt, wie die Menschheit dem Untergang entkommen kann. Die Apokalypse im eigentlichen Sinn findet hier nicht statt. Es gibt Katastrophen, Krisen, Schrecken, aber kein "endgültiges" Ende.

Und doch löst eben dieses Ende eine ungeheure Faszination aus und bietet sich für dramatische Effekte geradezu an. So geht in Hollywood die Welt mittlerweile regelmäßig unter, ohne dass der Welt dabei tatsächlich auch nur ein Haar gekrümmt würde. Die Apokalypse wird virtualisiert. Weltuntergangs-Blockbuster wie Roland Emmerichs "2012" und Michael Bays "Armageddon" bieten jeweils mit Hilfe ausgeklügelter Computeranimationen einen actiongeladenen Endzeit-"Plot" an, in dem letztlich nicht die Welt, sondern (amerikanische) Werte gerettet werden.


21.12.2012 - an diesem Tag soll, folgt man dem Maya-Kalender, (wieder einmal) die Welt untergehen. Es kommt zu einer Erdkrustenverschiebung, deren dramatische Folgen - Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis - in Emmerichs Film "2012" die Welt an den Rand des Abgrunds stürzen. Doch der erfolglose Schriftsteller und gescheiterte Familienvater Jackson Curtis nimmt die Rettung der Welt selbst in die Hand. Mit Erfolg. Allen apokalyptischen Katastrophen zum Trotz bleibt ein Teil der Erde verschont, Jackson versöhnt sich mit seiner Ex-Frau und der Zuschauer lernt die moraline Lektion, dass durch Familienethos, Opferbereitschaft, Tapferkeit und Patriotismus das drohende Ende verhindert werden kann.

In Brian D'Amatos Thriller "2012. Das Ende aller Zeiten" (Köln 2010), der als eine Parodie der selbsternannten Retter Hollywoods gelesen werden kann, fällt das Happy-End weniger glücklich aus. D'Amatos Held Jed DeLanda beherrscht ein mysteriöses Opferspiel, das auch die Maya spielten, um Ereignisse vorauszuberechnen. Da die Zukunftsprognose denkbar schlecht ist und die Welt 2012 unwiderruflich untergehen soll, unternimmt DeLanda eine Zeitreise in die Vergangenheit und schlüpft in den Körper eines Maya, um herauszufinden, ob das "Ende aller Zeiten" nicht doch noch abzuwenden ist. Aber D'Amatos Held zweifelt zunehmend an seiner Mission. Er ist sich nicht sicher, ob es sich lohnt, die "Welt (...) am Laufen zu halten", wenn in dieser Welt auch nur ein Kind Schmerz erleidet. Vielleicht, so mutmaßt DeLanda, muss die Welt untergehen, weil sie "zu schrecklich falsch geraten ist und kein Maß an Glück dies je wieder ausgleichen kann".

Das Hollywood-Erzählmodell von der selbst fabrizierten Katastrophe und Rettung wird hier fragwürdig - vielleicht auch gerade deshalb, weil in D'Amatos Thriller die ursprüngliche Endzeiterwartung der apokalyptischen Tradition wieder aufscheint. Es ist die Hoffnung und der letztliche Glaube daran, dass das "Ende aller Zeiten" auf eine unheile Welt bezogen ist, die einer gnädig-erneuernden, Zeit und Geschichte vollendenden Schöpfer- und Erlösermacht bedarf.


Das "neue" Jerusalem

Der Apokalyptiker erlebt die geschichtliche Gegenwart als Endzeit, in der eine heillose Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht. Das Lebensgefühl des Apokalyptikers ist so dualistisch bestimmt: Die Welt ist ein Ort des Leids und der Schmerzen, des Zerstörerischen und Bösen, Gott dagegen der Inbegriff alles Guten. Diese Entfremdung von Gott und Welt, die in der apokalyptischen Tradition zum Ausdruck kommt, hat etwas vom Lebensgefühl unserer Zeit. Es ist das fatalistische Gefühl vieler Menschen, in einer unheilvollen Welt zu leben, die sich selbst überlassen ist und einem Ende mit Schrecken entgegengeht. Eine alarmistische Medienlandschaft trägt ihren Teil dazu bei, einen allgemeinen Katastrophismus zu schüren, der nach dem "Es geht alles den Bach runter"-Motto ein passives Starren auf das "Ende" befördert.

Dieser Katastrophismus wird in der Apokalyptik überwunden. In der jetzigen Welt mag alles immer schlimmer werden, aber es gibt noch eine andere, "kommende" Welt. Auch wenn die gegenwärtige Welt von der Sünde beherrscht wird und zutiefst heillos ist, fällt nichts, was auf der Erde geschieht, aus Gottes Geschichtsplan heraus. So bestätigt vor allem die Daniel-Apokalypse einen geschichtsmächtigen Gott, dessen Gesetze es zu wahren und auf dessen "neue Welt" es jetzt zu warten gilt. Zu der von Gott "bestimmten Zeit" kommt diese "neue Welt" (Dan 11, 35).

Ein Glaube, der sich an Gott als Herrn der Zeit ausrichtet, hat sich heute zu bewähren gegenüber jener Verewigung des Diesseits, in der der christliche Schöpfergott gleichsam entmachtet wird. An die Stelle des von Gott verheißenen "neuen Himmels und einer neuen Erde" (Offb 21, 1) tritt die "Erschaffung" einer neuen Welt durch den Menschen. In der auf den Untergang fokussierten "kupierten Apokalypse", so Klaus Vondung in seiner Studie "Die Apokalypse in Deutschland" (München 1988), verflüchtigt sich "die Errichtung der neuen, vollkommenen Welt, die früher dem Untergang Sinn und Ziel verlieh". Dieses Phänomen der "Kupiertheit" moderner Apokalypsen tritt im digitalen Zeitalter zurück. Das Ende der analogen Welt verheißt nunmehr den neuen Äon einer Weltverbesserung, in deren Zentrum ein Mensch steht, der über Möglichkeiten verfügt, eine "vollkommene" - virtuelle - Welt selbst zu errichten.

Was am Horizont des digitalen Kosmos aufscheint, ist das Profil eines Menschen, der - so die Prognose von Ray Kurzweil in seinem Bestseller "The Singularity is near" (London 2005) - eine digitale Identität annimmt, in der Mensch und (Computer)-Maschine eine Einheit werden. Dieser neue Mensch lebt in einer virtuellen Welt, die all das aufzuheben scheint, was Geschöpflichkeit im christlichen Sinn ausmacht: die Grenze zwischen dem Ich und dem Anderen, zwischen Leben und Tod.

Der "Tag des Herrn" als Teil eines Endzeitfahrplans

Im Zug der so genannten "digitalen Revolution" entsteht eine Welt, in der die christliche Eschatologie "umformatiert" wird. Die digital beförderte "Jetztzeitigkeit" entledigt sich der Spannung zwischen Verheißung und Erfüllung. Im "Echtzeit"-Modus wird der Abgrund zwischen Himmel und Erde, zwischen Zeit und Ewigkeit überbrückt. So wie Erlösung selbst nicht mehr auf jenes "Heil" bezogen ist, "das am Ende der Zeit offenbart werden soll" (1 Petr 1, 5), so ist auch die Eschatologie "jetzt" prinzipiell herstellbar. Mit der schönen, neuen Welt der Bits und Bytes bricht ein digitales Millennium an, das - so Kurzweil - eine "Erlösung", eine Befreiung von der "körperlichen" Last der analogen Welt verheißt und jedem Einzelnen eine virtuelle Unsterblichkeit zusagt, in der sich der Menschheitstraum der Gottgleichheit endgültig zu erfüllen scheint. Das "neue Jerusalem" kommt nicht mehr "von Gott her aus dem Himmel herab" (Offb 21,2). Das "neue Jerusalem" ist heute digital. Es kommt vom Menschen her aus der "Cloud", der Internet-Datenwolke, herab.


Die neue Schöpfungsordnung, in der die digitale Technologie zunehmend die heilsgeschichtliche Dimension des Göttlichen ersetzt, hat ihren Preis. Der Mensch "im Netz" kann sich nicht aller Ängste und Bedrohungen entledigen - siehe etwa das Cyberwar-Szenario in Brian Falkners Thriller "Angriff aus dem Netz" (München 2010). Die neue digitale Welt, so lautet die unterhaltsam verpackte Botschaft von Andreas Eschbachs Thriller "Black Out" (Würzburg 2010), ist nicht heil. Der digitale Fortschrittsglaube verkehrt sich in sein Gegenteil. Er befördert nicht mehr Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, sondern Möglichkeiten der Selbstvernichtung.


In Eschbachs Thriller deckt der junge Christopher die Gefahren der totalen Vernetzung auf und zieht gegen einen Feind zu Felde, der sich die Welt untertan machen will. Es ist eine Welt, in der aus "Usern" "Upgrader" geworden sind, die mit einem implantierten Computerchip jederzeit Zugang zum Internet, aber auch zu den Gedanken und dem Wissen anderer Menschen haben. Der Anspruch der "Upgrader", eine bessere Welt zu erschaffen, wird nicht eingelöst. Es entsteht vielmehr eine digitale Diktatur, in der Menschen zu manipulierbaren Maschinen werden - wäre da nicht jene heldenhafte Rettergestalt, die sich für Menschlichkeit und Freiheit einsetzt und aufopfert. Das, was "normale" Menschen nicht aus eigener Kraft leisten können, wird in Eschbachs Thriller in die Hände eines geschichtsmächtigen Helden gelegt, der Schrecken beseitigt und die Welt - zumindest für die Dauer des Happy-Ends - wieder heil macht. Dort, wo ein solches "Heil" möglich ist und man den Himmel auf Erden holt, wird die Sehnsucht nach einer von Gott heraufgeführten neuen Welt gleichsam stillgelegt.


Die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu knüpft an die apokalyptische Tradition an, deutet die gegenwärtige Geschichte jedoch nicht mehr als "reine Unheilsgeschichte" (Medard Kehl). Es geht Jesus in seiner Reich-Gottes-Verkündigung nicht primär um das Ende der jetzigen Welt, sondern um deren Verwandlung. Nicht erst mit dem Ende des alten "Äons" kündigt sich das Reich Gottes an, es ist vielmehr schon in der gegenwärtigen Zeit "mitten unter uns" (Lk 17, 21). Dieses Reich lässt sich nicht auf eine "objekthafte" Realisierung reduzieren - weder in der Errichtung eines "Paradieses auf Erden" noch in der Form einer sittlich "perfektionierten" Menschheit. Heute zeigt sich mehr denn je, dass man in ganz verschiedenen Ausdeutungen solche Realisierungen immer wieder anstrebt und sie mit einer innerweltlichen Wiederkehr des Herrn verknüpft.

Die Überzeugung der ersten Christen, dass angesichts des nahenden "Tags des Herrn" (1 Thess 5, 2) im alltäglichen Leben jetzt das zu tun ist, "worauf es ankommt" (Phil 1, 10), ist auch in unserer Zeit anzutreffen - aber unter anderen Vorzeichen. Heute sind vor allem jene Untergangspropheten erfolgreich, die Krisensituationen und apokalyptische Szenarien aufgreifen, diese als untrügliche Vorboten der nahen Wiederkunft Christi deuten und von hier aus Handlungsanweisungen geben. So ist es in den USA den Erfolgsautoren Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins nachweislich gelungen, mit ihren "Finale"-Thrillern (Asslar 2009) alltagsprägende und verhaltensändernde Effekte zu erzielen. Wenn, wie Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins verkünden, die "letzten Tage der Erde" angebrochen sind, gilt es dem Bösen abzuschwören und alles zu tun, um die Wiederkehr des Herrn nicht zu verpassen.


Die Hoffnung auf die verheißene vollendete Ankunft des Reiches Gottes wird dabei von apokalyptischen Endzeitszenarien überlagert. Es geht so immer weniger um die Wiederkehr Christi an sich, als vielmehr darum, den "Tag des Herrn" als Teil eines Endzeitfahrplans zu deuten, dessen Ablauf an Hand sichtbarer Ereignisse und "Zeichen" der Wiederkunft - Katastrophen, Tragödien, Krisen - ablesbar ist. Diese "Endzeitchronologie" folgt in den "Finale"-Thrillern einem prämillenaristischen Modell, dem ein veräußerlichtes Verständnis der Wiederkehr Christi entspricht, das diese unmittelbar in irdische Verhältnisse projiziert. Danach beginnt das "Finale" mit der Entrückung, bei der alle "wahren" Gläubigen in den Himmel auffahren.


Der "neue" Messias wird zum Popstar

Den Zurückgebliebenen bietet sich die Möglichkeit, durch ihren tapferen Kampf gegen den Antichrist das Heil zu erlangen. Es folgen die siebenjährige Trübsalszeit im Zeichen des Antichrists und die Schlacht von Armageddon. Der wiederkehrende Christus beschert schließlich einer auserwählten Schar gläubiger Christen ein Happy-End und "heißt" sie - siehe den Abschlussband der "Finale"-Reihe - im Tausendjährigen Reich "willkommen", das er "für (sie) bereitet hat".

So fragwürdig diese Chronologie der "letzten Tage der Erde" ist, so hartnäckig behaupten sich solche Endzeitfahrpläne, weil hier aktuelle Katastrophen und Bedrohungen - als "Zeichen" des "Finales" - nahtlos einem eindeutigen biblizistischen Auslegungsschema zugeordnet werden, das sich nicht zuletzt auch politisch instrumentalisieren lässt. So verurteilte Präsident George W. Bush während seiner Amtszeit den irakischen Diktator Saddam Hussein als "Antichrist" und drohte den russischen "Feinden" Amerikas mit dem "Armageddon".

Die "Finale"-Thriller arbeiten einer solchen Instrumentalisierung der Apokalypse zu. Sie führen eine "Werkgerechtigkeit" vor, die die Teilhabe am verheißenen Heil vom "richtigen" Handeln abhängig macht, das manichäisch auf das Ausmerzen des Bösen zielt. Die "Bösen" werden nicht erlöst, sie werden vernichtet. Die triumphale Wiederkehr einer militant auftretenden Christusgestalt gipfelt in den "Finale"-Thrillern in dem endgültigen Sieg der "Guten" - ein Triumph, der dem amerikanischen Sendungsbewusstsein in die Hände spielt und letztlich die Hollywoodisierung der Apokalypse fortschreibt.

Im Lukasevangelium warnt Jesus davor, das vollendete Kommen des Gottesreiches an Hand von "äußeren Zeichen" zu berechnen (Lk 17,20). Es entzieht sich unserer raumzeitlich-sinnlichen Wahrnehmung, denn am "Tag des Herrn" vergeht die Welt und mit ihr die Zeit (Offb 10,6). Die Wiederkehr Christi folgt nicht "menschlichen Maßstäben" (2 Kor 5,16), sie ist kein Ereignis, das auf unserer Zeitachse "stattfindet". Es geht vielmehr um die Aufnahme, das Aufgehen aller Zeit in der Ewigkeit Gottes, ein "Geschehen", das sich verborgen in der Auferstehung Christi bereits "erfüllt" hat (Gal 4,4) und bei seiner Wiederkunft offenbar wird - an jenem Tag des "Herrn der Herren", den "kein Mensch gesehen hat noch je zu sehen vermag" (1 Tim 6,15-16).

Der "Tag des Herrn" verweist den Menschen somit an eine Grenze, die man in Zeiten, in denen man sich nach sichtbaren Glaubensgewissheiten sehnt, nur allzu gern aufsprengen würde. In so genannten "Klonthrillern" wird dies auf die Spitze getrieben. Das, was nach dem Zeugnis der Bibel unverfügbar ist, wird nunmehr gentechnisch hergestellt. Thriller wie James BeauSeigneurs "Das Jesus-Gen" (Asslar 2003) und Thomas F. Monteleones "Das Blut des Lammes" (Erftstadt 2005) sowie die Fortsetzung "Das siebte Siegel" (München 2007) erzählen jeweils von den Folgen eines sensationalistisch aufgemachten Ereignisses: Wissenschaftlern gelingt es, aus dem Blut Jesu einen Klon zu erzeugen. Diese geklonte Gestalt "erscheint" vor einer apokalyptischen Kulisse, nach der Christus bei seiner Wiederkunft die Endereignisse in Gang setzt. Die Klonthriller spielen dabei geschickt mit gängigen Untergangsszenarien und lassen es zu Zwecken spannender Unterhaltung lange offen, ob mit der Wiederkehr Christi die Tage der Welt, wie wir sie kennen, tatsächlich gezählt sind.


In Monteleones Thrillern wird der aus dem Blut Jesu geklonte Pater Carenza als Wundertäter wahrgenommen, von dem man sich die Rettung der Welt erhofft. Es geht also nicht mehr darum, bereit zu werden für das vollendete Kommen des Herrn am "Ende der Zeiten" (1 Kor 10,11), sondern darum, sich bereit zu machen, das "Ende" in der Zeit mit allen Mitteln zu verhindern. Auch wenn Pater Carenza seine "göttlichen" Fähigkeiten zunehmend missbraucht, kann sich in Monteleones Thrillern kaum jemand der Faszination dieser Gestalt entziehen, erfüllt sie doch - für alle sichtbar - die Wunder- und Heilssehnsüchte von (Medien)-Menschen, deren Leben von immer neuen Untergangsszenarien eben dieser Medien bestimmt ist.

Dass dabei auch die Wiederkehr Christi selbst medial überformt wird, zeigt Ralf Isaus Thriller "Messias" (München 2011), in dem der frömmelnde TV-Mogul Brannock das vermeintliche "Wunder" der Wiederkunft skrupellos ausschlachtet. "Die Verbindung von Geschäft und Glaube ist so alt wie die Religion", so ist Brannock überzeugt. Aber im modernen Informationszeitalter stellt sich diese Verbindung noch einmal anders dar. Die Medien zwingen ihre öffentlichkeitswirksamen Gesetze nunmehr auch dem wiederkehrenden Christus auf. Konkret heißt das in Isaus Thriller: Der "neue" Messias wird zum Popstar, seine Wiederkunft zum Event. Die endzeitlichen Ereignisse um die Wiederkehr Christi lösen in Isaus Thriller eine Happening-Stimmung aus, die dem massenmedialen Prozess der Sensationalisierung und Kommerzialisierung unterliegt. Das "Ende aller Dinge" wird zur Show.


Elisabeth Hurth (geb. 1961) hat Amerikanistik, Germanistik und katholische Theologie in Mainz und Boston studiert. PH. D. 1988 in American Studies in Boston, Promotion 1992 in Mainz in Germanistik. Sie ist Dozentin, Lerntherapeutin und Publizistin in Wiesbaden. Neueste Veröffentlichung: Meine Zeit in deinen Händen, St. Ulrich Verlag, Augsburg 2010.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 8, August 2011, S. 421-425
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2011