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SPRACHE/514: Lachende Menschen und sprechende Maschinen (Campus - Uni Saarland)


Campus Nr. 3/4, Dezember 2007 - Universität des Saarlandes

Lachende Menschen und sprechende Maschinen

Von Gerhild Sieber


Was genau erforschen Phonetiker? "Alle Facetten der lautsprachlichen Kommunikation", erklärt Phonetik-Professor William Barry, der im August 2007 den 16. Weltkongress der phonetischen Wissenschaften nach Saarbrücken geholt hat. Für campus erläutern er und Dr. Jürgen Trouvain die Forschungsprojekte in diesem Fachbereich an der Universität des Saarlandes.


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Der Unterkiefer auf dem Bildschirm klappt lebhaft auf und ab, rote Lippen stülpen sich nach vorn, und kurz darauf wird eine Reihe weißer Zähne sichtbar. "Der Zug hat eine Stunde Verspätung", tönt es etwas eckig aus dem Computer-Lautsprecher. "Wir modellieren die Produktion von Sprache am Computer", erläutert Dr. Jürgen Trouvain, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Phonetik und Phonologie von Professor William Barry. Einen Computer zum Sprechen zu bringen - das ist durchaus etwas Besonderes. Gemeint ist nicht die gängige Art und Weise zur künstlichen Spracherzeugung, bei der man Bausteine aus einer Sprachdatenbank entnimmt; was übrigens ohne allzu großen Aufwand zu einer passablen Qualität führt. "Das bringt uns aber keine Einsichten darüber, was beim Sprechen wirklich abläuft, und wir haben keinen Einfluss auf den emotionalen Klang der Stimme", sagt Trouvain. Das ist bei dem Saarbrücker Projekt 'Artikulatorische Sprachsynthese', an dem die Doktorandin Eva Lasarcyk arbeitet, anders: Über viele Messungen wurde zunächst erforscht, wie die Bewegung der Artikulatoren, also der spracherzeugenden Komponenten im Rachen- und Kopfbereich, den Sprachschall verändert. Diese Zusammenhänge lassen sich in Form mathematischer Modelle erfassen. Daraus kann man dann am Computer Sprache generieren, indem man jeden Artikulator je nach Bedarf ansteuert und die Komponenten des Sprachschalls elektronisch erzeugt. Prof. Barry ergänzt: "Wenn man die Steuerungsgesetze beherrscht, kann man die Sprachsynthese beliebig nutzen, zum Beispiel, um die Stimme freundlicher klingen zu lassen."

"Wir haben auch versucht, den Computer lachen zu lassen", berichtet Trouvain, der die Akustik des Lachens schon seit mehreren Jahren erforscht und herausgefunden hat, dass es eine "unendliche Variabilität in der Akustik des Lachens" gibt. Das könne übrigens jeder feststellen, der sich in ein Café setzt und den Gesprächen lauscht. Dabei ließen sich schon in relativ kurzer Zeit mindestens 20 verschiedene Arten von Lachen beobachten. Denn: "Lachen ist eine der häufigsten Äußerungen der Alltags-Kommunikation." Das zeigt auch die Analyse menschlicher Kommunikation, wie sie der britische Sprachtechnologe Nick Campbell durchgeführt hat, meint Barry. "Campbell stattete eine junge Japanerin ein Jahr lang mit einem Mini-Disc-Recorder aus, der ihre Sprache aufzeichnete." Die Auswertung ergab, dass scheinbar belanglose Äußerungen die häufigsten waren - ebenso wie Lachen. "Das heißt aber nicht, dass sie im Sinne der Kommunikation bedeutungslos waren, sondern sie waren voller emotionalem Gehalt", sagt Barry.

Mit dem emotionalen Gehalt von Sprache und Sprechwirkungen beschäftigt sich auch das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt 'Prominenz und Rhythmus der Saarbrücker Phonetik. Es untersucht die Hervorhebungen in einer Sprache sowie ihre rhythmische und melodische Gestaltung im Vergleich verschiedener Sprachen. Neben Deutsch nehmen die Wissenschaftler Norwegisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Russisch und Bulgarisch unter die Lupe. "Die grundlegende Frage des Projekts ist: Wie produzieren die verschiedenen Sprachen prominente Wörter - also Hervorhebungen? Und: Wie nehmen sie die Hervorhebungen von anderen Sprachen wahr?", erläutert Prof. Barry.

Bei den Hervorhebungen stehen folgende Parameter im Fokus: Sprechmelodie, Länge, Präzision der Aussprache und Lautstärke. Ein Beispiel: "Das Französische arbeitet viel mehr mit unterschiedlichen Längen - beispielsweise der wichtigen Silben - als das Deutsche." Und während der Deutsche bei einem "Bonjour et bonne soirée" gerne mit der Stimme nach unten ginge, werde das von einem Franzosen als unhöflich empfunden. Damit sind die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt unter anderem für die Vermittlung von Fremdsprachen wichtig. Denn: "Sprache ist immer mit etwas Emotionalem verbunden", sagt Trouvain, "man will nicht nur herausfinden, was der andere mir inhaltlich sagen will, sondern auch, wie er zu mir steht."


Blinde hören schneller

Ein weiteres Projekt, an dem die Studentin Anja Moos gemeinsam mit Jürgen Trouvain arbeitet, ist mit dem Titel 'Ultraschnelle Sprachsynthese' überschrieben. Hierbei geht es um Computersprache, die sich Blinde beim Vorlesen ihres Bildschirms erzeugen lassen. Damit dies möglichst zeitsparend geschieht, sind hohe Artikulationsgeschwindigkeiten notwendig. Bei der Untersuchung, wie schnell maximal gesprochen werden darf, um das Verständnis zu gewährleisten, haben die Phonetiker eine interessante Entdeckung gemacht: Sehende Versuchspersonen erfassen gewöhnlich zwischen 10 und 14 Silben pro Sekunde, doch Blinde sind schneller: Sie können leicht 17 Silben pro Sekunde verstehen, im Versuch wurden Sprachinhalte sogar bei Geschwindigkeiten bis 22 Silben noch verstanden. "Das ist nicht erklärbar und wirft alte Theorien über das Verständnis von Sprache über Bord", kommentiert Sprachwissenschaftler Trouvain. Daher bereiten die Saarbrücker Phonetiker zurzeit Kernspin-Tests mit einer blinden Versuchsperson vor. Sie sollen klären, welche Strategien zum Sprachverständnis im Gehirn greifen.

"Die Phonetik ist ein Brückenfach", erläutert William Barry. Sie habe eine Sonderstellung zwischen Physiologie, Psychologie und Physik. Das zeige das Projekt der ultraschnellen Sprachsynthese ebenso wie die Arbeiten von Dr. Manfred Pützer, der im Bereich 'Klinische Phonetik' sehr eng mit der Uniklinik in Homburg zusammenarbeitet.

Wie facettenreich sich die Phonetik im Kontakt zu anderen Wissenschaften darstellt, zeigt auch die Arbeit von Fabian Brackhane. Der Student hat für seine Magisterarbeit die erste funktionierende Sprechmaschine aus dem 18. Jahrhundert nachgebaut. Das Original stammt von Wolfgang von Kempelen (1734-1804), Brackhane hat den weltweit vierten Nachbau konstruiert. Er besteht aus einem Blasebalg (der Lunge), der mit einer Windlade verbunden ist, welche die Funktion von Mund und Nase übernimmt. "Die Luft strömt in die Windlade und entweicht durch bestimmte Öffnungen, was wiederum ganz bestimmte Laute erzeugt", erläutert Brackhane, der die Maschine mit seinen Händen zum Sprechen bringt: Lässt er die Luft über den vorderen Gummitrichter (Mund) entweichen, kann er Vokale nachbilden, über andere, seltsam anmutende Aufbauten entstehen Zischlaute. Besonders freut er sich über die gut funktionierenden Stimmlippen: Sie bestehen aus einer feinen Elfenbeinzunge, die auf einem hohlen Rohrsegment schwingt. Welche Faszination von allen Ansätzen zur künstlichen Spracherzeugung ausgehen, zeigte sich auf der Phonetik-Ausstellung in der Unibibliothek, die Jürgen Trouvain mit seinen Studenten im Sommer als Beitrag zum Jahr der Geisteswissenschaften initiiert hatte: "Die Leute standen in Trauben um die Ausstellungsvitrine mit der Sprechmaschine", sagt er. Und: "Wir haben bereits Anfragen von der TU Dresden und dem Nixdorf Museum in Paderborn, die gerne eine Sprechmaschine von uns gebaut haben wollen."


Alle Beiträge der Phonetik-Tagung sind nachzulesen unter:
www.icphs2007.de

Die Ausstellung "Von Professor Higgins bis zum sprechenden Computer:
Eine kleine Geschichte der Phonetik" ist zu sehen unter:
www.icphs2007.de/higgins


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Quelle:
Campus Nr. 3/4, Dezember 2007, Seite 20-21
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
Redaktion: Presse- und Informationszentrum, Postfach 15 11 50
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Tel.: (0681) 302-3601, Fax: (0681) 302-2609
E-Mail: presse@univw.uni-saarland.de

"campus" erscheint viermal im Jahr während der Vorlesungszeit.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2008