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FILMKRITIK/000: Full Metal Village - Zwei Welten, kein Gegensatz (SB)


"Full Metal Village - So macht Landwirtschaft Spaß"


Zwei Welten und kein wirklicher Gegensatz

Ein Dokumentarfilm von Sung-Hyung Cho



"Full Metal Village" - Unter diesem martialisch anmutenden Titel kommt ein Film der Koreanerin Sung-Hyung Cho in die Kinos, der sich des "Wacken Open Air Festivals" (W:O:A) in Wacken angenommen hat. In diesem im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg gelegenen Dorf mit rund 2000 Einwohnern findet alljährlich ein dreitägiges Heavy-Metal-Konzert statt, das den Ort nicht nur weltweit bekannt gemacht, sondern seinen Bewohnern eine inzwischen wohl unverzichtbare zusätzliche Einkommensquelle beschert hat. Die Filmemacherin, die selbst seit 17 Jahren in einem Dorf im Taunus lebt und perfekt Deutsch spricht, stellt allerdings keineswegs das Konzert in den Mittelpunkt, sondern richtet ihre dokumentierende Aufmerksamkeit auf die Bewohner von Wacken, die bereit sind, sich vor der Kamera zu präsentieren.

Die Idee dafür kam ihr vor Jahren durch ein Festival-Foto in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Da habe ich dieses Bild entdeckt in der Zeitung, auf dem vier gut aussehende Männer zu sehen waren: Oberkörper nackt, voll tätowiert, in schwarzen Lederhosen mit Ketten und Nietengürtel und lange Haare bis zum Arsch, und davor saß ganz brav eine Kassiererin mit Kurzhaarschnitt und Perlen-Ohrringen." Fasziniert von diesen Kontrasten beschloß die Regisseurin, sich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, wie sich der Aufeinanderprall zweier so augenscheinlich unterschiedlicher Welten gestaltet, und eine "Mentalitäts- und Gesellschaftsstudie über die dörflichen Gemeinden" zu erstellen.

Heavy-Metal-Fans, die vielleicht in der Erwartung ins Kino gehen, einen Film über "ihr" Wacken mit 90 Minuten Livemitschnitten und Konzertszenen rund um das Festival zu sehen, seien also gewarnt, denn dieses nimmt nur einen Bruchteil des ganzen ein.

Der Film beginnt mit einigen landstrichtypischen Naturaufnahmen, die auf die dörfliche Gegend einstimmen. Mit der Kamera begleitet Sung-Hyung Cho ihre Interviewpartner auf deren Wegen in Haus und Hof und quer durchs Dorf. Bereitwillig werden ihre Fragen beantwortet, wobei jedoch der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß sich der eine oder andere insgeheim ein wenig lustig macht über eine Asiatin, die sich mit großem Ernst vorführen läßt, wie Kartoffeln aus der Erde gegraben oder Maispflanzen vermessen werden.

Von der Machart her mutet das ganze allerdings wie eine mäßige Fernsehdoku an: Die Regisseurin ist mit ihrem Mikrophon nur halb im Bild und richtet kaum hörbare, fast schon naive Fragen zur Landwirtschaft an nicht weiter vorgestellte Personen. In der Folge schließt sich eine unzusammenhängende Aneinanderreihung von Statements der Dorfbewohner an, die gewiß einige Zuschauer ob der Unbedarftheit amüsieren mögen. Eigentlich aber stimmt dies ärgerlich, weil die Menschen als etwas einfach gestrickt vorgeführt werden. Den Anspruch einer Studie erfüllt dieses Werk schon deshalb nicht, weil die Fragen der Filmemacherin und die Aussagen der Wackener zu ungenau bleiben und sich auf diese Weise die ohnehin vorherrschenden Klischees von Bauernschläue und Spießigkeit lediglich bestätigen.

Ganz langsam nähert sich das Geschehen dem bevorstehenden Open-Air-Konzert. Chemische Klos werden angeliefert, das Eingangstor mit dem schwarz-weißen Festival-Wahrzeichen (skelettierter Rinderschädel mit Hörnern) und die Bühnen werden errichtet. Ein Dorfbewohner befestigt die Festivalfahne an seinem Haus. Der Zuschauer erlebt die Einweisung der freiwilligen Helfer, die Anreise von Teilnehmern, schwarzgekleidete Fans auf den Straßen, die Probe einer Band in der Menge. Ein Bierfaß wird angezapft, die Feuerwehrkapelle spielt auf, ein Volkslied wird gesungen. Und schließlich beginnt das Festival mit bombastischer Lichtanlage und Lautstärke.

Dem Bild einer dörflichen Beschaulichkeit, bei der der Bauer in aller Seelenruhe den Katzen beim Milchtrinken zuschaut und so nebenbei auch die Nachbarn im Auge behält, stellt Sung-Hyung Cho das wilde Gebaren und das düsterne Outfit der Heavy-Metal-Gemeinde gegenüber, die von Beginn an, und der allgemeinen Erwartung wohl entgegen, den Anweisungen der Organisatoren folgt. Dem Ausdruck und Erscheinungsbild der Metal-Anhänger diametral entgegengesetzt zeigt der Film, wie verspielt und harmlos das Zusammentreffen der Musikbegeisterten aus aller Welt ist: Schlammschlachten bei Regen, das "headbangen" mit fliegender Mähne bis zum Totalschwindel sogar zur Blasmusik der Feuerwehrkapelle. Der erwartete Kontrast zum dörflichen Leben ist keiner. Entgegen der Befürchtung einiger Anwohner, es bräche eine marodierende Satanistengemeinde über sie herein, verläuft das Ereignis ohne Zwischenfälle. Gewaltbereit klingende Aufrufe wie "Are you ready to kill?! Are you ready to kill each other?!" finden in den drei Tagen keine gewalttätige Entsprechung.

Daß die vielen, zum Teil aus aller Welt angereisten Metal-Fans auf ihre Kosten kommen, ist dem Film ebenso zu entnehmen wie die Aussage, daß die Wackener, von manchem Mißmut über die gottlose Jugend einmal abgesehen, mit dem alljährlichen Massenereignis mehr als einverstanden sind.

Vom Ursprung des Wacken Open Air berichtet ein Mitbegründer. Sie hätten überschaubar klein in der "Kuhle" angefangen, zunächst im engen Freundeskreis, dann als Organisationsteam zusammen mit einem Dutzend Helfern. Als dann eines Sommers die "Böhsen Onkelz" aufspielen sollten, sei ihm das finanzielle Risiko zu groß geworden. Da sei er aus der Verantwortung ausgestiegen, erzählt er aus heutiger Sicht mit Bedauern.

Inzwischen gibt es eine eigens für das Festival gegründete Firma, die die Organisation - Musik, Aufbau, Kartenvertrieb etc. - in die Hand nimmt. Es ist zu einem vollständig den Vermarktungsgesetzen und -zwängen der Unterhaltungsindustrie unterworfenen Event geworden, das diesem Dorf seinen Stempel aufgedrückt hat. Was als Initiative einiger junger Leute, in ihrem Dorf eine Band auf offener Wiese auftreten zu lassen, angefangen hat, stieß somit schnell auf Vermarkter, die aus der kleinen Flamme einer möglichen Gegenkultur ein kommerzielles Unternehmen machten, bevor diese sich überhaupt entfalten und positionieren konnte.

Heute spielen etwa 80 internationale Rock-Bands - unter anderem die Altmeister Motörhead, die Deathmetaller Morbid Angel und die Experimentalrocker Soulfly - teilweise gleichzeitig auf vier Bühnen, und das Dorf wird mit einer Lautstärke von bis zu 120 Dezibel beschallt. Beim 2006er Festival drängten sich auf dem Gelände bis zu 62.500 Teilnehmer gleichzeitig, wobei knapp die Hälfte der Besucher aus dem Ausland kam.

Damit vollzieht sich in kleinem Rahmen einmal mehr, was schon in der internationalen Kulturgeschichte im inzwischen als legendär geltenden Woodstock-Festival seinen Niederschlag gefunden hat: In den 60er und 70er Jahren hatte die US-amerikanische Protest- und Studentenbewegung in der Pop- und Rockmusik ihre Ausdrucksmöglichkeiten entdeckt. Spätestens mit dem Woodstock-Konzert allerdings, einem ebenfalls massenwirksam organisierten Großereignis, wurden politische Inhalte und Antikriegspositionen in Richtung Kommerz umgeleitet und dadurch entschärft. In Wacken ist es ungeachtet des provozierenden äußeren Erscheinungsbildes zur Ausformung einer "politischen" Musikszene mit klaren Stellungnahmen, etwa gegen die inzwischen auch unter deutscher Beteiligung geführten Kriege der Gegenwart, gar nicht erst gekommen. Die Unterhaltungskultur feiert hingegen Urständ. Hier kann man die drückenden Probleme und die Perspektivlosigkeit des Alltags für kurze Zeit vergessen.

Von verschiedenen oder gar diametral entgegengesetzten Welten, die angeblich beim Wackener Open Air Festival aufeinandertreffen, kann nicht die Rede sein, unterliegt doch sowohl die als beschaulich idealisierte Dorfrealität als auch die über sie hereinbrechende "Heavy-Metal"-Welt denselben gesellschaftlichen Zwängen, die im Film wohlweislich nicht thematisiert werden. Im übrigen leistet "Full Metal Village" der W:O:A PR-Arbeit sicherlich gute Dienste.

17. April 2007



"FULL METAL VILLAGE - So macht Landwirtschaft Spaß"
Kinostart: 19. April 2007
Dokumentation
Regie: Sung-Hyung Cho
Deutschland 2006
ausgezeichnet mit dem Max Ophüls Preis
94 Minuten
ohne Altersbeschränkung