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BERICHT/030: Welt der arabischen Frauenliteratur (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 91, 1/05

Die Sprache zur Freiheit
Die Welt der arabischen Frauenliteratur

von Christine Aischa Ebner


Es gibt etwa 400 Bücher arabischer AutorInnen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt und angesichts der 22 Staaten umfassenden "arabischen Welt" scheint dies nicht viel. Doch seit den 1970er Jahren wächst der Markt für arabische Literatur.


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Sonia Al-Dulayme, Besitzerin der Wiener Buchhandlung Averroes(1), versucht "mit Büchern eine Brücke zwischen Orient und Okzident zu bauen und Menschen die Möglichkeit zu geben, sich verschiedene Meinungen abseits offizieller Medienberichterstattung anzuhören, anzulesen." Mit diesem Bestreben ist sie nicht alleine, hatte doch die Frankfurter Buchmesse 2004 die Arabische Welt als Ehrengast, und die in Österreich inzwischen weithin bekannte "Literatur im März" wird sich 2005 ebenfalls dem Thema Orient und Okzident zuwenden (2).

Frauen melden sich zu Wort

Das Zentrum der Intellektuellen und des Verlagswesens der Arabischen Welt war lange Zeit Beirut. Maßgeblich für eine literarische Frauenbewegung war jedoch vor allem Ägypten. In Kairo gründete 1892 die Syrerin Hind Nawfal die erste Frauenzeitschrift Al-Fatah und die erste kämpferisch- feministische Zeitung erschien 1925 ebenfalls in Ägypten. Doch für arabische Frauen war es ein langer und mühseliger Weg, sich selbstbewusst äußern zu können. Jahrhunderte lang wurden Frauen vom Zugang zu Bildung ausgeschlossen und somit an sozialer und politischer Partizipation gehindert. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gab es daher auch nur vereinzelt von Frauen verfasste Texte. Mit Ende des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Möglichkeiten der Bildung und es gelang einigen wenigen Frauen, die noch ausschließlich aus der gehobenen gesellschaftlichen Schicht kamen, sich öffentlich zu Wort zu melden. Die Mehrheit der Männer reagierte mit offener Verachtung auf die zunehmenden Aktivitäten der Frauen oder ignorierte sie ganz. Doch frau lässt sich nicht vom Schreiben abhalten. Heute sind es so berühmte Namen wie Assia Djebar (Algerien), Fatima Mernissi (Marokko), Nawal Al-Saadawi (Ägypten), Sahar Khalifa (Palästina) oder Ghada Samman (Syrien), die jede/r kennt. In ihrer Verschiedenheit haben alle eines gemeinsam, es sind Frauen, die nicht schweigen. Sie schreiben über Politik und Sexualität, über Frauen und Islam, über die Lebensbedingungen in den Dörfern, über Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus. Sie nehmen eine Bevormundung durch Männer nicht stillschweigend hin, sondern zeigen in Romanen, Kurzgeschichten, Essays oder Sachliteratur eine reale und schwierige Lebenswelt von Frauen in arabischen Gesellschaften. Sie sprechen Tabus an, kritisieren sie und fordern eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Viele arabische Autorinnen lehnen für sich den Begriff Frauenliteratur oder die Bezeichnung Feministin ab, da damit unter anderem immer noch der Beigeschmack des Mangelhaften und Unprofessionellen mitschwingt. Arabische Autorinnen wollen genauso wie ihre männlichen Kollegen in ihrer Arbeit ernst genommen werden.

Eine komplizierte (Verlags-)Welt

Als schreibende Frau ist es prinzipiell nicht schwer zu einem Verlag zu kommen, allerdings ist die Literaturwelt eine komplizierte Welt und der Erfolg eines Buches orientiert sich stark an der Werbung für die Autorinnen. Hier kommt es nun zu einem Unterschied in den Verlagswelten, denn die Rechte eines Werkes bleiben in der arabischen Weit bei den jeweiligen Autorinnen und gehen nicht - wie etwa im deutschsprachigen Raum üblich - auf den Verlag über. Dadurch ist es etwa Aufgabe der AutorInnen, sich um Kontakte für Übersetzungen zu bemühen. Hier liegt auch der Haken für die Rezeption arabischer Literatur im "Westen". Arabische AutorInnen werden im deutschsprachigen Raum vor allem von kleinen Verlagen herausgegeben (z.B. Lenos-Verlag), die wenig Geld für Werbung oder Übersetzungen zur Verfügung haben. Es existieren so gut wie keine Förderungen für die Übersetzung arabischer Literatur ins Deutsche, wie es sie zurzeit etwa für osteuropäische Literatur gibt. Eine der Erwartungen an die Frankfurter Buchmesse 2004 war, dass diese als Anlass genommen wird, mehr arabische Autorinnen zu übersetzen und sie damit einer noch breiteren LeserInnenschaft zugänglich zu machen. Allerdings zeigte sich, wie kompliziert eine Zusammenarbeit mit der arabischen Welt ist und leider gab es kaum größere Projekte in diesem Bereich. Eigentlich ist der deutschsprachige Literaturmarkt recht gut mit großer arabischer Literatur bestückt und erreicht auch interessierte Leserinnen. Besorgniserregend ist jedoch, dass diese Literatur ihren Weg selten zurück in die Ursprungsregion findet. Das liegt nicht so sehr an einer Zensur der regierenden Stellen, als vielmehr an der Skepsis der Verlage, dass sie an diesen Büchern auch verdienen könnten. Im Ausland verlegte Bücher sind wiederum für eine arabische LeserInnenschaft zu teuer und werden daher kaum importiert.

Mut der Frauen ungebrochen

"Eigentlich kann man nicht sagen, dass es Unterschiede in den Themen von weiblichen und männlichen AutorInnen gibt. Was man aber sagen kann, ist, dass Frauen oft mutiger schreiben und mehr auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau eingehen. Ganz krass ausgedrückt: derjenige, der beherrscht wird, ist in seiner Aussage immer freier als der Herrscher", so Rosina-Fawzia Al- Rawi. Sie ist selbst Autorin zahlreicher Bücher und lebte gemeinsam mit ihrem palästinensischen Ehemann zwölf Jahre in Palästina, wo sie an der Universität Jerusalem unterrichtete. Sie stellt fest, dass "ganz allgemein gesprochen heute im Nahen Osten immer seltener gelesen wird. Die Gruppe der Bücher-Lesenden schrumpft mehr und mehr. Im Nahen Osten laufen Menschen mit einer großen verletzten Seele herum, es gab viele Erniedrigungen über viele Jahrzehnte und der tägliche Kampf ums Überleben ist sehr anstrengend. So fällt die Muße des Lesens fast vollständig weg." Bücher sind in arabischen Ländern sehr teuer und nicht viele können sie sich leisten. Ausgenommen davon sind Bücher, die eine bestimmte regierungstreue Ideologie vertreten, oder religiöse Literatur, die stark von Saudi-Arabien gefördert wird. Doch ist gerade diese saudi-wahhabitische Auslegung des Islam für Frauen stark hemmend, diskriminierend und drängt sie an den Rand der Gesellschaft. Offen Stellung zu beziehen und kritische Bemerkungen oder gar Forderungen zu gesellschaftlichen (Fehl-) Entwicklungen zu geben, ist in arabischen Ländern nicht gefragt und zuzeiten auch gefährlich. "Frauen werden von konservativer Seite oft als Verräterinnen beschimpft, weil sie angeblich mit dem Westen paktieren (...). Eine der zentralen Forderungen der fundamentalistischen Strömungen ist daher die Wiedereinführung der Geschlechtertrennung mit all ihren Konsequenzen. Trotz erheblicher Einschüchterungsversuche, die man sich in ihrer Härte kaum vorstellen kann, und zunehmender Kritik von Seiten der Traditionalisten scheint der Mut der Frauen bisher kaum gebrochen", schreibt Suleman Taufiq im Nachwort zum Sammelband "Frauen in der arabischen Welt"(2004). Die Verkaufszahlen der Bücher arabischer Autorinnen geben ihm Recht. Zu Zehntausenden verkaufte sich etwa das Buch "Dhakirat al-Djasad" (Memory in the Flesh) der algerischen Ahlam Mosteghanemi, die als erste algerische Autorin einen Roman auf Arabisch veröffentlichte und dafür 1998 mit der 'Naguib Mahfouz Medal for Literature' ausgezeichnet wurde.

Arabien ist nicht gleich Arabien

Das Bild des mystischen, geheimnisvollen und märchenhaften Orients dominierte Europa über Jahrhunderte hinweg und bietet ein "sympathisches" Bild der arabischen Welt. Daneben existiert das klischeehafte Bild der unterdrückten, Kopftuch tragenden Frau, die es zu befreien gilt. Doch beides geht nicht auf die Komplexität ein, die das Leben in arabischen Ländern prägt und verhindert oft den offenen Zugang zu arabischer (Frauen-) Literatur. Vermischt und synonym gebraucht werden die Ausdrücke "islamisch" und "arabisch", doch unter den arabischen AutorInnen gibt es MuslimInnen, ChristInnen, JüdInnen und eine Mehrheit, die sich nicht über die Religion definieren will. Das Motto der ägyptischen Feministin Nawal Al-Saadawi "den Verstand entschleiern" gilt somit nicht nur für die arabische, sondern auch für eine "westliche" Welt.


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Anmerkungen:

(1) Schwarzspanierstr. 20, 1090 Wien
(2) Informationen zur "Literatur im März" unter:
http://www.alte-schmiede.at/lim2005.htm

Literatur zum Weiterlesen:

Szostak, Jutta; Taufiq, Suleman (Hginnen):
Der wahre Schleier ist das Schweigen
(Frankfurt/Main 2002).

Mosteghanemi, Ahlam:
Memory in the Flesh (Cairo 2003).

Zur Autorin:

Christine Aischa Ebner studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 91, 1/2005, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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