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BERICHT/032: Literatur von Frauen in Ozeanien (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 91, 1/05

Wir sind wie Lieder, die falsch gesungen werden(1)

Zur Literatur von Frauen in Ozeanien


von Margit Wolfsberger

Konai Helu Thaman, Sia Figiel, Teresia Teaiwa, Tusiata Avia sind Schriftstellerinnen (und mehr), die jede für sich eine Entwicklung innerhalb der zeitgenössischen Literatur Ozeaniens verkörpert. Ihre Geschichte ist Teil der Geschichte Ozeaniens und ihre Geschichten sind die Geschichte Ozeaniens, um die Worte eines viel Klügeren hier abzuwandeln. Die "Entdeckung" dieser Welten muss in Europa noch erfolgen, hier ein kleiner Einstieg.


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Konai Helu Thaman wurde 1947 in Nuku'alofa/Tonga geboren und gehört zu jener Gruppe von KünstlerInnen, die zum Großteil noch auf ihren Heimatinseln Kindheit und Jugend verbracht haben und erst als junge Erwachsene zu Ausbildungszwecken nach Australien, Neuseeland, Fidschi, Hawaii oder in die USA immigrierten. Sie war Teil einer ersten Welle zeitgenössischen Literaturschaffens in Ozeanien, die sich mit den Auswirkungen der westlichen Einflüsse auf traditionelle Gesellschaften beschäftigte. Erstmals wurden den bis dato von westlichen SchriftstellerInnen kreierten "Südsee"-Impressionen eigenständige Kunstwerke gegenübergestellt.

Konai Helu Thaman war 16, als sie Tonga verließ und in Auckland und später in den USA studierte. Nach Beendigung ihrer Ausbildung engagierte sie sich in Tonga in der Ausarbeitung von Lehrplänen und begann schließlich 1974 ihre Vortragstätigkeit an der University of the South Pacific, wo sie heute eine der vier Vice-Chancellors ist. Als Erziehungswissenschafterin fordert die Dichterin KollegInnen und Studierende auf, traditionelles Wissen ebenso zu vermitteln und zu lernen wie westliche Wissenschaft. Ihr erster Gedichtband (You, the choice of my parents, 1974) löste heftige Diskussionen über das darin dargestellte Geschlechterverhältnis und die Unterdrückung von Frauen aus; die Autorin distanzierte sich allerdings von der Vereinnahmung als Sprecherin für "die Frauen Ozeaniens".

In den 1980er Jahren, einer Zeit der Ernüchterung über die geringen Fortschritte in der Entwicklung unabhängiger Staaten und prosperierender Gesellschaften in Ozeanien, publizierte Konai Helu Thaman zwei weitere Gedichtbände (Langakali, Hingamo), die zum Teil in der 1986 von Renate von Gizycki, einer der ersten deutschen ForscherInnen zur Literatur im Pazifik, zusammengestellten Gedichtesammlung "Inselfeuer" enthalten sind.


Where we once belonged

In Deutschland war es, wo Sia Figiel die erste Inspiration für ihr später mit dem 'Commonwealth Writers Prize' ausgezeichnetes Buch "where we once belonged" erhielt. Sie besuchte einen Markt in einer ihr fremden Stadt und der Geruch erinnerte sie an den Gemüsemarkt in Apia, der Hauptstadt Samoas. Sia Figiel wurde 1967 in einem Dorf in Samoa geboren und lebte dort bis zur Highschool. Diese absolvierte sie in Auckland und begann in den USA Geschichte zu studieren. Nach ihrem BA-Abschluss reiste sie durch die Welt und traf in Berlin bei einer Lesung Toni Morrison. Die Begegnung mit ihr zeigte ihr den Weg zum eigenen literarischen Schaffen. In der Distanz zu ihrer Heimat begann sie zu schreiben und publizierte 1996 ihr Erstlingswerk (in Deutsch "Alofa", 1998), das authentischer und besser als jedes Lehrbuch Kindheit und Pubertät von Mädchen in Samoa beschreibt.

Eine 1998 veröffentlichte Sammlung aus Kurzgeschichten und Gedichten, "To a young artist in contemplation" (1998), ist eine überaus scharfzüngige Kritik an Autoritäten jeglicher Herkunft. Ihre dritte Publikation (They who do not grieve, 1999) hingegen stellt erstmals eine Familiengeschichte aus der Sicht dreier Frauengenerationen dar. Derzeit lebt und arbeitet Sia Figiel in Amerikanisch-Samoa, wo sie neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch in Schulen unterrichtet und das künstlerische Potential der SchülerInnen bei Vortrags-, Tanz- und Performance- Festivals und ähnlichem anregt. Auf die Frage, wie sie es schafft, neben familiären Verpflichtungen - sie versorgt ihre kranke Mutter und zieht neben ihrem eigenen Kind auch ein adoptiertes auf - noch zu schreiben, antwortet sie: "There is no answer to that. For me, writing is life."


In Broken Gilbertese

1996 wurde an der University of the South Pacific das 'Niu Waves Writers Collective' gegründet, eine Vereinigung, die seither in der Verbindung von Lesung, Performance, Tanz, Musik und Drama neue kreative Formen der literarischen Produktion und Rezeption schafft. Zur Gruppe gehören auch KünstlerInnen der "zweiten Generation", die bereits in den Migrationsländern ihrer Eltern zur Welt kamen und dort sozialisiert wurden. Sie nehmen eine Position zwischen den Welten ein, was ihre künstlerischen Arbeiten und ihr Leben insgesamt prägt. Teresia Kieuea Teaiwa ist eine von ihnen.

Teresia Kieuea Teaiwa wurde 1969 in Hawaii in eine Familie mit afro-amerikanischen und pazifischen (Banaba/Kiribati) Wurzeln geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Fidschi, danach studierte sie in den USA und lehrte wieder in Fidschi, wo sie Teil des 'Niu Waves Writer's Collective' war. Heute leitet sie an der Victoria University in Wellington das Fach Pacific Studies und setzt sich dabei mit der Förderung von Kindern der zweiten Generation von pazifischen EinwandererInnen in Neuseeland auseinander.

"Last Virgin in Paradise: A One-Act-Play" war 1993 ihre erste künstlerische Publikation (gemeinsam mit dem fidschianischen Schriftsteller Vilsoni Hereniko) und thematisiert die klischeehaften Vorstellungen über Frauen in Ozeanien. Die 1995 veröffentlichte Gedichtesammlung "Searching for Nei Nim'anoa" zeigt die Identitätssuche der zweiten Generation und die Auseinandersetzung mit "Gilbertese", der Sprache ihrer von der Insel Banaba (Kiribati) vertriebenen Vorfahren. Die 2000 erschienene CD "Terenesia" ist eine Kooperation mit Sia Figiel, bei der beide Künstlerinnen ihre Werke rezitieren und so die Lebendigkeit ihrer Poesie hörbar machen.


Wild Dogs Under My Skirt

Auch mit Tusiata Donna Avia haben sowohl Teresia Teaiwa als auch Sia Figiel bereits zusammengearbeitet. Sie kann als eine der jüngsten Entdeckungen der literarischen Szene Ozeaniens, sofern so eine Verallgemeinerung für eine so reiche und große Weltregion überhaupt zulässig ist, bezeichnet werden.

Tusiata Avia wurde 1966 in Christchurch geboren, wuchs durch die Familie ihres Vaters aber dort in einem samoanischen Haushalt und Umfeld auf. Nach der Schulausbildung und den ersten Studienjahren verließ sie Neuseeland und reiste nach Samoa, Europa, Australien, Afrika, den Mittleren Osten und in die USA. Erst nach diesen ausgedehnten "Wanderjahren" begann sie nach der Rückkehr 2001 nach Neuseeland ernsthaft mit dem Schreiben. Es entstanden Kinderbücher, Hörspiele und schließlich kam 2004 die Gedichtesammlung "Wild Dogs Under My Skirt" heraus, die sie bereits davor als Performance erfolgreich in Neuseeland und darüber hinaus vorgetragen hatte. Auf die Frage, warum sie ihre Gedichte als Performance vorträgt, meint sie, dass die Aufführungen für viele Besucherinnen, z.B. Jugendliche in Samoa, überhaupt erst den Zugang zur Poesie wiedereröffnen, die durch die westliche Rezeptionsweise der klassischen Dichtung vollkommen von ihrem Leben abgekoppelt wurde.

Die Arbeiten der jüngeren Generation von Künstlerinnen in Ozeanien stellen also auch eine Verbindung zu traditionellen Künsten und ihrer Bedeutung in den Gesellschaften Ozeaniens her, gleichzeitig sprechen sie mit neuen Stimmen und erzählen vom Leben heute in Ozeanien und darüber hinaus.


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Anmerkungen:

(1) Gedicht aus Thaman, Konai Helu: Inselfeuer (1986)

Literatur:

Thaman, Konai Helu: Inselfeuer: Gedichte aus Tonga.
Ausw. und Übers. von Renate von Gizycki (Nürnberg 1986)

Nicole, Robert:
Niu Waves: Contemporary Writing from Oceania
(Suva 2001)

Figiel, Sia:
Alofa (Zürich 1998)

Figiel, Sia:
To a young artist in contemplation (Suva 1998/2001)

Teaiwa, Teresia Kieuea:
Searching for Nei Nim'anoa (Suva 1995)

Avia, Tusiata:
Wild Dogs Under My Skirt (Wellington 2004)

Zur Autorin:

Margit Wolfsberger ist Publizistin und Ethnologin mit
dem Forschungsschwerpunkt Südpazifik und Mitglied der
ÖSPG (Österreichisch-Südpazifische Gesellschaft).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 91, 1/2005, S. 22-23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

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