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FRAGEN/006: Kultur der Regionen bietet Chance für Sorben (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 3 vom 12. Februar 2008

Kultur der Regionen bietet Chance für die Sorben
Professor Christian Prunitsch nutzt sorbische Literatur als Informationsquelle

Das Interview führte Annechristin Stein


Professor Christian Prunitsch beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Kultur der Sorben. Das Uj erfragte Näheres dazu.


UJ: Professor Prunitsch, woher nehmen Sie Ihre Erkenntnisse über die Kultur der Sorben?

PRUNITSCH: Als Literatur- und Kulturwissenschaftler beziehe ich meine Erkenntnisse aus der Literatur. Ich bin kein Ethnologe, ich bin kein Sprachwissenschaftler oder Kultursoziologe. Mein Zugriff geht zu allererst über das geschriebene und das ästhetisch gestaltete Wort und versucht, daraus Aufschlüsse über die serbische Kultur zu gewinnen. Dann ließen sich aus einem Überblick über das literarische Schaffen Thesen ableiten: Was sind denn Themen, die in der sorbischen Literatur behandelt werden? Vergangenheit, Gegenwart oder sogar Zukunft? Dabei sehe ich mir auch Populärliteratur an. Warum nicht auch mal einen sorbischen Krimi lesen?

UJ: Ein Thema der sorbischen Literatur ist die Auseinandersetzung mit der Abwanderung aus beruflichen Gründen. Was zeichnet die serbische Kultur der Zukunft aus?

PRUNITSCH: Wir sprechen ja immer von den ganz neuen Tendenzen der Migrantenliteratur. Also Tendenzen, wie die russischen und polnischen Autoren, die in die deutsche Literatur hineinstoßen. In den 60er Jahren waren die Sorben längst an diesem Punkt gewesen, was die zweisprachige Literatur angeht. Diesbezüglich hat die serbische Kultur also ein enormes Innovations- und Kreativitätspotenzial nicht nur wahrgenommen, sondern tatsächlich auch künstlerisch umgesetzt. Neben sorbischen Autoren gibt es auch viele polnische, tschechische oder finnische Autoren, die sich der sorbischen Literatur zuwenden. In den 90er Jahren gab es auf der reflektierenden Ebene der Publizistik zwei große Themen. Das waren zum einen Mischehen und die Frage der Auflösung des Sorbischen in diesen Verbindungen. Gerade bei den Nachwuchsautoren ist es die Frage der beruflich erzwungenen Abwanderung und die Frage, wie gehe ich damit um. In der sorbischen Literatur wurde zudem durchaus früher und feinfühliger die Umweltproblematik aufgegriffen. Das ist ein spezifisches Merkmal der sorbischen Literatur. Die Metaphorik liegt nahe: Das Untergehen einer Kultur, die sich selbst auch als naturverbunden sieht. Da liegt der Schritt, über die Umweltproblematik zu schreiben, schon nahe.

UJ: Wie sieht die Zukunft der Sorben Ihrer Meinung nach aus? Haben die Sorben eine Überlebenschance?

PRUNITSCH: Selbstverständlich gibt es eine Überlebenschance. Das würde ich nicht in Frage stellen. In den letzten Jahren wurde das schon diskutiert, vor allem vor dem Hintergrund von Abwanderung, sinkenden Fördermitteln und steigender Abhängigkeit von staatlicher Förderung. Auf diese Frage wird oft geantwortet, dass Luther einst gesagt haben soll, eine sorbische Übersetzung der Bibel lohne sich nicht, weil es die Sorben bald nicht mehr geben werde. Aber es gibt sie bis heute! Natürlich klingt es etwas banal, wenn ich sage, Totgesagte leben länger. Das Sorbische zum Beruf zu machen ist natürlich auch ein Risiko. Nicht wenn man Lehrer an einer sorbischen Schule werden will. Aber in anderen Bereichen ist es eingeschränkt möglich, das Sorbische zu mehr als einem bloß touristischen Tätigkeitsfeld zu machen. Alle Prognosen bleiben freilich spekulativ. Viele haben sich getäuscht in der Annahme, das vermeintliche Problem werde sich von selbst lösen. Heutige Tendenzen einer Umorientierung vom Nationalen ins Globale, aber auch nach unten ins Regionale haben einen Einfluss. Die Kultur der Regionen, der europäische Regionalismus, könnte eine Chance für die Sorben sein. Wie man die konkret nutzt, wissen sicher andere besser als ich zu beantworten. Hier kann ich mir aber Potenzial vorstellen.

UJ: Aus der Analyse der sorbischen Literatur lassen sich auch Merkmale der Kultur ableiten. Sie stellen dabei fest, dass es sich bei den Sorben um eine Kultur der Abgrenzung handelt?

PRUNITSCH: Abgrenzung ist sicher eine natürliche und normale Sache, etwa in Bezug auf die Sprache. Sorbisch ist nun mal nicht Deutsch. Sorbisch ist aber auch nicht Tschechisch oder Polnisch. Es ist eine eigene Sprache. Abgrenzung in der Sprache bedeutet für die Sorben immer auch Wahrung der eigenen Identität. Aller Anerkennung wert ist für die sorbische Kultur die immense Modernisierungsleistung, die sie seit dem 19. Jahrhundert trotz aller Herausforderungen und Widrigkeiten, die es in der Vergangenheit gab, vollbracht hat. Diese gigantische Leistung bei der dünnen Personaldecke, die die Sorben ja immer hatten! Das muss eine kleine Kultur auf europäischem Maßstab erst mal nachmachen.

UJ: Die finanzielle Förderung der sorbischen Kultur wird kontrovers diskutiert. Wie stellen Sie sich eine neue Förderung der Sorben vor?

PRUNITSCH: Ich bin der Auffassung, dass angesichts des Verteilungsmodells über die 90er Jahre zu wenig Platz geblieben ist für projektbezogene Sachen und Experimente. Das einzige große Experiment der 90er Jahre war das der Witaj-Kindergärten. Das ist ein sehr geglücktes. Dazu muss man gratulieren. Als Philologe bedauere ich den Rückgang der Literaturproduktion. Dieses Schwinden fällt auf, wenn man sich die Publikationsstatistiken des Domowina-Verlags ab den 80er Jahren ansieht. In den letzten zehn Jahren gibt es einen deutlichen Rückgang bei den Neuerscheinungen. Ein weiteres Beispiel für die Situation der sorbischen Literatur ist die "sorbische Bibliothek", die ähnlich der "polnischen" und "tschechischen" ist. Darin gibt es zehn Bände, also sorbische Literatur in deutscher Übersetzung. Das ist sehr sorgfältig gemacht. Aber es ist eine Anknüpfung an Vorhandenes, also nichts Neues. Trotzdem ist es notwendig, weitere Texte zu übersetzen. Der Generaltrend zeigt: An neuen Sachen erscheint wenig, gerade was, den literarischen Nachwuchs betrifft, gibt es vereinzelte Ansätze, wie den ersten sorbischen Kriminalroman. Hier muss sich eine Kontinuität entwickeln, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einhergeht.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 3 vom 12.02.2008, S. 10
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2008