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BUCHTIP/1039: Die rote Zone - Ein Gefängnistagebuch (ai journal)


amnesty journal 5/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Auf Messers Schneide
Der russische Militärjournalist Grigori Pasko berichtete über einen Giftmüllskandal bei der Marine. Dafür verschwand er für Jahre im Gefängnis. Über diese Zeit hat er jetzt ein Buch geschrieben.

Von Tatjana Schütz


Wenn Neugierde eine Eigenschaft ist, die ein Journalist besitzen sollte, dann hat Grigori Pasko den richtigen Beruf gewählt. "Ich weiß noch, als Kind wollte ich immer Weltenbummler werden, verschiedene Länder bereisen und aufschreiben, was es dort zu sehen gibt", schreibt er in seinem neuen Buch "Die Rote Zone", das kürzlich im Wallstein Verlag erschienen ist. Seine Neugierde brachte Pasko jedoch nicht in die Länder dieser Welt sondern dorthin, wo das Buch entstand: hinter Gitter.

Wegen Landesverrats verhafteten ihn Beamte 1997 am Flughafen und eskortierten ihn direkt ins Untersuchungsgefängnis von Wladiwostok. Pasko war zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alt. Die Verhaftung kam nicht überraschend, wie er später schreibt: "Betrachte ich mich kritisch, entdecke ich eine Menge Beweise dafür, dass ich vor dem friedlichen Leben davongelaufen bin wie von Furien gehetzt." Er habe auf "Messers Schneide balanciert" als er über Themen berichtete, "für die man auch in gesitteteren Ländern als Russland schon eine Kugel in den Rücken bekommt". Pasko meint Videoaufnahmen, die er westlichen Medien zur Verfügung stellte. Darauf zu sehen sind Soldaten der russischen Flotte, die radioaktiven Müll von einem Tanker ins Japanische Meer kippen.

Pasko verbringt fast zwei Jahre in Untersuchungshaft. Während der ersten Monate ist er in einer Gemeinschaftszelle untergebracht - 15 Quadratmeter und sechs Kojen für 22, teilweise 34 Männer. Geschlafen wird abwechselnd. Gestank, Dreck und Hunger sind allgegenwärtig. Pasko hat zunächst keinen Kontakt zur Außenwelt. Um sich abzulenken, beginnt er mit seinen Aufzeichnungen, die er später zu dem Buch verarbeiten wird.

Die Anfangszeit seiner Gefangenschaft beschreibt Pasko detailliert, er ist fassungslos und verzweifelt. Nach einigen Wochen hört er plötzlich auf zu schreiben, beginnt erst wieder kurz vor seinem Prozess, an dessen Ende er zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt wird. Der Alltag in der Untersuchungshaft ist inzwischen zur Gewohnheit geworden: "Ich kann mehrere Stunden auf der Pritsche liegen und an die Zellendecke starren. Ich beobachte die Asseln und Kakerlaken über mir. Sie bewegen sich mit Verstand, befühlen vorsichtig die feuchten Pilzspuren und Risse. Haben sie es bis zu einer Wand geschafft, kriechen sie herunter, um auf dem Zellenboden ihren Angelegenheiten nachzugehen."

Schließlich verfrachtet man Pasko ins Arbeitslager, die "rote Zone". "Rot", weil dort Häftlinge die Funktion von Aufsehern übernehmen. Die Spitzel und die Kälte kämen ihm heute als Erstes in den Sinn, wenn er an die Zeit im Lager zurückdenke - "wahrscheinlich weil in meinem Inneren diese Öde herrschte". Nach sechs Monaten Arbeitslager wird er vorzeitig aus der Haft entlassen.

Aus Paskos Buch spricht nicht nur die Wut gegen die Staatsorgane. Auch für seine Mitgefangenen und das "russische Volk" empfindet er Verachtung, er spricht von seiner tiefen Abneigung gegen das "duckmäuserische, widerstandslose Schweigen der Lämmer" und der "Sklavennatur", die sich das "russische Volk" nicht "austreiben" lassen will. In der Masse wirken seine Ausführungen leicht überheblich. Auch die langen inneren Monologe Paskos lesen sich zäh, wodurch scharfe, witzige und satirische Passagen manchmal untergehen. Dem Buch, das ganz sicher einen einzigartigen Blick hinter russische Gefängnismauern ermöglicht, hätte eine gründliche Überarbeitung gut getan.

Die Autorin ist Journalistin und lebt in Hamburg.


Grigorio Pasko
Die rote Zone. Ein Gefängnistagebuch
Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit
Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 364 S., 24,90 Euro


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2007, S. 37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2007