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BUCHTIP/1061: Ein Leben voller Leid (ai journal)


amnesty journal 7-8/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ein Leben voller Leid
Kurz vor seinem angekündigten Tod hat Noel Martin, der nach einer Neonazi-Attacke in Brandenburg gelähmt ist, seine Autobiografie vorgelegt.

Von Maik Söhler


Noel Martin möchte nur noch sterben. Dafür hat er sich seinen 48. Geburtstag ausgesucht. Am 23. Juli will er sich von einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz eine Spritze geben lassen, die ihn nie wieder erwachen lässt. Martin ist britischer Staatsbürger jamaikanischer Herkunft, seine Hautfarbe ist schwarz. Das müsste man nicht erwähnen, wenn ihm die Hautfarbe bei einem Arbeitsaufenthalt in Deutschland nicht zum Verhängnis geworden wäre.

Am 16. Juni 1996 griffen Neonazis ihn und einige Freunde in Mahlow, Brandenburg, an. Im Auto versuchte er zu entkommen, kam von der Straße ab und sitzt seither vom Hals ab gelähmt im Rollstuhl. Die Angreifer wurden zu acht und fünf Jahren Haft verurteilt, sie sind längst wieder frei. Der Angegriffene aber braucht für alles, was er tun will, pflegerische Hilfe - lebenslänglich. Einige Jahre lang hat seine Frau Jacqui diesen Job übernommen, dann starb sie an Krebs. Wie viel Leid passt eigentlich in einen einzigen Menschen?

Sehr viel. Zu diesem Befund kommt die jüngst erschienene Autobiografie Martins, aufgezeichnet von Robin V. Herrnfeld. Sie trägt den Titel "Nenn es: mein Leben". Wenn es etwas gibt, das Martin sein Leben lang begleitet hat, dann ist es der Rassismus. Das Buch beginnt mit einer Jagdszene in Jamaika, wo er aufwächst - einer Jagd weißer Männer auf schwarze Kinder. Als ihn die in England lebende Mutter zu sich nach Birmingham holt, setzt sich die Jagd fort. Mal sind es weiße Mitschüler, die Martin verprügeln, mal britische Faschisten, mal ist es die Polizei, die ihn grundlos mit Verbrechen in Verbindung bringt.

Doch Martin resigniert nicht: "Die Ungerechtigkeiten in der Schule. Die systematischen Belästigungen durch die Polizei. Es war schwer, damit zurechtzukommen. Man konnte nur darüber lachen." Erst nach dem Angriff der Neonazis, dem Tod Jacquis und einer als entwürdigend empfundenen Behandlung durch Pfleger und Ärzte vergeht Martin das Lachen. Nun rückt der Tag näher, an dem er sterben will. Vielleicht muss er das Datum noch einmal verschieben. Sein Besitz soll in eine Stiftung eingehen, die Kinder in Afrika und Jamaika unterstützen wird, und es sind noch juristische Klippen zu überwinden. Nicht einmal der Tod macht es Noel Martin leicht.

Noel Martin
Nenn es: mein Leben.
Von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2007.
250 S., 19,90 Euro


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Quelle:
amnesty journal, Juli/August 2007, S. 46
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2007