Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BUCHTIP/1091: "Rotes Land, Gelber Fluss" - Maos junge Garden (ai journal)


amnesty journal 12/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Maos junge Garden
In seinem Jugendbuch "Rotes Land, Gelber Fluss" beschreibt Ange Zhang die verlorene Generation der chinesischen Kulturrevolution.

Von Franz M. Wagner


"Kinder an die Macht", lautete vor einigen Jahren ein populärer Songtitel von Herbert Grönemeyer. Wie diese naive Utopie vor gar nicht langer Zeit in der Volksrepublik China schreckliche Wirklichkeit geworden ist, schildert ein Jugendbuch des Autors und Illustrators Ange Zhang. Er hatte als Kind die zehn Jahre der "Großen Proletarischen Kulturrevolution" hautnah erlebt und versucht nun heutigen jungen Lesern zu vermitteln, wie sein Land 1966 ins Chaos stürzte und dabei sowohl materiell als auch geistig verwüstet wurde.

Zhang wuchs als Sohn eines hochdekorierten Künstlers und Parteimitglieds in den behüteten Verhältnissen der Nomenklatur auf, bis sein Vater von einem Tag auf den anderen in Ungnade fiel. Von da an gehörte er zum konterrevolutionären "Abschaum". Damals herrschte in China faktisch ein Bürgerkrieg. An vorderster Front standen dabei die "Roten Garden", halbe Kinder, die der Große Vorsitzende Mao zur Sicherung seiner Macht instrumentalisiert hatte. Abertausende verblendeter, schwarzhaariger Pippi Langstrumpfs säumten den Platz des Himmlischen Friedens und jubelten frenetisch ihrem Idol zu.

In bewegenden Bildern, die einen eindringlichen Kontrast zur unaufgeregt nüchternen Prosa des Autors bilden, bringt Zhang uns diese Zeit nahe, wobei die Gründe, wie es zu dieser Massenhysterie kommen konnte, auch heute nur ansatzweise nachzuvollziehen sind.

Dem jungen Protagonisten der Erzählung gelang es damals schließlich, sich durch besonderen revolutionären Eifer und sein malerisches Talent hervorzutun. Auf diese Weise gelang es ihm, Anschluss an eine der vielen marodierenden Jugendbanden zu finden. Seine Eltern hatte man inzwischen in Arbeitslager gesteckt. Eines Tages erkannte er jedoch den Wahnsinn, der sich um ihn herum abspielte, und fand Zuflucht bei den Schätzen des von Rotgardisten versiegelten Bücherschranks seines Vaters: ein "Giftschrank", prallgefüllt mit Übersetzungen westlicher Romanschriftsteller wie Victor Hugo und Charles Dickens.

Gegen Ende der Kulturrevolution wurde er zusammen mit Tausenden Gleichaltrigen aus den Städten aufs Land geschickt. Dort wurde ihm bewusst, was für ein rückständiges Leben der Großteil der Bevölkerung Chinas fristet. An kleinen Episoden wird dies deutlich, wenn der Intellektuellenzögling beispielsweise auf Unverständnis stößt, als er den Bauern zu erklären versucht, dass Fische auch ohne Löcher im Eis im Winter atmen können.

Ergänzt wird die Geschichte durch einen Epilog, der einen kurzen Abriss über die Geschichte der Kulturrevolution gibt. Dass Ange Zhang in seinen Bildern und Texten zuweilen auch nostalgische Töne durchschimmern lässt, sollte man ihm nicht anlasten, schließlich handelt es sich um seine Jugenderinnerungen.

Diesem Buch sind nicht nur viele Leser in Deutschland zu wünschen, sondern auch in dem Land, das Schauplatz der Geschichte ist. Dies wird aber auf unabsehbare Zeit nicht möglich sein. Erst im vergangenen Jahr verbot die chinesische Regierung den Medien jegliche Verweise auf den 40. Jahrestag des Beginns der Kulturrevolution; ebenso verfuhr sie dieses Jahr mit dem Gedenken an die "Anti-Rechts-Kampagne" von 1957. Ob sich China seitdem tatsächlich substantiell geändert hat, beantwortet der Autor indirekt - er lebt und arbeitet heute in Kanada.

ANGE ZHANG
"Rotes Land, Gelber Fluss"
Carl-Hanser-Verlag, 2007. 55 S.
14,90 Euro


*


Quelle:
amnesty journal, Dezember 2007, S. 36
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2008