Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BUCHTIP/1140: Wissen neu erleben - Vögel (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2008

Wissen neu erleben: Vögel

Von Joanna Burger. Übersetzung von Einhard Bezzel
304 S., 600 Farbfotos, zahlr. farbige Illustrationen
Hardcover, 24,3 x 23,7 cm. BLV Buchverlag, München, 2007
ISBN: 978-3-8354-0104-4. EUR 24,90


Wer dieses Buch aufschlägt, wird erst einmal von den vielen Fotos in den Bann gezogen, die durchgängig von ausgezeichneter Qualität und hoher Aussagekraft sind. Vieles habe zumindest ich in dieser Form noch nicht gesehen. Doch der Band hat in Form knapper, aber meistens sehr informativer Texte weit mehr zu bieten. Das muss er auch, denn schließlich soll der Leser ja "Wissen neu erleben". Ein hoher Anspruch angesichts etlicher guter (und noch weit mehr schlechter) Bücher, die es zur Biologie von Vögeln gibt. Nicht nur das annähernd quadratische Format, auch die sonstige Gestaltung ist ungewöhnlich und dadurch leider unübersichtlich. So findet man im Inhaltsverzeichnis nur die sechs Großkapitel "Die Welt der Vögel", "Lebensweise und Verhalten", "Vogelarten", "Verbreitung und Lebensraum", "Anpassungen fürs Überleben" und "Bedrohung durch den Menschen" sowie die Verweise auf "Daten, Fakten und Rekorde", ein Glossar und das Register. Wo würden Sie denn beginnen, nach den Informationen zu suchen, die Sie beispielsweise gerne zum Thema "Orientierung und Navigation während des Zuges" hätten? Nicht ganz einfach, zumal man "Orientierung", "Magnetkompass", "Sterne" oder ähnliches im Register vergeblich s ucht. Also beginnt das Blättern, denn jedes Großkapitels beginnt mit einem eigenen ausführlicheren Inhaltsverzeichnis. Eine "Anpassung fürs Überleben" ist die Fähigkeit zur Orientierung schon mal nicht. Also weitergeblättert! Wie sieht es denn bei dem Unterkapitel "Die Sinne der Vögel" aus? Hier lese ich zwar, dass Vögel "2-3mal so weit (!? Rez.) sehen wie Menschen", und, dass sich Salanganen mit Klicklauten und Echolot in Höhlen orientieren, finde aber auch nichts über die besonderen Orientierungssinne der Vögel (dass Salanganen Segler sind, muss der interessierte Leser übrigens entweder schon wissen oder mittels langwieriger Suche im Kapitel "Vogelarten" herausfinden). Und dieses Buch will "alle Aspekte rund um das Leben der gefiederten Flugkünstler" vorstellen? Dafür finde ich beim mühsamen Suchen im Text, aber nicht im Glossar, Begriffe wie "Muskelmitochondrien" und "Polymerase-Kettenreaktion". Das ist nicht sehr "populär".

An anderen Stellen finden sich, neben einigen Rechtschreib- und Grammatik-Fehlern leider auch sachlich falsche Angaben. So vergrößern Luftsäcke sicher nicht die Oberfläche der Lungen. Es erreicht auch nicht generell nur etwa die Hälfte aller Zugvögel ihr Ziel. Als Expertin für Seevögel sollte die Autorin das wissen (z. B. beim Langstreckenzieher Flussseeschwalbe beträgt die jährliche Adultmortalität nur etwa 10 %). Schließlich werde ich übrigens im Abschnitt "Zugrouten" doch noch hinsichtlich meiner Frage nach der Orientierung fündig. Aber was muss ich dort lesen? "Zugvögel folgen jedes Jahr derselben Route und nutzen bekannte Berge, Flüsse und Küstenlinien als Anhaltspunkte." Das gilt für einige wenige Artengruppen, lässt sich aber z. B. nicht für die Masse der nächtlichen Breitfrontzieher verallgemeinern! "Zu ihrer Orientierung richten sie sich nach akustischen, magnetischen und olfaktorischen Informationen, auch Sonne und Sterne spielen eine wichtige Rolle." Welch unkritische Aufzählung ohne jede Wertung für den Leser ohne Vorkenntnisse (der Leser mit Vorkenntnissen braucht dieses Buch nicht)! Wie sehen die akustischen Informationen aus? Wenig später lese ich noch "Tundragoldregenpfeifer und Hudsonschnepfe nutzen die jahreszeitlich vorherrschenden Winde". Völlig richtig, aber das gilt doch höchstwahrscheinlich für alle anderen Zugvogelarten auch! Aber warum steht dies dort nicht? Und wie ist Folgendes zu verstehen? "Streifenwaldsänger sind z. B. in der Lage, ihren Fettvorrat so zu regulieren, dass die Energieproduktion gesteigert wird." Weitere Sätze wie "Nerven leiten Sinnesreize zum Gehirn, von dem aus alle Komponenten des Verhaltens gesteuert werden" sind überflüssig und in dieser inhaltlichen Reduktion einfach falsch. Dass die Kapitel zu Vogelforschung, Vogelschutz und Vogelbeobachtung in den Abschnitt "Bedrohung durch den Menschen" eingereiht wurden, ist befremdlich, dass dort kein Wort über die massiven Auswirkungen der Klimaveränderung auf Vögel zu lesen ist, vielleicht mit der Herkunft der Autorin (USA) zu erklären. Mich beschleicht zunehmend der Gedanke "Mensch, das kann doch dem Bezzel unmöglich alles ,durchgerutscht' sein!" Hier kann wohl nur ein übereifriges Lektorat (oder das Marketing?) den Text ,verschlimmbessert' haben. So wurde vermutlich aus einem populären Text an vielen Stellen ein knapper, aber falscher Text.

Nein, in diesem Buch wird leider nicht "fundiertes Wissen populär vermittelt und einzigartig aufbereitet", wie auf der Rückseite des Einbandes zu lesen ist, sondern es wurden viele Fakten ziemlich unübersichtlich zwischen zweifellos sehr schöne Fotos gestreut. Dass man an etlichen Stellen auf Ungenaues, Unverständliches oder gar Falsches stößt, nimmt einem die Freude am Blättern und Lesen. Das ist schade, ich würde gerne mal wieder ein aktuelles Ornithologiebuch mit gutem Gewissen auch Laien empfehlen können.

Ommo Hüppop


*


Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2008
55. Jahrgang, Oktober 2008, S. 404
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,60 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 47,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2008