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BUCHTIP/1143: Warum der Mensch spricht - Naturgeschichte der Sprache (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2008

Nicht auf den Mund gefallen

Von Christina Beck


Ruth Berger:
WARUM DER MENSCH SPRICHT - Eine Naturgeschichte der Sprache
304 Seiten, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2008, 19,95 Euro

Wir Menschen sind die einzige Spezies auf der Erde, die eine so komplexe Form von Sprache entwickelt hat. Sicher, auch Tiere kommunizieren miteinander, aber sie schreiben eben keine Gedichte oder Romane, haben keinen Shakespeare oder Goethe hervorgebracht. Wann, wie und warum wir begonnen haben, miteinander zu sprechen und warum nur wir Menschen einen so vielseitigen Kommunikationscode entwickelt haben, sind Schlüsselfragen, wenn es um die Evolution von Sprache geht.

Um die Ursprünge der menschlichen Sprachfähigkeit aufzuspüren, hat Ruth Berger Informationen aus den unterschiedlichsten Disziplinen zusammengetragen - aus der Archäologie, Paläoanthropologie, Biologie, Neurologie und den Sprachwissenschaften. Die Autorin beschreibt unterschiedliche Positionen zur Evolution von Sprache und liefert damit eine äußerst differenzierte Darstellung in Sachen Sprachentstehung.

Alles beginnt mit einer rätselhaften erblichen Sprachstörung, welche die Forscher auf die Spur des FOXP2-Gens führt. Handelt es sich dabei möglicherweise um das Sprachgen? Genetische Untersuchungen belegen zwar, dass sich die menschliche Variante von FOXP2 von jener unserer nächsten Verwandten, den Schimpansen und Gorillas, durch eine winzige Mutation unterscheidet. Doch FOXP2 ist, wie neuere Berechnungen zeigen, gut 1,8 Millionen Jahre alt und spielt auch bei der Lautäußerung von Vögeln eine maßgebliche Rolle - ohne dass diese jemals sprechen gelernt hätten (von einigen Papageien einmal abgesehen).

Möglicherweise begleitet die Sprachentstehung die Menschheit also schon seit Beginn ihrer Entwicklung. Akribisch sammelt die Autorin weitere Indizien. Welche Voraussetzungen braucht Sprache? Ein Exkurs in die Lautlehre offenbart, dass Sprache einer bestimmten Anatomie bedarf. Eine interessante Spur scheint die Größe des Kanals zu sein, durch den die Nerven für die Atemkontrolle in den Brustkorb laufen: Der ist nämlich bei Menschen deutlich größer als bei Affen. Letztere verfügen über keine Atemkontrolle, was ihre Möglichkeiten bei der Lautbildung erheblich einschränkt.

Und was nicht gesagt werden kann, das muss auch nicht gehört werden: Für Frequenzen zwischen 2000 und 4000 Hertz sind Affen sozusagen schwerhörig. Das Gehör der Frühmenschen war dagegen bereits auf diesen Bereich abgestimmt und damit in der Lage, die für die menschliche Sprache typischen Konsonanten wahrzunehmen. Die menschliche Anatomie, so das Ergebnis der Untersuchungen an fossilen Knochen, scheint also schon seit gut 600.000 Jahren auf Sprache eingestellt.

Auch die handwerklichen Fertigkeiten der Frühmenschen deuten auf eine frühe Sprachentstehung hin. Denn das für die Sprache wichtige Brocaareal im Gehirn verarbeitet auch koordinierte Handbewegungen. Würde man von der Komplexität der Werkzeuge auf die Sprache schließen, müsste deren Entstehung auf den Homo heidelbergensis zurückdatiert werden, der schon vor gut 400.000 Jahren feinmotorisch so geschickt war wie wir.

Fazit: Die Sprache fiel uns nicht einfach so in den Schoß, sie hat den Prozess der Menschwerdung von den Wurzeln an begleitet. Ein Instinkt war dabei durchaus im Spiel: die Kontaktsucht der Menschen. So steuert der vordere Gyrus cinguli im Gehirn neben der Sprechmotivation auch die zwischenmenschliche Bindung, insbesondere die zwischen Mutter und Kind. Diese Erkenntnis verleiht der schon älteren, aber lange nicht ernst genommenen These, Sprache sei aus dem spielerischen Gebrabbel zwischen Müttern und Babys entstanden, neues Gewicht: Die ursprüngliche Funktion der Sprache ist die eines Bindungssignals - und das ist sie bei Erwachsenen noch immer.

Darüber hinaus wird Sprache im Verlauf der Evolution immer komplexer und damit offenbar zu einem Fitnesssignal: Wer eine gehobene Sprache beherrscht, signalisiert damit Intelligenz. Das Buch hingegen kommt überhaupt nicht abgehoben daher - trotz der Vielzahl wissenschaftlicher Details. Der Autorin gelingt es, komplizierte Zusammenhänge anschaulich und mit Sprachwitz zu beschreiben. Und sie liefert einen eindrucksvollen Beleg dafür, dass ein tieferes Verständnis von Sprache nur aus einem interdisziplinären Ansatz entstehen kann.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2008, S. 79
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2008