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SF-JOURNAL/021: Autorinnen... Marion Zimmer Bradley - von allem etwas (SB)


Marion Zimmer Bradley, (1930)


Eine amerikanische Hausfrau - rundes Gesicht, kurze, dunkelblonde Haare, blaßblaue Augen, Brille, brave Bluse. Sie sitzt an einem Textcomputer und betrachtet ein wenig kurzsichtig das Display mit ihrem neuesten Werk. Marion Zimmer Bradley. [...]

Die einen nennen sie "First Lady of Fantasy", die anderen verachten sie als Fließbandproduzentin seichter Trivialromane. Den Literaten ist sie nicht literarisch, den radikalen Feministinnen nicht feministisch genug. Für [...] Science Fiction-Fans schreibt sie zuviel Phantastisches, für fanatische Fantasy-Freaks zuviel Futuristisches.

Und sie haben alle ein bißchen recht. Sie ist eine Vielschreiberin; sie ist keine Literatin im überkommenen Sinn und keine überzeugte Feministin; sie ist von allem etwas und nichts eindeutig.

Zeit ihres Lebens hat sie sich nicht einordnen und auch nicht irritieren lassen. Sie ist ihren Weg gegangen, der keine schnurgerade Straße ist ...
(aus einem Essay von V.C. Harksen: "Marions Geheimnis", in Marion Zimmer Bradley: Luchsmond, Erzählungen, Frankfurt 1987, S. 329f)


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Persönliche Daten

Marion Zimmer Bradley wurde am 3. Juni 1930 als Marion Eleanor Zimmer in Albany, US-Bundesstaat New York, geboren. Ihre Mutter war Historikerin, ihr Vater gelernter Zimmermann und Farmer. Sie hat zwei jüngere Brüder, Paul und Don. Ihr Elternhaus war ärmlich und die Eltern hatten Probleme: Der Vater Alkoholiker, die Mutter litt darunter und konnte sich nicht durchsetzen.

Marion Zimmer Bradley beschreibt sich selbst als einsames Kind. Als junges Mädchen hatte sie kaum Freundinnen. Das bereitete ihr gerade an einer amerikanischen Schule, an der man sich möglichst allgemeiner Beliebtheit erfreuen muß, um anerkannt zu werden, große Schwierigkeiten. Hierzu erzählt sie ein entscheidendes Erlebnis, das ihre Einstellung und ihr angepaßtes Verhalten änderte: Mit 16 Jahren nahm sie an einem Ferienlager teil. Dem Leiter war aufgefallen, daß sie sich mit Gleichaltrigen schwertat. Er schenkte ihr, als sie nach Hause zurückfuhr, den Leitfaden "Wie man Freunde gewinnt und Menschen für sich einnimmt". Sie sagt dazu, daß man diese Broschüre auch "Die Kunst, Leute zu verarschen, damit sie dich für etwas halten, das du gar nicht bist" hätte nennen können. Entschlossen, sich zu verändern, kaufte sie sich an der nächsten Zughaltestelle eine Ausgabe des SF- Magazins "Startling Stories". Bisher hatten ihre Eltern ihr nicht erlaubt, SF-Magazine zu lesen, die in den 30er und 40er Jahren als schlechte Lektüre galten. Die Leserbriefe faszinierten sie am meisten, denn sie waren ein Hinweis darauf, daß sie mit ihrer Vorliebe für abenteuerliche Phantastik nicht allein dastand. Kurz darauf schrieb sie selbst Leserbriefe an Magazine, gab ein Fanzine heraus und verfaßte Kurzgeschichten.

Sie verwarf ihren Plan, Lehrerin zu werden, brach das College ab, jobbte und flüchtete mit 19 Jahren in eine Ehe mit dem 30 Jahre älteren Eisenbahnangestellten Robert A. Bradley, mit dem sie nach Texas zog. Sie sah in ihm einen zuverlässigen Mann, dem sie große Hochachtung entgegenbrachte. In dieser Zeit in Texas intensivierte sie ihr Hobby, mit SF-Fans in Verbindung zu treten und auch zu schreiben, denn ihre Situation ließ sie fast verzweifeln: Das Land war ziemlich ausgetrocknet und karg, sie kam mit den anderen Eisenbahnerfrauen nicht zurecht. Man kann sagen, ihr schriftstellerischer Weg ist klassisch, das Fandom wird, wie bei so vielen aus dem Genre, zum Sprungbrett ihrer Karriere.

1950 wurde ihr erster Sohn David geboren.

1952 erschien in "Vortex" ihre erste Story "Keyhole". Robert A. Bradley nahm die SF-Begeisterung seiner jungen Frau zunächst nicht ernst, obwohl er ihre Interessen teilte und sich ebenfalls mit Science Fiction und verwandten Gebieten wie UFOs und Astrologie beschäftigte. Erst als sie ernsthaft versuchte, zu schreiben und professioneller zu werden und der Briefkasten von Ablehnungsbescheiden überquoll, wurde er zum ersten Mal ungehalten, was sich verstärkte, als es seiner Frau gelang, einige Erzählungen an SF-Magazine zu verkaufen und als Marion "Astra" Zimmer Kritiken zu schreiben. Die beiden lebten sich nach und nach auseinander.

Ihre neue Beschäftigung verlangte mit zunehmendem Bekanntheitsgrad einen veränderten Lebensrhythmus. Bis Ende 1960 veröffentlichte sie 21 Texte und Marion Zimmer Bradleys Name bekam allmählich einen guten Klang. Vielfach schrieb sie auch unter Pseudonymen: Lee Chapman, John Dexter, Miriam Gardner, Valerie Graves, Morgan Ives und John J. Wells. Zu diesem Zeitpunkt häuften sich die Schwierigkeiten mit ihrem Mann, und er riet ihr, aufs College zurückzugehen, einen Abschluß zu machen und ein Studium aufzunehmen. Nach drei Studienjahren scheiterte ihre Ehe.

1964 machte sie ihren Bachelor of Arts an der texanischen Hardin- Simmons-Universität und ließ sich, auch 1964, scheiden. Kurze Zeit später heiratete sie den Numismatiker und Musiker Walter Breen. Noch im gleichen Jahr wurde ihr zweiter Sohn, Patrick Russell Breen, geboren, 1966 Tochter Dorothy.

Die Familie zog nach Berkeley, Kalifornien, wo sie jetzt noch lebt. Dort hat Marion Zimmer Bradley einen Kreis von Verwandten und Freunden um sich versammelt, die ihre Interessen teilen und mit ihr zusammenarbeiten. Zum Beispiel schrieb ihr Bruder Paul Edwin Zimmer inkognito an ihren Romanen mit (u.a. The Spell Sword, '74). Ihr Bruder Don Zimmer hat unter dem Pseudonym Jon DeCles einige SF- Kurzgeschichten verfaßt, und auch die Ehefrauen ihrer Brüder betätigen sich beruflich im Umfeld von Literatur: Tracy Blackstone, Paul Edwin Zimmers Frau, leitet eine literarische Agentur, die Buchrechte an Verlage vermittelt; Diana L. Paxson, Don Zimmers Frau, arbeitet hauptberuflich als Sozialarbeiterin einer Organisation, die sich für Navajo-Kinder engagiert, und "nebenberuflich" hat sie sich in SF-Magazinen und Anthologien durch Erzählungen, aber auch durch Fantasy-Romane einen Namen gemacht. David Bradley, der älteste Sohn von Marion Zimmer Bradley, ist inzwischen als Herausgeber eines halbprofessionellen Fantasy-Magazins bekannt geworden, und Walter Breen, ihr Ehemann, ist Verfasser eines kommentierenden Sachbuchs über ihr berühmtestes Werk, die Darkover-Serie.

Marion Zimmer Bradleys Einfluß auf das Genre und ihre Beliebtheit sind stetig weit über die Grenzen des anglo-amerikanischen Raums hinaus angewachsen. Nach langer, harter Arbeit an der Verbesserung ihrer eigenen Fähigkeiten ist sie zur Autorität auf dem Gebiet der Förderung zahlloser Nachwuchsautorinnen und -autoren geworden. Als Herausgeberin von Anthologien neuer Talente hat sie sich weltweit einen zweiten Namen gemacht.


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Werke

Kaum ein Schriftsteller spricht so ehrlich über die Arbeit, die das Handwerk Schreiben macht, bis sich das Niveau über Anfängerschwierigkeiten gehoben hat, wie Marion Zimmer Bradley. Sie gehört zu den wenigen Autorinnen, die sich frühzeitig - trotz aller Kritik auch an ihren handwerklichen Fähigkeiten - in dem von Autoren geprägten Genre hochgearbeitet und durchgesetzt haben. Von der jungen Science Fiction- und Action-Fantasy-Autorin bis zur Verfasserin des berühmten Fantasy-Romans "Die Nebel von Avalon" hat sie eine atemberaubende Entwicklung durchgemacht.

Themen wie die Analyse des Geschlechterverhältnisses einschließlich Hetero-, Homo- und Bisexualität, künstliche Kinderzeugung, Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens und Betonung der Sinneswahrnehmungen bis hin zur Entwicklung von Psi-Kräften wurden von ihr aufgegriffen und ab den 70er Jahren Bestandteil der Science Fiction-Literatur.

Schon in den 60er Jahren begann Marion Zimmer Bradley nach dem Versuch, die klassische Version von Science Fiction nachzuahmen, mit Romanen, in denen Frauen die Hauptrollen spielen. In ihrem erst Anfang der 70er Jahre richtig berühmt gewordenen Darkover-Zyklus entwickelte sie einen ausgeprägten Frauenstandpunkt. Heute versteht sie sich als Fördererin von Autorinnen, um das Genre in ihrem Sinne weiter zu verändern und zu bereichern. Ihre Motivation beschreibt sie in der Einleitung zu einer dieser Geschichtensammlungen:

Wie viele Frauen, die Science Fiction und Fantasy lasen, zu einer Zeit, als die Leserschaft sich noch zu 98% aus Männern zusammensetzte, stürzte ich mich auf diese Literatur, weil die "Frauenliteratur" mich unendlich langweilte - und es noch immer tut. [...] Ich glaube, daß Frauen mehr beanspruchen können als hausbackene oder romantische Romane, die sich auf ihre Rollen als Hausfrauen, Verbraucherinnen und Liebesobjekte konzentrieren, selbst wenn diese Bücher "schmackhafter" zubereitet und mit ein paar futuristischen Zutaten gewürzt sind."
(S. 8)

und zur Hardtech Science Fiction:

[...], ein Genre, das dazu tendiert, die Qualitäten von Figuren und Geschichten zu mißachten und stattdessen das Hohelied der Maschinen und der Vormachtstellung der Technologie zu singen. Ich halte an der Überzeugung fest, daß gute Geschichten sich nicht um Raumschiffe oder technokratische Strukturen oder darauf basierende Gesellschaften drehen, sondern um Menschen und Gefühle."
(S. 121, Marion Zimmer-Bradley in "Wolfsschwester", Magische Geschichten II, Fischer Bibliothek, Frankfurt 1986)

Sie verfaßt außer Kurzgeschichten Unterhaltungsromane, Liebesromane, historische Romane, Science Fiction-, Fantasy- und phantastische- historisierende Romane und sogar Horror. Sie sagt selbst, daß sie zunächst schrieb, um Probleme zu bewältigen, sie sich sozusagen von der Seele zu schreiben. Später wollte sie sich selbst beweisen, daß sie schreiben konnte; außerdem spielte auch das Geldverdienen eine Rolle.

Während der Schulzeit galt ihre Vorliebe dem amerikanischen Schriftsteller Robert W. Cambers, der historische Romane und übernatürlich-phantastische Kurzgeschichten geschrieben hatte. Später kamen Leigh Brackett und Jack Vance, Catherine L. Moore und Henry Kuttner hinzu, aber auch ältere Schriftsteller wie Abraham Merritt und Henry Rider Haggard. Danach begeisterte sie sich eine Zeitlang für Tolkien, Anklänge davon finden sich in den "Nebeln von Avalon". All diese Schriftsteller haben ihre inhaltliche und stilistische Entwicklung beeinflußt.

Kritiker bemerken, daß ihre ersten Werke alle Schwächen des Anfängers aufweisen: mehr Handlung als Gedachtes, mehr Erklärung als Beschreibung und oberflächliche Charaktere. Auch stilistische Schwächen werden ihr nachgesagt, zum Beispiel zu viele Wort- oder Satzwiederholungen, gelegentlich unvollständige Sätze, hölzerne Dialoge, farblose, ermüdende Beschreibungen.

Der Durchbruch zur Bestsellerautorin gelang ihr erst relativ spät mit "The Mists of Avalon" (1983).

Ihr Haupt- und Meisterwerk allerdings ist der Darkover-Zyklus, in dem sich Science Fiction- und Fantasy-Elemente vereinen. Schon als Schülerin hatte sich Marion eine Phantasiewelt ausgedacht, die später die Grundlage ihrer "Darkover-Romane" wurde. Im Mittelpunkt steht eine Kultur, die sich aus gestrandeten irdischen Raumfahrern entwickelt, die Jahrhunderte lang von der Mutterwelt abgeschnitten sind. Als sie von den Menschen wiederentdeckt werden, findet man einerseits mittelalterliche Verhältnisse vor und andererseits die Herausbildung hochentwickelter PSI-Kräfte - eine Welt im Widerstreit zwischen Tradition und technischem Fortschritt.

Es gibt inzwischen einen weltweiten "Darkover Fankreis", aus dessen Mitte immer wieder Darkover-Kurzgeschichten verfaßt und veröffentlicht werden.

Die Fangemeinde von Marion Zimmer Bradley zählt nach Hunderttausenden. Sie soll zu 70 Prozent weiblich sein. Es gibt weltweit Clubs.


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Leseprobe

Der nun folgende Textauszug soll einen Eindruck vom Frauenstandpunkt vermitteln, den Marion Zimmer Bradley einnimmt. In "Die Matriarchen von Isis" (1978) schildert sie die beiden gegensätzlichen Kulturen des Patriarchats und des Matriarchats. Ihre Schlußfolgerung aus den in Romanform herausgearbeiteten jeweiligen Mängeln ist eine Synthese aus beiden Kulturen - was viel über ihr bekanntes Harmoniebestreben aussagt.

Zum Inhalt: Auf dem Planeten Isis herrscht seit Jahrhunderten das Matriarchat. Cendri, eine Anthropologin von der Erde, reist dorthin, um wissenschaftliche Forschungen an den rätselhaften Ruinen von "Wir- wurden-Geleit" zu betreiben. Ihr Ehemann Dal ist ihre Begleitung...

Cendri fragte sich, ob das schließlich doch der grundlegende Unterschied zwischen Männer- und Frauengesellschaften war: Daß in von Männern gegründeten Gesellschaften die Vorstellung eines höheren Wesens identisch war mit Macht, während es in einer Frauengesellschaft Liebe war [...]"

Die "Fremden" aus den Ruinen (körperlose Wesen aus dem All) erklären schließlich:

Jetzt wissen wir, daß die Männer nicht das sind, wofür sie (die Frauen, Anm. d. Red.) sie gehalten haben: gefährliche, schwache Wesen [...]. Jetzt wissen wir, daß Männer und Frauen sich sehr ähnlich sind."

Cendri fühlt Dals Gedanken:

[...], daß der Bund und die Wissenschaftler von Universitas Frauen und Männer als gleichwertig ansah, als Partner, als nicht zu trennende Hälften eines einzigen vollständigen Ganzen, der Menschheit.
(aus Marion Zimmer Bradley: Die Matriarchen von Isis, 1978 by Marion Zimmer Bradley, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Annette von Charpentier, 1986 Bastei-Verlag, Bergisch Gladbach, S. 302f)


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Literatur

* H.J. Alpers: Science Fiction Almanach 1981, Moewig Verlag, München 1980, Ronald M. Hahn: "Die Welt der roten Sonne - der private Kosmos der Marion Zimmer Bradley"

* Marion Zimmer Bradley: Luchsmond, Erzählungen, Frankfurt 1987, "Marions Geheimnis", ein Essay von V.C. Harksen

* Marion Zimmer Bradley: Hasturs Erbe, 1975 by Marion Zimmer Bradley, 1981 Moewig Verlag, München, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Annette von Charpentier

* Marion Zimmer Bradley: Die Matriarchen von Isis, 1978 by Marion Zimmer Bradley, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Annette von Charpentier, 1986 Bastei-Verlag, Bergisch Gladbach


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Autoren
- Persönliche Daten
- neue Akzente für die Science Fiction-Literatur
- Zur Schreibtechnik
- Stellungnahmen zur Science Fiction
in Interviews und Romanen
- Werke mit Auszeichnungen und Verfilmungen
- Leseproben

Erstveröffentlichung 1997

8. Januar 2007