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ENGLISCH/013: Relikte früher Invasoren - Namen und Bezeichnungen (SB)


DIE GESCHICHTE BRITISCHER NAMEN


Relikte früher Invasoren



Die Ethymologie von Worten und Begriffen erzählt immer auch einen Teil der Geschichte, der mit der Sprachentwicklung einhergegangen ist, ganz gleich in welchem Volk er seinen Ursprung nahm. Während jedoch die Umgangssprache kontinuierlicher Erneuerung und ständigem Wechsel unterliegt, so daß die Relikte einer früheren Kultur nur noch mit Mühe und einem ethymologischen Lexikon aufzufinden sind, hat sich in den alten geographischen Bezeichnungen sowie Städte- und Ortsnamen die aufregende Geschichte von Kriegen, Eroberungen, Invasoren und alten Völkern über Jahrtausende erhalten.


Stratford-on-Avon


Wer jemals von der Geburtsstadt des berühmten englischen Schauspielers, Regisseurs und Stückeschreibers William Shakespeare hört, der wundert sich ob des seltsam anmutenden Namens dieser reizenden mittelalterlichen Stadt. Sie bietet mit ihren verwinkelten Straßen und Gassen, den historischen Gebäuden, windschiefen Erkern, romantischen alten Häusern und dem beschaulich durch die Mitte der Stadt fließenden Fluß Avon, selbst die beste historische Kulisse für viele von Shakespeares Stücken. Und nahe des Flusses liegt auch das "Royal Shakespeare Theatre", in dem regelmäßig Shakespeare gespielt wird.

Warum Stratford-on-Avon? Woher kommt dieser seltsame Name? Beginnen wir zunächst bei Avon, dem Namen des Flusses. Dieses Wort stammt ursprünglich von den Kelten ab, die vor mehr als 2.000 Jahren auf der britischen Insel lebten. In ihrer Sprache bedeutete es einfach nur "Wasser", und das war es ja auch.

Das Wort Stratford muß man dagegen in "Strat" und "-ford" trennen. "Strat" kommt von dem lateinischen Wort für Straße. In unserem deutschen Wort "Straße" ist dieser alte Stamm ebenso enthalten, wie in dem wissenschaftlichen Ausdruck "Stratum" für Schicht oder Lage und dem italienischen "la strada". Auch das englische "Street" stammt letztendlich hiervon ab.

Das kleine Anhängsel "-ford" läßt sich auf ein angelsächsisches Wort zurückführen. Es bedeutet: "Ort, an dem ein Fluß überquert werden kann". Ein wenig erinnert es auch an das deutsche "Furt". Die englische Sprache hat den angelsächsischen Ausdruck "ford" in seiner Bedeutung vollständig übernommen.

Stratford-on-Avon heißt also nichts anderes als "der Ort, in der Nähe einer alten römischen Straße, an dem man das Wasser (den Fluß Avon) überqueren kann". Die Geschichte der Kelten und ihrer Unterdrückung durch Römer oder Angelsachsen, die zu verschiedenen Zeiten die britische Insel besetzten, wird an dem Sprachkonglomerat in diesem mittelalterlichen Namen festgehalten. Fast überall in England trifft man auf ein Nebeneinander von alten keltischen, römischen und angelsächsischen Ausdrücken, die von diesen drei alten Völkern abstammen, die zu ihrer Zeit jedoch nicht so friedlich miteinander auskamen.


Römer und Kelten


Die ersten Eindringlinge auf der friedlichen Insel waren die Kelten, die ungefähr 500 vor Christus vom europäischen Kontinent einwanderten. Sie nannten ihre neue Wahlheimat "Albion", ein keltisches Wort für "Weiß", wegen der strahlendweißen Klippen an der britischen Küste. Man findet es beispielsweise auch in abgewandelter Form in dem geographischen Begriff "Alpen". Der Name "Albion" hat sich jedoch, wie man weiß, nicht gehalten.

Außer im Flußnamen Avon stößt man immer noch überall auf andere keltische Relikte in geographischen Bezeichnungen und Namen. London, wer hätte das gedacht, ist ein echt keltisches Wort wie auch der "River Thames", die Themse.

Die Kelten hatten sich schon über die ganze Insel verbreitet, als die nächsten Invasoren erschienen. Im Jahre 55 vor Christus überquerte der glorreiche Feldherr Julius Cäsar mit seiner römischen Armee von Gallien aus den Kanal. Im Südosten von England, wo sie landeten, lebten Kelten, die sich "Britanni" nannten. Cäsar gab der Insel deshalb den Namen Britannia, von dem das englische "Britain" oder auch das deutsche "Großbritannien" abstammen. Cäsar besuchte die Insel zwar, eroberte sie jedoch noch nicht. Ehe sich die Römer häuslich niederließen, mußten noch weitere hundert Jahre vorüberziehen, in denen die Kelten beinahe ungestört die Insel beherrschten. Die Römer brachten ihre Kultur in Form lateinischer Sprache, römischer Straßen, Aquädukte und Städte. Diese ehemaligen römischen Siedlungen besitzen oft noch heute ein Relikt des lateinischen "Castra" (englisch "camp") in den verschiedensten, oft kaum mehr erkennbaren Abwandlungen wie in "Colchester", "Doncaster", "Chester" und "Worcester".


Die Angelsachsen


Im Jahre 410 verließen die Römer die Insel. Doch kurz darauf erschienen schon die nächsten Invasoren am Horizont. Dieses Mal waren es die Angeln (englisch Angels) und die Sachsen (englisch Saxons) aus Nord-Germanien und die Jüten (englisch Jutes) aus Süd-Dänemark. Von den Angeln erhielt England seinen Namen. "Englaland" - Land der Angeln bzw. "Land of the Angles" tauften sie es. Die Sachsen ließen ihre Spuren in geographischen Namen wie Essex von "the East Saxons" (die Ostsachsen) oder Sussex von "the South Saxons" (die Südsachsen) zurück. Die noch verbliebenen Kelten wurden von den Angelsachsen sehr angefeindet und ausschließlich in den Westen Englands, heute Wales und Cornwall, vertrieben.

Die Sprache, die heutzutage immer noch in Wales gesprochen wird, stammt vom alten Keltischen ab. Auch die cornische Mundart steht, was den melodischen Klang und viele übernommene Worte betrifft, dem Keltischen noch sehr nahe. Wieder andere keltische Stämme wanderten in den Norden, das heutige Schottland, aus oder überquerten den Kanal und ließen sich in "Brittany", der Bretagne, im Norden Frankreichs nieder.

Der Name Wales zeugt ebenfalls von dieser Vertreibungsgeschichte. Sein angelsächsisches Ursprungswort "wealas" bedeutet "Feind" oder "Fremder" und wurde von den Angelsachsen ausschließlich für ihre Widersacher, die Kelten, verwendet. In ihrer eigenen Sprache nennen die Waliser ihr Land Cymru, manchmal auch Gymru (je nachdem, welche Laute in dem vorangegangenen Wort verwendet wurden). Cymru/Gymru bedeutet auf walisisch "Die Bruderschaft".

So wurde Britannien, oder zumindest England, durch Vertreibung der Kelten ein angelsächsisches Land. Tatsächlich sind die meisten Städtenamen angelsächsischen Ursprungs. Man findet beispielsweise das angelsächsische "-tun" (eine kleine Siedlung) in vielen Kleinstädten und Dörfern wieder, die davon zeugen, daß diese ehemals angelsächsischen Bauernhöfen, Gütern oder Dörfern entwachsen sind. Aus diesem "-tun" wurde nachher das moderne Wort "town" (kleine Stadt) Beispiele hierfür sind: Hilton ("settlement on the hill"); Newton ("new town"); Sutton ("south town"); Eaton oder Eton ("east town"); Ham(p)ton ("home town") und schließlich Shepton ("sheep town").


Wikinger und Normannen


Mit den Angelsachsen und der Vertreibung der Kelten war die Geschichte jedoch noch lange nicht zuende. Im 9. Jahrhundert wurde die Insel von den Wikingern, die von Norwegen und Dänemark über die Nordsee kamen, regelrecht erstürmt. Sie ließen den Angelsachsen zwar ihre Heimat, brachten jedoch viele eigene Namen und Bezeichnungen mit in die angelsächsische Sprache. Im Nordosten Englands, wie beispielsweise in Yorkshire, wo sie sich hauptsächlich ansiedelten, zeugen viele Orte mit dem Anhängsel "-by" davon, daß es sich um ehemalige Wikingersiedlungen handelt. Ein Landstrich in Yorkshire, der sich durch besondere Naturschönheit, zahlreiche Hügel und Flüsse auszeichnet, "Dales", stammt von dem alten Wikingerwort für "Tal". Eine gewisse Verwandschaft zum deutschen Tal läßt sich nicht von der Hand weisen. Mit dem englischen "valley" hat es jedoch recht wenig zu tun.

Im Jahre 1066 kamen schließlich vorerst die letzten Invasoren nach Britannien, die alten Normannen. William der Normanne, überquerte den Kanal von Frankreich aus, eroberte die Insel und machte sich zum König von England. Er und die Normannen veränderten das englische Leben grundlegend. Sie führten die französische Sprache für den Adel ein, was über zwei Jahrhunderte beibehalten wurde. Ganz allmählich nur konnte sich die englische Sprache wieder offiziell durchsetzen, allerdings ein Englisch mit vielen französischen Worten und Begriffen.

Das Französisch, was zu jener Zeit in England gesprochen wurde, war vom Angelsächsischen durchsetzt, so daß man es als anglonormannisch bzw. Anglo-Norman language bezeichnete. Zeugen dieses seltsamen Sprachverbunds sind Ortsbezeichnungen, die "castle", "lake", "river", "mountain" oder "village" enthalten (beispielsweise Newcastle).

Manchmal fügten die Normannen einem schon eingebürgerten Städtenamen noch einen weiteren kleinen Zusatz an. Die angelsächsische Siedlung (-tun) Middleton ("middle town") in der Nähe von Oxford (ebenfalls angelsächsisch für "Ochsenfurt") wurde nach normannischer Herrschaft "Middleton Cheney" genannt. Das Anhängsel stammt von dem französischen Wort "chêne" - Eiche.

Da die Normannen vornehmlich den britischen Adel ausmachten, erklären sich auch einige weitere Besonderheiten in der englischen Sprache heute. So gibt es verschiedene Ausdrücke für das Vieh und das, was später meist auf den Tafeln der Adligen verzehrt wurde. Während man im Deutschen von Rindern und Rindfleisch, Schweinen und Schweinefleisch spricht, sagt man im Englischen "cows" oder "cattle" für das Rindvieh auf der Weide, aber "beef" für das Rindfleisch, das man beim Schlachter kauft. "Cow" (Kuh), "calves" (Kälber), "pig" (Schwein) und "sheep" (Schafe) sind allesamt anglosächsischen Ursprungs. Die armen Angelsachsen waren zum größten Teil Bauern und zogen das Vieh heran. Die reichen normannischen Adligen, die es sich leisten konnten, Fleisch zu essen, gaben ihm die Bezeichnungen "beef" (Rindfleisch), "pork" (Schweinefleisch) und "mutton" (Hammelfleisch).

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht verschiedener Städtenamen nach Ursprung und Bedeutung sortiert:


Keltisch

caer - Festung (fortress), Caerphilly (Wales), Caernarvonshire
avon - Wasser (water), Avon
llan - Kirche (church), Llangollen (Wales)


Römisch

castra - Siedlung (settlement), Lancaster, Manchester, Worcester Gloucester, Leicester


Angelsächsisch

burgh/bury - Burg (fortress), Edinburgh, Shrewsbury, Bloomsbury Canterbury
ford - Furt (ford), Herefordshire, Hertfordshire, Bedford
ham - Heim (settlement), Birmingham, Nottingham, Durham
wick/wich - Marktstadt (market town), Chiswick, Harwich, Greenwich


Wikingisch

thorpe - Dorf (small village), Scunthorpe


Normannisch

castle - Schloß (castle), Newcastle


*


Am Beispiel Stratford-on-Avon konnte man sehen, wie sich verschiedene Ursprünge und Kulturen unbehelligt vermengen und einen außergewöhnlich interessanten Städtenamen ergeben können, der eine Geschichte zu erzählen weiß. Hinter jedem Namen, auch wenn er noch so kurz ist, verbirgt sich eine ganz eigene Geschichte. Und je mehr die Menschen eines Landes oder eines Landstrichs alte Märchen, Legenden und Erzählungen lieben und pflegen, umso länger und geschichtenreicher werden auch die Namen und geographischen Bezeichnungen. Die Volksgruppen auf der britischen Insel, die die Kelten zu ihren Urvätern zählen und mit Stolz eine eigene Sprache und Tradition aufrecht erhalten, gelten als besonders findige Geschichtenerzähler. Wen wundert's noch, daß gerade in Wales auch der längste Städtename der Insel zu finden ist, den ich nun beileibe nicht in der Tabelle unterbringen konnte und der in seiner direkten Übersetzung ins Englische lautet:

"St. Mary's church in a hollow by the white hazel, close to the rapid whirlpool, by the red cave of St. Tysilio".

und auf deutsch:

"St. Marienkirche in einer Senke beim weißen Haselnußstrauch, nahe dem schnellen Strudel an der roten Höhle des St. Tysilio."

Wie wenig Ähnlichkeit das Angelsächsische und Germanische mit dem Keltischen hat und warum die Waliser auch heute noch ihre Sprache pflegen, versteht man, wenn man den besagten wunderschönen Namen im Original vor sich sieht:

"Llanfair-pwllgwyngyll-gogerychwyrn-drobwll-llandysilio-gogogoch".

Erstveröffentlichung Februar 1996
aktualisierte Fassung


9. Februar 2007