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ENGLISCH/703: Britain today (36) From yum to yuk - English Schoollunch (SB)


YOU ARE WHAT YOU EAT - Diskriminierung im Speisesaal


Britische Regierung verbietet Fastfood in Schulen

Mütter boykottieren den Erlaß mit Junkfood durch den Maschendrahtzaun



Großbritanniens Kinder sollen zumindest in der Schule gesundes Essen bekommen. Das ist die neue Devise der britischen Regierung. Seit September 2006 werden Pommes, fette Würstchen, zuckerhaltige Getränke und Schokolade vom Speiseplan der Schulkantinen gestrichen, wie die Staatssekretärin Ruth Kelly schon auf dem Labour-Parteitag in Brighton im letzten Jahr bekannt gab.

"Ich bin absolut entschlossen, daß der Skandal aufhören muß, daß in den Schulkantinen jeden Tag schlechtes Essen auf den Tisch kommt." Auch mit Chips, Schokoriegeln und Limonade gefüllte Automaten sollen binnen eines Jahres aus den Schulen verbannt sein.

Die bisher geltenden Regeln für die Schulen in Großbritannien waren eher schwammig: So mußten Mahlzeiten mit Gemüse oder Protein angeboten werden. Darunter verstand man aber beispielsweise auch einen billigen Hamburger mit Salatblatt.

Die Verantwortlichen an den Schulen fordern mehr Geld, um das Angebot gesunder Mahlzeiten tatsächlich durchführen zu können. Die Schulköche kämpfen dagegen mit den Rohstoffen, um in der gleichen Zeit, in der sie sonst mit Mikrowelle und Friteuse vorgekochtes und halbzubereitetes Fertigfood aufarbeiteten, eine vollständige Mahlzeit aus frischen Grundstoffen herzustellen.

In einer über sechs Monate anhaltenden Kampagne für gesundes Essen in den britischen Schulkantinen, die der britische Fernsehkoch Jamie Oliver schon im Januar begann, wurden die Küchenverantwortlichen an britischen Schulen der Öffentlichkeit regelrecht vorgeführt und zutiefst gedemütigt. Möglicherweise haben die Schulkantinen und Caféterias inzwischen nach diesem Vorbild die Wendung zum gesunden Essen gefunden, ohne allerdings zu wissen, wie man das ultimative Gute auch für die britischen Schulkinder schmackhaft macht, denn zwingen lassen sich diese nicht.

Vor allem im Norden Englands, wo fettige Bratkartoffeln, Fish and Chips (fritierte Fischnuggets und Pommes Frites), Pork pies (Schweinefleisch in Mürbeteigpasteten), Sausage rolls (Würstchen in Blätterteig) und andere leckere Schweinereien sehr beliebt sind, fühlen sich die Jugendlichen von dem gesunden Schulessen angeekelt. So schrieb Sarah Lyall am 18. Oktober 2006 im Internet:

The fancy new menu at the Rawmarsh School here?

"It's rubbish," said Andreas Petrou, an 11th grader. Instead, en route to school recently, he was enjoying a north of England specialty known as a chip butty: a French- fries-and-butter sandwich doused in vinegar.

"We didn't get a choice," he said of the school food. "They just told us we were having it."
(AP, 18. Oktober 2006)

Die britischen Schulgänger fühlen sich von den Verordnungen der Regierung schlicht übergangen. All jene Gerichte, Snacks oder Süßigkeiten, die die britischen Jugendlichen schon seit Generationen lieben wie Hamburger, Pommes Frites, das dick panierte, fett-triefende, fritierte Preßfleisch (chicken nuggets) oder zuckerhaltige Getränke wurden aus den Küchen und Kantinen vollständig verbannt.

Statt dessen sollen die Schulen jeden Schüler mit mindestens zwei Portionen frischer Früchte und Gemüse versorgen, mindestens einmal pro Woche Fisch anbieten, das Nachsalzen der Speisen durch Einzug von Salzfäßchen auf den Eßtischen verbieten, gebratene Mahlzeiten auf höchstens zweimal pro Woche limitieren und Ketchup, Süßigkeiten, Limonaden wie Kartoffelchips vollständig aus dem Schulbereich entfernen.

Doch Kinder und Jugendliche, die Pommes Frites für ein Grundnahrungsmittel halten, sind schwer von den neuen Eßgewohnheiten zu überzeugen.

Zumal die aggressive Vorgehensweise des Umschulungsprogramms a lá Oliver, der die bisherigen Eßgewohnheiten in eine Gruselhorrorshow verwandelte, und Schüler, die Junkfood essen wie Erwachsene, die das ihren Kindern anbieten wie Verbrecher behandelte, zu recht auf massive Gegenwehr stößt:

"No matter how healthy it is, if kids don't like it they're not going to eat it," said Julie Critchlow, a parent at Rawmarsh, a high school set between a sprawling housing project and the south Yorkshire hills. She mentioned the school's new low-fat pizza and tagliatelle and meatballs as being particularly unappetizing to her children and said the cooks were so overworked that the baked potatoes were being served half-cooked.
(AP, 18. Oktober 2006)

Die Köche wären durch die Umstellung überfordert, das Essen ungenießbar und teilweise halbgar, die Eßsäle überfüllt, weil das Essenkochen so lange dauern würde und immer mehr Kinder gingen mittags nach Hause.

"They shouldn't be allowed to tell the kids what to eat," Mrs. Critchlow said of the school authorities. "They're treating them like criminals."
(AP, 18. Oktober 2006)

Mrs. Critchlow ist durch ihre Ansicht, das aufgezwungene gesunde Essen sei eine Diskriminierung für die Kinder und ein Eingriff in ihre persönliche Freiheit, in Großbritannien inzwischen berühmt geworden. Mit dem Start der neuen Eßgewohnheiten an britischen Schulen begann sie zusammen mit einer weiteren Mutter - aus Sorge über die schlechte Versorgung ihrer Kinder - damit, letztere über alternative Bestellungen durch den Maschendrahtzaun der Schule mit Pies, Hamburgern, Fritten und den üblichen Sandwiches zu versorgen, die die Schüler dann auch wirklich aßen. Auf diese Weise versorgten die beiden allein 50 Schüler dieser Schule mit genießbaren Mittagsmahlzeiten.

Die Mütter hörten allerdings damit auf, als sie in den nationalen Nachrichtenmedien als "Meat pie Mums" (Fleischpasteten-Mamis) diskriminiert wurden [wobei Meat pies, eine britische Mürbeteigspezialität, ebenfalls zu den kleinen, leckeren Snacks gehört, mit denen sich britische Schüler durch den Tag bringen]. Inzwischen bekochen sie ihre Kinder wieder zuhause.

Die britische Presse spricht zwar von einer Minderheit, die mit den neuen Ernährungsrichtlinien nicht zufrieden wäre und preist die neuen Angebote - leichte Beef-Curries, peruanischen Kochfisch und Lamm auf Reis sowie gebackene Kartoffeln für die weniger Experimentierfreudigen.

Doch an der Tatsache, daß sogenannte "brown-bag lunches" als einzige Alternative für diejenigen übrig bleiben, die mittags nicht nach Hause können, hat die Anzahl der braunen Tüten, die täglich durch das Schultor hineingetragen werden, erheblich zugenommen.

"It doesn't happen overnight; it takes an effort," said Sonia Sharp, a local government official, speaking of the campaign to win the children over. "We have the responsibility for ensuring the health of our children. We want to teach them how to make the right choices for themselves."
(AP, 18. Oktober 2006)

Und die richtige Wahl, wird ihnen durch den Speiseplan der Schule eingetrichtert. Noch gilt das Mitbringen eigener Lunchtüten nicht als Grund für Mobbing und Diskriminierung, Übergewicht dagegen schon. Und es gibt sehr viele schwergewichtige Schüler auf der Insel:

Although Britons collectively are not yet as fat as Americans, they are the fattest people in Europe. If current trends continue, the British Medical Association says, by 2020 some 30 percent of boys and 40 percent of girls here will be clinically obese.
(AP, 18. Oktober 2006)

Da außerdem die Kücheneinrichtungen der Schulen von den verkauften Mahlzeiten abhängig sind, um sich finanzieren zu können, wird der moralische Druck auf jene Schüler, die sich lieber ihr eigenes Essen mitbringen, vermutlich gesteigert werden.

Noch gibt es keine Zahlen darüber wie viele das Essen nach der Küchenreform verweigern. Manche Schulen haben auch schon seit dem vergangenen Jahr mit einem Erziehungsprogramm die Schüler von dem besseren Essen überzeugt und stehen nun statistisch besser da.

The Royal Docks Community School, a high school in Newham, south London, is one example. The school began gradually introducing menu changes last year, consulting parents, students and the local school district. [...]

The cafeteria now serves about 650 lunches a day, to just over half of the school's students. Last year, Mr. McGrath said, the figure was closer to 250.
(AP, 18. Oktober 2006)

Die Praxis in Rotherham (Nordengland) sieht allerdings etwas anders aus. Auch dort werden Schoollunches verkauft, doch nur wenig davon gegessen. So ist sich Andreas Petrou sicher, daß ihn auch noch so detailgenaue Erklärungen nicht davon überzeugen könnten, daß ein "French fry sandwich" (s.o.) keine anständige Mahlzeit sei. Was das Schulessen angehe, so mache er das, was alle hier täten:

"Gather as much bread as you can, put half an inch of butter on each slice," and call it lunch [Soviel Brot wie man nur essen kann zusammenraffen, die Scheiben fingerdick mit Butter bestreichen und das war dann das Mittagessen. Übers. d. Schattenblick-Red.].
(AP, 18. Oktober 2006)


16. November 2006