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ENGLISCH/720: Britain today (39) London, Stadt der Profitgeier (SB)


London, Stadt der Profitgeier und des Benefits


oder wie man sich als Dauertourist finanzielle Vorteile verschafft

nach dem Erfahrungsbericht eines Möchtegern-Bohemien



"Man muß eigentlich jeden als verrückt bezeichnen, der sich ohne nachvollziehbaren Grund länger als nötig in London aufhält." - Mit diesen Worten beginnt Matthias Wühle, Autor des im amicus Verlag erschienenen Buchs "London, Kein Fall für Wachsfiguren", einen kurzen Erlebnisbericht in der Studentenzeitschrift UNIcompact (Winter 2006). Wer London früher einmal kennengelernt hat und sich nach wie vor von dem Flair der Stadt angezogen fühlt, kann ihm dabei nur beistimmen. Denn trotz vieler neuer Möglichkeiten, eine Reise nach England zu planen und preiswert zu organisieren, das Leben in der Stadt ist für jemanden, der nicht gerade ein Finanzgenie ist, und einen hochdotierten Job in Londons Financial District errungen hat und es dennoch nicht vorzieht, täglich aufs Land zu pendeln und dort etwas preiswerter zu wohnen, einfach unerschwinglich teuer.

In der Regel muß der, der sich nicht davon abbringen läßt, direkt in der Metropole zu wohnen, mehr als die Hälfte seiner Einkünfte für die Miete einberechnen. Die andere Hälfte geht für die gleichfalls teuren Lebensmittel drauf. Restaurant und Cafebesuche, Kino- oder Theaterkarten, all das, was man sich als Tourist gerne leistet, ist für den, der hier ständig wohnt, letztlich nicht mehr drin.

Verglichen mit der Wohnsituation in Deutschland verhält sich die Höhe der Miete dabei umgekehrt proportional zur Wohnqualität, d.h. 600 Euro monatlich für ein 'Z i m m e r' gilt hier durchaus als normal und akzeptabel. Die Erfahrung von Matthias Wühle waren da nicht anders:

Für ein Bett in einem halben Doppelzimmer zahlte ich 53 Pfund Wochenmiete - mehr als für meine komplette Wohnung in Berlin, die immerhin mit Bad und Küche ausgestattet war - alles Annehmlichkeiten, die man sich in London mit vielen Anderen teilen musste. Ich hatte dabei noch das Glück, dass ich mir überhaupt ein Doppelzimmer mit einem Freund teilen konnte, der das Abenteuer London mit mir zusammen durchstand.
(Unicompact, Winter 2006)

In ähnlich teuren Unterkünften, die sie sich meist mit anderen teilen, hausen gewöhnlich allerdings auch jene "Londoner" oder Britische Yuppies oder sonstwie "urban professionals", die sich mit dem Luxus einer Londoner Adresse wie "Westminster" schmücken wollen, ein Prestigeobjekt für das viele junge Leute einiges an Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Doch diese echten Londoner bleiben meist unter sich und bekommen die passende, standesgemäße Unterkunft oft mit dem gut bezahlten Job vermittelt.

Umgekehrt pressen "Housing Agencies" und korrupte Geschäftemacher, die sich einerseits auf diese Geltungsbedürfnisse junger Leute eingestellt haben, aber andererseits selbst die Wohnungsnot von ausländischen Einwanderern oder Flüchtlingen für ihre Geschäfte nutzen, aus jedem Londoner Loch oder Loft (ehemalige Künstlerabsteigen), die vor Jahren noch für ein paar Pennies an Studenten oder Arbeitslose vermietet wurden, überteuerte Mieten heraus und machen damit einen Riesenreibach.

Wühle, der das Schicksal der Ausländer in London teilte, kann dabei noch von Glück sprechen, daß er es einigermaßen wohnlich angetroffen hatte:

Das zweistöckige Backsteinhaus mit winzigem - in der Regel mit Mülltonnen vollgestelltem - Vorgarten, den wiederum eine kleine Backsteinmauer umschließt, ist so typisch für London und England überhaupt, dass ich zunächst froh war, in einem solchen wohnen zu dürfen, und nicht in einem der anonymen Wohnbunker, die es wie in jeder euorpäischen Großstadt selbstverständlich auch in London gibt. Doch dieses Haus, das wohl einst für maximal zwei Familien konzipiert war, hatten clevere Geschäftemacher - und an denen mangelt es in London nicht - in winzige Parzellen aufgeteilt, in denen junge Leute hausten, die wie ich ihr Glück in London versuchen wollten. Angesichts der versifften Wohnküche, die stets mit wild gestikulierenden Italienerinnen und Tellern mit angetrockneten Spaghettiresten gefüllt war, hätte man fast den heimeligen Charakter eines Studentenwohnheims gewinnen können.
(Unicompact, Winter 2006)

Daß durch derart enge Wohnverhältnisse zumindest der soziale Kontakt mit echten Londonern oder Native-Speakern gesichert wäre, wegen dem viele Londonreisende ebenfalls keine Strapazen scheuen, erübrigt sich an dieser Stelle. Denn die Mitbewohner, die sich in solchen Unterkünften finden lassen, sind meist in der gleichen Situation, d.h. Ausländer mit geringen oder ungenügenden Englischkenntnissen, die sich zu solchen Mietverhältnissen überreden lassen konnten, denn Einheimische können sich angesichts der sozialen Situation in Großbritannien, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, nicht einmal diese von verwöhnten deutschen Touristenschnöseln und Freizeit-Bohemiens als "unmöglich" bezeichneten Unterkünfte leisten.

Tatsächlich gab es noch nie so viele Reiche und gleichzeitig noch nie so viele Arme wie im heutigen Großbritannien. Seitdem Blair an der Macht ist, wurden im produzierenden Gewerbe seinen Versprechen zum Trotz 1,5 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Des weiteren haben fallende Realeinkommen in Großbritannien zu einem deutlichen Wohlstandsrückgang geführt. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Konsumentenkredite fast verdreifacht und summierten sich Ende 2005 auf über 230 Milliarden Euro. Einer Studie des Ministeriums für Handel und Industrie zufolge gerieten in den vergangenen zwölf Monaten deshalb ein Viertel aller britischen Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten. Dazu schrieb der Schattenblick in POLITIK\REDAKTION schon Anfang letzten Jahres:

Immer mehr Briten verdienen inzwischen so wenig, daß sie bei Erreichen des Rentenalters ohne ausreichende Altersvorsorge dastehen. Wer 44 Jahre Sozialbeiträge bezahlt hat, erhält eine Basisrente von umgerechnet 510 Euro. Das ist so wenig, daß die Hauptstadt London zwei Millionen Bürgern einen Zuschlag zahlt, um ein Mindesteinkommen von 630 Euro zu sichern. Doch selbst das reicht kaum zum Leben, so daß heute rund 20 Prozent der Rentner von Sozialhilfe abhängig sind.
(SOZIALES/1573: Immer mehr Briten sind obdachlos, Schattenblick 26. Januar 2006)

Während sich der Autor des Erfahrungsberichts darüber beklagt, daß er aufgrund des hohen Ausländeraufkommens in London über ein Jahr lang kaum einen Einheimischen getroffen habe, "unser Wohnviertel war zunächst geprägt von schwarzen Einwanderern. Ferner gab es noch zahlreiche Inder, Pakistani und Araber, sowie von jeder nur denkbaren Nation dieser Erde einige etwas weniger zahlreiche Vertreter...", die sich seiner Ansicht nach alle nur mit dem hären Ziel, Englisch zu lernen und Briten kennenzulernen, in London aufhalten, so sieht er nicht, daß es gerade die Einwanderer und Dauertouristen sind, die u.a. die soziale Situation verschärfen, indem sie beispielsweise die Forderungen der Profithaie und Unternehmer überhaupt möglich machen: Denn wo Briten schon aus der Tradition ihres demokratischen Selbstbewußtseins heraus streiken würden, sind sie bereit, jeden auch noch so schlecht bezahlten Job zu übernehmen und dafür auch noch ohne zu murren die geforderten Mieten zu zahlen.

Britische Hilfsorganisationen schätzen die Zahl der britischen Obdachlosen inzwischen schon auf rund eine halbe Million. Die Obdachlosen-Zahlen seien eine vernichtende Anklage gegen das viertreichste Land der Welt, meint der Shelter-Mitarbeiter Brian Douglas. Für die vorübergehende Unterbringung und schnelle Hilfe hat die Regierung nach Angaben des BBC versprochen, zusätzliche 150 Millionen Pfund - umgerechnet 225 Millionen Euro - zur Verfügung stellen. Das wären für jeden Obdachlosen 450 Euro. Dieser sogenannten Benefit-Gelder sind noch nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein und schon gar nicht den Ärmsten der Armen vorbehalten. Selbst hier beginnen die Praktiken einer sich neu abzeichnenden Ellenbogengesellschaft, was man an dem Bericht des jungen Deutschen klar erkennen kann.

So brüstet sich Wühle beispielsweise damit, daß man - entsprechende Kenntnisse und "Infos" vorausgesetzt - ganz leicht an Zuschüsse und kostenlose Hilfen herankommen könne, ohne überhaupt in London polizeilich gemeldet zu sein. Jeder der in London lebt und arbeitet, und mit seinem Geld nicht auskommt, kann beispielsweise Wohngeld (housing benefit) beantragen. Dazu muß er nur seine Mietquittungen und Lohnstreifen zusammensuchen und im "Westminster Housing Department" vorstellig werden. Für den findigen Deutschen bedeutete das einen wöchentlichen Zuschuß von 17,62 Pfund, für die er allenfalls die bürokratische Prozedur, sowie die Inspektion seiner Verhältnisse vom Wohngeldamt über sich ergehen lassen mußte (Infos zum Beantragen von Wohngeld im Internet unter www.westminster.gov.uk/councilgovern- mentanddemocracy/councils/counciltaxandfinance/counciltaxbenefits/).

Daß er bei einem Wochenlohn von etwa 100 Pfund, den er sich mit Gelegenheitsarbeiten verdiente, weit besser stellte als viele einheimische Arbeitssuchende oder seine ausländischen Mitbewohner und wohl auch ohne Zuschuß über die Runden gekommen wäre, interessierte den Gutinformierten wenig, man nimmt, was man kriegen kann, oder O- Ton Wühle: "das mußte einem erst einmal gesagt werden". Soviel zum britischen Benefit, das auch nur die "Cleveren" bedient.

Darüber hinaus bietet das gastfreundliche London für Non-native- Speaker bzw. Learners of English, die nicht über ausreichend Geldmittel verfügen und unter den hohen Mieten leiden, kostenlose Englischkurse an. Für eine rein symbolische Gebühr kann man sich dafür am Westminster Adult Education College einschreiben, und wird nach absolvierter Aufnahmeprüfung für den Kursus eingestuft, der der eigenen Qualifikation am nächsten kommt. Weitere Aufbaukurse sind ebenfalls frei und enden, wenn man will, mit der Prüfung zu IELTS certificate.

Der kostenlose Unterricht ist zudem ausgesprochen gut und wird von engagierten und professionellen Lehrern abgehalten (weitere Informationen hierzu unter www.IELTS.org)

Durch die Möglichkeit, Informationen im Internet abzurufen, was auch schon im Vorwege von zuhause aus geschehen kann, sind gutbetuchte Touristen, die einen längeren England oder Londonaufenthalt bestenfalls als Abenteuer oder zum eigenen Vergnügen planen (um sozusagen im nebenherein ihr Englisch aufzupolieren), ohnehin den Einheimischen gegenüber im Vorteil.

So läßt sich die Reiseplanung für Großbritannien nicht nur sehr viel einfacher über eine neue deutschsprachige Website visitbritaindirect.com gestalten, über die sich Transfer- und Bahntickets, Eintrittskarten, Straßenkarten und Unterkunftsführer anfordern lassen, auch preiswerte Unterkünfte und Jobmöglichkeiten kann man schon im voraus, auf Englisch allerdings, abklären (www.meetingpoint.co.uk).

Mit den Transfertickets kann man preiswert von den Londoner Flughäfen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt gelangen. Außerdem gibt es Tickets für die Londoner U-Bahn und für Stadtrundfahrten im Doppeldeckerbus. Selbst das berühmte "Queing", lange Schlangen die sich gewöhnlich in London vor allen Attraktionen (wie Madame Tussauds) bilden, läßt sich umgehen, wenn man seine Tickets schon zuvor bei VisitBritain Direct erwirbt. Auch Eintrittskarten für Musicals können hier reserviert werden.

Wer seinen Touristenaufenthalt zudem noch durch Gelegenheitsjobs finanziert hat und sich neben verbesserten Englischkenntnissen auch noch einer authentischen Lebenserfahrung rühmen kann, hat, wenn er so clever wie Wühler war, auch noch Anspruch auf einige Hundert Pfund, die auf sein deutsches Konto überwiesen werden, denn die eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge lassen sich mittels einer Lohnsteuererklärung geltend machen. Und das ist auch dann noch möglich, wenn man als jobbender Tourist Arbeit, Wohnraum und "Benefit" beansprucht hat.

Kein Wunder, daß deutsche Touristen in England nicht gerade beliebt sind, und die Einheimischen möglichen sozialen Kontakten aus dem Wege gehen. Denn abgesehen von Arbeitskollegen, Beamten der Sozialbehörde und den Lehrern seiner Englischkurse hat der Dauertourist Matthias Wühle bei seiner einjährigen Expedition London kaum Briten getroffen.

Dennoch wurde aus seinen selbstgerechten Studien und Aufzeichnungen ein Buch, das vielleicht für jene zum Leitfaden werden könnte, die London ebenfalls möglichst ohne Fremdkontakte wie ein Alien aus der Beobachterperspektive erleben möchten (London. Kein Fall für Wachsfiguren von Matthias Wühle und Sixtus Faber, amicus Verlag 2006).


21. Februar 2007