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ENGLISCH/894: Britain today (45) Germanismen sind "uber-in" (SB)


B O R R O W I N G    I S    E A S I E R    T H A N    C R E A T I N G


Die englische Sprache tändelt mit deutschen Lehnwörtern



Über die Verballhornung der deutschen Sprache mit Anglizismen beklagen sich hierzulande Sprachkritiker wie Puristen (= Sprachreinhalter) gleichermaßen zu recht und mit sicherem Instinkt. So scheint zwar die Übernahme von englischen Fachworten wie werbewirksamen Trendbezeichnungen aus reiner Bequemlichkeit stattzufinden, während im eigenen ethymologischen Grundwortschatz genügend Bausteine für "rein" deutsche Worte zu finden wären, doch vollzieht sich auf sprachlicher Ebene auf diese Weise schon eine nicht von der Hand zu weisende Anerkennung des Globalisierungsbestrebens unter englischsprachiger, besser amerikanischer Vorherrschaft, deren gleichmachende Tendenz eine Verarmung der spracheigenen Ausdrucksmöglichkeiten nach sich zieht. Und diese Einschränkung hat einen starken negativen Einfluß auf die persönliche Denkfähigkeit.

Fast scheint nun ein gewisser Ausgleich stattzufinden - ohne dabei das oben erwähnte englischsprachige Übergewicht im globalisierenden Sprachbrei anzurühren -, wenn ausgerechnet in Great Britain deutsche Wortwendungen und das eingeflochtene Neudeutsch unserer Politiker in den gebildeten Kreisen Großbritanniens geradezu "en mode" geworden sind: "Germanisms are zeitgeisty".

"Germanismen", als Begriff für ursprünglich nur typisch "deutsche" Fehler verwendet, die aus der Unsicherheit deutscher Englischsprechender im spontanen Gebrauch der Fremdsprache gewissermaßen ungewollt entsprungen waren (beispielsweise "He is to home" statt "he is at home"), sind hier allerdings nicht gemeint, sondern echte Lehnwörter, die als Neuenglisch Einzug in britischen Wörterbüchern halten.

Borgten sich die Briten bisher doch nur dann und wann etwas von der Nachbarschaft, wenn ihnen selbst die Worte fehlten, die nötig für Erfindungen, neue Produkte, Ideen, neue Praktiken waren oder auch einfach nur mal zur Abwechslung gebraucht wurden, ist der neue Trend nicht viel mehr als eine Laune, eine spontane Geste des Sprachherrn gegenüber dem gefälligen "Untertan". Und dieser ist dann "schtumm" vor Ehrfurcht, in der Weltsprache Englisch einen so privilegierten Platz erhalten zu haben.

Ja, auch das kleine Wörtchen "schtumm" ist im alltäglich-englischen Sprachgebrauch derzeit durch alle Kommunikations-Ebenen hindurch sehr beliebt, wird allerdings nach Belieben "shtum", "schtum" oder "schtumm" geschrieben.

Schon fast legendär ist natürlich geradezu die Schtummheit bzw. Sprachlosigkeit der Engländer und Großbriten im Lebensmittelbereich und Kochgewerbe (obwohl man darüber durchaus streiten kann). Daß sie in dieser Hinsicht immer noch einen recht ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex besitzen und diesen auch nicht - wenn es z.B. in Szenerestaurants oder Hotels darauf ankommt - mit Französischem ausbügeln, ist eine unumstößliche Tatsache.

Während man also bei Hausmannskost gewöhnlich von "starters", "main courses" und "puddings" spricht, existiert die feine britische Küche einfach nicht. Sie "outet" sich mit "houte cuisine" oder "French cuisine" als ausländisches Produkt. Auf der Speisekarte (engl. "menu") eines angesehenen britischen Restaurants findet man daher nur:

- hors d'oeuvre - entrée or entree - dessert

Auch die deutsche "gesegnete Mahlzeit", die man sich, als "Mahlzeit" verkürzt, mittags in jeder Kantine zuruft, findet keine Entsprechung im Englischen. Offenbar wagen es die Briten nicht, sich "großbritische Gaumenfreuden" zu wünschen wie "have a nice meal" oder "enjoy your food", statt dessen wünschen sie - und das nur sehr verhalten - auf französisch: "Bon appetite!"

Die Wertschätzung, die damit zumindest der französischen Kochkunst zukommt, ist offensichtlich. Und so ist es durchaus als Sympathiebezeugung zu verstehen, wenn sich privilegierte, gebildete Engländer dazu herabließen, anläßlich der Ereignisse am 11. September "angst-ridden" (angstgeplagt) zu sein, oder zu behaupten, daß ihre "wanderlust" (laut Oxford Dictionary: a strong desire to travel) nun stark eingeschränkt sei und man den "rucksack" sowie weitere Reisepläne erst mal in den Schrank oder auf den Boden gepackt habe.

Ein ernährungsbewußter Engländer ißt heutzutage nicht das übliche "Cereal" (bestehend aus Cornflakes und Milch), sondern "muesli". Vorschulkinder werden nicht mehr zu Hause oder von den typisch britischen Nannys betreut, sondern in "the kindergarten" gebracht, eine Einrichtung, die es früher nicht gegeben hat und die man auch nicht brauchte, weil kleine Engländer schon mit vier oder fünf Jahren in die "Primary-school" eingeschult wurden. Vermutlich hat man die neuen Einrichtungen britischer "realpolitik" zu verdanken.

Zum regelrechten Prestigeobjekt ist seit kurzem und ganz neu im Repertoire der Germanismen die Vorsilbe "über" geworden: Der Untersuchung eines Wörterbuch-Verlags zufolge verwenden es die Briten in zunehmendem Maße, allerdings nicht als Umlaut, d.h. ohne Pünktchen auf dem "u". In der Regel wird es in Zusammensetzungen benutzt wie Uber-Boss, Uber-Guru oder uber-charming.

'Uber' sei inzwischen eingebürgert, meinte Chef-Lektorin Susie Beattie. Es gebe auch häufig Abwandlungen der Wendung "Deutschland über alles" in der Richtung von "human rights uber alles" oder "the market dogma uber alles".

Die Menschen in Großbritannien scheinen ihr eigenes kleines Wörtchen "over", das im Englischen sowohl für das deutsche "über" als auch für das deutsche "ober" verwendet wird (was selbst in kleinen Nuancen die große Spannbreite deutscher Begrifflichkeiten verdeutlicht) "uber" zu haben. Und tatsächlich ist das deutsche "ober" statt "over" ebenfalls schon seit vielen Jahren im Gespräch, wenn es darum geht, mit Begriffen wie "ober-cool", "ober-charming", "ober-smashing" - immer in Verbindung mit einem britischen Attribut - das Lob ins Unermeßliche zu steigern, vor allem wenn dem ganzen auch noch das britisch unerläßliche "absolutely" vorgesetzt wird.

Intellektueller Durchblick und politische Bildung wird mit Worten wie "Leitmotiv", "Hinterland" oder "Kulturkampf" vorgetragen, die man fast täglich im englischsprachigen Radiosender BBC hören kann.

Für manches kleine deutsche Wort mag es dann allerdings auch wirklich gelten, daß es für einen im Englischen bisher unbekannten Begriff leichter war, etwas zu leihen als etwas Neues zu erfinden: "Schadenfreude", ein beliebtes neuenglisches Wort, kannte der englische Wortschatz nämlich tatsächlich noch nicht. Doch wenn man anläßlich des kürzlich verpatzen Einzugs der Deutschen Fußballmannschaft ins Finale der Weltmeisterschaft die entsprechenden großbritischen Kommentare hörte, dann haben die Deutschen in den neuen Briten inzwischen darin ihren "meister" gefunden.


14. Juli 2010