Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → BIOGRAPHIE

BUCHBESPRECHUNG/011: Locked-in... Gefangen im eigenen Körper (Medizin) (SB)


Karl-Heinz Pantke


Locked-in

Gefangen im eigenen Körper



In dem Buch "Locked-in - Gefangen im eigenen Körper" schildert der 43jährige Autor Karl-Heinz Pantke seine Erfahrungen. "Locked- in" bedeutet soviel wie "eingesperrt sein" und ist der Zustand nach einem Schlaganfall, bei dem der Betroffene bei voll erhaltenem Bewußtsein sich weder sprachlich noch durch Bewegungen spontan verständlich machen kann. Er muß künstlich ernährt und beatmet werden. Sonst vollständig gelähmt, kann er lediglich die Augen öffnen und schließen. Sie sind die einzige Möglichkeit zur Kommunikation.

Obwohl das Locked-in-Syndrom in Fachkreisen hinlänglich bekannt ist, kommt es immer wieder vor, daß eine falsche Diagnose gestellt und der Patient für hirntot erklärt wird. Doch der Autor Karl-Heinz Pantke hat Glück im Unglück. Dank des engagierten Einsatzes seiner Lebensgefährtin wird schon nach wenigen Stunden - nachdem man ihn im Krankenwagen zunächst für tot erklärt hatte - die richtige Diagnose gestellt: "Locked-in-Syndrom bei Verdacht auf Zustand nach Basilaristhrombose".

Der Zustand des "Eingeschlossenseins" dauert bei Karl-Heinz Pantke zwei bis drei Monate. Dann gehen die Lähmungen langsam zurück. Vier Jahre nach dem Infarkt kann er - wenn auch mit starken Einschränkungen - wieder laufen und sprechen.


Karl-Heinz Pantke hat eine Botschaft an die Leser und an die Menschen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden wie er. Sie lautet: Niemals aufgeben! Es lohnt sich zu kämpfen. Und sein Resümee heißt: Man kann viel mehr schaffen, als man denkt und einem zugetraut wird, wenn man nur will!

Keine Minute findet er sich mit dem ihm prognostizierten Schicksal ab, zukünftig gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt zu bleiben. Klappt etwas nicht so, wie er es sich erhofft hat, gibt er jeweils den äußeren Umständen die Schuld, der unzureichenden Betreuung, dem mangelnden Glauben der Ärzte an seine Heilung oder der Therapie, die nicht optimal auf seine Verhältnisse abgestimmt wurde. Diese Strategie hilft ihm, nicht aufzugeben. Und der Erfolg gibt ihm recht.

Ganz sicher hat Karl-Heinz Pantke allen Grund, sich zu beschweren und die zahlreichen Mißstände anzuprangern, die letztendlich jeden Patienten betreffen, sobald er sich in ärztliche Behandlung begibt und dem medizinischen Verwaltungsapparat unterwirft. Doch der logische Bruch in der Argumentation des Autors liegt dort, wo er behauptet, alles erreichen zu können, wenn er nur will. Denn schon im nächsten Schritt überantwortet er sich der modernen Medizin und appelliert an eine bessere Therapie. Bedenkt man, daß er von Anfang an eine starke Lobby durch seine Lebensgefährtin gehabt hat und das Glück, daß das betreuende Personal und seine Angehörigen von seinem Zustand wußten, ihn von Anfang an entsprechend behandelt und mit ihm geredet haben, so daß ihm der entwürdigende und brutale Umgang mit einem Koma-Patienten, den man für hirntot hält, erspart geblieben ist, kann manch ein Betroffener, der keine so guten Voraussetzungen hat, zu Recht sagen: "Der hat ja gut reden!"

Konsequenterweise hätte der Autor sagen müssen: 'Man kann alles erreichen, wenn man nur will u n d wenn man über die Möglichkeiten und die Mittel verfügt, sich die notwendige fachliche und menschliche Unterstützung zu sichern und die entsprechenden, optimal angepaßten therapeutischen Therapien zugängig zu machen.' Doch dies trifft selbst in Ländern wie Deutschland mit dem sogenannten sozialen Gesundheitswesen nur für eine Minderheit, eine kleine privilegierte Gruppe von Patienten, zu.


Das Buch soll ein persönlicher Erfahrungsbericht sein und geht in seinem Anspruch auch nicht darüber hinaus. Oftmals steht die Beschwerde des Autors so im Vordergrund, daß der zu Recht angeprangerte Mißstand dahinter zurücktritt und bei dem Leser nur ein leichtes Genervtsein übrigbleibt. Und gerade weil das Gelesene menschlich so nachvollziehbar und die Moral auf seiten des Autors ist, bekommt der Leser ob seiner Reaktion dann auch noch ein schlechtes Gewissen. Denn wer will einem Menschen, der von einer so schwerwiegenden Erkrankung betroffen ist, das Recht absprechen, zu leiden und sich zu beklagen?

Man muß befürchten, daß die häufig anzutreffende Gewohnheit, nur sehr oberflächlich zu lesen, gepaart mit der Fähigkeit des Lesers, zu verdrängen, sich nicht persönlich gemeint zu fühlen und zu vergessen, dazu führen wird, daß man nicht mitbekommt, worum es dem Autor eigentlich geht: um mehr Aufmerksamkeit und Zugewandtheit, um die Bereitschaft, für jemand anderen, aber auch für sich selbst, zu kämpfen und auch scheinbar unmögliche Dinge möglich zu machen - ein Traum, den sicherlich viele schon einmal geträumt haben.


Der sehr einfache und trockene Stil ist nicht unbedingt dazu angetan, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Doch obwohl das Buch sicherlich niemals zu einem Bestseller avancieren wird, ist es dennoch lesenswert und zu empfehlen - vor allem jenen, die täglich mit der Pflege und Therapie kranker Menschen zu tun haben. Schon kleine Unachtsamkeiten oder Unüberlegtheiten können weitreichende Folgen für das Wohlbefinden und die Gesundheit des Betroffenen haben. Jedem sollte Mut gemacht werden, seine guten und schlechten Erfahrungen zu schildern, damit vielleicht doch der eine oder andere die Gelegenheit nutzt, etwas zu verändern.

Darüber hinaus lohnt es sich, das Buch zum Anlaß zu nehmen, einmal etwas grundsätzlicher über das Thema 'soziale Gegenseitigkeit' nachzudenken. Denn was Kranke ganz besonders trifft, weil sie sich immer in der schwächeren Position befinden, spielt sich auch im alltäglichen Umgang miteinander ab, nur daß gesunde Menschen für gewöhnlich in der Lage sind, sich zu wehren oder besonders unangenehmen Umgangsformen aus dem Wege zu gehen.


Informationen zu einem weiteren, äußerst lesenswertes Buch zu diesem Thema finden Sie im Fachpool BUCH\BIOGRAPHIE unter dem Index: BUCHBESPRECHUNG/10: Bis auf den Grund des Ozeans (Medizin). Es wurde von Julia Tavalaro geschrieben, die sieben Monate nach einem Schlaganfall aus dem Koma aufwachte. Sechs Jahre lang betrachtete man sie als hirntot und behandelte sie entsprechend, bevor eine Therapeutin bemerkte, daß Frau Tavalaro alles mitbekam.


Karl-Heinz Pantke
Locked-in
Gefangen im eigenen Körper
Mabuse-Verlag, 1999
ISBN 3-933050-08-1