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REZENSION/025: David Remnick - Barack Obama: Leben und Aufstieg (SB)


David Remnick


Barack Obama - Leben und Aufstieg



Am 4. April hat Barack Obama sich bei der Federal Election Commission in Washington, D. C., offiziell als Kandidat für die Präsidentenwahl am 6. November 2012 eintragen lassen und seine Millionen von Anhängern per Twitter-Nachricht und E-Mail von der wichtigen Neuigkeit in Kenntnis gesetzt. Ausgerechnet am selben Tag hat Obamas Justizminister Eric Holder erklärt, daß der Prozeß gegen Khalid Sheikh Mohammed und die vier anderen im Sonderinternierungslager Guantánamo Bay eingesperrten, mutmaßlichen Beteiligten der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 nicht, wie ursprünglich geplant, vor einem zivilen Strafgericht in New York, sondern vor einem Militärtribunal auf dem Gelände des berüchtigten US-Marinestützpunktes auf Kuba stattfinden wird. Das zeitliche Aufeinandertreffen beider Ereignisse weist auf das Wesentliche im westlichen Politbetrieb hin. Demokratische Politiker wollen in erster Linie aus beruflichem Eigeninteresse gewählt werden. Ob die von ihnen im Wahlkampf abgegebenen Versprechen jemals eingelöst werden, steht auf einem ganz anderem Blatt.

Die Chancen, daß Obama aus der Wahl im kommenden Jahr als Sieger hervorgeht und Amerika als Staatsoberhaupt erhalten bleibt, stehen gut. Die Nominierung als offizieller Kandidat der Demokraten hat er praktisch jetzt in der Tasche. Zudem verfügen die oppositionellen Republikaner bislang über keinen Bewerber, der vom Format her dem amtierenden Präsidenten das Wasser reichen und somit dessen Wiederwahl ernsthaft gefährden könnte. Sarah Palin, die ehemalige Gouverneurin von Alaska, deren Ambitionen auf den Einzug ins Weiße Haus offensichtlicher nicht sein könnten, gelingt es zwar mit ihrer Anti-Liberalen-, Anti-Washington-Haltung die republikanisch-nationalistische Rechte zu begeistern, schreckt damit aber gleichzeitig die Mehrheit der Bürger der gemäßigten Mitte ab. Sollte innerhalb der nächsten 581 Tage Obama das, was man in den USA scherzhaft den politischen Super-GAU nennt - nämlich mit einem Knaben oder einer toten Frau im Bett erwischt zu werden - nicht treffen, so dürfte er aller Wahrscheinlichkeit nach im Januar 2013 zu einer zweiten Amtszeit als Präsident antreten.

Für die Siegeschancen Obamas spricht die Aussicht, daß er als erste Person der Geschichte die Kanditatur für die US-Präsidentschaft eine Milliarde Dollar kosten lassen wird. In die erfolgreiche Bewerbung 2008 investierte Obamas Wahlkampfteam 745 Millionen Dollar, was nicht nur mehr als doppelt soviel wie die Ausgaben des republikanischen Kontrahenten Senator John McCain, sondern auch mehr als die 653 Millionen war, die vier Jahre zuvor Präsident George Bush jun. und Senator John Kerry, damals die Kandidaten der Republikaner respektive der Demokraten, zusammen aufgebracht hatten. Entgegen des allgemeinen Eindrucks erhielt Obama damals die meisten seiner Wahlkampfspenden nicht von den Leuten niedrigen oder mittleren Einkommens, sondern zu Dreivierteln von vermögenden Personen aus den Chefetagen. Also hatte das Großkapital ihn bereits zum Nachfolger George W. Bushs gewählt, bevor der eigentliche Souverän, das Volk, den Urnengang absolviert hatte.

Noch während der Hauptphase des Wahlkampfes im Sommer und Herbst 2008 beschlichen McCain und Hillary Clinton, Obamas Hauptkonkurrentin beim Rennen um die Nominierung zum Kandidaten der Demokraten, das Gefühl, sie kämpften vergeblich gegen eine moralisch erbauende und damit unwiderstehliche "Meta-Erzählung" an, die von den meisten Journalisten und den großen Medien der USA gestrickt wurde und derzufolge der junge, unverbrauchte, redegewandte, hochintelligente und sympathische Obama der geeignete Erbe von Martin Luther King jun. sei, um als erster Afroamerikaner zum Präsidenten Amerikas gewählt zu werden und damit nicht nur einen Traum der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu verwirklichen, sondern auch noch Amerika in eine post-rassistische Zukunft zu führen. David Remnicks Obama-Biographie, die den ungewöhnlichen Aufstieg des Sohnes eines Technokraten aus Kenia und einer Anthropologin aus Kansas, der teils bei seiner Mutter in Indonesien und Hawaii und teils bei den Großeltern in Washington State aufgewachsen ist, zum mächtigsten Mann der Welt beschreibt, stellt zweifelsohne die literarische Fortsetzung jener "Meta-Erzählung" dar.

Gemäß des englischen Originaltitels "The Bridge - The Life and Rise of Barack Obama" wird der fast 1000seitige Text von zwei Schwarzweißfotos auf den Innenseiten des Einbands eingerahmt. Auf der vorderen ist eines der berühmtesten Momente im Kampf der Schwarzen um das Wahlrecht in den Südstaaten der USA zu sehen, als am 7. März 1965 John Lewis und die Anführer eines rund 600 Personen starken Umzugs, die kurz zuvor die Stadt Selma verlassen hatten, nach der Überquerung der Edmund-Pettus-Brücke vor einer Blockade zum Stehen kamen, welche die Nationalgarde von Alabama auf Befehl des damaligen Gouverneurs, des bekennenden Rassisten George Wallace, eingerichtet hatte, damit die Protestierer ihren Marsch bis zur Hauptstadt Montgomery nicht fortsetzen konnten. Die mit Gummiknüppeln bewaffneten und Gasmasken tragenden, allesamt weißen Polizisten gehen bereits auf die resolut wirkenden aber friedlichen schwarzen Demonstranten zu. Im nächsten Augenblick wird über letztere eine Welle staatlicher Brutalität hineinbrechen, die als "Bloody Sunday" in die amerikanischen Geschichtsbücher eingegangen ist und die am selben Abend die Zuschauer der Fernsehnachrichten im ganzen Land, darunter Präsident Lyndon B. Johnson im Weißen Haus, schockiert und empört hat.

Über die zwei Seiten der hinteren Innenseite des Einbands spannt sich eine Panoramaaufnahme des Washingtoner Kapitols in seiner ganzen, mit Fahnen beschmückten Pracht aus, als am 20. Januar 2009 Barack Obama im herrlichen Sonnenschein unter den Augen der versammelten Elite der amerikanischen Hauptstadt nach der Beeidigung durch den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs John Roberts seine Antrittsrede als 44. Präsident der Vereinigten Staaten hält. Laut Remnick fiel Obamas Blick in dem Moment, als er an jenem Morgen, aus dem Parlamentsgebäude kommend, die Stufe des Kapitols betrat und "sich an den kalten Wind und den dröhnenden Lärm" der mehr als eine Millionen Zuschauer auf dem Washingtoner Mall gewöhnte, auf denselben, inzwischen 67jährigen John Lewis, "der den fünften Kongresswahlbezirk von Georgia seit elf Wahlperioden vertrat und von den Rednern, die beim Marsch auf Washington 1963 dabei waren, als Einziger noch am Leben war." (S. 882) Es kommt zu einer kurzen symbolträchtigen Umarmung. Der Vertreter der Moses-Generation beglückwünscht den schwarzen Joshua, der wiederum den Älteren um seine Gebete bittet. Auf der nächsten Seite schreibt Remnick: "Am Tag vor Obamas Amtseinführung, der unmittelbar auf den Tag folgte, an dem King achtzig Jahre alt geworden wäre, sagte mir Lewis in seinem Büro im Cannon House Office Building: 'Barack Obama ist das, was am Ende jener Brücke in Selma kommt.'" (S. 883)

Für den Leser ist diese Schlüsselszene gegen Ende des Buchs emotional höchst bewegend, hat Remnick bis dahin meisterhaft Obamas Lebensgeschichte und kometenhafte politische Karriere auf der Basis zahlreiche Interviews mit ihm selbst und seiner Frau Michelle, seinen Freunden, früheren Bekannten und politischen Gegnern in liebevollen Details nacherzählt, wie sie zugleich in den Kontext des langwierigen Kampfes der amerikanischen Schwarzen um Respekt und Gleichberechtigung gesetzt. Doch im Bemühen, der historischen Bedeutung der Wahl Obamas für die amerikanische Gesellschaft gerecht zu werden, unterliegt der Pulitzerpreisträger und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift New Yorker der Versuchung, die Bedeutung des Einzugs des ersten schwarzen Präsidenten ins Weiße Haus zu überhöhen, indem er den Vorgang quasi als eine Art moralische Selbstreinigung Amerikas schildert.

Remnicks Obama-Hagiographie läßt sich gewinnbringend lesen, denn sie ist nicht nur sehr gut geschrieben, sondern bietet einen informativen Einblick in die Funktionsweise der US-Politik auf der Ebene einer Großstadt wie Chicago, eines Bundesstaats wie Illinois und der nationalen Institutionen in Washington. Doch indem sich Remnick in seiner Behandlung des präsidialen Wahlkampfs 2008 auf die Rassenproblematik beschränkt, läßt er Lücken in der Erzählung entstehen. Obama als Mann des Wandels ernstzunehmen, fällt leichter, wenn man ignoriert, daß er im fraglichen Sommer als Präsidentschaftskandidat lediglich von dem Abzug der "Kampftruppen" der USA aus dem Irak sprach, sich vor jüdischen Großspendern für ein ungeteiltes Jerusalem als Hauptstadt Israels aussprach und als Noch-Senator der FISA-Gesetzesnovelle zustimmte, die nachträglich die illegale, von Bush angeordnete Überwachung des US-Telefon- und E-Mail-Verkehrs durch die NSA legitimierte.

Vergeblich sucht man zudem in der vorliegenden Lektüre auch nur eine einzige Erwähnung Zbigniew Brzezinskis, von dem sich Obama im Frühjahr 2008 wegen dessen Kritik an Israel öffentlich distanzieren mußte. Und das, obwohl Obama nur ein Jahr zuvor den Nationalen Sicherheitsberater Jimmy Carters nachweislich als jemanden bezeichnet hatte, von dem er "ungeheuer viel gelernt" habe. Brzezinski lehrte Anfang der achtziger Jahre an der Columbia University in New York, als Obama dort internationale Politik studierte und sich auf Fragen der Atomabrüstung spezialisierte. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, Brzezinski hätte Obama protegiert und für Höheres auserwählt. Die Tatsache, daß Remnick die Verbindung zu dem neben Henry Kissinger zweiten Grand Seigneur der US-Außen- und Sicherheitspolitik nicht erwähnt und den Leser nicht darüber informiert, daß Obamas erster Arbeitgeber nach dem Studium in Columbia, das New Yorker Dienstleistungsunternehmen Business International Corporation, als Tarnfirma der CIA bekannt ist, bestärkt den Verdacht, daß es mehr als nur die Unterstützung der reichen liberalen Elite in Chicago war, die dem bescheidenen Sozialarbeiter zu seinem beispiellosen politischen Erfolg verholfen hat.

6. April 2011


David Remnick
Barack Obama - Leben und Aufstieg
Übersetzt aus dem Englischen "The Bridge - The Life and Rise of Barack
Obama" von Friedrich Griese, Christina Knüllig und Bernd Rullkötter.
Berlin Verlag, Berlin, 2010
976 Seiten
ISBN: 978-3-8270-0893-0