Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → FAKTEN

BIBLIOTHEK/503: Bücherbusse - Mit 300 PS zu den Lesern (dbv)


Deutscher Bibliotheksverband e.V. - Themenservice vom 18. September 2012

Mit 300 PS zu den Lesern

Bibliotheken können auch mobil sein. Als Bücherbusse haben sie dann tausende Medien an Bord, die sie auf ihren Touren direkt zu den Nutzern bringen. Das schätzen gerade Menschen in ländlichen Regionen. Ohne diese Bücher, Zeitschriften und Computerspiele könnten viele von ihnen nicht an der modernen Wissensgesellschaft teilhaben. Doch die Zahl der rollenden Riesen stagniert seit Jahren, obwohl mit dem demografischen Wandel die Nachfrage weiter steigen dürfte.



Pünktlich steht das kleine Grüppchen an der Bushaltestelle. Die Jüngeren tragen Ohrenstöpsel ihrer MP3-Player. Die Älteren plaudern miteinander. Viel ist nicht los in dem kleinen Dorf im Landkreis Celle. Hinter dem Ortsschild fährt man kilometerweit durch Wälder und Wiesen. Was Urlauber an dieser Region idyllisch finden, bedeutet für die Anwohner lange Wege - zum Einkaufen, zum Arzt, ins Kino oder in die nächste Bibliothek.

"Weiße Flecken" auf der Landkarte werden solche Gegenden genannt. Es gibt sie bundesweit. Gemeinsam ist ihnen, dass sie wenig öffentliche Infrastruktur haben. Gerade für Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen kann das beträchtliche Einschränkungen bedeuten. Sie können sich nicht mal eben ins Auto setzen und in die nächste Stadt fahren. Der demografische Wandel in Deutschland wird diesen Bedarf in den kommenden Jahren eher verstärken. Somit werden immer mehr ältere Menschen auf das mobile Angebot der Bibliotheken angewiesen sein, weil sie selbst nicht mehr ausreichend mobil sind. Um ihnen dennoch die Teilhabe an der Wissensgesellschaft zu ermöglichen, haben die Bibliotheken ein besonderes Angebot: die Bücherbusse. Auf festen Touren beliefern sie die Leser mit Büchern, CDs, Computerspielen oder Zeitschriften.

© Foto: Leo Pompinon

Der Celler Bücherbus
© Foto: Leo Pompinon

Einer von ihnen ist der Bücherbus im Landkreis Celle. An vier Tagen pro Woche wird der mächtige 300-PS-Motor des zwölf Meter langen Vehikels morgens gegen halb neun angelassen. Dann geht Bibliotheksleiter Johannes von Freymann mit seinem Fahrer und Bibliotheksmitarbeiter Dieter Dralle auf eine von insgesamt neun Touren durch die Region. 85 Haltepunkte fahren sie an. 4000 bis 5000 ihrer insgesamt rund 35.000 Medien haben sie jedes Mal im Gepäck.


16.000 Bestellungen pro Jahr

Die Haltepunkte fährt der Celler Bus in der Regel alle 14 Tage an. Dann können die Leser im Angebot des Busses stöbern, vorbestellte Medien abholen, Bestellungen aufgeben oder ausgeliehene Medien zurückgeben. "Das Angebot der Fahrbibliotheken wird bundesweit rege genutzt", sagt von Freymann, der auch Vorsitzender der Fachkommission Fahrbibliotheken beim Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) ist. 8,7 Millionen Ausleihen gab es im vergangenen Jahr. 300.000 aktive Nutzer wurden gezählt. "In Celle bearbeiten wir rund 16.000 Vorbestellungen pro Jahr", sagt von Freymann. Insgesamt gibt es über den Celler Bücherbus knapp 130.000 Ausleihen pro Jahr. Die Netto-Öffnungszeit des Busses liege bei 19 Stunden pro Woche. "Das heißt, wir haben eine sehr effektive Ausleihzeit."

Doch obwohl dieser Bedarf besteht, sinkt die Zahl der Fahrbibliotheken, die die derzeit 112 Bücherbusse in Deutschland betreiben, seit Jahren. Gab es 1978 noch 135 Fahrbibliotheken und 1996 sogar 155, ist die Gesamtzahl seither auf 96 zurückgegangen. "Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung", sagt Johannes von Freymann. "Damit steigt die Zahl der Menschen, die an unserer Wissensgesellschaft nicht teilhaben können, und das nur, weil sie am falschen Ort wohnen." 1981 ist die Fahrbücherei Celle erstmals in Betrieb genommen worden. Seit 2010 gibt es den neuen Bus. Er ist mittlerweile der dritte. "Wir sind eine eigenständige Bibliothek", sagt von Freymann. Damit zählt der Celler Bücherbus bundesweit eher zu einer Minderheit. Acht von zehn Fahrbibliotheken sind organisatorisch Teil eines Bibliothekssystems. Fünf Mitarbeiter und ein Azubi teilen sich vier Stellen. Mit der Fahrbibliothek ergänze man das Angebot der Stadt- und der 15 Ortsbüchereien im Landkreis, der auch Träger des Busses sei, sagt der 55-Jährige, der seit 1985 bei der Fahrbibliothek arbeitet. "Zu unseren Aufgaben gehört es aber auch, die Ortsbüchereien zu beraten."

Pro Jahr kostet der Celler Fahrbetrieb 269.000 Euro, die der Landkreis übernimmt. "70 Prozent davon sind Personalkosten", sagt von Freymann. Die Anschaffung des Busses im Jahr 2010 wurde über Mittel aus dem Konjunkturpaket II und einen Zuschuss des Lüneburgischen Landschaftsverbandes bestritten: 423.000 Euro hat das Gefährt gekostet. Untergebracht ist die Fahrbibliothek Celle in den Gebäuden eines ehemaligen Landhandels. Sie konnten so umgebaut werden, dass es nun ein Magazin gibt, eine Laderampe und eine Garage für den Bus. Mit ein wenig Kreativität könne man viel bewegen, meint der Fahrbibliotheks-Spezialist. Der Förderkreis helfe tatkräftig und bei kleineren Aktionen könne er auch Sponsoren gewinnen. Doch das ändere nichts daran, dass es eine solide öffentliche Grundfinanzierung für ein solches Projekt geben müsse. Der Bedarf sei schließlich da.


Grenzüberschreitende Kooperation

Auch andernorts haben Bücherbusse eine lange Tradition. Das Angebot der Stadtbibliothek Freiburg gibt es bereits seit 57 Jahren. "Mit unserer rollenden Zweigstelle ergänzen wir die Versorgung unserer Stadt", sagt die Diplom-Bibliothekarin Christel Karle, die die Fahrbibliothek leitet. Dieses Projekt ist aber auch ein Beispiel für internationale Kooperation. Seit gut 20 Jahren arbeiten die Breisgauer mit der Bibliothèque Municipale im französischen Mulhouse zusammen. "Die Bücherbusse der Städte besuchen einmal im Monat ihre Partnerstadt", sagt Christel Karle. "Erzieher, binationale Familien oder auch ältere Elsässer, die in ihrer Kindheit noch Deutsch gelernt haben, nutzen dieses Angebot." Eine große Nutzergruppe der Busse aus Mulhouse und Freiburg sind Kinder und Jugendliche. Das ist auch bei anderen Bücherbussen so. Viele ihrer Haltepunkte befinden sich an Schulen. Der Bücherbus der Stadtbibliothek im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel fährt wöchentlich neun Grundschulen an. "Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Leseförderung", sagt Birgit Moldenhauer, die Leiterin. "Unsere fahrbare Zweigstelle bietet den Vorteil, dass wir zu den Grundschülern kommen können und die Kleinen sich nicht durch die Großstadt zu uns auf den Weg machen müssen." Mit seinen rund 5000 Medien steht der Bus Woche für Woche an insgesamt 14 Haltestellen. Denn auch in der Großstadt Berlin gebe es Außenbezirke wie Mariendorf, in denen es für die Nutzer keine feste Bibliothek in ihrer Nähe gebe.

© Foto: Leo Pompinon

Johannes von Freymann in der Leseecke des Bücherbusses
© Foto: Leo Pompinon

"Die Stimmung bei uns ist eigentlich immer fröhlich", sagt Dieter Dralle aus Celle. "Der Bus ist eine Art Treffpunkt für alle." Für die Schulen und Kindergärten könne man zudem wichtige ergänzende Aufgaben erfüllen: Klassensätze mitbringen, Medienpakete zu bestimmten Themen zusammenstellen oder Leseförderprojekte unterstützen, indem man Buchvorstellungen, Vorträge oder Autorenlesungen organisiere.

Das Internet bietet den Nutzern der Fahrbibliotheken komfortable Zusatzfunktionen. Sie können beispielsweise ihre Bestellungen aufgeben oder Ausleihzeiten verlängern. Einige Busse haben auch Computer mit Internet-Anschluss an Bord. Die Fahrbibliothek Celle geht noch einen Schritt weiter: Im Verbund mit 25 kleineren Bibliotheken in Niedersachsen bietet sie die elektronische Ausleihe an. Nutzer können darüber 7000 Medien direkt auf ihren eigenen Computer laden. Damit sparen sie sich sogar den Weg zum Bus-Haltepunkt.

Abends gegen 18.30 Uhr ist der Celler Bus in der Regel von seinen Touren zurück. Doch Feierabend ist dann noch nicht. Die Tagesdaten werden auf den Büroserver überspielt. Zudem muss der Bus gereinigt werden. Schließlich soll am nächsten Morgen wieder alles schick sein, wenn der zwölf-Meter-Riese auf seine nächste Tour geht.

Weitere Infos:
www.kreisfahrbuecherei-celle.de
www.fahrbibliothek.de

Infos zu Fahrbibliotheken:
96 Fahrbibliotheken bundesweit
112 Bücherbusse bundesweit
17,4 % organisatorisch eigenständig
82,6 % Teil eines Bibliothekssystems
8,7 Millionen Entleihungen jährlich
Quelle: fahrbibliothek.de


Die bundesweite Aktionswoche "Treffpunkt Bibliothek" wird bereits zum fünften Mal vom Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) koordiniert. Vom 24. bis 31. Oktober 2012 präsentieren sich Bibliotheken in ganz Deutschland als Partner für Medien- und Informationskompetenz sowie für Bildung und Weiterbildung. Sie veranstalten Lesungen, Ausstellungen, Workshops, Events, Bibliotheksnächte und viele weitere Aktionen, die im gemeinsamen Terminkalender zu finden sind: www.treffpunkt-bibliothek.de

Der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) sind ca. 2.000 Bibliotheken aller Sparten und Größenklassen Deutschlands zusammengeschlossen. Der gemeinnützige Verein dient seit mehr als 60 Jahren der Förderung des Bibliothekswesens und der Kooperation aller Bibliotheken. Sein Anliegen ist es, die Wirkung der Bibliotheken in Kultur und Bildung sichtbar zu machen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken. Zu den Aufgaben des dbv gehört auch die Förderung des Buches und des Lesens als unentbehrliche Grundlage für Wissenschaft und Information, sowie die Förderung des Einsatzes zeitgemäßer Informationstechnologien.

*

Quelle:
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Bundesgeschäftsstelle
Brigitta Wühr, Projektkoordination
Fritschestr. 27-28, 10585 Berlin
Telefon: 030/6449899-10, Fax: 030/6449899-29
E-Mail: dbv@bibliotheksverband.de
Internet: www.bibliotheksverband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2012