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BIBLIOTHEK/510: Hochschule Wildau - Ist das eine Bibliothek (dbv)


Deutscher Bibliotheksverband e.V. - Themenservice vom 16. Oktober 2012

Ist das eine Bibliothek

Am 24. Oktober wird die Bibliothek der Hochschule Wildau als "Bibliothek des Jahres 2012" ausgezeichnet. Aus Sicht der Jury zeigt sie, wie moderne Technik zum Nutzen der Besucher eingesetzt werden kann. Der Leiter meint, dass dies nur durch ein engagiertes Team möglich wird. Die enge Zusammenarbeit mit den Studierenden und Professoren der Fachhochschule erweise sich zudem als Segen für alle Beteiligten. Denn die technologische Verwandlung der Bibliotheken sei nicht mehr aufzuhalten.



Die beiden jungen Männer haben gerade ihr zweites Semester Telematik beendet. Jetzt sitzen sie in der Bibliothek ihrer Hochschule, halten aber kein Buch in der Hand, sondern ein kleines elektronisches Bauteil. Eine grüne Diode leuchtet auf. Das ist das Startsignal für Chris, einen der beiden. Er nimmt das Bauteil, stiefelt los und verschwindet zwischen den Regalen. Sein Kommilitone Jonny bleibt am Tisch sitzen und verfolgt auf seinem Laptop, wo sich Chris gerade befindet. Ein Grundriss der Bibliothek wird auf dem Display angezeigt. Darauf bewegt sich ein Punkt. Das ist Chris. Von ihm gehen jetzt Funksignale aus. Die beiden Studenten wandeln sozusagen auf den Spuren des Romanhelden Harry Potter. Auch der Zauberlehrling hatte eine Karte, auf der man sehen konnte, wer sich gerade wo befindet. An etwas Ähnlichem arbeiten Chris und Jonny derzeit mit. In der Bibliothek der Technischen Hochschule Wildau in Brandenburg absolvieren sie ein Praktikum. "Uns geht es natürlich nicht um die Überwachung unserer Nutzer", sagt Dr. Frank Seeliger, der Leiter der Bibliothek. "Wenn das Projekt einmal fertig ist, ist die Nutzung freiwillig." Die Karte sei auch nicht als Kontrollinstrument gedacht. Sie soll vielmehr dazu dienen, Bibliotheksbenutzern einen neuen Service zu bieten, sie beispielsweise über ein Smartphone zum gewünschten Buch zu leiten. Unter anderem für solches Engagement wird die Bibliothek in Wildau am 24. Oktober 2012 als "Bibliothek des Jahres" geehrt. Nach 2009 hatte sie sich zum zweiten Mal darum beworben.

Die Auszeichnung ist der einzige nationale Bibliothekspreis in Deutschland. Der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) verleiht ihn gemeinsam mit der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius für vorbildliche und beispielhafte Arbeit. So wurde im Jahr 2011 die Anton-Saefkow-Bibliothek in Berlin für ihren Beitrag zur Integration geehrt. Im Jahr zuvor wurde die Bibliothek der Universität Konstanz ausgezeichnet. Den Juroren gefiel dort insbesondere die konsequente Dienstleistungs- und Kundenorientierung. Als erste deutsche Bibliothek hat die Konstanzer 2001 die 24-Stunden-Öffnung eingeführt.

© Foto: Leo Pompinon

Eindrucksvolle Architektur aus Glas- und Stahlkonstruktionen Foto: © Leo Pompinon


Eine Hochschul-Bibliothek für jedermann

Im Jahr 2012 kann sich nun die Bibliothek Wildau über das Preisgeld von 30.000 Euro freuen, das die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius bereit stellt. Die Bibliothek ist eine zentrale Einrichtung der Technischen Hochschule der 10.000-Einwohner-Gemeinde südöstlich von Berlin. Auf dem Campus der 1991 gegründeten Fachhochschule ist sie angesiedelt. Aber auch die nicht-studierenden Einwohner können sie kostenlos nutzen - und tun dies auch. "Rund 1200 unserer insgesamt 5000 angemeldeten Nutzer sind keine Studierenden", sagt Frank Seeliger.

Sie kommen sicherlich auch, weil die Wildauer Bibliothek ein Ort zum Wohlfühlen ist. Ihren jetzigen Standort hat sie 2007 in einer ehemaligen Industriehalle bezogen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auf dem Gelände Lokomotiven gebaut und verladen. Der rote Backsteinbau wurde nach der Jahrtausendwende mit modernen Glas- und Stahlkonstruktionen ergänzt. Auf drei Geschossen erstreckt sich nun die Bibliothek galerieartig rund um eine offene zentrale Agora. Die Holzmöbel vermitteln ein Gefühl von Wärme. Durch das Glasdach fällt natürliches Licht.

"Entscheidend für die Auszeichnung ist aber nicht die eindrucksvolle Architektur, sondern die Innovationskraft und der exemplarische Einsatz von RFID-Technologie gewesen", sagt Barbara Schleihagen, die Geschäftsführerin des dbv. Mit Hilfe elektromagnetischer Wellen werden dabei Medien in Bibliotheken gesichert und verbucht. "Die Wildauer Bibliothekare haben sich besonders kreativ und experimentierfreudig gezeigt", sagt Schleihagen. "Neben dem Einsatz von QR-Codes, die am Buchregal auf weitere Angebote hinweisen, haben sie auch neue technische Lösungen für die Bibliotheksorganisation entwickelt." Das ist unter anderem ein mehrsprachiger Multimediaguide. Er heißt 'iCampus goes library' und führt virtuell durch Hochschule und Bibliothek. Auch die elektronische Bibliothekskarte, die Chris und Jonny mit entwickeln, soll einst in den iCampus integriert werden. Dass sie von ihrer Telematik-Dozentin, Prof. Dr. Janett Mohnke, gefragt wurden, ob sie daran teilnehmen wollen, empfinden sie als Auszeichnung. "Sie hat uns das nach zwei Semestern wohl schon zugetraut", sagt Chris. Jetzt nutzen sie die Ruhe der vorlesungsfreien Zeit, um in der Bibliothek zu forschen. Die konstruktive Zusammenarbeit mit den Studierenden und Mitarbeitern der Hochschule ist aus Sicht des Bibliotheksleiters ohnehin ein großes Potenzial. "Technik verändert Bibliotheken derzeit fundamental", sagt Seeliger. "Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung." Durch die enge Kooperation mit der Technischen Hochschule könne die Bibliothek deshalb die Nase weit vorn haben bei der Entwicklung und Nutzung dieser Möglichkeiten. Die Praktikanten hätten deshalb auch einen großen Freiraum, um mit modernster Technik zu experimentieren. "Davon profitieren alle Beteiligten", sagt Seeliger.

© Foto: Leo Pompinon

Dr. Frank Seeliger, Leiter der Bibliothek
Foto: © Leo Pompinon


250.000 Downloads jährlich

Natürlich freue er sich riesig über die Auszeichnung, sagt der schlanke, sportliche Mittvierziger. "So können wir intern und extern zeigen, was in einer modernen Bibliothek möglich ist - und was von unseren Nutzern heutzutage auch nachgefragt wird." So habe es im vergangenen Jahr bei 110.000 Besuchen der Nutzer rund 70.000 Ausleihen physischer Bücher gegeben. Die Zahl der Downloads von E-Books und E-Journals habe aber bereits bei 250.000 gelegen. "Die Arbeit mit digitalen Beständen wird für uns immer wichtiger", sagt Seeliger. "Wir haben einen Medienetat von 217.000 Euro. Rund die Hälfte davon geben wir mittlerweile für E-Books und E-Journals aus."

Das bedeute für Bibliotheken einerseits, dass sie dem unaufhörlichen technischen Fortschritt gewachsen sein müssten. "Da ist die enge Zusammenarbeit mit einer technischen Hochschule ein Segen für uns", sagt Seeliger. Die Bibliotheken bräuchten andererseits aber auch finanziellen und rechtlichen Rückhalt. "Die Lizenzen für die E-Books und E-Journals zu kaufen, ist ungeheuer teuer." Und es seien oft knifflige Verhandlungen mit den Verlagen zu führen, die die Rechte daran besitzen.

Ein großes Problem sei es derzeit auch, die digitalen Bestände für die Bibliotheksnutzer überhaupt sichtbar zu machen. "Unsere 105.000 gedruckten Bände sieht man im Regal", sagt Seeliger. "Den Bestand von 11.000 E-Books und E-Journals aber nimmt man nicht in dieser Weise wahr." Gemeinsam mit Mitarbeitern und Studierenden der Hochschule arbeite man deshalb an besseren Präsentationsmöglichkeiten der elektronischen Bestände.

Im Jahr 2006 kam Seeliger als Bibliotheksleiter nach Wildau. Der promovierte Ethnologe weiß aus eigener Erfahrung, wie man wissenschaftlich arbeitet. Das bibliothekarische Handwerk hat er sich in einem Master-Fernstudium angeeignet. Heute hat er sieben Mitarbeiter, die sich knapp fünf Vollzeitstellen teilen. "Wir sind ein außergewöhnlich engagiertes Team, in dem wir alle sehr transparent und eigenverantwortlich zusammenarbeiten", sagt Seeliger. "Ich denke, dass eine solche Arbeitsweise existenziell wichtig ist für eine moderne Bibliothek. Ohne unseren besonderen Teamgeist hätten wir die Auszeichnung in diesem Jahr sicherlich nicht erhalten."


Drei Mal vorgeschlagen

Die Jury des Bibliothekspreises war aber auch vom Qualitätsmanagement der Wildauer Bibliothek überzeugt. "Die Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen, die auf unterschiedliche Altersgruppen abgestimmten kostenfreien Führungen, Kurse und Kulturveranstaltungen sowie die Kooperation mit der Wildauer Gemeindebibliothek sind besonders wichtig und beispielgebend", hieß es in der Begründung. Als Indiz für das gute Renommee der Bibliothek kann laut Jury gelten, dass sie von drei Verbandsgremien für den Preis vorgeschlagen wurde: vom Landesverband Brandenburg, der Sektion für wissenschaftliche Bibliothek und der Rechtskommission des dbv.

"Mit der Preisverleihung wollen wir einerseits die Öffentlichkeit auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Bibliotheken aufmerksam machen", sagt Barbara Schleihagen. "Die Auszeichnung soll Bibliotheken andererseits aber auch im Wettbewerb um Qualität und Innovation motivieren." In dem rasanten Wandel, in dem sie sich derzeit befänden, sei die Bibliothek Wildau ein preiswürdiges Beispiel. Sie zeige, wie moderne Bibliotheken und Bibliothekare arbeiten.

© Foto: Leo Pompinon

Blick auf die Galerien
Foto: © Leo Pompinon


Info-Kasten:

Der Preis: Die Auszeichnung "Bibliothek des Jahres" ist der einzige nationale Bibliothekspreis in Deutschland. Er wird jährlich gemeinsam vom Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) und der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius vergeben und würdigt vorbildliche und beispielhafte Bibliotheksarbeit. Die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius stellt das Preisgeld in Höhe von 30.000 Euro zur Verfügung. Die Jury, die die Entscheidung traf, tagte unter Vorsitz von dbv-Präsidentin Gudrun Heute-Bluhm, der Oberbürgermeisterin von Lörrach. Zudem gehörten ihr Vertreter der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz sowie der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und von Bibliotheksverbänden an.

Die Bibliothek: Die Bibliothek der Technischen Hochschule Wildau (FH) hat sich um den Preis "Bibliothek des Jahres 2012" mit einem Konzept beworben, das den Bibliotheksmitarbeiter in den Mittelpunkt stellt. Gelebte Identifizierung sei notwendig, um neben den täglichen Anforderungen auch neue operative Ansätze und strategische Ziele zu erreichen, heißt es in der Bewerbung. Sportlicher Teamgeist sei eine wichtige Voraussetzung für die technische Fortentwicklung des Bibliotheksangebots, sagt der Bibliotheksleiter Dr. Frank Seeliger. Die Bibliothek verfügt unter anderem über 150 Leseplätze, 43 Computerarbeitsplätze, Einzelkabinen und Gruppenräume. Seit 2008 bietet sie WLAN für die Nutzer an. Der gesamte Medienbestand ist im elektronischen Katalog erfasst und für die Nutzer rund um die Uhr übers Internet recherchierbar. (dbv)

Weitere Informationen:
http://www.bibliotheksverband.de/dbv/auszeichnungen/bibliothek-des-jahres.html

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Quelle:
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Bundesgeschäftsstelle
Brigitta Wühr, Projektkoordination
Fritschestr. 27-28, 10585 Berlin
Telefon: 030/6449899-10, Fax: 030/6449899-29
E-Mail: dbv@bibliotheksverband.de
Internet: www.bibliotheksverband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012