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BUCHBESPRECHUNG/066: Giacomo Notari "Ihr Partisanen, nehmt mich mit Euch" (Gerhard Feldbauer)


"Ihr Partisanen, nehmt mich mit Euch"

Ein bewegender Roman über den italienischen Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland

Von Gerhard Feldbauer, 18.06.2015


Als die Hitlerwehrmacht nach dem Sturz Mussolinis und dem Ausscheiden Italiens aus der faschistischen Achse mit Berlin am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien besetzte, bildeten die Oppositionsparteien das Nationale Befreiungskomitee CLN, das zur Resistenza, dem bewaffneten Befreiungskampf aufrief. Auf Initiative der IKP entstanden Partisanenabteilungen, die Schritt für Schritt zu einer schlagkräftigen, nach regulären militärischen Grundsätzen aufgebauten Armee anwuchsen. In der Endphase des Befreiungskrieges zählte die Partisanenarmee 256.000 Personen, von denen die IKP mit ihren Garibaldi-Brigaden 155.000 Kämpferinnen und Kämpfer stellte.

Die Resistenza bildet den Inhalt des Romans von Giacomo Notari, dessen 2010 erschienener italienischer Originaltitel lautete "Renn ruhig, Du hast ein starkes Herz". Die deutsche Ausgabe besorgten die Italienkenner Phillip Becher und Christian Begass, die in ihrem Vorwort schreiben, damit dafür einzutreten, "dem Faschismus, der sich in Europa - in welcher Form auch immer - wieder breit zu machen droht, dauerhaft den Weg zu versperren." Die ausgezeichnete Übersetzung aus dem Italienischen stammt von Steffen Kreuseler.

Giacomo Notari, der in einer Garibaldi-Brigade der IKP kämpfte, berichtet, was ihn bewegte, sich den Partisanen anzuschließen und später auch der IKP beizutreten. Seine schlichte Darstellung erinnert an Cesare Pavese, der in seinen Erzählungen und Romanen, die er gegen den Faschismus schrieb, mit tiefem Heimatgefühl den Hintergrund des Kampfes, die dörfliche Welt in Piemont, schilderte. Notari wird im Dezember 1927 in Marmoreto, einem 300 Seelen-Dorf am Ufer des Secchia-Flusses im Apennin geboren. "Ich komme aus einem sehr katholisch geprägten Umfeld. Insofern hatten wir keine besondere antifaschistische Vorbildung. Wir lebten in ganz ärmlichen Verhältnissen und betrieben Landwirtschaft. Wir erwirtschafteten gerade so viel, dass es zum Überleben reichte. Unsere faschistische Regierung ging zwar in Nordafrika Länder besetzen und führte in Spanien Krieg, aber in unseren Dörfern gab es nicht einmal fließend Wasser oder Elektrizität. Und dann kam noch der Eintritt in den Zweiten Weltkrieg dazu."

Die Schule war ein schmaler Raum mit nur einem Fenster, in dem drei Klassen zusammen die Schulbänke drückten. Zur Möblierung gehörte ein weißes Kruzifix und an den Seiten die Portraits des Königs und des "Duce". Die Notdurft wurde hinter einer Hecke verrichtet. Die Lehrerin genoss das Privileg den Stall einer Kuh benutzen zu dürfen. In dieser Schule gab es Kinder, die die erste oder zweite Klasse vier oder fünf Jahre lang wiederholten. Es gab weder Radio noch Zeitungen und erst recht keine Bücher.

Der Sturz des "Duce" wird jubelnd begrüßt. Die Leute dringen ins Parteibüro der Faschisten ein, zertrümmern alles, was ihnen unterkommt und werfen die Porträts Mussolinis und des Königs aus dem Fenster. Die heimkehrenden Soldaten, die sich weigern, für den von einem SS-Kommando Hitlers vom Gran Sasso befreiten Mussolini weiter zu kämpfen, landen in den Konzentrationslagern der Nazis.

Der Autor schildert, wie mit der deutschen Besatzung alles noch schlimmer wurde. Aus den Bergdörfern wurden Einwohner deportiert, es gab Massaker an Zivilisten mit vielen Toten. "Das wurde von vielen Leuten meines Alters als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfunden", sagt er. "Letztendlich musste man eine Entscheidung fällen: Setzte man sich zur Wehr und versuchte diesen Krieg zu bekämpfen oder zog man wieder für die Faschisten, die mit den deutschen Besatzern kollaborierten, in den Krieg."

Als eine kleine Partisanengruppe die Brücke zu dem Dorf zerstörte, schloss der 17jährige Notari sich ihr an. Anfangs sind es sehr wenige und sie sind schlecht ausgerüstet. Aber bald werden die Partisanen zu einem ernsthaften Störfaktor und leisten ihren Beitrag zur Befreiung. Mit dem Kampf gegen die Deutschen wollen sie den Krieg so schnell wie möglich beenden. Notario erfüllt gefährliche Aufträge, als er in der faschistischen Miliz Überläufer zu gewinnen sucht. "In den Partisaneneinheiten haben wir uns schon bald einen Kopf darüber gemacht, was aus dem Land nach dem Krieg werden soll. Wir wollten ein anderes Land aufbauen, das niemandem mehr den Krieg erklärt, in dem die Dörfer Wasser und Licht haben und die Kinder zur Schule gehen können. Wir wollten die Monarchie abschaffen und eine demokratische Republik errichten, in der Frauen auch wählen dürfen und nicht nur Kinder für den Krieg gebären."

Er erzählt, wie Partisanenrepubliken entstanden. Oft waren es nur sieben, acht Gemeinden, die ein zusammenhängendes befreites Gebiet bildeten. Nach 20 Jahren faschistischer Diktatur gab es Wahlen, Lebensmittel und Medikamente wurden gerecht verteilt, Schulen für die Kinder organisiert.

Notari schließt seine Memoiren im Dezember 2008 kurz vor seinem 81. Geburtstag. Diese letzten Zeilen sind nicht frei von Wehmut, ja Trauer. Die Partei, die so Großes leistete im Kampf für die Befreiung vom Faschismus existiert nicht mehr. Vieles wurde erreicht, aber Vieles blieb unverändert. Er bekennt, dass er im Frühjahr 1945, "gutgläubig und unbedarft wie ich gewesen bin, überzeugt davon war, dass die Welt ein bisschen besser werden würde und die Armen ein wenig reicher". Doch der Partisan resigniert nicht: "Vielen gelingt es alt zu werden und unsere Ideale zu bewahren", hält er, der selbst lange Jahre Präsident des Nationalen Partisanenverbandes ANPI der Provinz Reggio Emilia war, fest. Der Geist der alten Partisanenlieder, die dem Kämpfer für die Freiheit versichern, dass es nicht umsonst war, klingt an, wenn er schreibt, wo er begraben sein möchte: Auf dem Gipfel des Cavalbianco, "in einem Teppich aus Blaubeeren, in den Steinfeldern, in denen die Alpenrosen wachsen, wo die Schneedecke viele Monate bleibt und die Murmeltiere in Erwartung der warmen Winde schlummern. Dann werden die Bussarde am Himmel kreisen, auf Beute warten und endlich das winterliche Fasten brechen. Die Bergwiesen werden rosa leuchten, von Milliarden Blaubeerblüten. Rehböcke und Hirsche werden röhren, in Erwartung eines neuen Fortpflanzungsreigens."

Notari regt an, das eigene Leben zu durchdenken, erfüllte und auch nicht erfüllte Hoffnungen, den Gang durch Höhen und Tiefen der Zeit. Er stärkt uns in der Gewissheit, dass die Welt nicht so bleiben wird, wie sie ist. Es ist an uns, das Erbe der Resistenza zu bewahren, sie zu verändern.


Giacomo Notari: Ihr Partisanen, nehmt mich mit Euch!
Papyrossa, Köln 2015, 159 S., Eur 12 (D), 12,40 (A).
ISBN 978-3-89438-583-5.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2015

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