Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/133: "Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch" von Terry Eagleton (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Terry Eagleton
Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch

von Klaus Ludwig Helf, April 2017


Der vorliegende Band ist eine Zusammenstellung der Vorlesungen von Terry Eagleton aus der «Page-Barbour-Vorlesungsreihe« an der Universität von Virginia im Jahre 2014. Der Titel mag zunächst etwas irritieren, da Hoffnung und Optimismus in unserem Kulturraum in der Regel als kongeniale Einheit gelten. Doch nicht so bei Eagleton, der in einem weit und tief ausholenden Zugriff von der Antike bis heute die ideengeschichtlichen Wurzeln und Wandlungen des Begriffs Hoffnung als philosophisches Konzept auslotet und Denker wie Literaten von «A bis Z« auswertet - von Adorno über Aischylos, Aristoteles, Beckett, Benjamin, Bloch, Camus, Cicero, Marx, Pascal, Sartre, Shakespeare, Yeats bis Zizek. Trotz seines fatalen Hanges zu Fatalismus habe er sich entschlossen - so Eagleton -, über das Thema Hoffnung zu schreiben, da dieser Begriff derzeit "merkwürdig vernachlässigt" sei.

Terry Eagleton (*1943) ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester, Fellow der British Academy, marxistischer Literaturtheoretiker und ehemaliger Schüler von Raymond Williams. Besonders beeinflusst haben ihn auch psychoanalytische Theorien sowie die Schriften von Slavoj Zizek. Eagleton hat über Literaturtheorie und über Marxismus publiziert, zuletzt «Warum Marx recht hat« (2012); auch als Linkskatholik mischt er sich immer wieder aktiv in die Politik ein.

Optimismus - so Eagleton - sei eher eine Frage des Glaubens als der Hoffnung: "Er erwächst aus der Annahme, dass sich die Dinge meist zum Guten wenden, und nicht aus dem anstrengenden Bemühen, das uns die Hoffnung abverlangt ... Optimismus als Grundhaltung perpetuiert sich selbst. Er lässt sich nur schwer widerlegen, weil er eine fundamentale Einstellung zur Welt widerspiegelt, genau wie der Zynismus oder die Gutgläubigkeit" (S.13/14). Ähnlich wie der Pessimismus sei der Optimismus kein Ergebnis einer bewussten Reflexion, sondern eine Frage des Temperaments, eine "geistige Marotte", die sich mit der Unabänderlichkeit der Wirklichkeit nicht abfinden könne, was aber eine entscheidende Voraussetzung für die Ich-Bildung des Menschen sei. Für beide Haltungen gebe es keine faktischen Vernunftgründe, während wahre Hoffnung durch Gründe untermauert, aber auch fehlbar sein müsse. Optimismus sei in seinem Vertrauen in die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Gegenwart konservativ und typisch für die Ideologie der herrschenden Klassen.

Neben Nordkorea seien die USA eines der wenigen Länder der Erde, die den Optimismus zur Staatsideologie erklärt hätten. Negativität und Pessimismus gelte hier als eine Art von subversivem Gedankenverbrechen. So hätten - wie ein Historiker nachwies - die Antrittsreden von US-amerikanischen Präsidenten zu allen Zeiten einen optimistischen Grundtenor: "Bestimmte Aspekte der amerikanischen Kultur sind von zwanghafter Fröhlichkeit bestimmt, einer Ich-kann-alles-tun-was-ich-will-Rhetorik, in der eine fast pathologische Versagensangst zum Ausdruck kommt" (S.28). Als frappierendes Beispiel nennt Eagleton die eher "glaubensbasierte" als "wirklichkeitsbasierte" Politik von George W. Bush, die im Irrsinn geendet habe; eine solche Form von Fröhlichkeit und Optimismus sei vergleichbar mit einer psychischen Störung und entspreche dem Abwehrmechanismus der Verleugnung.

Hoffnung dagegen sei mehr als bloßer Optimismus oder Wunschdenken, sondern ein philosophisches Konzept, das Reflexion und klares, rationales Denken einfordere. Optimismus sei banal und irrational. Nach drei Tagen Dauerregen könne man nicht davon ausgehen, dass am vierten Tag die Sonne scheine, hoffen könne man es sehr wohl. Durch die inhärente Möglichkeit des Scheiterns sei Hoffnung aber auch zugleich tragisch und eine permanente Revolution gegen Selbstzufriedenheit und Verzweiflung: "Hoffnung suggeriert eine zaghafte, fast ängstliche Erwartung, einen schwachen Abklatsch robuster Zuversicht ... Hoffnung ist ein dünner Halm, ein Luftschloss, ein angenehmer Reisebegleiter, aber schlechter Führer, eine leckere Soße, aber wenig Fleisch" (S.74).

Ein ganzes Kapitel des Bandes widmet sich dem Philosophen der Hoffnung, Ernst Bloch, dessen Konzept er als hoffnungslos optimistisch kritisiert, da dieser kein Gespür für die Tragödien des Lebens habe. Die Hoffnung sei dem Gang der Geschichte nämlich genau so wenig inhärent wie die Katastrophe; mag sich die Zukunft auch noch so hoffnungslos erweisen, sie hätte stets auch anders sein können. Der Zufall, der für Unglück sorgen kann, könne auch den Erfolg bewirken. Blochs Diktum, dass ein Marxist nicht das Recht habe, Pessimist zu sein, zeuge von einer naiven Fähigkeit zur Selbsttäuschung und von einer therapeutischen Fiktion, der auch manch ein Militanter "in den finstersten Nächten des Klassenkampfes verfalle".

Eagleton warnt aus historischer Erfahrung die Linke vor messianischen zukünftigen Heilserwartungen und fordert eine reflektierte, ausgewogene Strategie: "Der Kampf um eine gerechtere Gesellschaft verlangt eine instrumentelle Vernunft ... Auch wenn am Ende nicht die Gerechtigkeit siegen sollte, verdient ein Leben, das ihr gewidmet war, doch unsere Achtung. Am Ende keinen Erfolg zu haben heißt nicht unbedingt, versagt zu haben, genauso wenig wie tatsächlich alles gut ist, wenn das Ende gut ist" (S. 222/223).

Terry Eagleton hat mit diesem Band seine klugen, tiefschürfenden, zuweilen polemisch und scharfzüngig zugespitzten Analysen zur Wandlung des Konzepts Hoffnung im Laufe der Jahrtausende der menschlichen Geschichte zusammengetragen und ein überzeugendes, zukunftsfähiges Konzept entwickelt.

Terry Eagleton
Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch.
Ullstein Verlag, Berlin 2016
Hardcover
256 Seiten
20 Euro

*

Quelle:
© 2017 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang