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BUCHBESPRECHUNG/025: "Ist die Kirche noch zu retten?" von Hans Küng (Ingolf Bossenz)


Kranke Kirche

HANS KÜNG

von Ingolf Bossenz, Oktober 2011


Hans Küng liebt Fragezeichen. Schon hinter dem Titel des Buches, das in den 70ern seinen Konflikt mit Rom eskalieren ließ, steht eins: »Unfehlbar?«. Gemeint war der Lehranspruch des Papstes. Ein Fragezeichen als Fehdehandschuh. Fragezeichen auch hinter »Existiert Gott?« und »Ewiges Leben?«. Nun also »Ist die Kirche noch zu retten?«.

Wer Küng und seine Schriften kennt, weiß, dass er seine Fragezeichen nicht in einem einfachen Ja oder Nein auflöst, sondern den Leser ausrüstet, die Auflösung selbst zu suchen. Durch Annäherung an eine Wahrheit, die für Küng - im Unterschied zur Kirche, der er unverdrossen weiter angehört - nie eine absolute ist.

Angesichts »der nicht mehr zu übersehenden Erkrankung der Kirche« versucht sich der 83-Jährige als Arzt der Una Sancta. Anamnese, Diagnose, Therapie - Küngs klinische Dreifaltigkeit will retten, was die Verwalter hinter den Leoninischen Mauern in über anderthalb tausend Jahren verhängnisvollen Wirkens noch übrig gelassen haben vom »Leib Christi«. An Amputationen und Totaloperationen, stellt der in Tübingen lebende Schweizer Theologe klar, führt kein Weg vorbei.

Und weg müssen laut Küng vor allem: die Orientierung an kirchlichen Glanzzeiten wie dem Mittelalter, der römische Alleinvertretungsanspruch, die ideologisch verengte Konfessionalität, die patriarchale Fixierung auf stereotype Frauenbilder. Eine katholische Kirche, die daran festhält, so das Resümee am Schluss des Buches, ist nicht zu retten. Dennoch lautet der letzte Satz: »Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie überleben wird.«

Eine Hoffnung, die einigermaßen verwundert. Schließlich handelt es sich bei den laut Küng zu entfernenden Krankheitsherden nachgerade um die Essentials der Papstkirche. Essentials, an deren Festhalten Küngs einstiger Professorenkollege und jetziges Kirchenoberhaupt Benedikt XVI. gerade erst bei seinem Deutschlandbesuch keinen Zweifel gelassen hat.

Zudem: Liest man Küngs radikale historische Anamnese und aktuelle Diagnose, stellt sich eigentlich die Frage, warum ein Monstrum, das seit Jahrhunderten Menschen verdummt, verfolgt und vergewaltigt (bekanntlich nicht nur seelisch-geistig), überleben soll? In Gottes Namen? Braucht es dafür wirklich einen organisatorisch-administrativen Apparat, der Beten, Buße und Bekehrung in ein marktkonformes System zwingt?

Küng stellt diese Frage nicht, er hängt an seiner Kirche. Warum? Das wird zumindest in diesem Buch nicht so recht klar. Denn allein seine Aufzählung all dessen, was des Kritisierens und Verurteilens würdig ist, legt nahe, dass eine Neugründung vermutlich leichter wäre als eine Erneuerung: römisches Macht- und Wahrheitsmonopol, Sexual- und Frauenfeindlichkeit, Reformunwilligkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit, Fortschrittsfeindlichkeit, Demokratiefeindlichkeit ...

Küng wünscht sich eine Kirche ohne Erbsünde, Inquisition und Zölibat, aber dafür mit Frauenpriestern, Laienmitbestimmung und ökumenischem Abendmahl. Das Papsttum soll »im Sinn eines biblisch orientierten Petrusdienstes erneuert werden«. Sollte das Buch den Weg in den Vatikan finden, dürfte es dort für Heiterkeit sorgen.

Um nicht missverstanden zu werden: Küngs Streitschrift sei jedem empfohlen, der an einer ungeschönten Analyse des Zustandes der römisch-katholischen Kirche interessiert ist, egal ob Katholik oder nicht. Daraus könnte sich die spannende Frage ergeben, mit welcher Berechtigung ein derart demokratie- und gesellschaftsfeindliches System in Deutschland Jahr für Jahr mit Milliarden subventioniert wird und in öffentlichen Angelegenheiten ein beispielloses Mitspracherecht genießt.

Hans Küng ruft auf zu »Glasnost und Perestroika«. Nun denn. In der Sowjetunion, einem gleichfalls unreformierbaren System, führten sie bekanntlich zu deren Untergang.


Hans Küng: Ist die Kirche noch zu retten?
Piper Verlag. 272 S., geb., 18,95 EUR


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Quelle:
Ingolf Bossenz, Oktober 2011
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 11.10.2011
http://www.neues-deutschland.de/artikel/208470.kranke-kirche.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2011