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REZENSION/007: Joseph Green - Der schlafende Gigant (Science Fiction) (SB)


Joseph Green


Der schlafende Gigant



Dieser Science Fiction-Roman ist bereits 1971 erschienen. Im Haupthandlungsstrang geht es darum, daß ein Volk wahrer Giganten, das aus den unerforschten weil unerreichbaren Tiefen des Alls kommt, einen bakteriologischen Krieg gegen die Erdenbewohner führt. Sie tauchen in Abständen von mehreren Jahren auf und beschießen den blauen Planeten mit Viren. Bisher ist es der Menschheit dank gemeinsamer Anstrengung immer wieder gelungen, der Vernichtung zu entgehen. Bei dem letzten Angriff der 'Vertilger', wie die Fremden genannt werden, ist deren Raumschiff vernichtet worden. Aber einer der Raumfahrer konnte mit seiner Rettungskapsel von den Terranern geborgen werden. Allerdings hat dieser 92 Meter große Raumfahrer so schwerwiegende Hirnverletzungen davongetragen, daß er sein Gedächtnis verloren hat und eigentlich nicht überlebensfähig ist. Terranische Wissenschaftler halten ihn aber am Leben, weil sie ihn als eine Art trojanisches Pferd zu nutzen gedenken. In seinem Kopf, genauer hinter einem Augapfel werden eine Beobachtungs- und Steuerzentrale, sowie Wohn- und Versorgungsräume für eine zweiköpfige Besatzung eingerichtet. In diesen Räumen sollen die vergleichsweise winzigen Menschen die Reise in die ferne Heimat des Giganten mitmachen und herausfinden, was die Angreifer von der Erde wollen. Mit diesen Informationen sollen sie nach Möglichkeit zurückkehren.

Ob oder wie das gelingt ist Inhalt der Geschichte. Natürlich ist die Idee reizvoll aber auch schwierig und problematisch. Ist es möglich, ein hirntotes, humanoides Wesen so zu manipulieren, daß die nicht mehr willentlich steuerbaren Körperfunktionen von außen aktiviert und gelenkt werden können? Selbstverständlich führt das zu Brüchen in der Darstellung, selbst nach der herkömmlichen Physiologie. Wenn man dann bei der Analyse auch nur eines einzigen Bewegungsablaufs die Schwungverhältnisse berücksichtigt, kommt man schnell darauf, daß Nervenreizungen und Muskelkontraktionen nicht ausreichen, um eine Bewegung auszuführen. Über ein Zittern und Zucken hinaus würde nichts passieren.

Mindestens ebenso problematisch ist die Vorstellung, was mit den winzigen Personen im Kopf eines Riesen von 92 Metern Größe passiert, wenn er tatsächlich aufstehen sollte oder eine heftige Bewegung macht oder vielleicht niesen muß. Da wirken Kräfte auf die kleinen Organismen ein, gegen die die Belastungen eines Astronautentrainings ein Witz sind. Nur daß das Team hinter dem Auge auch während der furchtbaren Schwingungen die Steuerpulte noch bedienen muß.

Aber dafür sind Science Fiction-Romane da, daß man mit einer Mischung aus aktueller Forschung und purer Erfindung eine unterhaltsame Geschichte erzählt. Ärgerlicher ist es aber, wenn der Autor seine ideale Gesellschaft als ökologisch verantwortungsvolle Vegetarier vorstellt, die jeweils auf eigener Anbaufläche für ihre Nahrung sorgen. Kann man sich vorstellen, was eine vier oder fünfköpfige Riesenfamilie am Tag für Mengen Feldfrüchte einfahren müßte, um bei ihren gigantischen Kräften zu bleiben. Natürlich ist der Planet entsprechend groß.

Aber dann erfährt man von den blinden Passagieren, die diese Welt durch das Auge des Heimkehrers betrachten, daß die Häuser, die geschickt in die Bäume eingearbeitet sind, so daß sie sich harmonisch in die Landschaft einpassen, auch über eine Stromversorgung und über Energiewände verfügen. Aber über die Quelle wird man im Unklaren gelassen. Da heißt es einfach: Vermutlich handelt es sich um Sendestrom. Das ist ungefähr so aussagekräftig wie die Feststellung: Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose.

Es gibt also keine Städte mehr, auch keine Regierung, keine Großindustrie, kein öffentliches Transportwesen, nur schlichte (immerhin) private Gleiter. Alles regelt sich reibungslos über ein Kommunikations- und Informationssystem, an das die einzelnen Haushalte angeschlossen sind. Wer baut eigentlich die Kommunikationswürfel und unterhält das Netz?

Noch deutlicher wird die Schwäche der Utopie, wenn die Frage geklärt wird, wieso die Riesen Raumfahrt betreiben können. Dafür gibt es andere Sternenvölker, die in ihrer Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten sind. Im Austausch bekommen diese dann Wissen und Informationen. Ich habe mich gefragt, wie das aussehen soll. Was könnte den rückständigen Völkern so viel wert sein, daß sie dafür Raumschiffe und andere Industriegüter liefern, wenn nicht Wissen, daß die Industrialisierung vorantreibt. Der Trick ist ziemlich einfach, die Bedürfnisse, die die ideale Gesellschaft aus eigener Kraft nicht befriedigen kann oder will, werden durch andere Völker gestillt und dadurch die damit verknüpften Probleme und Folgen auf diese umgelastet. Und somit sind wir wieder bei den ganz normalen irdischen Verhältnissen.

Interessant finde ich Joseph Greens Darstellung der Zustände auf der Erde aus der damaligen '68er Sicht. Da das Buch 1971 erschienen ist, nehme ich jedenfalls an, daß es um diese Zeit geschrieben wurde. Der Autor schließt Russen und Amerikaner infolge der globalen Bedrohung als Verbündete zusammen und die UNO stellt die weltweite Ordnungsmacht.

Nun, es geht auch ohne außerirdisches Feindbild, dafür reichen schon die weltweiten Verteilungskämpfe. Und für die UNO ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie endgültig zur Weltpolizei wird. Das Trainingsprogramm läuft jedenfalls schon.

Auf der Erde herrscht Massenarbeitslosigkeit. Die Bevölkerungen zerfallen in zwei Lager, die Technokraten, die als Spezialisten ausgebildet werden, aber ganz schnell in die zweite Gruppe, die der arbeitslosen Technons, absteigen können, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

In den Vereinigten Staaten von Amerika setzt sich die Gruppe der Technons hauptsächlich aus den Farbigen, vielen Weißen aus ländlichen Gebieten, Latinos und Aussteigern der weißen Mittelstandskultur zusammen.

Es ist billiger, die Technons zu versorgen und mit Fernsehen zu unterhalten, als Arbeitsplätze einzurichten. Zwischen 1981 und dem Jahr 2000 müssen unzählige Technokraten erleben, daß alles, was sie bis dahin erreicht hatten wieder verschwindet. Innere soziale Verbesserungen werden mit dem Hinweis auf die Bedrohung von außen zurückgestellt - wie es so schön heißt.

Anfang der neunziger Jahre finden weltweit, also auch in Europa eine Reihe kleinerer Bürgerkriege aufgrund sozialer Verelendung statt. Viele afrikanische und asiatische Nationen waren wieder in sich bekämpfende Stämme zerfallen. Die übrige Welt nimmt davon keine Notiz, es sei denn, man braucht die Bodenschätze dieser Länder.

Man muß es wohl so sehen, daß all diese Dinge, die heute Realität sind, schon Ende der sechziger Jahre für diesen amerikanischen Autor in den Ansätzen erkennbar waren.

Und das ist die zweite Stärke von Science Fiction-Romanen, die Schriftsteller dürfen unbekümmert Schwarzsehen und ihre Einsichten und Meinung in das Gewand einer fiktiven Gesellschaft kleiden, ohne unbedingt verdächtigt zu werden, sich als Moralisten und Mahner aufspielen zu wollen.


Joseph Green
Der schlafende Gigant
Goldmann Taschenbuch
ISBN 3-442-23363-1