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REZENSION/049: Judith M. Riley - Die Hexe von Paris (Historisch) (SB)


Judith M. Riley


Die Hexe von Paris



In ihrem Roman "Die Hexe von Paris" bedient sich Judith Merkle Riley der Perspektive eines 15jährigen, als verwachsen geltenden Mädchens aus besseren Kreisen, das nicht nur mit einem wachen Verstand begabt ist, sondern auch in Wassergläsern Bilder aus der Zukunft zu sehen vermag. Diese ungewöhnliche, glaubwürdig beschriebene Heldin führt dem Leser Menschliches, Historisches und angeblich Magisches vor Augen, eingebettet in ihren überaus turbulenten Lebenslauf.

Als vom Onkel vergewaltigtes, von der eigenen Mutter verstoßenes junges Mädchen schließt sich Geneviève Pasquier der Schattenkönigin "La Voisin" an, die das Oberhaupt einer überaus geschäftstüchtigen Frauenorganisation ist, die ihren Lebensunterhalt mit dem Brauen von Liebestränken, dem Abtreiben ungewollter Kinder, dem Mischen verschiedenster Gifte sowie dem Herstellen magischer Talismane, der Wahrsagerei und dergleichen mehr verdient. Daß diese Gauklerinnen und Schaustellerinnen von der Autorin jedoch mit Hexen in Verbindung gebracht werden, ist ein unverzeihlicher Makel dieses unterhaltsamen Romans. Denn er unterstützt auf seine Weise die Position der damaligen Inquisitoren, die gern allen nach Selbständigkeit strebenden, untereinander solidarischen Frauen Dinge wie das Töten von Säuglingen oder das Schänden von Leichen nachsagten. Ganz besonders, wenn sie sich mit Dingen beschäftigten, die nicht jedem gleich verständlich waren.

Die Kunden von La Voisins Organisation stammten vor allem aus vornehmen Kreisen, die am glanzvollen Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV ihre Intrigen spannen. Zum geschichtlichen Hintergrund des Romans sagt die Autorin - leider ohne dabei auf die totale Unglaubwürdigkeit von unter der Folter erpreßten Geständnissen hinzuweisen:

La Voisin und die Hexen von Paris sind historische Gestalten, deren Leben und Taten in den Aussagen dokumentiert sind, die sie während der berühmten 'Affaire des Poisons' unter der Folter gemacht haben. Diese Berichte riefen zahlreiche Kontroversen unter Historikern vieler Länder hervor, welche die Zugehörigkeit beziehungsweise Nichtzugehörigkeit der einen oder anderen Person zu dem Netz aus Gift, Konspiration und Hexerei zu beweisen suchten. Bei einigen Autoren finden sich Belege für den klassischen Hexensabbat, andere widersprechen ihnen. Meines Erachtens handelte es sich bei der Organisation um eine Kreuzung zwischen den 'Gesellschaften', welche die Tagesgeschäfte regelten, und einer Art Franchise-Struktur, und so habe ich sie geschildert. (S. 532)

Mit dem ihr eigenen Gespür für die Bedürfnisse ihrer Kunden erschafft La Voisin aus der unattraktiven, fürs Geschäft eigentlich zu jungen Geneviève Pasquier die Marquise de Morville, eine 150jährige, geheimnisvolle Wahrsagerin, deren Körper aufgrund eines alchimistischen Elixiers zur Hälfte jung geblieben ist. Diese Kunstfigur, die Genevièves körperliche und geistige "Makel", nämlich ihre Behinderung und ihre damals bei jungen Mädchen eher unerwünschte Klugheit in faszinierende Eigenart verwandelt, eröffnet ihr Zugang in höchste Kreise. Schon bald sind die "Lesungen" der Marquise de Morville selbst bei der Mätresse des Königs gefragt und Geneviève ist in der glücklichen Lage, für sich selbst sorgen zu können, was für ein junges Mädchen ihres Standes damals alles andere als üblich war.

Neben der überaus gelungenen Darstellung höfischer Intrigen legt die Autorin die Skrupellosigkeit, mit der andere Menschen den eigenen Interessen geopfert werden, recht unverblümt offen. Ob ein unliebsamer Ehemann mit arsengetränkter Kleidung langsam vergiftet, eine unbequeme Geliebte zu einem für seine hohe Sterberate bekannten "Arzt" geschickt oder eine Tochter einem einflußreichen Adligen "zur Verfügung gestellt" wird - wenn es um Macht und Reichtum geht, ist sich jeder selbst der nächste. Nur daß diese Grundeinstellung klischeegerecht vor allem den Frauen zugesprochen wird, denen es offenbar gelungen ist, auf unkonventionelle Weise gemeinsam in einer höchst frauenfeindlichen Zeit ohne den "Schutz" von Ehemännern zu überleben, wäre wirklich nicht nötig gewesen.

Die so angenehm wenig mit "weiblichen" Attributen ausgestattete Heldin wird ausgerechnet vom klugen Herrn Vater mit den "Waffen" der Vernunft im Gewande philosophischer Lehren ausgestattet und vermag daher dem düsteren Einfluß der Hexe La Voisin zu "widerstehen". Allerdings nur, weil ihr, wie kann es anders sein, ein liebender Mann in Gestalt des intellektuellen Spielers Florent d'Urbec zur Seite steht.

Die Hexen von Paris, wer immer sie tatsächlich gewesen sein mögen, werden auf der Bühne christlicher Vorurteile präsentiert: als geldgierige Giftmischerinnen, die notfalls ihre eigenen Kinder für ihre blutigen Rituale verwenden. Ganz klar, daß die Heldin sich am Ende aus ihrem "Bann" befreit und die Geborgenheit einer Zweierbeziehung vorzieht.

Als einziges, unerklärliches Phänomen läßt Judith Merkle Riley ausgerechnet die wahrsagerischen Fähigkeiten ihrer Heldin gelten. Sie sieht Bilder einer Zukunft, die einerseits vorgezeichnet ist, andererseits aber doch verändert werden kann. Woher man allerdings weiß, was man "anders" machen muß, damit ein bestimmtes vorhergesagtes Ereignis nicht eintritt, wird nicht weiter geklärt. So schön unlogisch und blöde kann man Magie gelten lassen, ansonsten ist sie aber ein verabscheuungswürdiges, skrupelloses Geschäft, das nur von ganz "bösen" Frauen geführt werden kann.

Die Autorin stellt die Hexen von Paris als eine Art Unterhaltungs- und Dienstleistungsgewerbe für den zahlungskräftigen Adel dar, das von Abtreibung bis Mord die unmoralischen Probleme feiner Leute löst. Die so vielversprechende Heldin träumt - vom verwachsenen Mädchen schließlich noch zu relativer Schönheit herangereift - schließlich doch den Traum von dem "Einen", der ihr alles erfüllt, was das Leben ihr zuvor verweigert hat.

Schade, daß Judith M. Riley ihr Erzähltalent in den Dienst eines kirchlichen Klischees gestellt hat. Ihre wirklich originelle Heldin hätte etwas Besseres verdient!


Judith M. Riley
Die Hexe von Paris
Historischer Roman
Paul List Verlag, München 1992
533 Seiten
ISBN 3-471-78193-5