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REZENSION/069: Harry Thürk - Amok (Militärputsch Indonesien) (SB)


Amok


Harry Thürk



Im Zeitalter einer ökonomisch und politisch gleichgeschalteten Welt sind spannende Romane, die sich einmal anders mit dem Weltgeschehen auseinandersetzen, als es nach Maßgabe westlicher Selbstherrlichkeit zu reflektieren, eine Seltenheit. Es geht, wohlgemerkt, nicht um aufwendig arrangierte und sprachlich prätentiöse Literatur, die sich im Zuge der immer noch nicht abgeebbten Siegesfeiern vorzugsweise dem Thema angeblich linksfaschistischer Grausamkeit widmet, um die von politischer Gewalt deformierte Psyche zu sezieren, sondern um das Genre der sogenannten Spannungsromane, das beinahe vollständig von amerikanischen Megasellern vom Typ Michael Crichton, John Grisham oder Tom Clancy dominiert wird.

Deutsche Erfolge sind auf diesem eng an die cineastische Verwertung bauenden Sektor dünn gesät, und politische Standpunkte, bei denen die freie Welt nicht gegen islamistische Terroristen, revanchistische Kommunisten oder internationale Verbrechersyndikate zu verteidigen wäre, stellen auch unter deutschen Autoren die Ausnahme dar. Um die ideologische Einfalt durch markante Akzente aufzubrechen, darf da schon mal in die Kiste bereits abgelegter Erfolge von gestern gegriffen werden, insbesondere dann, wenn es sich um Werke handelt, die dem westdeutschen Leser bislang vorenthalten blieben. Aus diesem Grund hat der Ostberliner Verlag Das Neue Berlin einen Roman des Journalisten und Autoren Harry Thürk neu aufgelegt, der im Jahre 1974 erstmalig erschienen und dennoch von erstaunlicher Aktualität ist.

In den Anmerkungen zur Neuausgabe des mit dem malaiischen Wort "Amok" zutreffend betitelten Werks erinnert Thürk an das Schicksal eines indonesischen Freundes, des Lyrikers Sitor Situmorang, der ihm 1979 die Nachricht zukommen ließ, daß er zu zehn Jahren KZ- Haft verurteilt sei. Der Mann hatte von Anfang an gegen das Regime Suhartos opponiert und steht für Thürk damit in der Tradition jener Menschen, die er in seinem Roman als Kämpfer gegen die Errichtung der Militärdiktatur im Jahre 1965 auftreten ließ. Bei der zweiten Herausgabe von "Amok" zeichnete sich bereits der dieses Jahr erfolgte Rücktritt Suhartos ab, bei dem "die Enkel der Generation Sitors das weiterführen, was die Großeltern begannen." Harry Thürk verweist ausdrücklich auf die Ähnlichkeiten zwischen den Ereignissen von 1965 und 1997 und schafft so für die unveränderte Neuauflage seines Werks einen brisanten Handlungsrahmen.

Bei "Amok" handelt es sich zwar um einen Roman, die nicht nur in die Handlung geschickt verwobene, sondern diese ganz und gar bestimmende Geschichte des blutigen Staatstreichs von 1965 geht dem Leser jedoch in einer Weise nahe, wie es keine um Faktizität bemühte Tatsachenschilderung vermag. In dem auf eine überschaubare Anzahl von Akteuren begrenzten Szenario finden sich die Repräsentanten aller am bis dahin sicherlich größten, von Anfang an inszenierten Massenmord nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligten Parteien. Während sich die verschiedenen Handlungsstränge bei Kapitän und Besatzung des Küstenfrachtschiffs "Shark", die als eine Art kommunistische Zelle zur See Flucht vor und Widerstand gegen die Schlächter organisieren, immer wieder kreuzen, verkörpert General Yamun die von nun an militärisch geführte Oligarchie des Landes der tausend Inseln. Ihm zur Seite stehen diverse ihm untergeordnete Offiziere, mit denen das entscheidende Fanal inszeniert wird, das den Sturm der Mörder losbrechen läßt, sowie die zwielichtige Figur des CIA-Agenten Rubios, der für die Deckung der Aktionen durch die USA zuständig ist. Dessen für das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder von der Siegermacht USA dominierte Südostasien bezeichnende Karriere begann in den dreißiger Jahren auf den Philippinen, dem engsten Vasallen Washingtons in der Region, bei der im antikommunistischen Kampf stehenden Geheimpolizei. Seine guten Kontakte zum Stab des pazifischen Oberbefehlshabers der amerikanischen Streitkräfte erweisen sich als Trittbrett für einen Aufstieg ins privilegierte Reich der regierenden Eliten:

MacArthur kam nach zweieinhalb Jahren wieder, mit ihm sein Stab, in dem es Offiziere gab, die sich an Rubios erinnerten, als er sich an sie wandte. Er war während der japanischen Besatzungszeit auf seinen alten Posten als Hafenpolizist zurückgekehrt und sogar befördert worden. Das brachte ihn in den Ruf eines Kollaborateurs. Seine amerikanischen Freunde bereinigten die Sache schnell. Sie hatten erkannt, daß es sich bei Joseph Maria Rubios um einen vielseitig verwendbaren jungen Mann handelte. Er landete wenig später mit einem Stipendium der Ford-Stiftung an der Yale-Universität und stand bereits gegen Ende des Koreakriegs auf der Gehaltsliste der Central Intelligence Agency. Heute gehörte er zum Kreis der Spezialisten für asiatische Angelegenheiten. Sein Büro war in einem Hochhaus in Honolulu, aber dort verbrachte er die wenigste Zeit. Mr. Rubios war ein Mann der operativen Arbeit, eine Sehne im langen Arm der Agentur, der sich im pazifischen Raum überall dort bewegte, wo es darum ging, langfristige strategische Aufgaben im Interesse der Vereinigten Staaten zu lösen.

Bis auf diese und einige andere Stellen verliert Thürk jedoch nur wenig Worte über die globalpolitische Seite des Putsches von 1965, denn daß er nicht nur mit Duldung der "Großen Demokratien", wie Thürk die westlichen Industrienationen nennt, sondern auch Unterstützung amerikanischer Geheimdienste vollzogen wurde, ist allgemein bekannt. Das Ereignis, bei dem bis zu einer Million Kommunisten und Menschen, die sich in anderer Weise unbeliebt gemacht hatten, massakriert wurden, ist als eines der großen ideologisch motivierten Schlachtfeste in die Geschichte der Politik des "Containment", der sogenannten "Eindämmung" des Kommunismus, eingegangen. Wie sehr dieses Wort über den aggressiven Charakter dieser Strategie des "kalten" Krieges hinwegtäuscht, wird bei der Lektüre des Buchs von Harry Thürk eindrücklich klar.

Die Strategie der Generäle, die in Gesprächen Yamins mit anderen Verschwörern minutiös dargelegt wird, bedient sich des klassischen Plots einer dem Gegner in die Schuhe geschobenen Mordtat, die wie ein Zündfunke am Pulverfaß des durch Hunger und Armut gereizten Volks wirkt, das wiederum durch sorgfältige Vorbereitung zu den monatelang anhaltenden Massakern veranlaßt wird. Im Vielvölkerstaat Indonesien mit seiner damals noch sehr differenzierten Glaubenslandschaft waren es Muslime, die die Generäle für ihre Zwecke instrumentalisierten und unter sorgsamer Beaufsichtigung in ihrem Sinne morden ließen. Thürk, der sich lange Zeit in Ostasien aufgehalten hat, beeindruckt mit seiner kenntnisreichen Schilderung der religiösen Vielfalt der Inseln zwischen Hinduismus, Naturreligionen, Christentum sowie Islam und macht dabei deutlich, wie sehr die Religion als Mittel im Kampf gegen den Kommunismus mißbraucht wurde. Heute, wo das bald 200 Millionen Menschen starke Indonesien mit offiziell fast 90 Prozent Muslimen die größte Nation im Kulturraum des Islam stellt, ist von solchen Hintergründen ebensowenig die Rede wie in den vielen anderen Fällen, wo man die Hoffnung auf einen imaginären Lohn durch das Befolgen religiöser Doktrinen zum Werkzeug im Kampf gegen gottlosen Kommunismus aufgebaut hat, um heute über das Ausmaß ihrer Militanz zu klagen.

Der Autor spart jedoch nicht mit Kritik am Verhalten der Kommunistischen Partei Indonesiens, die als stärkste Fraktion von Staatsgründer Sukarno hofiert alle Möglichkeiten besaß, sich in offensiver Weise gegen einen Putsch der Generale zu organisieren. Während die Figur des Kapitäns der "Shark" für den Willen zum organisierten Vorgriff auf die sich abzeichnende Entwicklung steht, bietet die Parteiführung ein Bild der taktierenden Zerrissenheit, bei der man sich so lange aufs Warten verlegt, bis es zu spät ist. Da die Generäle nach dem erfolgreich entfachten Volkszorn, bei dem der Haß der Unterdrückten geschickt von den eigentlichen Verursachern ihrer Misere, der korrupten Beamtenschaft, den reichen Unternehmern und den an allen Geschäften beteiligten Sicherheitsorganen, auf Kommunisten und die um lukrative Einkünfte konkurrierende Minderheit der indonesischen Chinesen gelenkt wird, reinen Tisch mit der roten Bedrohung machen wollen, kommt es zur geschätzten Zahl von bis zu einer Million Opfern im Zeitraum weniger Monate. Thürk läßt die Strategie der finalen Elimination durch seine Protagonisten in Frage stellen, tatsächlich hat die kommunistische Partei in Indonesien sich jedoch nie wieder von diesem Schlag erholt.

Auch die geringe Bereitschaft der Menschen, sich selbst in aussichtslosen Lagen ihrer Haut zu erwehren, wird zum Gegenstand von Thürks Erzählung, die stets darum bemüht ist, das unglaubliche politische Geschehen auf den nachvollziehbaren Nenner des Kampfes um Macht und Einfluß zu bringen. Die Beziehungen der Akteure zueinander unterliegen zwar durchaus persönlicher Anziehung und Abneigung, laufen aber stets Gefahr, durch die Machtverhältnisse und die Teilhaberschaft des einzelnen daran übernommen zu werden. Insofern repräsentieren alle Biographien exemplarische indonesische Schicksale aus einer Zeit, in der ein Menschenleben so nichtig war, wie die Ambitionen der Machthaber gewalttätig.

Das ist auch heute, nach dem Rücktritt Suhartos und vor den anstehenden Neuwahlen, noch so. Amerikanische Interessen dominieren das Geschehen, die Menschen leiden seit der Asienkrise unter verschärfter Not, und die politischen Fraktionen formieren sich zum Kampf um die Macht. Wenn man bedenkt, daß es sich bei Indonesien um das viertbevölkerungsreichste Land der Erde handelt, kann man eigentlich nur staunen, wie gering das Interesse an seinem politischen Schicksal und seiner vielschichtigen Kultur ist, die Harry Thürk auf eindrückliche Weise zu illustrieren versteht. Wer sich mit der leidvollen Geschichte des indonesischen Volks auseinandersetzen und dazu einem spannend zu lesenden und menschlich ergreifende Einstieg nutzen will, dem sei Harry Thürks Werk wärmstens empfohlen. Gerade angesichts der Dominanz der amerikanischen Kulturindustrie und der Einöde affirmativer Globalismusvisionen ist es sozial engagierten deutschen Autoren wie ihm zu wünschen, mehr ins Rampenlicht einer Öffentlichkeit zu treten, die den schönen Schein immer bereitwilliger für die Wirklichkeit nimmt, um die Abgründe ihrer menschenverschlingenden Maschinerie nicht konfrontieren zu müssen.


Amok
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Das Neue Berlin