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REZENSION/149: Markus Heitz - Exkarnation. Krieg der Alten Seelen (Thriller) (SB)


Markus Heitz


Exkarnation - Krieg der Alten Seelen



Der Begriff Seele gibt zu vielfältigen Spekulationen darüber Anlaß, was das, was man auch als Psyche bezeichnet, eigentlich ist.

Warum haben Menschen unterschiedliche Vorlieben, unabhängig von ihrem sozialen Umfeld? Warum sind manche Menschen charismatisch, andere verzagt und feige? Warum sind manche unabhängig vom Alter weiser als andere? Großherzig oder kleingeistig? Warum haben bestimmte Menschen ein besonderes Händchen für gewisse Aufgaben, andere wiederum nicht, obwohl sie dieselbe Ausbildung genossen haben? Warum gibt es psychisch starke oder labile Menschen, auch wenn sie nicht die Erfahrungen in ihren Leben gemacht haben, die das eine oder das andere begründen würden? Existiert das, was man die Seele nennen könnte, nur in einem einzigen Körper und vergeht mit ihm, oder hat sie sich schon in mehr als einem Leben geformt und läßt ihre Erfahrung in den Körper mit einfließen, den man als den seinen betrachtet?

Markus Heitz gibt in seinem neuen Roman "Exkarnation - Krieg der Alten Seelen" dem von den Religionen unterschiedlich ausgemalten Bild über das körperlose Weiterexistieren nach dem Tod eine neue Färbung. In seiner Vorstellung zersplittert das Gros an Seelen in Einzelteile und geht in einer Art Seelenpool auf, aus dem sich wieder neue Seelen zusammensetzen und in die Körper von Neugeborenen einziehen.

Was passiert mit der Seele, wenn der Körper als Anker nicht mehr zur Verfügung steht, weil seine Funktionen zu sehr beschädigt sind? Was mit ihr nach dem Tod letztlich passiert, kann niemand wissen. Jene, die nach einem klinischen Tod ins Leben zurückgeholt wurden, sind über die letzte Schwelle, die das Leben vom Tod trennt, nicht hinübergetreten. Sie berichten von einem schwebenden Zustand, bei dem man seinen Körper von außen betrachtet, davon, daß man sein gelebtes Leben in Bildern an sich vorbeiziehen sieht, und von einem Licht am Ende eines Tunnels. Was diese Erlebnisse tatsächlich verursacht, weiß man nicht. Es könnten elektrische Impulse im Gehirn sein, ein letztes Zucken zerebraler Windungen. Oder eben so etwas, wie das Loslösen der Seele.

Markus Heitz hat sich die Mühe gemacht, sich in eine Seele, die ihren Körper verläßt, hineinzudenken und etwas sehr anschaulich zu beschreiben, das sich der Vorstellung normalerweise entzieht. Er begleitet die Seele der brutal ermordeten Claire Riordan, deren Körper zerschmettert auf der Straße liegt:

Das gleißende Blitzen in den Fassaden, auf dem Boden und an den Leuten nahm zu, steigerte sich. Es war überall, unsichtbare Stroboskope und Miniaturgewitter entluden sich ohne Takt. Gebäudekanten wurden beleuchtet, Fensterrahmen, Gesichtszüge, die Statuen auf dem Eselsbrunnen. Der Alte Markt mit den Menschen darauf war in der von allen Seiten drückenden Dunkelheit kaum mehr zu erkennen und wurde nur durch die Entladungen gelegentlich erhellt. [...]
In ihr entstanden eine Million Bilder und verschwanden, überlagerten sich, formten Collagen, verschwanden, flammten schlagartig auf und verwandelten sich zu einem wirren Film, dann zu einem Gemälde, danach zu einem Eindruck, der Furcht auslöste.
Claire vermochte nichts davon zu steuern, gar nichts. Diese unbändige Flut schwappte durch ihren Verstand und spülte ihn davon. Claire driftete dahin, tauchte in die Bilder ein, ertrank in den Gefühlen, welche mit ihnen kamen, wollte lachen und weinen, schreien und flehen ...
Nichts von alledem gelang ihr. Sie spürte den Wahnsinn in sich aufsteigen und suchte einen Anker in dem Überbordenden: Ich muss zu Finn und Deborah. Sie brauchen mich!
(Seite 25-26)

Claires Mann Finn wurde kurz, nachdem sie vorsätzlich überfahren worden ist, mit einem Messerstich ermordet. Niemand kann sich diesen Überfall erklären. Denn die beiden betrieben ein beliebtes irisches Café und hatten keine Feinde. Doch Claires Vorfahren sind allesamt gewaltsam ums Leben gekommen. Auf ihrer Familie scheint ein Fluch zu liegen und so sind nun auch Claires Tochter Deborah und ihre Schwester Nicola in Gefahr.

Claire berührt eine andere Seele, die an ihr vorbeistreift und wird von ihr mitgerissen. Dabei läßt Heitz sie eine Welt jenseits der greifbaren Realität berühren, die weitaus archaischerer Art ist, als jener paradiesische Himmel, der den auf ein Jenseits hoffenden Gläubigen von ihren Religionen angeboten wird.

Claires Sinne schienen einer nach dem anderen zu erwachen. Sie meinte, ein wütendes Brüllen und Fauchen in der Finsternis zu hören wie von einem großen Brand, der sich der Vernichtung durch Löschwasser verweigerte.
(Seite 27)

Der Wille, herauszufinden, wer hinter den Morden an ihr und ihrem Mann steht, hält sie davon ab, sich weiter aufzulösen.

"Hätten Sie nicht darum gekämpft zu bleiben, wäre Ihre Seele in die kosmische Seelenmasse zurückgekehrt, aus der sie einst kam. Die Energie reist an ihren Ausgangspunkt zurück und geht darin auf, um die Quelle zu speisen. Und mit dem Entstehen eines neuen Lebens wird wieder etwas davon entnommen. Ein ewiger Kreislauf."
(Seite 99)

... erläutert Fabian, Claires einziger Verbündeter in dem Schlamassel, in den sie gerät, als sie in dem Körper von Lene von Bechstein wieder zu sich kommt. Kaum ist sie in einem Krankenwagen erwacht, muß sie nicht nur um ihr wiedergewonnenes Leben kämpfen, sondern sie bekommt es mit einer Art Seelenmafia zu tun, die die absolute Herrschaft über alle Menschen anstrebt.

Es gibt nämlich noch mehr Seelen, die nicht in der Urmasse aufgehen wollen. Es sind starke Seelen, die ein Motiv haben, weiterhin derselbe Mensch zu sein und auf der Erde zu bleiben. Solche Seelen wandern von Körper zu Körper.

"Diese Auserwählten lenken die Geschicke der Menschheit bereits seit langer Zeit. Es hat Vorteile, eine wandernde Seele zu sein, denn mit jeder Wanderung in einen neuen Körper erlangen die Seelen außergewöhnliche Kräfte und verstärken diese. Ausgestattet mit unvorstellbaren, ganz verschiedenen Fähigkeiten, nannte die Menschheit sie mal Engel, mal Dämonen und manchmal sogar Götter. [...] Unsägliche Greueltaten, unübertreffliche Heldentaten, beides haben sie vollbracht und Einzug in die Geschichtsbücher gehalten, von den größten Gelehrten bis zu den schrecklichsten Feldherren und Kriegstreibern. Und [...] manche der Seelenwanderer hassen sich bis auf Blut, bis auf den Grund ihrer uralten Seele."
(Seite 101)

Lene von Bechstein gehört ein Kosmetikunternehmen und ihr Körper hatte die Heimstatt einer mächtigen Alten Seele namens Anastasia werden sollen, die zusammen mit ihrem Partner Dubois die Verbindungen des Konzerns dazu nutzen wollte, ihre finsteren Absichten zu verwirklichen und ein Serum zu verbreiten, das die Menschen in den Selbstmord treibt. So könnten die Alten Seelen ohne Zeitverlust von einem zum anderen Körper springen und dabei ihre Fähigkeiten potenzieren.

Die Seele eines solchen Seelenwanderers kann nämlich nur innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums wieder in den Körper eines verstorbenen Menschen einfahren. Und das auch nur dann, wenn der sich aus Verzweiflung umgebracht hat oder in so tiefe Depression gestürzt worden ist, daß seine Seele von selbst 'den Geist aufgibt'. Um Menschen in eine solche Lage zu bringen, bedarf es einer gewissen Vorbereitung. Das Opfer muß mehrere Schicksalsschläge hintereinander erleiden, bis es keinen Ausweg mehr weiß und sich umbringt, was natürlich auf eine Art und Weise geschehen muß, die den Körper nicht zu sehr schädigt.

Um dies alles zu bewerkstelligen, haben sich die Alten Seelen, die schon seit Jahrhunderten von einem Körper zum anderen gewandert sind, einen Kreis von Untergebenen geschaffen, necessarii genannt - Seelen, die erst ein- oder zweimal gewandert sind und deshalb noch nicht so stark sind wie die Alten und über nur eine oder wenige besondere Fähigkeiten verfügen. Sie reichen von dem Schrei, der Glas zum Zerspringen bringt, über die Fähigkeit, Gegenstände mental zu bewegen, bis dazu, die Seele eines anderen komplett auflösen zu können.

Fabian, der der necessarius Marie Hochschmidts ist, einer anderen Alten Seele, die zusammen mit zwei weiteren, Philipp Stahl und Sergej Taronow, dem abgrundtief bösen Dubois das Handwerk legen will, verfolgt seine eigenen Ziele, für die Claire durchaus empfänglich ist. Er will die Menschheit von allen machthungrigen Alten Seelen befreien, was ihm nur gelingen kann, wenn er sie mit ihren eigenen Waffen schlägt. Doch wann droht eine Seele zu mächtig zu werden? Und wer darf die Grenze zwischen Gut und Böse ziehen? Claire ist, wie sich herausstellt, eine Seelen-Anomalie, die sich den seelenkosmischen Gesetzmäßigkeiten widersetzt und von vornherein schon mehrere Fähigkeiten besitzt, womit sie die Macht der Alten Seelen ins Wanken bringen kann. Könnte sie allein schon deswegen auf Fabians Abschußliste landen?

Fabian arbeitet im Verborgenen für eine Organisation, die für den Ausgleich von Gut und Böse in der Welt kämpft - Libra. Für sie ist die Seele eine Energieform, die im Laufe der Lebensjahre positiv oder negativ geladen wird. Manche Menschen sammeln viel Energie, andere geben sie ab oder verlieren sie. Wenn die Seelenenergie zu groß wird, können manche zu strahlenden Engeln werden. Andere werden aggressiv und niederträchtig und mutieren zu dem, was man Vampire und Ausgeburten des Bösen nennt. (Seite 209)

Hier liefert Heitz im nachhinein noch schnell eine auf sein Seelenkozept zugeschnittene Erklärung für die Existenz der Fantasy-Gestalten, die viele seiner bisherigen Romane bevölkern. Denn der Energiegehalt der Seele hat Auswirkungen auf den Körper des Menschen und kann ihn zu dem eines Dämons verformen.

Libra hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bösen einzufangen und wegzusperren. Da das Böse auf dem Vormarsch ist, muß man verhindern, daß böse Seelen in den Pool zurückgelangen. Man darf das Böse also nicht umbringen, sondern es davon abhalten, den Körper zu verlassen und den Pool zu verunreinigen. Hier kommt nun ein alter Bekannter aus vorangegangenen Heitz-Romanen ins Spiel: Eric von Kastell. Eric ist ein Wandelwesen, das etwas Dämonisches in sich birgt. Ursprünglich war er ein Werwolf gewesen. Was ihn dazu gebracht hat, die Wesen seiner Art, die so böse sind, Menschen anzugreifen, zu jagen und zu ermorden, erfährt man nicht. Auch was es mit seiner Bekannten Sia und deren Tochter Elena auf sich hat, muß der Leser, wenn er denn die Möglichkeit hat, entweder in Heitz' Judas-Trilogie oder im Ritus/Sanctum-Doppelband nachlesen. Erinnert man sich daran nicht mehr oder hat diese Bücher nicht gelesen, wird man als Leser vor etliche Rätsel gestellt, die nur zur Verwirrung beitragen. Etwas mehr Erklärung wäre schon nötig gewesen, um dem Erzählstrang, der sich um Eric dreht, den nötigen Hintergrund zu geben, damit er in das Gesamtkonzept eingepaßt werden kann.

Doch im Ganzen betrachtet ist dieser Roman schlüssig aufgebaut und fußt auf einem durchaus ernstzunehmenden, philosophischen Hintergrund. Vermutlich unbewußt wirft Heitz bei seinem Seelenkonzept Fragen auf, denen man sich nicht gerne stellt. Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Bin ich mehr als ein Körper, der auf Reize reagiert? Was bleibt von mir übrig, wenn mein Körper mich nicht mehr an seine Bedürfnisse erinnert? Das Bild eines zerfasernden Selbst ist gar nicht so weit hergeholt, wenn man bedenkt, wie schwer es ist, seine Gedanken längere Zeit auf eine Sache zu fokussieren. Wie schnell driftet man ab und vergißt. Allein die Frage, wo das Selbst eigentlich ist, wenn man schläft, müßte einen schon in Panik versetzen. Kommt es einem doch meistens so vor, als gäbe es gar nichts zwischen einschlafen und aufwachen. Zum Glück wacht man ja immer wieder auf und stellt fest, daß man noch die selben Rückenschmerzen hat wie vor dem Einschlafen. Doch was würde geschehen, wenn der Körper nicht mehr in der Lage ist, einen an sich selbst zu erinnern?

Am Ende des ersten dieses offensichtlich auf zwei Bände angelegten Romans spitzt sich die Lage sowohl für Claire also auch für Eric, deren Geschichten parallel verlaufen, immer weiter zu, bis die Karten überraschenderweise noch einmal neu gemischt werden und für den Folgeband schlimme Entwicklungen vermuten lassen.

15. August 2014


Markus Heitz
Exkarnation
Krieg der Alten Seelen
Knaur Verlag, München 2014
608 Seiten
€ 14,99
ISBN 978-3-426-51623-2