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REZENSION/155: Markus Heitz - Wédōra. Staub und Blut (Fantasy) (SB)


Markus Heitz


Wédōra - Staub und Blut



Mit "Wédōra" hat es Markus Heitz im Vergleich zu seinem letzten Roman ("Exkarnation. Seelensterben") zumindest anfänglich verstanden, einen dichten, detailreichen, aber nicht überladenen Roman zu schreiben. Die Handlung spielt in einer Art altertümlichem Arabien, das er mit Fantasy-Elementen wie dinosaurierartigen Reittieren oder wurmartigen Monstern angereichert hat. Moderne oder sogar futuristische Medizintechniken haben darin ebenso ihren Platz wie Zauberei.

Durch das Wirken des Hexers Dûrus werden der gutherzige Halunke Liothan und die Gesetzeshüterin Tomeija aus ihrer Welt - einem dichtbewaldeten, mittelalterlichen Ort - herausgerissen und in eine Wüstenlandschaft katapultiert, wo sie sofort den wildesten Gefahren ausgesetzt sind. Rettung vor dem sicheren Hitzetod bietet nur die Stadt Wédōra, deren hoher Turm aus der Entfernung erkennbar ist. Die beiden machen sich dorthin auf den Weg, werden von einer Karawane aufgenommen und haben fortan nur noch einen Wunsch: irgendwie wieder nach Hause zurückzukehren, um den bösen Hexer zur Verantwortung zu ziehen.

Der wollte eigentlich nur seine Ruhe haben, ist selbst einmal aus politischen Gründen aus dem Wüstenland geflohen und hat sich in der Baronie Walfor den Ruf eines gewissenlosen Händlers erworben. Dûrus war wenig erfreut, als Liothan bei ihm eingebrochen ist. Nach Robin-Hood-Manier wollte der forsche Räuber bei ihm ein wenig Gerechtigkeit walten lassen. Durch die falsche Einschätzung der Gefährlichkeit seines Opfers - dabei hat Tomeija ihn noch ausdrücklich gewarnt - hat Liothans Familie Entsetzliches zu erleiden. Doch davon erfährt Liothan nichts. Beseelt von dem Verlangen, zu seiner geliebten Frau und seinen beiden Kindern zurückzukehren, sucht er in Wédōra verzweifelt nach einem Rückweg und ist dafür bereit, sich den unheimlichsten Gefahren zu stellen und sogar auf Zauberei einzulassen.

Auch Tomeija, die noch junge Witwe eines Schwertkämpfers, eine Meisterin des Kampfes und Trägerin eines verfluchten Henkersschwerts, hat einiges durchzustehen, bis sie ihren Jugendfreund Liothan, von dem sie in Wédōra getrennt wird, am Ende wiederfindet.

Zu Beginn der Geschichte betritt man jedoch eine Stadt, deren seltsam makellose Kulisse verwundert. Die im aufklappbaren Buchdeckel vorangestellte Stadtkarte zeigt einen reißbrettartig angelegten, achteckigen Plan, der mehr durch seine Symmetrie besticht, als auf Zweckmäßigkeit schließen läßt. Die von mehreren Wällen zackenförmig umgebene Kernstadt ist in neun Viertel eingeteilt. An das quadratische Prachtviertel in der Mitte grenzen je zwei Quadrate für reiche und einfache Bürger. Eines der vier restlichen Dreieck-Flächen, die nötig sind, um das Achteck aufzufüllen, ist ebenfalls für Reiche reserviert, ein anderes nennt sich Vergnügungsviertel und in den zwei verbliebenen sind die Armen und die Kranken angesiedelt. Daß die Armen nur so wenig Platz beanspruchen, soll vielleicht den Schluß nahelegen, daß es den Menschen in Wédōra gut geht. Da es Sklaven gibt, muß man zumindest davon ausgehen, daß humanistische Werte keine Gültigkeit besitzen.

Markus Heitz zerschlägt das scheinbar heile Bild vermutlich nicht aus diesem Grund immer wieder durch schonungslose Grausamkeit, sondern weil er sich gern genüßlich den Folgen der übrigens gekonnt beschriebenen Kampfszenen hingibt und es nicht lassen kann, den Leser mit aus aufgeschlitzten Bäuchen herausquellenden, schleimig rosafarbenen Darmschlingen zu 'unterhalten', in die ihr Besitzer zu allem Überfluß auch noch selbst hineinstürzt. Auch die detailliert geschilderte Schlachtung und der anschließende Verzehr eines Menschen ist nichts für ein zartes Gemüt, das gerade noch die fast schon sphärisch anmutende, makellose Pracht und Schönheit der Stadt genossen hat. Möglicherweise sind solche brutalen Einschnitte nötig, um den Leser aus der allzu schönen Welt zu reißen. Das gelingt dem Autor auch dadurch, indem er schonungslos Sympathieträger über die Klinge springen läßt.

Doch ein rundes, abgeschlossenes Bild, eine Handlung, die von ausgereiften Charakteren und durchdachtem Hintergrund belebt wird, bietet dieser Roman nicht. Es ist eher unbefriedigend, daß sich die Handlung des Romans darin erschöpft, daß die beiden Protagonisten sich gegenseitig suchen und nicht zusammenkommen, obwohl es ganz leicht möglich gewesen wäre.

Als Markus Heitz seinen Roman "Wédōra" auf der Leipziger Buchmesse vorstellte, hatte er ihn offenbar noch nicht zu Ende geschrieben. Intrigante Stadthalter, ein rätselhafter Herrscher und Wüstenvölker, die die Stadt unbedingt vernichten wollen, weil sie auf einer ihnen heiligen Quelle erbaut worden ist, hätten eine Rolle spielen sollen. Doch all das findet in der Handlung kaum Erwähnung.

Der Leser lernt die Völker, die Wédōra vernichten wollen, genauso wenig kennen, wie er etwas über die heilige Quelle erfährt, die die Ursache für die Feindschaft darstellt, welche die Wüstenvölker antreibt. Man hat das Gefühl, das ganze Geschehen nur von außen zu sehen, möchte jedoch wissen, wie haben diese Völker dort früher gelebt? Auf welche Art und Weise haben sie die Quelle genutzt? Was bedeutete sie ihnen?

Was stattdessen mitgeteilt wird, sind bildhafte Eindrücke. Wenn man als Leser an der Seite Liothans durch die verschiedenen Viertel Wédōras geht, sieht man nur Fassaden, als bewege man sich durch ein Potemkinsches Dorf. Dieses Wédōra hat kein Eigenleben. Man kommt sich als Leser wie eine Spielfigur vor, die von Feld zu Feld gesetzt wird. Was wahrscheinlich auch nicht verwunderlich ist, wenn man davon ausgeht, daß die Idee zu Wédōra in der 20 Jahre zurückliegenden Rollenspiel-Zeit des Autors geboren wurde.

Während man in den ersten Kapiteln noch das Gefühl hat, daß dieser Roman gut durchdacht und stimmig ist - Liothans Aufenthalt im Gefängnis bis zu dem Moment, an dem er als Sklave verkauft wird, ist lebendig und spannend geschrieben - ist dem Autor späterhin offenbar der Atem ausgegangen. Dann gibt es nur noch Hin- und Hergehetze, Kämpfe, einen Verschwörungsplan ohne Hand und Fuß, der darauf abzielt, den Herrscher zu stürzen, wobei die Notwendigkeit dessen nicht hinreichend erläutert wird. Dann schließlich die Verschwörung hinter der Verschwörung, als klar wird, daß die selbsternannten Befreier jener Menschen, die angeblich unter der Knute des Herrschers zu leiden haben, sich in Wirklichkeit als Handlanger anderer Mächte entpuppen, die die Stadt erobern wollen.

Die Kampfszenen sind zu Anfang so ausführlich beschrieben, daß sie gut nachvollziehbar sind, aber bei der x-ten Wiederholung wird's langweilig. Diesem Umstand versucht der Autor mit Splatter-Absurditäten entgegenzuwirken.

Daß ein ganzes Laboratorium allein dadurch explodieren kann, weil sich ein geworfenes Schwert dorthin verirrt, mag vielleicht noch angehen, aber daß die Eingeweide eines aufgeschlitzten Opfers explodieren oder ein abgetrennter Kopf vom Wüstensand abprallt wie ein Gummiball, ist nicht nachzuvollziehen und dient wohl eher der Effekthascherei.

Auch Tomeijas 'Ausflug' in den Verwesungsturm ist an ekelhaften Absurditäten nicht zu überbieten. Solche Darstellungen machen leider die Parallelen zur Wirklichkeit zunichte, die Markus Heitz durchaus im Hinterkopf gehabt haben könnte. So wird Menschen- und Organhandel bzw. -raub betrieben und ein schonungsloser Fingerzeig auf solche der Realität zuzurechnenden Zustände sind ein begrüßenswerter Ausflug in ein aktuelles Thema. Aber wie soll man solche Hinweise ernst nehmen, wenn sie mit Folgendem verquickt werden:

Tomeija stürzte an den rauhen Wänden vorbei und landete seitlich auf einem weichen, matschigen Berg, der sogleich unter ihr nachgab. Leise schmatzend brachen zersetzende Körper um sie herum auf, beißender Gestank hüllte sie ein. Leichenflüssigkeiten sprühten gegen sie und benetzten sie mit stinkenden Tröpfchen.
Tomeija presste die Lippen zusammen, um nichts davon in den Mund zu bekommen. Sie machte sich klein und rollte abwärts, durch knackende Gebeine und modernde menschliche Überreste, die sich zu verschieden hohen Hügeln aufgetürmt hatten.
Ein Torso, weich und mit grünlichem Fleisch, löste sich aus dem Durcheinander und schmiegte sich an sie, wollte mit ihr abwärtstanzen und sich an sie drücken. Die halb verwesten Finger verfingen sich an ihrem Gürtel.
(S. 362-363)

In den Verwesungsturm werden nicht nur die Toten geworfen, sondern dort hausen auch die Weggeworfenen - Alte, Frauen, Kinder, die eitrige Verletzungen haben. Sie wurden irrtümlich oder absichtlich zu Leichen erklärt, damit sie in der Totensee sterben. Doch einige haben überlebt. Sie ernähren sich vom Fleisch der Toten, deren Blut und andere Flüssigkeiten als Wasserersatz herhalten müssen.

Von einer dort dahinvegetierenden Frau erfährt Tomeija, daß Dyar-Corron, der Stadthalter des Kranken-Viertels, Kindern, die Heilung suchen, Organe raubt und sie den wohlhabenden Bewohnern verkauft. Tomeija hatte den 'Heiler' im Krankenviertel bereits belauscht, als er mit einer Kundin sprach:

»Beruhige dich. Es wird nicht mehr lange dauern, und das Schicksal bringt mir jene Leiche, die dein neues Herz in sich trägt. Ich werde das alte austauschen, das seine Schläge getan hat, wie die anderen zuvor. Das fünfte hält länger durch als die übrigen. Sei dankbar dafür.«

Auch in Wédōra müssen Herzen noch schlagen, um ausgetauscht werden zu können, selbst wenn die Heiler so tun, als entnähmen sie sie nur von Toten. Ein Eindruck, der übrigens auch von den Ärzten in unserer Welt geweckt wird. (*) Solche Vergleiche verbieten sich eigentlich der Ernsthaftigkeit des Themas wegen.

Leider kommt einem dieser Roman, wenn man ihn zu Ende gelesen hat, wie ein schlecht gemachter Comic vor. Es gibt etliche Einzelbilder, die man betrachten kann, aber sie erzählen keine Geschichte, sie haben kein Leben. Bei einem guten Comic entsteht die Geschichte zwischen den Bildern im Kopf des Betrachters. Aber bei "Wédōra" können nicht einmal die vielen Worte eine fesselnde Geschichte erzählen.


Anmerkung:
(*) siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Bildung und Kultur → Report
BERICHT/027: "Die Untoten" - Transplantationsmystik - Wenigstens meine Organe sollen überleben... (SB)

12. November 2016


Markus Heitz
Wédōra
Staub und Blut
Droemer Knaur Verlag, München 2016
607 Seiten
€ 16,99
ISBN 978-3-426-65403-3


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