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BUCHBESPRECHUNG/121: Partituren - Magazin für Klassische Musik 13 (SB)


Friedrich Berlin Verlag


Partituren

Das Magazin für Klassische Musik - Ausgabe Nr. 13 November/Dezember

Mythos Dirigent


Der Beruf des Dirigenten birgt einige Geheimnisse. Man kennt legendäre Namen wie Herbert von Karajan, Sir Simon Rattle, Bernhard Haitink Neville Marriner und andere. Ihre Namen sind vielen von uns ein Begriff, über ihre Arbeit wissen wir allerdings in der Regel wenig.

Kein Wunder, denn der Kontakt mit klassischer Musik bleibt eher einer Bildungselite vorbehalten, der auch die Dirigenten selbst entstammen. Für die meisten Kinder ist es schon aus Kostengründen ein Privileg, eine Musikschule zu besuchen, und in unseren allgemeinbildenden Schulen hat man den Musikunterricht - ungeachtet der Tatsache, daß die Beschäftigung mit Musik und das gemeinsame Musizieren mit anderen, nicht nur Spaß macht - inzwischen zumeist ganz vom Lehrplan gestrichen. Ein Instrument spielen zu lernen, erfordert Disziplin, Durchhaltevermögen und viel Konzentration. Wer allein oder gemeinsam mit anderen musiziert, muß bereit sein zuzuhören, sich auf andere einzustellen, eventuell auch einmal von den eigenen Vorstellungen abzusehen und Vorschläge anderer in Betracht zu ziehen. So lernt man, sich stets mit Neuem auseinanderzusetzen, nachzuahmen, aber auch zu experimentieren. Neben der Fähigkeit, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren, kann ein sozialer Umgang erlernt werden, der fundamental bedeutsam für das spätere Leben sein dürfte.

Und wenn auch vielen berühmten Dirigenten gesellschaftlich gesehen eigentlich inakzeptable Eigenarten nachgesagt werden, sind sie doch alle durch eben diese Schule gegangen und haben es geschafft, mit ihrem musikalischen Wissen, ihren Fähigkeiten, ihrem Vorstellungs- und Durchsetzungsvermögen das Publikum auf ihre Seite zu ziehen.

Wer den ersten Artikel der jüngsten "Partituren"-Ausgabe 'Der Mythos Carlos Kleiber - Auf der Suche nach dem Ideal' gelesen hat, weiß, warum sich um das Dirigentendasein Legenden ranken. Denn bei allen Eigenarten, die dem 2004 Verstorbenen nachgesagt werden, liest man nichts Genaues darüber, 'wie' er geschafft hat, "daß es im Saal knistert", aber ganz unbezweifelbar weiß man, daß er die Fähigkeit besaß, "den Funken aufs Publikum überspringen zu lassen".

Die "Partituren"-Redaktion ist mit dieser 13ten, der November/Dezember-Ausgabe bemüht, dem Leser die Arbeit des Dirigenten aus verschiedensten Blickwinkeln nahezubringen. Zahlreiche Interviews, geführt mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die Rubrik 'Wissensfutter' diesmal mit Erläuterungen zum 'Dirigieren für Anfänger - Die Schlagtechnik', eine kurze Geschichte des Dirigierens, viele weitere Artikel, etliche Besprechungen neuer CDs, DVDs und Bücher wie auch die dem Magazin beigefügte CD, auf der Mozarts Klarinettenkonzert KV 622 und Beethovens Symphonie Nr. 5 c-moll von vier verschiedenen Dirigenten interpretiert werden, klären weitgehend über das Berufsbild auf.

Der Leser kann sich schließlich, nachdem er sich über die Herangehensweise eines Dirigenten an ein neues Werk, über den Umgang mit Partituren und Orchestermitgliedern informiert hat, nachdem er gelesen hat, wie beispielsweise Pierre Boulez zum Dirigieren kam, worin die Aufgabe eines 'Pultmagiers' besteht, wie es Frauen in diesem Beruf ergeht, anhand der CD ein Bild davon machen, wie sich die unterschiedlichen Vorstellungen der verschiedenen Dirigenten auf ein und dasselbe Stück auswirken. Eine hervorragende Idee!

Wenn der Ungeübte den Stücken der CD seine volle Aufmerksamkeit schenkt, wird er möglicherweise verfolgen können, wie sich beispielsweise bei den Mozartinterpretationen der Klang der Klarinette, das Tempo, die Größe der Orchester, das Zusammenspiel von Klarinette und Orchester unterscheiden. Hat man dann noch den Text der beigefügten CD zur Kenntnis genommen, weiß man nun, daß es sich in der ersten Version um ein Orchester handelt, das 'sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet' fühlt und hier eine für Mozarts Zeit typische, tief klingende Bassettklarinette verwendet wird. Im letzten Mozartstück hingegen spielen die Salzburger Solisten mit einem kleinen Orchester, da sie finden, daß 'eine einfache Besetzung in allen Stimmen dem Stück [eher] angemessen ist'. Diese Unterschiede sind in jedem Fall hörbar.

Zudem hat "Partituren" erstmals die Rubrik 'Blind gehört', in der zwei Musiker die "Partituren"-CD kommentieren, eingeführt. In diesem Fall ziehen die Klarinettistin Sharon Kam und der Dirigent Gregor Bühl den Vergleich zwischen den unterschiedlichen Interpretationen desselben Werks. Leider scheinen sie nicht im Blick zu haben, daß auch sie anhand der praktischen Beispiele und durch ihr Gespräch dem Leser die Arbeit eines Dirigenten hätten verständlicher machen können. Beide sind von ihrem eigenen Urteil eingenommen, plazieren allgemeine, nichtssagende Floskeln, verwenden eine etwas 'flapsige' Sprache, werden unsachlich. Der vertraute Umgang, den sie als Ehepartner miteinander pflegen, wirkt sich in ihrem Zwiegespräch zum Nachteil aus. Da "Partituren" ansonsten sehr umsichtig und eher nüchtern mit den gewählten Schwerpunktthemen umgeht, ist dies bedauerlich.

"Partituren" erscheint sechsmal im Jahr, jeweils mit einer CD und kostet acht Euro.

14. November 2007


Partituren 13, November/Dezember 2007
Magazin für Klassische Musik
Friedrich Berlin Verlag
Redakt.: Arnt Cobbers
8,- Euro
ISSN-Nr. 1860-7659, Best.-Nr. 60013