Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

BUCHBESPRECHUNG/131: Angelika Jubelt - Tunguska - Das Rätsel ist gelöst? (Esoterik) (SB)


Angelika Jubelt


Tunguska

Das Rätsel ist gelöst?



Nachdem sich am 30. Juni 1908 über dem sibirischen Tunguska-Tal eine gewaltige Explosion ereignete, die schlagartig zig Millionen Bäume entwurzelte und die Erde im großen Umkreis erbeben ließ, da konnte man noch drei Tage später in London bei Mitternacht Zeitung lesen, so kräftig war die Stratosphäre von dem Ereignis angeregt worden. Bislang hat sich dieses außergewöhnliche Phänomen einer abschließenden Erklärung entzogen, was eine Auseinandersetzung mit dem "Tunguska-Zwischenfall", dem eine Sprengwirkung des 1150fachen der Hiroshima-Bombe zugesprochen wird, auch heute noch allemal rechtfertigt.

Erstmals Ende der 1970er Jahre durch einen "progressiven Bericht" (S. 7) in der Zeitschrift "Magazin" der DDR angeregt, hatte die Zwickauer Diplomwirtschaftsingenieurin Angelika Jubelt während ihrer Ausbildung ein Referat zu dem Thema gehalten und war schließlich Ende der 1990er Jahre durch einen Fernsehbericht über eine deutsch-russische Expedition selber in die Tunguska-Forschung eingestiegen. Sie nahm Kontakt zum stellvertretenden Expeditionsleiter Prof. Gottlieb Polzer auf, der nur zwölf Kilometer von ihr entfernt wohnte, und wurde von ihm in die Arbeit eingeführt. Im Jahr 2008 reiste sie an seiner Seite nach Sibirien und verschaffte sich einen eigenen Eindruck von Land und Leuten. In "Tunguska - Das Rätsel ist gelöst?" faßt die Autorin ihre Erkenntnisse und Einschätzungen zusammen.

Nach allem Abwägen alternativer Thesen gelangt sie zu der Ansicht, daß viele Indizien für die These des Hobbyforschers Juri Lawbin aus Krasnojarsk sprechen. Demnach stürzte damals ein Meteorit auf die Erde zu, ein außerirdisches Raumschiff eilte herbei, schoß das Objekt ab, wurde aber selbst irgendwie getroffen und ist explodiert.

Eine gewagte Behauptung, die durch unumstößliche Argumente abgestützt werden müßte, wollte sie Anerkennung außerhalb der paläo-astronautischen Kreise erhalten. Jedoch finden sich solche Argumente in dem 116 Seiten umfassenden Büchlein aus dem Ancient Mail Verlag an keiner Stelle. Es genügt bei weitem nicht, auf mögliche Ungereimtheiten von Zeugenaussagen und Lücken anderer spekulativer Thesen aufmerksam zu machen, um darüber die eigene, nicht minder spekulative These zu begründen.

Wissenschaftliche Expeditionen in das Gebiet an der Steinernen Tunguska in Zentralsibirien wurden ab 1927, also fast zwei Jahrzehnte nach dem Vorfall, durchgeführt. Zeugenaussagen sind also mit der gebotenen Vorsicht zu genießen. Abgerissene, entwurzelte, entastete oder verbrannte Bäume auf einer rund 2000 Quadratkilometer großen Fläche bestätigen indessen, daß sich etwas Gewaltiges ereignet hat, und die gleichförmige Ausrichtung der zu Boden gedrückten Bäume läßt auf ein Zentrum der Explosion schließen. Wohingegen man bis heute keinen Krater fand, wie er den Berechnungen der Explosionswucht nach bei einem Aufprall hätte entstehen müssen. Daraus leiten Wissenschaftler ab, daß kein Eisen-, sondern ein Steinmeteorit auf die Erde gestürzt und noch vor dem Aufprall in der Luft explodiert ist.

Auf diese wissenschaftliche Basis gestützt schreibt Jubelt, "dass an der Katastrophe in Sibirien im Juni 1908 ein riesiger Steinmeteorit beteiligt war, ist somit eine Tatsache. Die Krater und Meteoritenfunde sind für mich Beweis genug." Demnach hätte der Steinmeteorit kleinere Stücke verloren, die sich entlang der Flugbahn verteilten. Sein Kern sei nahe Wanawara am Fluß Steinige Tunguska in etwa zwölf Kilometern Höhe explodiert. (S. 108)

Jubelts wissenschaftlich orientierte Ausführungen sind nicht frei von Spekulationen, wie sie notgedrungen bei einem zeitlich so weit zurückliegenden und räumlich fernen Ereignis auftreten, aber sie sind durchaus nachvollziehbar. Nun versteigt sich die Autorin aber zu der These, daß die Explosion von Außerirdischen herbeigeführt wurde. Das wird unter anderem mit Zeugenaussagen, denen zufolge das beobachtete Himmelsobjekt Kurswechsel vollzogen habe, begründet. Jubelt schreibt: "Gehe ich von einem Raumschiff aus, welches sich gleichzeitig mit dem Meteoriten der Erdoberfläche von Süden oder Südost genähert hat, könnten die schon im Buch aufgeführten ungewöhnlichen Ereignisse am 30. Juni 1908 erklärt werden." (S. 109)

Diese Herleitung hat allerdings keinerlei Beweiskraft. Es gibt kein Indiz für die Beteiligung Außerirdischer an dem Tunguska-Ereignis. Deshalb wäre es nicht weniger spekulativ, zu behaupten, all die geschilderten Phänomene wären nur dann unter einen Hut zu bringen, wenn sie ein mächtiger Zauberer bewirkt hätte.

Die wenigen interessanteren Abschnitte des Büchleins, das sich erklärtermaßen mit den letzten zwanzig Jahren der Tunguska-Forschung befaßt, handelt von Jubelts eigenen Recherchebemühungen in Rußland. Ansonsten ist nicht zu erkennen, worin sich das Produkt von anderen esoterischen Erzeugnissen zu diesem Thema wie beispielsweise denen des Autors Peter Krassa oder diverser im Internet verfügbarer Abhandlungen unterscheidet.

Bei der Beurteilung verschiedener Einschätzungen des Tunguska-Vorfalls richtet die Autorin ihr Hauptaugenmerk auf sogenannte Außenseitertheorien (S. 54), wohingegen die Ansichten von Wissenschaftlern wie des Astrophysikers Wolfgang Kundt, der das Ereignis auf einen gewaltigen Ausbruch von Erdgas zurückführt, oder des italienischen Meeresgeologen Luca Gasperini, der die Meteoritenthese vertritt, keine oder nur geringe Beachtung finden. Das verleiht dem sprachlich bescheidenen und mit mäßigem Erfolg lektorierten Büchlein einen sowohl unvollständigen als auch subjektivistischen Charakter, über den auch das stellenweise durchblitzende persönliche Engagement der Autorin nicht hinwegtäuschen kann.

9. August 2011


Angelika Jubelt
Tunguska
Das Rätsel ist gelöst?
Ancient Mail Verlag Werner Betz
Groß-Gerau, Mai 2011
116 Seiten, ISBN 978-3-935910-83-5