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REZENSION/002: Johannes von Buttlar - Zeitriß (Spekulativ) (SB)


Johannes von Buttlar


Zeitriß

Begegnung mit dem Unfaßbaren



In dem hier vorgestellten Buch "Zeitriß" widmet sich der Autor Johannes von Buttlar einem bunten Strauß an Themen aus dem Umfeld der Esoterik, Physik und auch Ökologie, die er alle mehr oder weniger unverknüpft nebeneinanderstellt und häufig nur durch einen vagen Hinweis auf den allgültigen "Zeitriß" abschließt. Angefangen bei der indischen Palmblattbibliothek über das Ufo- Phänomen bis hin zum Terraforming des Mars spannt sich der Bogen seiner in vierzehn Kapitel abgefaßten Themenbereiche, die alle schon etwas abgegriffen und angestaubt wirken.

So wird beispielsweise wieder einmal auf die mittlerweile in fast allen bekannteren Ufo-Büchern aufgeführte streng geheime "Majestic-12-Gruppe" (MJ-12) eingegangen, die angeblich 1947 in den USA unter Präsident Truman gegründet wurde und sich mit Ufo- Abstürzen, -Landungen sowie mit ihren außerirdischen Besatzungen, den verstorbenen wie den überlebenden, befaßt haben soll. Diese MJ-12-Gruppe agierte unter der obersten Geheimhaltungsstufe, und ihr sollen neben dem damaligen CIA-Chef Roscoe Hillenkoetter noch elf weitere hochrangige Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Militär angehört haben. Buttlar faßt noch einmal die wesentlichen Informationen über MJ-12 zusammen, erwähnt aber mit keinem Wort, daß um die Authentizität dieses Dokuments in Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert wird. So wurden ernste Zweifel an der Echtheit des Beweisstücks laut, als man bemerkte, daß eine Unterschrift Präsident Trumans im Anhang A exakt identisch war mit einer nachweislich echten, die Truman aber erst eine Woche später geleistet hat! Es ist übrigens kein Scherz, daß im Jahre 1984 ausgerechnet ein Fernsehproduzent das MJ-12- Dokument auf 35mm-Film von einem Unbekannten erhalten hat, zu einer Zeit, als die zwölf aufgeführten Beteiligten von MJ-12 bereits verstorben waren und nicht mehr befragt werden konnten.

Das alles trägt sicher nicht zur Glaubwürdigkeit des Dokuments bei. Buttlar indes äußert keine Zweifel, er suggeriert dem nicht weiter informierten Leser, hier sei ohne Frage ein sensationelles Geheimdokument der US-Regierung aufgedeckt worden. Auf diese Weise kann man zwar in den Chor der Empörung über die Machenschaften der CIA einstimmen, aber der Ufo-Forschung erweist man mit der unkritischen Wiedergabe unbestätigter Geheimdokumente einen Bärendienst.

So seicht, wie Buttlar über das Majestic-12-Projekt schreibt, behandelt er auch die anderen Themen. Die Sage vom untergegangenen Atlantis steht dabei neben dem Kornkreis- Phänomen, das "geheimnisvolle" Bermuda-Dreieck neben Hypnoseprotokollen, ein Klartraumerlebnis neben dem rätselhaften Stonehenge, der Traum eines Schamanennovizen neben Einsteins Relativitätstheorie - wenn man es nicht besser wüßte, könnte man vermuten, die Duden-Redaktion habe die Definition für einen Eklektiker als "jemand, der fremde Ideen nebeneinanderstellt, ohne eigene Gedanken dazu zu entwickeln" erst nach der Lektüre dieses Buches entworfen. Nicht genug, daß die aufgeführten Themen sowieso schon in der Esoterik-Szene herumgereicht werden und bereits mehrmals die Runde gemacht haben, Buttlar ist sich auch nicht zu schade dafür, aus dem abgestandenen Sud von Andeutungen, Spekulationen und Behauptungen unter dem Oberbegriff "Zeitriß" noch einen eigenen Aufguß zu bereiten. Kein Wunder, daß das Ergebnis entsprechend dünn und gehaltlos ausfällt.

Nehmen wir zum Beispiel das legendäre versunkene Atlantis. Dazu entwirft Buttlar ein Bild, wie es sich angeblich vor Urzeiten auf der Erde abgespielt haben könnte: Atlantis wird als Niederlassung von raumfahrenden Kolonisatoren beschrieben, die als Flüchtlinge des zehnten solaren Planeten Phaeton (dem heutigen Asteroidengürtel) auf den Mars kamen und von da aus eine Niederlassung auf der Erde gründeten. "Sie zeugten mit irdischen Frauen ein neues, fähigeres Menschengeschlecht." Dadurch wurden diese Atlantiden aufgrund ihrer Erbanlagen "natürlich allen anderen Menschen in vieler Hinsicht weit überlegen". Eines Tages dann sollen die Kolonisatoren die Erde wieder verlassen und sich elf Lichtjahre von der Erde entfernt im Planetensystem Epsilon Eridani angesiedelt haben. "Auf dem zweiten Planeten, einem Wüstenplaneten, den sie Achele tauften," gründeten sie eine neue Hochkultur und beobachteten von dort aus mit ihren Ufos die Erde und ihre zurückgelassenen Atlantiden ...

Und so weiter, und so weiter. Wer kennt sie nicht, die ersten Gedankenflüge eines Heranwachsenden nach der intensiven Lektüre eines spannenden Romans? Da hat die Phantasie ihren Platz, da können sich ausschweifende Träumereien anschließen, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Aber der "Sachbuchautor" Buttlar sollte sich besser bemühen, seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden, und den Fantasy- und Science-fiction-Autoren ihr Genre überlassen, denn die verstehen mehr davon und bereiten Themen wie das sagenhafte Atlantis dem Leser wesentlich unterhaltsamer auf.

Funktional soll der Zeitriß als letzte Größe, als Ursache der Ursachen, hinter jeder beschriebenen Theorie, hinter allem Unerklärlichen, stecken:

Im Gegensatz zum Tier ist dem Menschen die Tatsache seiner Gebundenheit an Raum und Zeit voll bewußt. Je mehr er im Lauf seiner Entwicklung das Tierische sei- nes Wesens überwand, um so mehr wurde er sich eines Phänomens bewußt, das dem Tier unbekannt ist: der Ver- gänglichkeit und damit dem Tod der Zäsur, dem Zeitriß seines Daseins. (S. 163)

In diesem Zitat bedeutet Zeitriß nichts anderes als Tod. Dabei läßt der Autor den Leser im unklaren, wozu er überhaupt einen neuen Begriff für Tod einführt, wo er sich doch jede nähere Erklärung spart und die fundamentalen menschlichen Fragen, die sich um Leben, Sterben und Tod ranken, nicht mal im Ansatz anspricht, geschweige denn durch den Begriff Zeitriß präzisiert. Und nicht nur den Tod des Individuums, sondern auch den Untergang einer ganzen Zivilisation soll er beschreiben:

Im Hinblick auf die unendliche Anzahl von Welten mag es gleichgültig erscheinen, ob eine intelligente Zivi- lisation in einem unscheinbaren Sonnensystem untergeht oder nicht. Aber das Ende - der Zeitriß - einer intel- ligenten Art ist wohl immer ein tragisches Geschehen im Universum, das dann immerhin eine Zivilisation weniger wahrnimmt. (S. 206/207)

Doch damit nicht genug. Der Begriff Zeitriß muß auch als verursachende Kraft für das Verschwinden von Flugzeugen und Schiffen im Bermuda-Dreieck herhalten. Darüber hinaus steht er hinter der Reinkarnation von vergangenen Existenzen oder für die Versetzung von Personen in eine frühere Zeit oder den kosmischen Abkürzungen, die von Außerirdischen beim Raumflug benutzt werden; Zeitriß dient weiterhin als Verkörperung der Nichtexistenz, stand verursachend hinter dem Beginn des Universums und bildet die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen, um nur einige Merkmale dieses allumfassenden Begriffs aufzuzählen.

Wer als Leser bis jetzt noch nicht gemerkt hat, daß Zeitriß offenbar nur ein reißerischer Aufmacher ist, der dem unbedarften Kunden verkaufsträchtig ins Auge stechen soll, dem sei der Versuch anheimgestellt, sich über den kurzen lexikalischen Anhang schlau zu machen. Dort erfährt er dann unter dem entsprechenden Stichwort:

Zeitriß: Rätselhafte Ereignisse demonstrieren, daß sich in der Raumzeit-Struktur unter bestimmten Um- ständen kurzfristig ein 'Riß' bilden kann, der einen Ausblick auf fremde Dimensionen - Parallelwelten - ermöglicht. (S. 241)

Vergleicht man diese Definition mit den vorherigen Beispielen, lassen sich trotz besten Bemühens nicht die geringsten Zusammenhänge erkennen. Man kann für Zeitriß auch jeden beliebigen anderen Begriff einsetzen, Buttlars Aussagen würden sich nicht mal ändern.

Der Autor wäre besser beraten gewesen, wenn er sich ein wenig mit der Herkunft des Begriffs Zeit befaßt hätte, denn dann dürfte ihm die Sprachverwirrung bereits zu Beginn des Prologs wohl kaum unterlaufen sein, als er schreibt, daß "wir unsere Zeit 'eingeteilt' haben". Zeit heißt nichts anderes als teilen, etymologisch läßt sie sich auf die indogermanische Wortwurzel "teilen" zurückführen. Buttlars Aussage müßte demnach lauten, daß "wir unser Teilen eingeteilt haben", was wahrlich nicht zur Erhellung des Begriffs beiträgt. Gerade weil sich die ursprüngliche Bedeutung von Zeit nicht auf den ersten Blick erkennen läßt, wird sie im allgemeinen mystifiziert. Auch der Autor folgt der weit verbreiteten Auffassung, bei Zeit handle es sich um mehr als um den rein mechanischen Ablauf eines Zählwerks, als stände hinter dem vergeblichen Versuch, sich über das endlose Teilen dem unvermeidbaren Zerfall entziehen zu können, eine universelle Größe, derer man mittels des Vergleichs und der Ordnung teilhaftig werden könne.

Doch Buttlars Ausflüge in die Welt der Naturwissenschaften, vornehmlich der Physik, gehen über die bloße Wiedergabe der konventionellen Theorien nicht hinaus. Einsteins Relativitätstheorie, Heisenbergs Unschärferelation, Schwarze Löcher, die Entstehung des Universums aus einem Urknall - zu diesen und ähnlichen Theorien haben sich schon Jahre vor ihm Autoren wie Zukav ("Die tanzenden Wu Li Meister") oder Capra ("Wendezeit") geäußert und auf diese Weise mit daran gewirkt, eine Brücke von der theoretischen Physik hinüber zur Esoterik zu bauen, die offensichtlich gar nicht mal so weit gespannt zu werden brauchte.

Um Jahre zu spät springt Buttlar auf diesen Zug einer vorübergehenden Zeitströmung auf und merkt dabei nicht, daß er sich längst auf einem Abstellgleis befindet. Die Zeiten sind vorbei, in der eine bestimmte Leserschaft noch ehrfurchtsvoll die Gedankenspielereien von Autoren verfolgt hat, die als höchsten Gipfel der Erkenntnis, als Quintessenz jahrhundertealten physikalischen Forschungsdrangs, zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die Welt (die Materie) in ihrem Innersten unerklärlich bleibt und man ab einem bestimmten Grad des Teilens nur noch von Wahrscheinlichkeiten sprechen kann. Doch im Gegensatz zu den beiden oben genannten Autoren bemüht sich Buttlar nicht mal um eine vertiefende Analyse der gängigen Theorien, sondern er fügt dem allgemeinen Oberschülerwissen allenfalls einige Spekulationen hinzu, in denen natürlich wieder der unerklärliche Zeitriß im Mittelpunkt steht. "Begegnung mit dem Unfaßbaren" heißt ja auch der Untertitel des Buches, und er drückt genau die Haltung aus, bei der immer dann auf eine nicht mehr zu hinterfragende ursächliche Kraft verwiesen wird, wenn weiterführende Fragen zu unbequem und nicht auf die Schnelle zu beantworten sind.

Zu guter Letzt hat Johannes von Buttlar noch eine Botschaft. Er schildert die Klimaveränderung durch den Ausstoß von Kohlendioxid und die Verwendung von Treibgasen und mahnt, daß sich in der Geschichte bislang immer der Mensch vor veränderten Klimaverhältnissen zurückziehen mußte. Die Bevölkerungsexplosion und der steigende Energieverbrauch würden das ihrige dazu beitragen, daß die Aussichten des Menschen bereits heute als verheerend zu bezeichnen seien. Allerdings zeigt sich auch bei Buttlar, daß der Mensch angesichts solch unkontrollierbarer, übermächtiger globaler Abläufe stets geneigt ist, sein Heil in dem Versprechen der Antwort zu suchen.

Wir müssen das Staunen wieder erlernen, uns zur Liebe und Verantwortung für die Natur bekennen, mahnt der Zauberer Merlin aus der Artus-Sage. Der Mensch muß den längst vergessenen Dialog mit der Erde, mit Steinen, Bäumen und Tieren wieder- aufnehmen und den Zauber der Natur wiederentdecken. Liegt doch der Schlüssel zum Überleben und zur Ergründung des Universums letztlich in der Füh- lungsaufnahme zum beseelten All! (S. 233)

Der Dialog mit der Erde, das Staunen erlernen, sich zur Liebe und Verantwortung für die Natur bekennen - der willkürlichen Verknüpfung von Versatzstücken scheinen keine Grenzen gesetzt. Die Anbetung einer Natur, in der das Fressen und Gefressen Werden die maßgeblichen Antriebskräfte darstellen, gipfelt in der Behauptung, der Schlüssel für alle Probleme liege in der Fühlungsaufnahme zum beseelten All. Ausgerechnet den unwirtlichsten Ort, den man sich überhaupt vorstellen kann, als einen Hort der Geborgenheit verkaufen zu wollen, überschreitet die Grenzen jeglicher Nachvollziehbarkeit. Diese Vorstellung ist zutiefst verwurzelt in dem Glauben an die Wirksamkeit der Anpassung als Bewältigungspotential. In Verbindung mit seiner in einem früheren Kapitel beschriebenen Faszination, seine Probleme im Traum lösen zu können, wirft diese Schlußbemerkung ein deutliches Licht nicht nur auf die Art von Problemen, um die sich einer der "fünf erfolgreichsten Sachbuchautoren der Welt" zu kümmern hat, sondern gleichermaßen auch auf die ihm anempfohlene Methode, wie man denn die Fühlungsaufnahme zum beseelten All bewerkstelligen solle. Träume, Gefühle und Wunschdenken - mit solchen Antworten werden die existentiellen Nöte der Mehrheit der Menschen als profan und nebensächlich abgestempelt.

Ungeachtet all dessen bleibt allerdings noch die Frage offen, woher sich Buttlars Erfolg auf dem esoterischen Markt erklären läßt, schließlich befindet sich selbst dieses Buch, das sich von seinen früheren keineswegs abhebt, bereits in der zweiten Auflage. Neben seinem bekannten Namen und dem vielversprechenden Titel stößt man auf eine bestimmte Art zu schreiben, bei der die Sprunghaftigkeit in der Behandlung der Themen durch einleitende und abschließende Kommentare überdeckt und der Leser nicht durch eine überzogene Mission bedrängt wird. So schafft Buttlar einen breiten Interpretationsrahmen, der dem meist auf leichte Konsumierbarkeit ausgerichteten Interesse vieler Leser sehr entgegenkommen dürfte.


Johannes von Buttlar
Zeitriß
Begegnung mit dem Unfaßbaren
Ullstein Sachbuch, 2. Aufl., Frankfurt am Main/Berlin 1992
256 Seiten, DM 12,80