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REZENSION/108: Noam Chomsky - "War against People" (US-Außenpolitik) (SB)


Noam Chomsky


War against People

Menschenrechte und Schurkenstaaten



Rechtzeitig zu Beginn des nach den Flugzeuganschlägen von New York und Arlington angeblich angebrochenen "neuen" Zeitalters präsentiert in diesen Tagen der Hamburger Europa-Verlag das neueste Werk des als wichtigsten US-Intellektuellen geltenden Noam Chomsky. Das Buch "War against People - Menschenrechte und Schurkenstaaten" des 1928 geborenen Chomsky empfiehlt sich jedem, der angesichts der schrecklichen Ereignisse des 11. Septembers tatsächlich glauben könnte, hinter dem Schlachtruf vom vermeintlichen "Antiterrorkrieg" verberge sich etwas anderes als ein erneuter Vorwand der imperialistischen westlichen Großmächte, nicht nur über die Ressourcen der Dritten Welt herzufallen, sondern auch den Menschen in den eigenen Ländern straffere Zügel anzulegen.

In einer Zeit, in der der politische Diskurs zu einer Reihe von stumpfsinnigen und stumpfsinnigmachenden "Soundbytes" vom Schlage "Amerika schlägt zurück", "Arafat - Stunde der Wahrheit" oder "Deutschlands neue Rolle" verkommen zu sein scheint, müßte sich jeder an den Vorgängen in der Welt interessierte Mensch über ein Buch freuen, das sich einerseits so detailliert und kritisch mit der Außenpolitik der einzig verbliebenen Supermacht USA auseinandersetzt, andererseits durch den leicht leserlichen Schreibstil scheinbar komplizierte Sachverhalte für jeden begehbar macht.

Egal ob es sich um den Kalten-Krieg, die Kuba-Krise, die jahrzehntelange Intervention der USA in Indochina, die massenmörderische Errichtung der Suharto-Diktatur in Indonesien, die Mittelamerika-Politik Ronald Reagans, den Golfkrieg 1991 oder die Neue Weltordnung von George Bush I. handelt, Chomsky zeigt immer wieder auf, wie sich hinter dem vermeintlich ewigen Kampf um Menschenrechte und Demokratie nichts anderes als pure, machiavellistische Macht- und Realpolitik zugunsten einer kleinen Minderheit in den Industrieländern und auf Kosten von Millionen bis Milliarden ausgebombter und ausgebeuteter Menschen in den armen Regionen dieser Welt verbirgt.

Anhand historischer Dokumente sowie zahlreicher entlarvender Verlautbarungen der maßgeblich handelnden Personen belegt Chomsky, selbst der bedeutendste Linguist des 20. Jahrhunderts, den Vernichtungswillen des Westens. Durch die enorm hohe Zahl von Zitaten nicht nur aus Regierungsdokumenten, Memoiren, Expertenanalysen und Geschichtsbüchern, sondern vor allem aus einer Reihe der wichtigsten Printmedien der englischsprachigen Welt - New York Times, Wall Street Journal, Washington Post, Boston Globe, Christian Science Monitor, Financial Times, Londoner Guardian - sowie der Nachrichtenagenturen Reuters, Associated Press und Agence France-Presse liefert Chomsky ein beeindruckendes Beispiel für das, was man alles aus den Produkten der, wie er sie nennt, "Meinungsfabriken des Mainstream" erfahren könnte, würde man sich die Mühe machen, sie umsichtig und mit einer gewissen Skepsis zu lesen.

Chomsky räumt in vielen Beispielen mit dem Mythos von der wohlmeinenden, der Menschheit beglückenden westlichen Zivilisation regelrecht auf. Für den Ende der neunziger Jahre "von Clinton, Blair und diversen ihrer Anhänger verkündeten 'neuen Humanismus'" hat Chomsky, der bereits durch die Opposition zum Vietnamkrieg außerhalb seines akademischen Elfenbeinturms am ruhmreichen Massachusetts Institute of Technology (MIT) bekannt wurde, nichts als Hohn und Spott übrig. Die Tatsache, daß bei der Verkündung des neuen missionarischen Auftrages des Westens, anläßlich eines Truppenbesuchs Bill Clintons am Marinestützpunkt Norfolk, Virginia, mitten während des Kosovokrieges im Frühjahr 1999, der damalige US- Verteidigungsminister William Cohen auf den Gründungsvater des US- Imperiums, Theodore "Teddy" Roosevelt, verwies, dessen Ruhm auf der Beteiligung an der amerikanischen Invasion Kubas im Jahre 1898 fußte, kommentiert Chomsky so:

Er zitierte Theodore Roosevelt, den späteren Präsidenten, der damals gesagte hatte: 'Wenn ihr nicht bereit seid, für große Ideale zu kämpfen, werden diese Ideale verschwinden'. Und so wie Roosevelt das Jahrhundert mit diesen aufwühlenden Worten eröffnete, beschloß William Clinton es mit der gleichen Geisteshaltung. Das war eine interessante Einleitung für alle, die einen Kurs in amerikanischer Geschichte absolviert haben, einen wirklichkeitsnahen versteht sich. Sie nämlich wissen, daß Roosevelt einer der schlimmsten Rassisten und Geisteskranken der Gegenwartsgeschichte war. Hitler hat ihn aus guten Gründen bewundert.

Wie wenig allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz den großen Staatsmännern und -frauen - man bedenke das Trio infernale Margaret Thatcher, Madeleine Albright und Condoleezza Rice - das Leben, beziehungsweise Überleben der restlichen Menschheit bei der Durchsetzung strategischer Interessen von Belang ist, belegt Chomsky immer wieder aufs neue. Zur Anfangs verhaltenen Reaktion Londons und Washingtons auf Berichte über die Verwendungen von Giftgas gegen irakische Kurden durch die Truppen Saddam Husseins Ende der achtziger Jahre - noch als dieser "unser Dreckskerl" war - schreibt Chomsky:

Ein unfreundlicher Kommentator könnte darauf hinweisen, daß man nicht allzu überrascht sein muß, wenn die Briten und Amerikaner den Einsatz von Giftgas und chemischen Waffen mit Nachsicht behandeln. Als die Briten 1919 in Nordrußland gegen die Bolschewisten intervenierten, setzten sie Giftgas ein; mit großen Erfolg, wie das Heereskommando betonte. Auch Winston Churchill, damals Staatssekretär im Kriegsministerium, war von der Möglichkeit, 'Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen' - er meinte Kurden und Afghanen -, ganz begeistert. Er ermächtigte das Kommando der Royal Air Force für den Mittleren Osten, chemische Waffen 'gegen aufsässige Araber als Experiment' zu verwenden. Einwände des India Office (Reichsamt für Indien) wurden als 'unverständlich' vom Tisch gewischt. Vielmehr bedauerte Churchill derlei 'Überempfindlichkeit': 'Wir können uns keinesfalls darauf einlassen, verfügbare Waffen, die eine schnelle Beendigung der an der Grenze herrschenden Unruhen garantieren, nicht einzusetzen.' Schließlich sind chemische Waffen ' nur die Anwendung westlicher Wissenschaft auf die moderne Kriegsführung'.

Der "Daisy-Cutter" unserer Tage läßt grüßen.

Um die "Grausamkeit des Westens", die "alles zerstörende Gewalt der europäischen Kriegsführung", so der von Chomsky zitierte britische Militärhistoriker Geoffrey Parker, kommt man bei der Lesung dieser Lektüre nicht herum. Ob es um die Niederwerfung des wirtschaftlich und technologisch höherstehenden Indiens durch die Briten im 18. Jahrhundert oder die Ausrottung des "Virus" vom Streben nach sozialer Gerechtigkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter maßgeblicher Führung der USA geht, Abermillionen von einfachen Männern, Frauen und Kindern mußten ihr Leben lassen.

Obwohl vor dem 11. September geschrieben, erteilt Chomsky der heute von George W. Bush und Co. vorgegaukelten Vorstellung, nach der Niederschlagung des "islamischen Fundamentalismus" in Afghanistan und anderswo könnte zwischen den drei großen mosaischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - ein neues goldenes Zeitalter des Friedens und der Harmonie anbrechen, eine klare Absage. Die Krankheit ist offenbar zu weit fortgeschritten:

Die möglicherweise schlimmsten Grausamkeiten - zumindest der schriftlich überlieferten Fälle - finden sich im Alten Testament. Ich glaube, daß es in der gesamten Literatur nichts gibt, was dem Völkermord mit soviel Eifer, Entschiedenheit und Enthusiasmus preist, wie die Befehle, die der kriegerische Gott seinem auserwählten Volk erteilt. Ein Beispiel ist der Krieg des König Saul gegen die Amalekiter. Saul hatte den göttlichen Befehl dazu aus dem Munde des Propheten Samuel erfahren, des gerechtesten aller Richter. Saul, so hieß es, soll Amalek angreifen und 'Mann und Frau, Kind und Säugling, Rind und Schaf, Kamel und Esel' töten. Der Grund dafür war, daß einige Jahrhunderte zuvor die Amalekiter sich den Juden beim Auszug aus Ägypten in den Weg gestellt hatten. Saul verschonte bei seinem Feldzug Agag, den König der Amalekiter, und ließ auch einiges Vieh am Leben. Als Samuel dies entdeckte, entflammte er im Zorn und 'hieb Agag in Stücke vor dem Herrn in Gilgal'.

Das Buch "War on People" eignet sich in erster Linie für Personen, die mehr über Weltpolitik im allgemeinen, die US-Außenpolitik im besonderen erfahren wollen und die bisher nichts von Chomsky gelesen haben. Für den interessierten Leser macht der Band einfach Appetit auf mehr. Leider scheint das Buch eher eine Sammlung von bereits an anderer Stelle - etwa in der von Chomsky unterstützten US- Anarchistenzeitung Z Magazine - veröffentlichter Essays als ein geschlossenes Werk zu sein. Hierfür sprechen einige überflüssige Wiederholungen, wie etwa die "Heldensage" von Jimmy Carters UN- Botschafter Daniel Moynihan, wie dieser drastische Maßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hinsichtlich des Einmarsches Indonesiens in Osttimor verhindern konnte. Interessant und von aktueller Bedeutung sind Chomskys Erläuterungen zur wirtschaftlichen Seite dessen, was man heute "Globalisierung" nennt. Doch für denjenigen, der sich mit den Werken Chomskys besser auskennt, ist es ärgerlich, wie sehr in diesem Buch geschichtliche Aspekte wiedergekaut werden, die an anderer Stelle vom Meister selbst umfassender behandelt wurden - zum Beispiel das Buch "Fateful Triangle" über das Verhältnis Israel-USA - während es praktisch nichts über die Zerschlagung des sozialistischen Vielvölkerstaates Jugoslawien, welche die neunziger Jahre dominierte, gibt.

- 6. Dezember 2001

Noam Chomsky, War against People - Menschenrechte und Schurkenstaaten, übersetzt von Michael Haupt, Europa Verlag, Hamburg, 2001, 160 Seiten, ISBN 3-203-76011-8


Noam Chomsky
War against People
Menschenrechte und Schurkenstaaten
Europa Verlag - Hamburg