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REZENSION/124: Von Swipe zu Storm · Breakdance in Deutschland (Tanz) (SB)


Niels Robitzky


Von Swipe zu Storm

Breakdance in Deutschland



Das Buch "Von Swipe zu Storm/Breakdance in Deutschland" kam 2000 heraus, unterstützt von "Backspin" einem international bekannten Hip Hop-Magazin. Der Autor, Niels Robitzky alias Storm, hat seine Informationen aus allererster Hand, denn er gehört zu den B-Boys der ersten Stunde in Deutschland. Das ist auch der wichtigste Pluspunkt für dieses Buch, denn oft werden solche Texte von Institutionen oder Menschen herausgebracht, die nicht wirklich in das Thema involviert sind. Natürlich lohnt es sich, öfter mal Artikel zum Thema Hip Hop zu schreiben, da Mode und Musik unter diesem Namen sich zur Zeit gut verkaufen.

Zuerst dachte ich auch, es mit einem sinnfreien Buch dieser Art zu tun zu haben. Doch schon auf den ersten Seiten wird klar, der Verfasser dieses Buches hat eine ganz andere Mission als die der Vermarktung.

Als Anfang der 80er Jahre die ersten Hip Hop Videos z.B. mit Captain Hollywood in Deutschland ausgestrahlt wurden, packte Niels Robitzky das B-Boy Fieber. Damals schwappte eine ganze Welle des "Modetanzes" Breakdance" nach Deutschland über.

Thomas Gottschalk, der Stern und die Bravo waren nur einige von vielen, die dieses Thema begeistert aufgriffen und Breakdance als "Tanz aus dem Ghetto" groß rausbrachten. An dieser Stelle kommt auch die Intention des Autors zum Tragen, die Vermarktungsstrategien der Medien kritisch zu beleuchten. Gleich zu Beginn erklärt er nämlich die Terminologie des Bereiches Hip Hop und Breakdance.

Wußten Sie zum Beispiel, daß Breakdance und Graffiti von den Medien erfundene Begriffe sind? Sie wurden ganz einfach benutzt, weil sie besser zu vermarkten waren als die ursprünglichen Begriffe: B-Boying, von Break-Boys abgeleitet, wurde kurzerhand zu "Breakdance" gemacht und aus dem Begriff Writing wurde "Graffiti". Hört sich schließlich viel mehr nach Ghetto und wesentlich cooler an.

Darauf baut auch ein grundlegendes Mißverständnis der Tanzform Breakdance in der Gesellschaft auf. Viele Laien und auch einige Profis meinen nämlich, Breakdance hätte seinen Namen aufgrund der abgebrochenen Bewegungen, welche die Tänzer ausführen. Das Gegenteil ist der Fall, denn die anspruchsvolle Bodenakrobatik erfordert einen fließenden Bewegungsablauf, sonst würde der Tänzer ständig steckenbleiben oder müßte neu Schwung holen. Ein guter "Flow" ist sogar die Grundlage für eine ästhetische Ausführung des Tanzes.

Eine gewollte Unterbrechung der Bewegung, ein "Freeze" peppt zwar die Dynamik der Choreographie auf, ist aber keineswegs das Herzstück des Tanzes.

Mit "Break" ist lediglich ein Zwischenstück, meist der Instrumentalteil in einem Song gemeint.

Wenn der von einem DJ gespielt und zu einem Loop verlängert wurde, flippten einige Tänzer mit verrückten Schritten dazu aus. Die nannte man dann Break-Boys oder B-Boys.

Später entwickelten sich daraus die akrobatischen Bewegungen auf dem Boden, die heute gemeinhin als "Breakdance" bekannt sind.

Es versteht sich von selbst, daß die falsche Einschätzung des "Breakdance" als Straßentanz aus dem Ghetto mit diesen ungesunden, abgebrochenen Bewegungen der Kunstform und den Künstlern selbst nicht gerade gut getan hat.

Daher ist dieses Buch für jeden Laien, aber auch besonders für jeden Tänzer interessant. Es räumt sehr systematisch mit Vorurteilen dieser Art auf und ermöglicht einen offenen Zugang zu der Kunstform des "Breakdance".

Zudem enthält "Von Swipe zu Storm" eine sehr persönliche Chronologie. Hier gibt der Autor nicht nur seine persönliche Hip Hop-History zum Besten, sondern beschreibt auch die Entwicklung des Breakdance in ganz Europa und darüber hinaus, so wie er sie erlebt hat.

Der Leser fährt mit dem Tänzer "Storm" in Deutschland herum und durchlebt die ersten größeren Hip Hop Treffen (Jams) mit, auf denen sich die Tänzer untereinander messen. Man begleitet die Entwicklung Storms vom Einzeltänzer zum Mitglied verschiedener Gruppen und teilt seine Freude, als er seinem langjährigen Tanzpartner und Freund "Swift" von den "Fantastic Devils" begegnet. Denn nur wenige Breakdancer schlugen sich auch durch die Out-Zeiten, nachdem die erste Hip Hop Welle in Europa abgeflaut war und nur eine Handvoll Leute ihrer großen Tanzleidenschaft treu blieben.

Besonders in der ehemaligen DDR gab es harte Kämpfe, da "Breakdance" dort als negativer Einfluß aus dem kapitalistischen Westen betrachtet und sogar verfolgt wurde. Doch Harry Belafonte höchstpersönlich rettete die Breakdancer des Ostens. Nachdem er als Kubaner den Tanzfilm "Beatstreet" produziert hatte, wurde Hip Hop auch in der DDR salonfähig und bekam sogar große Unterstützung.

Es ist sehr beeindruckend, wie präzise "Storm" sich noch an sämtliche Meisterschaften, jeden "Battle of the Year" in Hannover und jede Jam erinnern kann. Er war über zwei Jahrzehnte auf fast jeder wichtigen Hip Hop Veranstaltung in Deutschland und Europa präsent.

Dabei fällt kaum ein böses Wort über andere Tänzer oder Gruppen in diesem Buch.

Es wäre sicherlich wesentlich einfacher gewesen, eine Hymne auf sich selbst als außergewöhnlichen Künstler zu schreiben und andere in den Schatten zu stellen.

Statt dessen zieht der Autor es vor, sich differenziert zu allen vorkommenden Personen und Ereignissen zu äußern und verurteilt strikt persönliche Angriffe auf andere Tänzer.

Alles in allem ist es jedenfalls sehr spannend, das ereignisreiche Leben dieses Menschen nachzuvollziehen. Ohne Geld und oft ohne Wohnung oder Essen, nur mit seiner Leidenschaft für den Tanz reist Storm nach New York und erforscht die Wurzeln des Breakdance. Er lernt seine früheren Idole persönlich kennen, unterrichtet in Paris oder schlägt sich mit Tanzshows auf der Straße durch.

Selbst schwere Verletzungen wie ein Bandscheibenvorfall im Genick im Jahr 1995 oder langwierige Erkrankungen halten ihn nicht vom Tanzen ab. Dieses Buch ist daher auch ein Manifest für alle Menschen, die eine große sportliche oder künstlerische Leidenschaft haben. Es macht Mut, sich weder an Konventionen noch an materielle Sicherheiten zu klammern, sondern seine Kunst zu leben. Für diese Zeiten, in denen gerade für junge Leute Anpassung das höchste Gebot und Mammon der oberste Gott ist, eine außergewöhnliche Stellungnahme.

Mittlerweile versucht "Storm", die Hip Hop Tänze durch Unterrichten, eigene Aufführungen und vieles mehr, in Europa als Kulturgut zu etablieren.

Außerdem enthält "Breakdance in Deutschland" einige hilfreiche Trainingstips für diejenigen, die sich selbst am Breakdance versuchen wollen. Von Aufwärmübungen bis hin zu choreographischen Anregungen ist alles berücksichtigt, was Spaß macht und für Breakdance technisch relevant ist.

Ein weiterer Aspekt an diesem Buch mag jene überraschen, die Breakdancer für Typen von der Straße halten, die ständig feiern, saufen und kiffen. Ohne sich als Moralapostel hinzustellen, macht der Autor sehr deutlich, daß sich tänzerische Höchstleistungen und Motivation überhaupt nicht mit Alkohol- oder Drogenkonsum vertragen. Sie haben vielmehr einen körperlichen und geistigen Abbau zur Folge, der den Spaß am Breakdance schnell abtötet.

Schließlich werden in diesem Buch auch andere Formen des Hip Hop- Dance wie Popping, Locking und Electric Boogaloo behandelt, die auch bei Breakdance Choreographien mit einfließen. Sie bilden die Wurzeln des Hip Hop-Tanzes und können jede für sich als völlig eigene Kunstform mit eigenen Bewegungen praktiziert werden. Einige dieser Tanzformen erwecken den Eindruck, der Tänzer bewege sich mechanisch, wie ein Roboter. Sie haben daher eine völlig eigene Dynamik und stellen eine spezielle Herausforderung an den Künstler dar. Damit jeder den richtigen Beat zum Tanzen findet, enthält "Breakdance in Deutschland" sogar eine Liste mit Musiktiteln für angehende B-Boys und -Girls. Außerdem werden viele Filme genannt wie "Beatstreet", "Wildstyle", "Style Wars" und andere, über die man auch eine optische Vorstellung vom Breakdance bekommen kann.

Alles in allem ist dieses Buch also eine runde und vielseitige Angelegenheit, die auch für Laien einen guten Überblick zum Thema "Breakdance" abgibt.


Niels Robitzky
Von Swipe zu Storm
Breakdance in Deutschland
Backspin HipHop Magazin, Hamburg 2000
ISDN 3-00-005526-6