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REZENSION/135: Peter Fabian - Leben im Treibhaus (Klimaforschung) (SB)


Peter Fabian


Leben im Treibhaus

Unser Klimasystem - und was wir daraus machen



Die Entwicklung des Erdklimas ist heute nicht mehr eine Frage, die ausschließlich in einem sich selbst generierenden Wissenschaftsbetrieb abgehandelt wird. Spätestens seit der großen Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro ist das Thema Klima ein höchst politisches und dementsprechend Gegenstand schärfster Auseinandersetzungen. Der Klimaforscher von heute ist gefordert, in naturwissenschaftlicher wie politischer Hinsicht Stellung zu beziehen. Das war vor Jahren, bzw. wenigen Jahrzehnten noch anders, als Naturwissenschaftler, nur wenn sie als Gutachter angestellt waren, vorsichtig politische Lösungen vorschlugen. Zu der Zeit sprachen auch nur Experten über Ozonloch, Sommersmog, El Niño, Treibhauseffekt oder Klimawandel; heute hingegen wissen schon Grundschulkinder zumindest mit einigen dieser Begriffe etwas anzufangen.

Das Empfinden der Menschen, gewaltigen Kräften ausgeliefert zu sein, die ihnen die Lebensgrundlage rauben könnten, hat in den letzten Jahren zugenommen, ebenso wie im gleichen, aber umgekehrten Maße die Antwortversuche. In nahezu jedem Industriestaat werden inzwischen Steuern erhoben, die mit der Umwelt, respektive der Verknappung der Ressourcen oder der Senkung der Treibhausgasemissionen, zu tun haben. In Deutschland wurde die sogenannte Ökosteuer zu einem Streitpunkt in der rot- grünen Regierung, der nur deswegen nicht ständig auf der Tagesordnung steht, weil es von anderen tagespolitischen Themen verdrängt wird - obgleich doch angesichts der scheinbaren Unabänderlichkeit natürlicher Wandlungen und keineswegs beliebigen Umkehrbarkeit energetischer Prozesse das Ausgeliefertsein und die Bedingtheit der Menschen von den Regierungen vorrangig abgehandelt werden sollten, wenn sie schon den Anspruch auf Verantwortung für die Bevölkerungen erheben.

Dennoch, die Klimaforschung hat gesellschaftlich enorm an Bedeutung gewonnen und ist heute untrennbar mit der Umweltthematik verwoben. Das jetzt im Springer-Verlag erschienene Buch "Leben im Treibhaus" des Atmosphärenforschers Peter Fabian vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München spiegelt die oben beschriebene Wandlung treffend wider. Noch immer bilden traditionelle Themen wie die "Die Evolution der Erdatmosphäre" (Kapitel 1), "Das irdische Treibhaus" (Kapitel 2) oder "Natürliche Klimavariationen - Die wechselvolle Klimageschichte der Erde" (Kapitel 4) den Grundstock seiner Darlegungen. Aber wenn in älteren Büchern der Klimaforschung der anthropogene Einfluß bestenfalls als Randthema abgehandelt wurde, so nimmt er heute eine zentrale Stellung ein. Es geht zentral um die Frage, ob und wie die Menschen Einfluß auf das Erdklima nehmen.

Peter Fabian zählt zu der Mehrheit der Wissenschaftler, die davon ausgeht, daß vorgeschichtliche Klimaschwankungen zwar ein unzweifelhafter Hinweis auf die Bedeutung nicht-menschlicher Faktoren sind, aber daß ab Ende des 19. Jahrhunderts der menschliche Einfluß alle anderen Klimafaktoren überprägt hat. Somit kommt laut Fabian der Freisetzung von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan oder auch von Spurengasen - dem Spezialthema des Autors -, die entscheidende Bedeutung für die gegenwärtig zu beobachtende Erderwärmung zu. Als erste Opfer des wesentlich von den Industriestaaten verursachten Treibhauseffekts benennt der Atmosphärenforscher die Entwicklungs- und Schwellenländer, denen die notwendigen Mittel zum Schutz vor dem kommenden Meeresspiegelanstieg fehlen.

Als zentraler Beleg der fundamentalen und folgenschweren Behauptung eines anthropogenen Treibhauseffekts dienen dem Autor drei verschiedene Kurvendiagramme, und zwar zur Sonnenaktivität, Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre und zur Temperaturentwicklung der jüngeren Erdgeschichte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts steigen die Kurven zwei und drei weitgehend parallel zueinander plötzlich dramatisch an. Während demgegenüber die Sonnenaktivität, die mittelbar aus paläoklimatischen Hinterlassenschaften und in letzten Jahrzehnten unmittelbar aus Satellitenmessungen hergeleitet wurde, über die letzten zehntausend Jahre innerhalb ihrer Schwankungsbreite konstant geblieben ist.

Als Beweis für den Klimawandel kann der bloße tabellarische Abgleich von Klimadaten nicht gelten, und so kennt der Wissenschaftsbetrieb durchaus Außenseitermeinungen, die den unterstellten dominanten menschlichen Einfluß auf das Weltklima nicht anerkennen. Die Argumente dieser wissenschaftlichen Richtung werden in Fabians Buch nicht erwähnt, sie sind bestenfalls indirekt aus dem Aufbau seiner Argumentation herauszulesen. Ohnehin bewegt sich der Autor mit seinen Schlußfolgerungen auf sicherem, das heißt, wissenschaftlich allgemein anerkanntem Terrain; auch seinen Mahnungen dürften andere Forscher nicht widersprechen. Als Maßnahme, um dem Klimawandel entgegenzutreten, favorisiert Fabian das Kyoto- Protokoll und spricht sich für Aufforstungen, steuerliche Lenkungsversuche seitens der Politik und Abkehr von fossilen Energieträgern sowie den Einsatz regenerativer Energien aus. Und er bemängelt:

Daß diese Entwicklung bislang nur schleppend verläuft, liegt wesentlich daran, daß fossile Energie viel zu billig zur Verfügung steht. Dies hat zur Folge, daß es vielfach wirtschaftlicher ist, zu verschwenden, statt in energieeffizientere Techniken zu investieren, ganz zu schweigen von alternativen Energieformen, die sich gegen die konkurrenzlos preiswerte fossile Energie kaum durchsetzen können. (S. 216)

An dieser Stelle demonstriert Fabian, wie politisch die Klima- und Umweltforschung heute ist. Denn seine Lösung zur Bekämpfung des Treibhauseffekts richtet sich gegen das Interesse der sozial weniger gut gestellten Menschen in den Industriestaaten. So hat die Ökosteuer in Deutschland bereits einen erheblichen Verlust an Mobilität für die Menschen in den unteren sozialen Schichten zur Folge, da sie sich kein eigenes Auto mehr leisten können. Bus und Bahn sind jedoch in der hiesigen Gesellschaft kein adäquater Ersatz, zumal sie privatisiert und damit profitorientiert betrieben werden. Verlust der Mobilität bedeutet jedoch ein Verlust, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, und wird dem gegenwärtigen Trend zufolge womöglich zu einer Form des Zusammenlebens führen, bei der Arbeitskräfte näher an die Produktionsstätten herangeführt und damit noch enger den Produktionszwängen unterworfen werden. Sozialpolitisch ist die Ökosteuer eine Katastrophe.

Zu dem politisch brisanten Thema Atomkraft als Antwort auf den Klimawandel äußert sich Fabian nicht, obgleich jene der Nuklearindustrie wohlgesonnene Wissenschaftler und Politiker behaupten, daß der Ausstieg aus der Atomkraft eine Verstärkung des Treibhauseffekts bewirkt (Eine Behauptung, die außer Acht läßt, daß sowohl der Bau als auch der Rückbau von Atomkraftwerken gewaltige Energiemengen erfordern und somit Treibhausgase erzeugen). Vielleicht hat Fabian vor dieser und weiteren Fragen, die von der Klimaforschung direkt in die Politik und von dort wieder zurückführen, absichtlich einen Strich gezogen und sich dann doch auf die eher traditionellen, an Universitäten gelehrten Themenbereiche beschränkt. Bei einem Buchumfang von 274 Seiten müssen ohnehin viele Fragen sehr kompakt abgehandelt werden, andere bleiben unerwähnt. Neben der Atomkraft sind das auch Ideen wie die Eisendüngung der Weltmeere, um über das Algenwachstum eine CO2-Bindung zu erreichen, oder die Verklappung von Kohlendioxid am Ozeanboden. Bei diesen Vorschlägen handelt es sich genauso um potentielle Spezifikationen aus dem Kyoto- Protokoll wie die von Fabian an mehreren Stellen erwähnte Aufforstung.

So einleuchtend solch ein Lösungsvorschlag, der als Teil einer umfassenden Klimastrategie gesehen wird, auf den ersten Blick auch scheint, so wird er von einigen Wissenschaftlern ernsthaft in Frage gestellt. Berechnungen zufolge käme es bei massiven Aufforstungsprogrammen zwecks Minderung der Kohlendioxid- Konzentration in der Atmosphäre ungefähr ab dem Jahre 2050 zu einem Kippunkt, an dem Wald nicht mehr als Kohlenstoffsenke, sondern umgekehrt wieder als -quelle dient. Die Folgen einer rapiden Freisetzung von Kohlendioxid könnten sich für die Menschen, die auf relativ konstante Umweltfaktoren existentiell angewiesen sind, als verheerend erweisen - ein Problem, das Fabian nicht erwähnt.

Ohnehin läßt sich eher zwischen den Zeilen herauslesen, daß der Forscher keineswegs immer so sicher in seinen Behauptungen ist, wie er nach außen den Eindruck erweckt. Beispielsweise wird unter Umweltschützern der Schutz der Ozonschicht aufgrund des Montrealers Abkommens zum Verbot der FCKWs als politische Erfolgsstory verkauft. Das sieht auch Fabian so, aber dennoch schreibt er:

Anstelle der Ozonkiller, die langsam aus dem Verkehr gezogen werden, verwenden wir heute Ersatzsubstanzen, welche die Ozonschicht nur geringfügig oder gar nicht angreifen. Sie werden durch OH bereits in der Troposphäre abgebaut und sind daher für die Stratosphäre unschädlich. Mit dem Abbau verschwinden diese Stoffe aber nicht. (...) Während als Folge des Montreal-Protokolls die Anteile der Ozonkiller in der Atmosphäre zurückgehen, zeigen nun die Ersatzsubstanzen (...) starke Zunahmen. Man darf gespannt sein, welches neue Umweltproblem hierdurch vorprogrammiert ist. (S. 203)

Dem langjährigen Atmosphärenforscher schwant offenbar, daß am Ende jedes umfassenderen Eingriffs des Menschen in die Atmosphäre unabwendbar eine Rechnung präsentiert wird und daß man in diesem Fall noch gar nicht weiß, was man bestellt hat. Es ist nicht auszuschließen, daß die FCKW-Ersatzstoffe zu Problemen führen, die mit keinem internationalen Protokoll behoben werden können, weil sie noch gar nicht meßbar sind. Wie sonst ist Fabians Wortwahl zu verstehen, wenn er von einem vorprogrammierten Umweltproblem spricht?

Generell bleibt Fabian in seinen Schlußfolgerungen moderat und erfüllt damit seinen eingangs formulierten Anspruch, so allgemeinverständlich wie möglich zu schreiben. Dabei bewegt er sich auf dem Niveau universitären Lehrstoffs, was nicht zuletzt durch die Verwendung zahlreicher Diagramme und Tabellen unterstrichen wird. Mit "Leben im Treibhaus" erhält der Leser ein informatives Buch an die Hand, das den Stand der aktuellen Klimaforschung und Klimapolitik wiedergibt, ohne daß sich der Autor mit gewagten Thesen aus dem Fenster gelehnt hätte.


Peter Fabian
Leben im Treibhaus
Unser Klimasystem - und was wir daraus machen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2002
272 Seiten, 60 Abbildungen, 17 Tabellen und 12 Farbtafeln
ISBN 3-540-43361-9