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REZENSION/149: P. Müller, M. Mueller - Gegen Freund und Feind (BND) (SB)


Peter F. Müller & Michael Mueller


Gegen Freund und Feind

Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte



Sachbücher über Nachrichtendienste unterliegen einem prinzipiellen Problem, das im subversiven und konspirativen Charakter ihres Sujets begründet liegt. Die Dienste betreiben ihr Geschäft nicht umsonst im Geheimen, das heißt sie liegen mit dem Anspruch der Öffentlichkeit auf demokratische Transparenz gründlich über Kreuz. Das Erbringen sicherheitspolitisch wie wirtschaftlich relevanter Informationen erfolgt zumindest im Bereich des Einsatzes verdeckt arbeitender Agenten oder der Telekommunikationsüberwachung unter strikter Geheimhaltung, was um so mehr für operative Vorgänge wie etwa das Lancieren zweckmäßiger Desinformationen oder das Durchführen illegaler Provokationsakte gilt. Der Bundesnachrichtendienst, um dessen Geschichte es in dem Buch von Peter F. Müller und Michael Mueller geht, ist keine Presseagentur und kein Informationsdienst, deren Leistungen von jedermann in Anspruch genommen werden können, der sie bezahlen kann, sondern der BND ist der Auslandsgeheimdienst eines Staates mit umfangreichen außenpolitischen wie ökonomischen Interessen in aller Welt. Seine Arbeit ist aufs engste mit der Außenpolitik der Bundesregierung verknüpft, und das nicht nur, indem ihren Entscheidungsträgern Informationen und Analysen zur weltpolitischen Lage zugänglich gemacht werden, sondern auch durch gezielte Einflußnahme wie das Publizieren alarmierender Erkenntnisse zur Sicherheitslage der Republik oder Eingriffe in die Angelegenheiten anderer Staaten mithilfe eigener Agenten.

Es ist daher ein nicht unproblematisches Unterfangen, die Geschichte eines Geheimdienstes unter Anspruch auf wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ereignisse zu schreiben. Die Autoren des vorliegenden Buches, mit dem zum ersten Mal versucht wird, eine umfassende Geschichte des BND zu veröffentlichen, haben bereits früher publizierte Standardwerke zum BND herangezogen, aber auch auf früher nicht verfügbare Aktenbestände zugegriffen. Sie gelangen daher in einzelnen Fällen durchaus zu einer anderen Bewertung als ältere Werke zum BND und füllen manche Lücke, über die bisher nur spekuliert werden konnte.

Ihre umfassende und im Anhang gut dokumentierte Quellenarbeit kann jedoch keine Gewähr dafür leisten, nicht dennoch mit fingiertem Material auf eine falsche Fährte geführt worden zu sein. Wenn der Leser diesen Vorbehalt beim Studium der Geschichte eines Dienstes, zu dessen Handwerkzeug die Manipulation nicht nur des Gegners, sondern, wie der Buchtitel "Gegen Freund und Feind" zutreffend sagt, auch der eigenen Seite gehört, nicht vergißt und die dargebotenen Interpretationen und Bewertungen zeitgeschichtlicher Ereignisse, auf die der BND Einfluß genommen hat, mit gebotener Skepsis betrachtet, geht er sicherlich ganz nach Maßgabe nachrichtendienstlicher Auswertung vor.

Der problematischen Verfügbarkeit von Interna des BND gemäß werden die Autoren ihrem die kritische Aufklärung der Machenschaften des Geheimdienstes ankündigenden Untertitel "Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte" am ehesten auf jenen 361 Seiten gerecht, auf denen die Vor-, Entstehungs- und Frühgeschichte des Dienstes unter dem Titel "Von der Ostfront nach Pullach: Die Ära Gehlen" abgehandelt wird. Der zeitgeschichtlichen Ferne dieser Ära gemäß nimmt die 1968 zuende gehende Amtszeit des Wehrmacht-Generals Reinhard Gehlen den größeren Teil des 634-seitigen Textes, der durch einen Anhang von weiteren 85 Seiten ergänzt wird, ein. Sie ist aufgrund der der inzwischen gewährleisteten Verfügbarkeit ostdeutscher und sowjetischer Archive sowie der bereits vorhandenen Literatur zur Rolle der BRD-Dienste in dieser Zeit ein dankbares Objekt der historischen Untersuchung und beeindruckt vor allem durch das Ausmaß an personeller Kontinuität zwischen NS-Staat und früher Bundesrepublik.

Die Ära Gehlen leiten die Autoren mit der Übernahme des Wehrmachtgeheimdienstes Fremde Heere Ost durch den Karriereoffizier ein. Sie schildern detailliert, wie das geschickte Lavieren Gehlens in der Nachkriegszeit und sein Arrangement mit US-Diensten zur Gründung des ersten bundesrepublikanischen Auslandsgeheimdienstes Organisation Gehlen (OG) und schließlich zur offiziellen Indienststellung des BND am 1. April 1956 führte. Leider ist dieser Teil von einem abfälligen Jargon gegenüber dem Gegner im Kalten Krieg - häufiger als "die Kommunisten" pauschalisiert - und typisch westdeutschen Geschichtsinterpretationen etwa zur Stalin-Note gekennzeichnet.

Die Autoren gewähren jedoch auch Einblicke in subversive Strategien, mit denen die OG und mit ihr kooperierende CIA- Tarnorganisationen wie die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" gegen die DDR vorgingen, sie erinnern an die Rolle, die der Hauptverantwortliche für die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Waldemar Pabst, in dem informellen Netzwerk spielte, über das Gehlen seine Fäden zog, und schildern ausführlich, welche Rolle der Vatikan beim Ausbau Westeuropas zum antikommunistischen Bollwerk spielte. In diesem Rahmen wartet das Buch mit allerlei interessanten Fundstücken auf wie etwa einer Meldung des Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienstes (FWHD), eines von Adenauer im Rahmen des Amtes Blank eingerichteten Paralleldienstes zur OG, der im Unterschied zu Gehlens Apparat von den Westalliierten unabhängig war, vom Juni 1952. In ihr ist von einer "Neuordnung Europas" die Rede, deren Konzeption auf den heute noch als EU-Parlamentarier aktiven Rechtskonservativen Otto von Habsburg zurückging:

In den bestehenden katholischen Parteien sollen vorerst alle Linkstendenzen ausgeschaltet und jene Persönlichkeiten, die bereit sind, mit der rechten Seite zusammenzuarbeiten, ebenso gefördert werden. Dieses neue weltpolitische Konzept müsse sich auf ein Dreieck Rom-Madrid-Bonn stützen, worüber mit dem spanischen Staatschef Franco bereits das allerengste Einvernehmen bestünde.

Müller und Mueller zeigen bei der Beurteilung der Positionierung der OG, des FWHD und des BND im Kalten Krieg keine Scheu, die deutschen Geheimdienste auf der Seite nationalchauvinistischer, rechtsextremer und reaktionärer Kräfte und Interessen zu verorten. Dabei bedienen sie sich zwar manchen Klischees über die Seite des realsozialistischen Gegners, kommen aber nicht umhin, die Unterstützung der Niederschlagung antikolonialistischer Befreiungsbewegungen in aller Welt durch den BND zu schildern und einige der grauen Eminenzen dieser Ende der achtziger Jahre auslaufenden Ära Revue passieren zu lassen. So ist etwa ihr Urteil über den italienischen Christdemokraten Gulio Andreotti von gebotener Eindeutigkeit:

Gesichert bleibt, daß Andreotti zur 'Rettung der Nation vor dem Kommunismus' die militant-rechten politischen Kräfte, italienische und amerikanische Nachrichtendienste, Industrieinteressen und die Mafia zu einem schlagkräftigen Block zusammensgeschweißt hatte, der das politische Leben in Italien fest im Griff hatte, bis er zurücktrat und das Parlament im März 1993 seine Immunität aufhob.

Für den an der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte interessierten Leser finden sich allerhand bemerkenswerte Details wie etwa die Rolle, die die OG und dabei insbesondere der ehemalige Mentor Gehlens bei der Wehrmacht, General Adolf Heusinger, bei der Wiederbewaffnung der BRD spielte. Er war eine der Schlüsselfiguren der Remilitarisierung eines Landes, dessen Bevölkerung sich noch allzugut an den mörderischen Krieg erinnerte, der bei Adenauers ersten Versuchen, der gerade gegründeten Bundesrepublik wieder eigene Streitkräften zu verschaffen, nicht einmal fünf Jahre vorbei war. Daß es alte NS-Generäle wie OG-Mitglied Heusinger waren, denen das Ohr des Bundeskanzlers gehörte und die mit ihrer dem antibolschewistischen Kampf Hitlers entstammenden Paranoia die Wiederaufrüstung der BRD, der Adenauer sogar eigene Atomwaffen verschaffen wollte, betrieben, gilt es gerade heute zu erinnern.

Leider wurde der Anspruch der Autoren, "die Entwicklung des Dienstes in den Kontext der politischen Geschichte der Bundesrepublik zu setzen", lediglich auf deskriptive bis affirmative Weise eingelöst. Die Rolle des BND als Organ verdeckter außenpolitischer Einflußnahme wird kaum im Sinne einer herrschaftskritischen oder antiimperialistischen Analyse bewertet, wiewohl dies bei einem außerordentlichen Machtmittel der Exekutive allemal geboten wäre. Die tiefe personelle Verstrickung des BND in den Nationalsozialismus wird zwar uneingeschränkt geschildert, doch schon die damit einhergehende Fortschreibung des ideologisch motivierten Antikommunismus wird eher an vermeintlichen Notwendigkeiten westlicher Selbstbehauptung festgemacht, als daß man das Scheitern des antifaschistischen Gründungskonsens der Bundesrepublik in den Zusammenhang einer spezifischen Interessendurchsetzung gestellt hätte.

So wird die eindeutige Positionierung des BND an der Seite reaktionärer repressiver Regime in aller Welt zwar nicht ausgelassen, doch man hätte sich bei der Unterstützung von Folterern in aller Welt schon eine etwas ausführlichere Darstellung des darin zum Ausdruck kommenden hegemonialen Anspruchs wie eine eindeutigere Stellungnahme der Autoren zur weniger Freiheit und Demokratie denn Kapital und Staat schützenden Rolle von Geheimdiensten gewünscht. Nur vor diesem Hintergrund ließe sich die häufiger in dem Buch gestellte und um eine differenzierte Beantwortung bemühte Frage nach der Effizienz der Arbeit des BND auf eine historisch relevante Weise beantworten, die nicht allein die Sicht der Sieger des Kalten Kriegs repräsentierte.

Wer zur Bewertung der deutschen Nachkriegsgeschichte bereits über eine eigene Position verfügt, der kann die Materialfülle des Buches auch ohne Assistenz der Autoren nutzen, ansonsten jedoch läuft der Leser Gefahr, Interpretationen zu übernehmen, die eben dieser selektiven Weltanschauung entspringen. So mündeten die verlorenen Schlachten des BND während seiner Konfrontation mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR letztendlich in einen gewonnenen Krieg, der die Interessen der unterlegenen Seite für null und nichtig erklärt hat. Positiv anzumerken ist, daß die Autoren die strafrechtliche Verurteilung von westdeutschen Kundschaftern des MfS nach 1990 in Frage stellen, da "alle für den BND in der DDR tätigen Agenten (...) rehabilitiert und finanziell entschädigt" wurden.

Inwiefern die Arbeit des BND selbst zum Sieg der kapitalistischen Staatenwelt im Systemwettstreit beigetragen hat, ist angesichts der Tatsache, daß der Dienst heute als unentbehrlicher denn je gilt, von nicht so großer Bedeutung, wie die vielen Artikel, die etwa im Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu diesem Thema publiziert wurden, suggerieren mögen. Sie unterlag ohnehin Faktoren und Einflüssen, die monokausale Analysen kaum zulassen. So wird die am Beispiel des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan dargestellte Mißachtung spezifischer Erkenntnisse des BND über das Bevorstehen der Invasion durch die US-Regierung von den Autoren als "weiteres Beispiel für die Tatsache, daß Geheimdienstinformationen immer dann ignoriert und die Geheimdienste zu Spielbällen der Politik gemacht werden, wenn übergeordnete politische Interessen es zu erfordern scheinen", angeführt.

Dieses Bild kann angesichts der Tatsache, daß die CIA in Afghanistan mit der Unterstützung des Kampfes der Mudschaheddin gegen die kommunistische Regierung in Kabul und ihre sowjetischen Unterstützer die größte Operation in der Geschichte des US- Auslandsgeheimdienstes mit dem Erfolg durchführte, der sowjetischen Außenpolitik nicht mehr wiedergutzumachenden Schaden zugefügt zu haben, kaum zutreffen. Die Autoren liefern selbst Indizien dafür, daß US-Präsident Carter "die Sowjets ins Messer laufen" ließ, und zitieren aus einem Buch ihres Koautoren Erich Schmidt-Eenboom:

Möglicherweise haben bei den Strategen im Weißen Haus und im Bundeskanzleramt bzw. in der Nato überdies Überlegungen eine Rolle gespielt, dass sich Moskau angesichts der politischen Unruhe im eigenen Lager (Polen) und der Afghanistan-Invasion auch finanziell übernehmen würde. Afghanistan war das Opfer auf dem Schachbrett der Großmächte, ein Bauer, der geopfert wurde, um den sowjetischen König ins Schach zu setzen ...

Es lohnt sich, an dieser Stelle einmal genauer auf die Reihenfolge der Ereignisse zu blicken, hat doch Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski der Sowjetunion eine Falle gestellt, die erklärt, wieso man in Washington keinen Grund hatte, die Invasion der Roten Armee im Dezember 1979 vorab etwa durch eine diplomatische Offensive zu verhindern. So schreibt der Orientalist Matin Baraki in einem am 12. Januar 2002 in der Tageszeitung junge Welt abgedruckten Artikel:

Mit dem sowjetischen Militärengagement seit dem 27. Dezember 1979, basierend auf Artikel 4 des afghanisch-sowjetischen Freundschaftsvertrages vom 5.12.1978 und Artikel 51 der UN- Charta, gewann der innerafghanische Konflikt eine neue Qualität. Er wurde internationalisiert und zunächst verdeckt, später ganz offensichtlich von den meisten westlichen Ländern geschürt, einschließlich der BRD und ihrer regionalen Verbündeten vor Ort. In seinen unlängst erschienen Memoiren gab der ehemalige CIA-Direktor Robert Gates zu: 'Die amerikanischen Geheimdienste haben den afghanischen Mudschaheddin sechs Monate vor der sowjetischen Intervention zu helfen begonnen.' Vom ehemaligen Sicherheitsberater des US- Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, wurde das auf Anfrage eines Journalisten von Le Nouvel Observateur wie folgt bestätigt: 'Ja. Nach der offiziellen Version der Geschichte hat die Hilfe der CIA an die Mudschaheddin angefangen im Laufe des Jahres 1980, d.h. nachdem die sowjetische Armee am 24. [sic!] Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert war. Aber die Realität, bis jetzt geheimgehalten, ist eine ganz andere. Es war tatsächlich der 3. Juli 1979, an dem Präsident Carter die erste Direktive über die geheime Unterstützung für die Opponenten des prosowjetischen Regimes in Kabul unterzeichnet hat. Und an diesem Tag habe ich dem Präsidenten eine Notiz geschrieben, in der ich ihm erklärte, daß meiner Ansicht nach diese Hilfe eine militärische Intervention der Sowjets zur Folge haben würde.' Er führt weiter aus: 'Wir haben die Russen nicht gedrängt zu intervenieren, aber wir haben die Möglichkeit, daß sie es tun, wissentlich erhöht.'( Le Nouvel Observateur, 15.-21. Januar 1998, S. 76)

Die weiteren Folgen der massiven Aufrüstung der afghanischen Mudschaheddin durch die USA sind bekannt - langjähriger Bürgerkrieg in Afghanistan, die Etablierung des Taliban-Regime, der Export militanter islamistischer Erhebungen in viele Länder der islamischen Welt, schließlich die Schaffung eines Erzschurken namens Osama bin Laden, der der heutigen US-Administration als Vorwand für das Führen von Angriffskriegen gilt. Die Rolle der Geheimdienste in diesem strategischen Entwurf ist alles andere als eindeutig, jedenfalls lassen sich die Nachrichtendienste kaum als bloße Opfer der Politik bemitleiden, zumal Mueller und Müller durchaus auch über den Nutzen zu berichten wissen, den der BND aus seinen guten Kontakten zu den afghanischen Mudschaheddin gezogen hat.

Mit dem Niedergang der Sowjetunion scheinen auch die Quellen der Autoren zu versiegen, ist über die Entwicklung des BND seit der deutschen Einigung doch nur noch Bruchstückhaftes in Erfahrung zu bringen. So erfährt man zur "Rolle, die der BND beim Zerfall Jugoslawiens und der Errichtung neuer unabhängiger Staaten gespielt hat", leider nichts. Das "wäre eine eigene Untersuchung wert und könnte den Versuch zeigen, deutsche Interessen im Bereich der operativen Außenpolitik neu zu definieren", bescheiden die Autoren dem Leser, der doch gerade über diese Form der Einflußnahme gerne aufgeklärt worden wäre. Daß Müller und Mueller über dieses so elementare Tätigkeitsfeld des BND schweigen, obwohl ihr Koautor Schmidt-Eenboom in seinen Publikationen ausführlich über dessen Verstrickung in die Aufrüstung der Kroaten und die Durchsetzung deutscher Hegemonialinteressen auf dem Balkan berichtet hat, legt den Verdacht nahe, daß dieses Eisen noch zu heiß war, als daß man sich nicht daran die Finger hätte verbrennen können.

So bleibt das Buch "Gegen Freund und Feind" doch um einiges hinter dem Anspruch zurück, die "Geheime Politik und schmutzigen Geschäfte" des BND umfassend abzuhandeln. Um sich einen Überblick über die Aktivitäten des Dienstes zu verschaffen, ist es durchaus geeignet, und hat man ein besonderes Interesse am Thema bürokratischer Eigendynamik und kontraproduktiver administrativer Ränkespiele, so wird man durch die umfassenden Schilderungen BND- interner Intrigen und Grabenkämpfe allemal zufriedengestellt. Die dargestellten Beispiele auch von außen in den BND hineingetragener administrativer Machtkämpfe und parteigebundener Einflußnahme sowie die Unterwanderung durch gegnerische Dienste werfen allerdings die Frage auf, ob ein solch eigenmächtiges Organ der Exekutive überhaupt im Sinne seiner beanspruchten Aufgabe der Gefahrenabwehr tätig werden kann oder ob es nicht viel mehr Sonderinteressen reflektiert und mit undemokratischen Mitteln durchsetzt.

Diese Stoßrichtung geheimdienstlicher Arbeit kommt in dem Buch gerade vor dem Hintergrund des 11. September 2001 bei weitem zu kurz. Die Autoren bewerten das Problem der politisch motivierten Gewaltanwendung durch nichtstaatliche Akteure praktisch ausschließlich im konformen Sinne eines Phänomens, dessen Genese mit sozioökonomischen Bedingungen wie machtpolitischen Instrumentalisierungen nichts zu tun hätte und praktisch auf dem symptomatischen Wege der offensiven Gefahrenabwehr zu bewältigen wäre. Die vielfältigen Verstrickungen von Geheimdiensten in Strategien der politischen Manipulation gelangen in ihrem abschließenden Ausblick auf die Zukunft der Dienste nicht zur Geltung, sondern Müller und Mueller beschränken sich auf die vorsichtige Mahnung, deren Verfügungsgewalt über unkontrollierte exekutive Vollmachten nicht zu sehr auszuweiten:

Die These, ihre Arbeit sei überflüssig, ist nach dem 11. September 2001 so überflüssig, wie sie es vorher war. Vielleicht ist diese Arbeit sogar dringlicher und notwendiger als in den Zeiten des Kalten Krieges mit seinen zementierten Feindbildern und Frontlinien. Um so dringlicher und notwendiger ist damit aber auch die Diskussion um die Art und Weise, wie die Nachrichtendienste ihrer Arbeit nachgehen. Global vernetzte offene Gesellschaften sind verletzlich. Internationale Terroristen werden leicht zu Inländern, Waffenhandel war noch nie ein Privileg von Ausländern, und das zweitälteste Gewerbe der Welt, die Spionage, hat sich neue Betätigungsfelder in Wirtschaft und Technologie gesucht. Damit ist die Versuchung, den Einflußbereich der Nachrichtendienste zur vermeintlichen Gefahrenabwehr immer weiter auszudehnen und auch auf den Inlandsbereich und die eigenen Bürger auszuweiten, heute so groß wie je, vielleicht größer. Hysterie ist dabei der größte Feind der offenen Gesellschaft, die unter dem Gefühl der Bedrohung Gefahr läuft, immer größere Teile von sich selbst zu opfern. Auch diese Gefahr hat nicht erst der 11. September 2001 geschaffen, aber er hat sie wieder deutlich sichtbar werden lassen.

Es wäre erfreulich gewesen, wenn die Autoren diese Mahnung anhand der vielfältigen Widersprüche, in denen Geheimdienste zum Prinzip der demokratischen Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit stehen, transparent gemacht hätten. Die immer umfassenderen Befugnisse des BND bei der Telekommunikationsüberwachung unter ausdrücklicher Entbindung vom Legalitätsprinzip und jeglicher Kontrolle durch die Justiz, seine kaum vorhandene parlamentarische Überwachung, die fortschreitende Auflösung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten, die Aushebelung nationaler Beschränkungen seiner Aktivität durch die informelle Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten, sein Einfluß auf die Außenpolitik der Bundesregierung durch die Möglichkeit, Desinformationskampagnen mit dem Ziel einer Diffamierung mißliebiger Staates zu initiieren - all das sind Gründe, die angebliche Unverzichtbarkeit von Geheimdiensten in Frage zu stellen und auf den ansonsten so vielgerühmten Boden des Rechtsstaates zurückzukehren.


Peter F. Müller & Michael Mueller
Gegen Freund und Feind
Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2002