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REZENSION/170: Mark Hertsgaard - Im Schatten des Sternenbanners (SB)


Mark Hertsgaard


Im Schatten des Sternenbanners

Amerika und der Rest der Welt



"Warum hassen sie uns?" - Nichts könnte besser als diese seit dem 11. September 2001 zum Verhältnis der islamischen Welt zu den USA von amerikanischen Politikern und Journalisten immer wieder gestellte Frage dokumentieren, für wie dumm die damit adressierte Öffentlichkeit gehalten wird respektive wie ignorant sie tatsächlich ist. Die mit der Frage bereits antizipierte Antwort, die Attentäter von New York und Washington haßten die USA für ihre Freiheit, ihren Wohlstand, ihre Werte, vollendet den selbstbezüglichen Zirkelschluß zur selbstreferentiellen Wahrheit und beläßt die US-Bürger in einer Verkennung, mit der sie so lange gut leben, als das Mißverhältnis von vermeintlicher Autonomie und tatsächlicher Interdependenz nicht folgenschwer auf sie zurückschlägt.

Auch den Journalisten Mark Hertsgaard beschäftigt diese Frage, allerdings aus der Sicht des aufgeklärten Demokraten und global denkenden Weltbürgers. In seinem Buch "Im Schatten des Sternenbanners. Amerika und der Rest der Welt" fordert er seine nationale Leserschaft auf, sich stärker für die Belange jenseits der Landesgrenzen und Ozeane zu interessieren. Das dürfte ein eher hoffnungsloses Unterfangen sein, wird ein linksliberales Werk, dem die New York Times mit der Trias "beschämend, böse und antiamerikanisch" den Stempel der Gesinnungsliteratur aufdrückte, doch bestenfalls von einem gleichgesinnten Publikum gelesen werden. Aussichtsreicher hingegen dürfte sein Unterfangen sein, beim internationalen Publikum um eine stärkere Differenzierung zwischen amerikanischer Regierungspolitik und Bevölkerung zu werben. Fast beschwörend ringt Hertsgaard immer wieder darum, man möge den Stab nicht in Bausch und Bogen über den USA brechen, was angesichts der von ihm aufgefahrenen Daten und Fakten allzu naheliegt, sondern Verständnis für die in systematisch erzeugtem Unwissen resultierende Subordination der US-Bevölkerung unter ihre Eliten und Institutionen aufbringen.

Der Versuch, die Diagnose ökonomischer Zwangs- und autokratischer Machtverhältnisse im verfassungstechnisch freiesten Land der Welt in eine Exkulpation der amerikanischen Bevölkerung münden zu lassen, krankt allerdings daran, daß die US-Bürger zu einem großen Teil zu den Profiteuren der weltbeherrschenden Position ihres Landes gehören oder sich zumindest einbilden, dies zu tun. Die amerikanische Bevölkerung nicht für die nach innen immer repressiver und nach außen imperialistisch agierende Politik Washingtons verantwortlich zu machen bedeutete, die von Hertsgaard ausführlich dargestellten Mechanismen der Herrschaftssicherung in Politik und Medien in einem Maße zu verabsolutieren, das der Autor seinerseits keineswegs unterschriebe. Hertsgaards publizistische Tätigkeit ist der beste Gegenbeweis dafür, daß es den US-Bürgern, wenn sie es denn wissen wollten, keineswegs versperrt ist, sich ein Bild von der Lage der Nation zu machen, das den heroischen Tenor der jährlichen Bilanz des US-Präsidenten aufs peinlichste widerlegte.

Dieses Buch hat einige Probleme benannt, vor denen die Vereinigten Staaten stehen. Unsere oft arrogante und unbarmherzige Außenpolitik droht auf schreckliche Weise gegen uns selbst 'zurückzuschlagen'. Unser konsumistisches Verständnis von Wohlstand bringt uns und möglicherweise den ganzen Planeten um. In unserer Demokratie - man wagt das Wort kaum in den Mund zu nehmen - haben sich fest verschanzte Bürokraten und legale Bestechung eingenistet. Unsere Medien entehren den heiligen Gedanken der Pressefreiheit. Unsere kostbaren Bürgerfreiheiten befinden sich im Belagerungszustand, unsere Wirtschaft teilt uns in Reiche und Arme, unsere typischen kulturellen Aktivitäten sind Shopping und Fernsehen. Was allem die Krone aufsetzt, ist die Forderung unserer wirtschaftlichen und politischen Eliten, daß unser Modell zum Modell für die Welt werden soll, durch die Herrlichkeiten der von den Konzernen angeführten Globalisierung.

All diese Kritikpunkte werden von Hertsgaard in den zehn Kapiteln seines Buches, die von einem Anmerkungsteil mit ergänzenden Informationen und Quellenangaben, aber keinem Namensregister begleitet werden, belegt, wobei die Darstellung und Analyse einzelner Themenbereiche mitunter etwas kursorisch gerät. Wer sich bereits ausführlich mit dem amerikanischen Anspruch auf globale Hegemonie, mit den totalitären Aspekten des politischen Systems der USA, den sozialen Verwerfungen der amerikanischen Gesellschaft und der Profanisierung ihrer kulturellen Produktion befaßt hat, dem hat der Faktenunterbau der Ausführungen Hertsgaards wenig Neues zu bieten. Um so mehr zu empfehlen ist die Lektüre jedem Leser, der in die Thematik einsteigen will und eine Sichtweise favorisiert, die keineswegs linksradikal zu nennen ist, die Anmaßung und Arroganz der Washingtoner Regierungspolitik und das messianische Selbstverständnis amerikanischer Eliten jedoch schonungslos beim Namen nennt.

Dies ist denn auch der tragende Inhalt des Buches, denn der von Hertsgaard gewählte erzählerische Rahmen ist nicht viel mehr als ein Passepartout, das seiner Kritik Anlaß bietet und Struktur gibt, ohne allzu abstrakt und trocken zu wirken. So treten die Gespräche mit Menschen in aller Welt, denen er auf einer mehrjährigen Weltreise begegnet ist und die er nach ihrer Meinung zu den USA befragt hat, im Verlauf der Lektüre des Buches immer mehr in den Hintergrund, um dem eigentlichen Thema Platz zu machen. Von geradezu strategischer Relevanz ist allerdings die Aussage eines jungen weißen Geschäftsmannes in Südafrika, der auf die Frage des Autoren, ob ihn die Omnipräsenz der USA ärgere, antwortet:

Ärgern, darum geht es nicht. (...) Es ist einfach so. Ich muß aufpassen, was Alan Greenspan [der Chef der amerikanischen Zentralbank] sagt. Es kann sich auf mein Vermögen auswirken. Eigentlich sind wir euch gegenüber im Vorteil, denn wir wissen alles über euch, aber ihr wißt nichts über uns.

Wie nachteilig sich der aggressiv-expansive Charakter amerikanischen Vormachtdenkens auf eine US-Bevölkerung auswirken kann, die sich auch nach dem 11. September 2001 zu einem Gutteil in ihrem Lande so sicher wie in Abrahams Schoß wähnt, und sei es für den Preis einer unter dem Titel Homeland Security maßlos proliferierenden Staatsgewalt, läßt sich an Hertsgaards Ausführungen zur amerikanischen Kulturindustrie und dem Wissensstand des prototypischen Joe Sixpack studieren. Wenn er behauptet, daß das, "was die Medien Globalisierung nennen, weitgehend eine Amerikanisierung sei", dann trifft dies vor allem auf amerikanische Popkultur wie Konsumgüter und die Anglifizierung der Welt durch einen immer armseligeren Jargon des Englischen zu.

Auf diese Weise erleiden nicht nur andere Länder und Bevölkerungen eine kulturelle Nivellierung auf dem niedrigsten, da verwertungstauglichsten Niveau warenförmiger Verdinglichung, sondern genuine Errungenschaften der amerikanischen Gesellschaft bluten durch die nach außen gerichtete Verallgemeinerungstendenz um so mehr aus, als man diesen Eroberungszug in den USA selbst für ein Zeichen der eigenen Überlegenheit hält. So geht die Karriere der englischen Sprache zur Lingua franca der Globalisierung einher mit einer Degeneration ihres klassischen Korpus, die die sprachliche Fertigkeit aller angloamerikanischen Muttersprachler beträchtlich in Mitleidenschaft zieht. Zu erkennen, daß die USA selbst durch den "Schatten des Sternenbanners" verdunkelt werden, ist eine der interessanten Einsichten, die man aus der Lektüre des vorliegenden Buches ziehen kann.

Als Autor führender Zeitungen - laut Klappentext New Yorker, Time, New York Times, Die Zeit und Der Spiegel - ist Hertsgaard ein international angesehener Autor, der sich schon aus Gründen seines Renommees nicht zu weit aus dem Fenster lehnen kann. Wenn er etwa lobend hervorhebt, daß "der serbische Diktator Slobodan Milosevic (...) durch amerikanische Waffen gestoppt" worden sei, dann werden die Grenzen seiner politischen Kritikfähigkeit unübersehbar. Wenn er abschließend zu einer "Revolution (...) der Werte und Denkweisen" aufruft, mit der an die Gründungsgeschichte und Verfassungstradition der Vereinigten Staaten von Amerika anzuknüpfen sei, und hoffnungsfroh verkündet, er sei "Amerikaner genug, um zu glauben, daß mühsame Kämpfe ein Happy-End haben können", dann appelliert er an einen versöhnlichen Konsens, der der in seiner Analyse des politischen Systems der USA aufscheinenden Machtfrage gezielt ausweicht. Der Spreizschritt zwischen Kritik und Konformität ist programmatisch für das Buch, und wer damit gut leben kann, weil er die eigene Ambivalenz zwischen Widerspruch und Anpassung bei Hertsgaard gut aufgehoben sieht, wird sein Werk durchaus mit Gewinn lesen.


Mark Hertsgaard
Im Schatten des Sternenbanners
Amerika und der Rest der Welt
Carl Hanser Verlag, München, 2003
256 Seiten
ISBN 3-446-20285-4