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REZENSION/181: Detlef Junker - Power and Mission (US-Außenpolitik) (SB)


Detlef Junker


Power and Mission

Was Amerika antreibt



Seit dem Einzug von George Bush II. ins Weiße Haus und der Rückkehr der Republikaner an die Macht in Washington steuern die USA in der Außenpolitik einen Kurs, der an Eigensinnigkeit und Selbstherrlichkeit kaum zu übertreffen ist. Bereits in den Monaten vor den Flugzeuganschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 hatte die Bush-Regierung durch den Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll und die angekündigte, einseitige Beendigung des ABM-Vertrages sowie die strikte Weigerung, den Internationalen Strafgerichtshof anzuerkennen, ihre Absicht nur allzu deutlich erkennen lassen, daß sie die angeblichen Nationalinteressen der USA nach eigenem Gusto und unabhängig von irgendwelchen multilateralen Verpflichtungen zu verfolgen gewillt ist. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten drei Jahren zahlreiche Bücher erschienen, deren Autoren den neuen Unilateralismus Washingtons zu erklären suchen.

Zu den lesenswerteren Schriften dieses Kreises zählt Detlef Junkers "Power and Mission - Was Amerika antreibt". Junker zieht das wenig beruhigende Fazit, daß der Unilateralismus der Bush-Administration gar nicht neu ist, sondern sich völlig mit dem traditionellen Selbstverständnis der mächtigsten Nation auf Erden deckt. Seit der Gründung betrachtet die US-Politelite ihren Staat quasi als Leitstern und Motor des menschlichen Fortschritts. Folglich käme für sie ein Abrücken von der Vorstellung der besonderen geschichtlichen Mission Amerikas der Verneinung seiner Raison d'être gleich. Den den USA innewohnenden Messianismus, diese aus alteuropäischer Sicht seltsam erscheinende Mischung aus Christentum und Aufklärung, bringt Junker treffend auf den Punkt: "Die amerikanische Nation hat keine Ideologie, sie ist eine."

Zum Beweis seiner These präsentiert der Autor im vorliegenden Buch eine zugleich kurzweilige und kenntnisreiche Abhandlung der wichtigsten Episoden der amerikanischen Außenpolitik seit der Staatsgründung. Wie Junker zeigt, hat der unaufhaltsame Expansionismus der USA den Mächtigen in Washington keine andere Wahl gelassen, als zum Isolationismus der Gründerväter immer weiter auf Distanz zu gehen und ihn letztendlich über Bord zu werfen. Dem Drang nach Westen folgte die Hegemonie über die Karibik und Lateinamerika - Stichwort Monroe-Doktrin - und der Aufstieg zur Pazifikmacht im Zuge des Krieges mit Spanien 1898 einschließlich der Eroberung der Philippinen. Nach der Teilnahme der USA am Ersten und Zweiten Weltkrieg - in beiden Fällen gegen den ursprünglichen Willen des Großteils der amerikanischen Bevölkerung - avancierte das Land, das aus beiden Konflikten vergleichsweise unbeschadet hervorging, zur absoluten Supermacht.

Doch es ist weniger die packende Zusammenfassung der letzten 227 Jahre US-Diplomatie, die das vorliegende Werk relevant macht, als vielmehr das Vermögen Junkers, die grundlegenden Kontinuitäten aufzuzeigen, welche die Außenpolitik Thomas Jeffersons, Teddy Roosevelts, Woodrow Wilsons, Franklin Delano Roosevelt's, John F. Kennedys, Richard Nixons, gar Bill Clintons mit der George W. Bushs und seines geistigen Patens Ronald Reagan miteinander verbindet. An die Stelle der Politik der "freien Weltmeere" für US-Handelsschiffe und der "offenen Tür" für Kapital und Waren aus den USA - bestes Beispiel Admiral Matthew Perrys Kanoonenboot-Diplomatie in der Bucht von Tokio 1853 - sind im 20. und 21. Jahrhundert GATT und WTO- Abkommen getreten. Der Völkerbund und seine Nachfolgeorganisation, die Vereinten Nationen, gehen in erster Linie auf die Initiative Washingtons zurück, das auf diesem Wege die Sicherheitsinteressen der USA und die Geschäftsinteressen der amerikanischen Großkonzerne auf internationaler Ebene befördern wollte. So gesehen ist die jüngste Reaktion der bestimmenden Kräfte in den USA, sich angesichts zunehmender Eigenimpulse seitens der anderen UN-Mitgliedsländer von der Völkergemeinschaft abzuwenden, nur konsequent. Wie Junker in seinem Buch richtig anmerkt, galt aus Sicht Washingtons das Prinzip der eingeschränkten Souveränität im Rahmen der multilateralen Weltordnung immer nur für alle anderen Nationen, niemals aber für "God's own country", die Heiligen Vereinigten Staaten von Amerika.

Nicht wenigen ausländischen Beobachtern der amerikanischen Politikszene mit ihren zahlreichen Skandalen der letzten beiden Jahrzehnte - Iran-Contra, BCCI, Savings & Loan, Enron - fällt es schwer, die selbstgerechte, quasi religiöse Inbrunst eines George W. Bush ernst zu nehmen oder auch nur zu ertragen. Detlef Junker hat mit dem Sendungsbewußtsein amerikanischer Würdenträger allerdings weniger Probleme. In einem Abschnitt über das seit drei Jahren gestörte Verhältnis der "konservativen Revolutionäre" - so Junkers Bezeichnung für die Neokonservativen am Hofe Bush - zur "internationalen Gemeinschaft" schreibt er: "Für die Repräsentanten des auserwählten Volkes kommt erst die Moralität, dann die Legalität."

Angesichts der allseits bekannten Rücksichtslosigkeit der USA in der Verfolgung ihrer materiellen Interessen - man erinnere sich an US- Präsident Calvin Coolidges berühmt-berüchtigte Feststellung "The Business of America is Business" - muted Junkers Verweis auf das vermeintliche Primat moralischer Integrität bei der Formulierung der Washingtoner Außenpolitik etwas seltsam an. Vielleicht ist es mehr als nur ein Zufall, daß Coolidge in "Power and Mission" als einziger US-Präsident des 20. Jahrhunderts nirgendwo erwähnt wird. Auch wenn man das moralisierende Getue amerikanischer Politiker für unverfrorenes Blendwerk, Eigendünkel oder geistige Zurückgebliebenheit hält, wäre es sicherlich verkehrt, den religiösen Charakter der Sendungsidee Amerikas außer Acht zu lassen. Vor allem dafür, daß Junker diesen etwas unterbelichteten, aber enorm bedeutenden Aspekt der US-Außenpolitik in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellt hat, lohnt es sich, dieses Buch zu lesen.

24. Dezember 2003


Detlef Junker
Power and Mission
Was Amerika antreibt
Herder Verlag, Freiburg, 2003
191 Seiten
ISBN 3-451-28251-8