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REZENSION/204: O. Schröm, D. Laabs - Tödliche Fehler (11. September) (SB)


Oliver Schröm & Dirk Laabs


Tödliche Fehler

Das Versagen von Politik und Geheimdiensten im Umfeld
des 11. September



Seit im letzten Frühjahr die renommierte liberale Wochenzeitung Die Zeit mit Erschrecken festgestellt hat, daß circa ein Fünftel aller Deutschen die Regierung von US-Präsident George W. Bush für den eigentlichen Drahtzieher der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 hält, bläst hierzulande den sogenannten Verschwörungstheoretikern ein rauher Wind ins Gesicht. Zusammen mit den Kollegen vom Hamburger Magazin Der Spiegel versucht Die Zeit, Autoren wie Matthias Bröckers, Andreas von Bülow und Gerhard Wisnewski, welche der Bush-Regierung entweder eine aktive oder eine passive Beteiligung am 11. September unterstellen und deren Bücher in den beiden letzten Jahren riesige Auflagen erreicht haben, zu diskreditieren. Vor diesem Hintergrund ist das Buch "Tödliche Fehler - Das Versagen von Politik und Geheimdiensten im Umfeld des 11. September" von dem Zeit-Journalisten Oliver Schröm und dem Los-Angeles-Times-Korrespondenten Dirk Laabs als Beitrag zur Wahrung des guten Geschmacks und der politischen Korrektheit zu begreifen.

Wie der Titel ihres mit dem öffentlich-rechtlichen Gütesiegel der ARD versehenen Buchs zu erkennen gibt, sehen sich Schröm und Laabs der offiziellen Verschwörungstheorie von den 19 arabischen Flugzeugattentätern, die im Auftrag Osama Bin Ladens den spektakulärsten Massenmord der Geschichte durchgeführt haben sollen, verpflichtet. Folglich geht es den beiden Autoren im vorliegenden Werk darum zu erklären, wie trotz der Tatsache, daß im Vorfeld der Anschläge dem amerikanischen Sicherheitsapparat eine ganze Fülle von Hinweisen auf verdächtige Aktivitäten "islamistischer Terroristen" in den USA vorlag, Mohammed Atta und Co. die von ihnen angeblich begangene Selbstmordoperation gelingen konnte. Zur Begründung des "Versagens" der US-Geheimdienste werden "Versäumnisse", "Unzulänglichkeiten", mangelnde Kommunikation, Rivalitäten zwischen CIA und FBI, überholte Strukturen und schließlich das vermeintliche Fehlen finanzieller und personeller Ressourcen ins Feld geführt. Doch die von Schröm und Laabs nach besten Kräften unterstützte These von der Überlistung des mächtigsten Sicherheitsapparats der Welt durch die Fußsoldaten des Al-Kaida-"Netzwerkes" überzeugt nicht sonderlich. Ein paar Beispiele sollen zeigen, warum.

Wie Schröm und Laabs selbst schreiben, hatten FBI und CIA den "islamistischen Terrorismus" seit dem ersten Anschlag am 26. Februar 1993 auf das World Trade Center im Visier. Bereits im Januar 1995 waren den amerikanischen Geheimdiensten bei der Festnahme dreier Islamisten in Manila in Verbindung mit einem angeblich geplanten Anschlag auf den Papst bei dessen Besuch auf den Philippinen Unterlagen über den sogenannten Plan Bojinka in die Hände gefallen. Dieser sah die gleichzeitige Kaperung von bis zu elf Passagierflugzeugen und ihre Sprengung beziehungsweise den Absturz in einige Prestigebauten der USA vor. In diesem Zusammenhang wurden sowohl das CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, der Sears Tower in Chicago sowie das New Yorker World Trade Center genannt. Daß Plan Bojinka durchaus ernst gemeint war, soll sein Urheber Ramsi Jousef, der Bombenbauer des ersten WTC-Anschlags von 1993, nach der Festnahme in Pakistan und der Überführung in die USA 1997 gegenüber dem FBI- Agenten John O'Neill bestätigt haben.

Im vorliegenden Buch gehen die beiden Autoren ausführlich auf die Person Ramsi Jousefs und dessen Verbindungen zu Khalid Scheich Mohammed, dem mutmaßlichen Chefplaner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, ein. Eine weitere von Schröm und Laabs aufgeführte Verbindung zwischen den beiden WTC-Anschlägen ist Scheich Omar Abdel- Rahman. Der blinde Geistliche gilt als Anführer derjenigen Islamistengruppe, die in den neunziger Jahren den ersten Bombenangriff auf die New Yorker Zwillingstürme durchgeführt und Anschläge auf weitere Wahrzeichen der Hudson-Metropole, darunter das Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River, die George Washington Bridge sowie den Midtown- und den Lincoln-Tunnel, geplant haben soll. Wegen dieser Funktion wurde Abdel Rahman, der in den achtziger Jahren in Zusammenarbeit mit der CIA Glaubenskrieger für den Krieg in Afghanistan gegen die Sowjetunion angeworben und sich Ende desselben Jahrzehnts in New York niedergelassen hat, 1995 zu einer lebenslänglichen Haftstrafe plus 65 Jahre verurteilt.

Seit Jahren gilt die Freilassung des 66jährigen Scheichs als eines der wichtigsten Anliegen von Osama Bin Laden, der bekanntlich ebenfalls in die CIA-Operation in Afghanistan verwickelt war. Im September 2000 strahlte der arabische Nachrichtensender Al Jazeera ein Video aus, in dem der Sohn des Scheichs, Assad Allah Rahman, und Bin Laden gemeinsam eine entsprechende Aufforderung verkündeten. In dem Video, das nach Einschätzung von Experten im Sommer 2000 aufgenommen worden war, versprach Bin Laden, "mit aller Macht für die Befreiung unseres Bruders Scheich Omar Abdel Rahman und aller unserer Gefangenen in Amerika, Ägypten und Riad" zu arbeiten. Folglich gilt der Anschlag auf den Lenkwaffenzerstörer USS Cole im Hafen von Aden, bei dem im Oktober desselben Jahres 17 Matrosen starben, aus Sicht des US-Geheimdienstes als entsprechender Versuch der Islamisten, Scheich Omar freizupressen.

Einige Kritiker der offiziellen Verschwörungstheorie zum 11. September 2001 vermuten hinter jenem weltbewegenden Ereignis eine ursprünglich zum Zweck der Freipressung Scheich Omars von der Bin- Laden-Truppe geplante Entführungsaktion, die jedoch von mächtigeren, bislang unbekannten Kräften - die über Technologie zur Fernsteuerung von Passagierflugzeugen verfügten - sozusagen übernommen wurde. Wie Schröm und Laabs in ihrem Buch selbst schildern, lag beispielsweise einer am 22. Juni 2001 an alle Luftlinien herausgegebenen Warnung der US-Luftfahrtbehörde FAA vor möglichen Entführungen ein entsprechender Hinweis der National Security Agency über eine solche Aktion zwecks Freipressung "inhaftierter Terroristen" zugrunde. Wie man ebenfalls weiß, wurde auf die Möglichkeit eines solchen Szenarios in dem George Bush am 6. August 2001 vorgelegten berühmt-berüchtigten Presidential Daily Briefing mit dem Titel "Bin Laden entschlossen, in den USA zuzuschlagen" ausdrücklich hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund läßt sich die von Schröm und Laabs vertretene These des großen "Versagens" des US-Sicherheitsapparats am 11. September 2001 nur dann aufrechterhalten, wenn man wie sie einige wichtige und brisante Hinweise auf verdächtige Umtriebe westlicher Geheimdienste in der "islamistischen" Szene ausblendet. In der von den Autoren aufgeführten "Auswahl der wichtigsten Artikel" zum Thema der Flugzeuganschläge und ihrer Hintergründe findet sich bezeichnenderweise nicht der am 28. Oktober 1993 in der New York Times erschienene Beitrag "Tapes depict Proposal to Thwart Bomb Used in Trade Center Blast" von Ralph Blumenthal.

In jenem NYT-Artikel wird die Rolle des ehemaligen ägyptischen Obersten Emad Eli Salem beim ersten WTC-Anschlag geschildert. Als Doppelagent und Agent provocateur des FBI hatte Salem die Gruppe um Abdel Rahman unterwandert. Nach Rücksprache mit seinen Agentenführern bei der US-Bundespolizei hat Salem seine Moslembrüder zu diversen Anschlägen angeregt und sogar selbst an der Lastwagenbombe Ramsi Jousefs mitgebaut. Angesichts der Tatsache, daß Salem praktisch rund zwei Jahre lang bei allen Treffen mit den Mitverschwörern verkabelt war und die Gespräche vom FBI auf Band aufgenommen wurden, steht praktisch fest, daß die US-Bundespolizei aus bis heute nicht geklärten Gründen den ersten WTC-Anschlag, der als eigentlicher Auftakt des heutigen Konfliktes zwischen islamistischen "Extremisten" in aller Welt und der Supermacht USA gilt, geschehen ließ.

Des weiteren sucht man in "Tödliche Fehler" vergeblich nach dem Namen von Ali Mohammed, über den am 1. Dezember 1998 in der New York Times Benjamin Weiser und James Risen unter der Überschrift "The Masking of a Militant - A Soldier's Shadowy Trail in U.S. and in the Mideast" berichteten. Der ehemalige Major der ägyptischen Spezialstreitkräfte hat in den achtziger Jahren als Feldwebel und Experte für Nahost- Studien am U. S. Special Operations Command in Fort Bragg im Bundesstaat North Carolina gedient und verkehrte spätestens seit Anfang der neunziger Jahre vermutlich als Doppelagent entweder des Pentagons oder der CIA in höchsten Islamistenkreisen.

Ali Mohammed soll Osama Bin Laden als persönlicher Leibwächter gedient und diesen nach dem Rausschmiß aus Saudi-Arabien zunächst in den Sudan und später wieder nach Afghanistan geholt haben. Der ägyptische Experte auf dem Feld der psychologischen Kriegsführung war nachweislich sowohl in den ersten WTC-Anschlag als auch in den spektakulären Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im Jahre 1998 verwickelt. Bei dem im Herbst 2001 vor einem Bundesgericht in New York zu Ende gegangenen, von Schröm und Laabs mehrfach erwähnten Prozeß um die Anschläge in Ostafrika diente Ali Mohammed den US-Justizbehörden als Kronzeuge. Bis heute ist aus leicht nachvollziehbaren Gründen gegen diese mysteriösen, viel zu wenig beachteten "Topterroristen" kein formelles Strafrechtsverfahren eingeleitet worden.

In ihrem Buch behandeln Schröm und Laabs sehr ausführlich die Geschichte von Zacarias Moussaoui, dem sogenannten "20. Luftpiraten". Der Fall Moussaoui ist besonders wichtig, weil der Franzose marokkanischer Abstammung die einzige Person ist, gegen die in den USA in Verbindung mit den Flugzeuganschlägen bislang Anklage erhoben worden ist. Einerseits stellt die Anklageschrift eines der wichtigsten Elemente der offiziellen Version des Komplotts dar, andererseits bildet die Tatsache, daß die US-Behörden nach der Festnahme Moussaouis am 16. August 2001 nicht auf die anderen mutmaßlichen Flugzeugentführer gestoßen sind, eines der größten Rätsel im Themenkomplex 11. September. Auch in Zusammenhang mit der Person Moussaoui sticht besonders das hervor, was Schröm und Laabs nicht erwähnen.

Aus den wenigen gesicherten Fakten über Moussaoui wissen wir, daß er im französischen Baskenland aufwuchs und im Alter von 24 Jahren nach London zog, wo er sich 1993 an der South Bank University immatrikulierte und 1995 seinen Master in International Business Studies erhielt. An der Universität fiel Moussaoui nicht weiter auf. Nach Angaben seiner Familie in Frankreich soll der bis dahin westlich orientierte, politisch eher desinteressierte Zacarias erst während der Zeit in London den Kontakt zu radikalislamischen Kreisen aufgenommen haben, die seit Jahren zuhauf von Großbritannien aus agieren, aber unter enger Beobachtung der britischen Geheimdienste stehen und als von diesen unterwandert gelten.

Doch auch der französische Geheimdienst hatte ein Auge auf die Aktivitäten von Großbritannien aus operierender islamistischer Gruppierungen geworfen. So berichtete am 11. Dezember 2001 der Londoner Independent, daß bereits im Jahre 1994 der französische Staatsanwalt Roger Leloire in die britische Hauptstadt gereist war, um Spuren in Verbindung mit der Ermordung von drei französischen Diplomaten in Algerien nachzugehen. Angeblich suchte Leloir nach einer Person, die lediglich mit dem Namen "Zacarias" identifiziert worden war - ohne Erfolg. 1999 will der französische Geheimdienst erfahren haben, daß Moussaoui nach Afghanistan gereist war, wo er in einem Al-Kaida-Lager ausgebildet worden sein soll. Dazu hieß es im Independent-Artikel: "Die Franzosen haben ihre britischen Amtskollegen gewarnt, die ihrerseits jedoch nichts aus den Informationen gemacht zu haben scheinen."

Das könnte natürlich daran liegen, daß die Briten längst von den zwielichtigen Verbindungen Moussaouis wußten, weil sie ihn entweder genau im Blick hatten oder weil er möglicherweise ihr eigener Spitzel war. Das würde auch die etwas hysterisch anmutende Reaktion des britischen Sicherheitsapparats auf die Erkenntnisse des Independent über die angeblich nicht beachtete Warnung aus Paris erklären. Im selben Independent-Artikel über Moussaoui hieß es damals:

Eine hochrangige Geheimdienstquelle bestritt gestern abend, daß die britischen Geheimdienste von Frankreich jemals in Kenntnis gesetzt wurden, daß Herr Moussaoui ein Verdächtiger in einem bestimmten Fall sei. Sie sagte, daß Moussaouis Name im Zuge des routinemäßigen Informationsaustausches zwischen Paris und London gefallen sei, daß aber die Franzosen zu keinem Zeitpunkt eine spezifische Nachfrage gestellt hätten.

Im Buch von Schröm und Laabs wird auf die Zeit
Moussaouis in London kaum eingegangen.

Aus der Anklageschrift gegen Moussaoui, jener "Chronik des Bösen", welche am 11. Dezember 2001 US-Justizminister John Ashcroft und FBI- Chef Robert Mueller höchstpersönlich der Öffentlichkeit präsentierten, geht hervor, daß der aus dem Jemen stammende, früher in Hamburg lebende Ramsi Binalshibh im Laufe des Sommers 2000 viermal ohne Erfolg ein Einreisevisum für die USA beantragt hatte. Erst nachdem Binalshibh die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens erkannt hatte, soll Moussaoui von London aus Kontakt zur Flugschule Airman in Norman, Oklahoma, aufgenommen haben. Die Flugschule war es auch, die, nachdem die französische Botschaft in London grünes Licht gegeben hatte, Moussaoui geholfen hatte, ein Studentenvisum zwecks Flugunterricht zu bekommen. Bereits vor der Einreise in die USA soll der französische Geheimdienst den Amtskollegen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten in Kenntnis gesetzt haben, daß Moussaoui auf seiner Liste mutmaßlicher islamistischer Terroristen stand. Dies geht aus einem am 24. November 2001 im Sydney Morning Herald erschienenen Artikel, der ebenfalls im vorliegenden Buch nicht erwähnt wird, hervor.

Ende Februar 2001 reiste Moussaoui mit 35.000 Dollar im Gepäck in die USA ein und nahm seine Pilotenausbildung in Oklahoma auf. Im Mai brach er plötzlich den Flugunterricht an der Airman-Schule ab und tauchte wenige Monate später im tausend Kilometer entfernten Minnesota auf. Dort erhielt er laut Anklageschrift weitere 15.000 Dollar per Überweisung von Binalshibh. Mit diesem Geld in der Tasche ging der damals 33jährige Franzose Anfang August zur Pan Am International Flight Academy in Eagan, einer Kleinstadt am Südrand von Minneapolis, wo er im Simulator die Steuerung einer Boeing 747 lernen wollte. Der Widerspruch zwischen der fehlenden Flugerfahrung Moussaouis, der nur einen Studentenschein für Kleinflugzeuge besaß, und seinem Wunsch, mit Hilfe des Simulators gleich auf Passagiermaschinen umzusteigen, scheint der Auslöser dafür gewesen zu sein, daß die Fluglehrer die Polizei einschalteten.

Am 16. August, drei Tage nach Beginn des 8300 Dollar teuren Simulatorkurses und mehr als drei Wochen vor den schrecklichen Ereignissen in New York und Arlington, wurde Moussaoui festgenommen und wegen Verstoßes gegen die Einreisebestimmungen, nämlich wegen des Abbruchs des Flugunterrichts in Oklahoma wie auch des Besitzes eines gefälschten Reisepasses, zunächst festgehalten. Recht schnell gelangten die FBI-Beamten in Minneapolis zu dem Schluß, daß Moussaoui einen Anschlag mit einer Passagiermaschine, womöglich gar einen Absturz in das New Yorker World Trade Center, plante. Für Kenner der Materie ist folglich bis heute eine ganz zentrale Frage die, warum Washington in den Wochen bis zum "Tag, der die Welt veränderte", zweimal den Vorschlag aus Minneapolis, einen Antrag auf einen Durchsuchungsbefehl gegen Moussaoui im Rahmen des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) zu stellen, abgelehnt hat.

Mit jenem Antrag sollte die richterliche Genehmigung erwirkt werden, Moussaouis Computer nach Verdächtigem zu durchsuchen und sich Zugang zu den Daten von seinen Telefongesprächen zu verschaffen. Beide Male wurde der Vorstoß mit der Begründung zurückgewiesen, in Washington sei man der Meinung, daß die Verdachtsmomente gegen Moussaoui vor dem FISA-Sondergericht nicht ausreichten. Die Erklärung für die Zurückhaltung Washingtons scheint jedoch wenig plausibel zu sein. Erstens lagen den US-Behörden seit dem 27. August 2001 ausführliche Informationen des französischen Geheimdienstes über die "radikal- islamistischen Ansichten" Moussaouis sowie über seine mutmaßlichen Kontakte zum islamistischen Untergrund Algeriens vor. Zweitens war in der zwanzigjährigen Geschichte des FISA-Gerichtes nicht einmal ein Antrag des FBI, wie fehlerhaft auch immer deren Angaben gewesen sein mochten, abgelehnt worden. Erst nach dem 11. September sollte man auf Moussaouis Festplatte Telefonverbindungsdaten zu den anderen mutmaßlichen Flugzeugentführern finden.

Dank Coleen Rowley weiß man inzwischen, warum Washington einen Antrag auf einen Durchsuchungsbefehl im Fall Moussaoui für wenig aussichtsreich hielt, doch wirft die Erklärung mehr Fragen auf, als sie beantwortet. In einem spektakulären, auf den 21. Mai 2002 datierten Brief an FBI-Chef Mueller sowie bei einem anschließenden Auftritt am darauf folgenden 6. Juni vor dem Kongreß in Washington warf die Rechtsanwältin des FBI-Büros in Minneapolis den Terrorabwehrexperten in Washington vor, Ermittlungen gezielt torpediert zu haben, welche womöglich rechtzeitig die Verschwörung zum 11. September hätten auffliegen lassen können. Wegen dieser Enthüllung wurde Rowley vom US-Nachrichtenmagazin Time die Auszeichnung Person des Jahres 2002 verliehen. Das Buch von Schröm und Laabs findet mit dem Auftritt Rowleys vor dem US-Kongreß faktisch seinen krönenden Höhepunkt.

Doch in "Tödliche Fehler" heißt es lediglich, Rowley hätte in ihrem Brief den FBI-Vorgesetzten vorgeworfen, "die Fakten verdunkelt und falsch dargestellt" zu haben (S. 216). Wie man aber weiß, hat das Hauptquartier in Washington laut Angaben der FBI-Anwältin aus Minneapolis die Erkenntnisse von ihr und ihrem Kollegen über Moussaoui gezielt relativiert und abgeschwächt, bevor man sie von der eigenen Rechtsabteilung auf ihre Tauglichkeit für das FISA-Gericht überprüfen ließ. Rowleys - von Schröm und Laabs leider unterbelichteter - ungeheuerlicher Vorwurf lautet, das FBI- Hauptquartier habe die Ermittlungen gegen Moussaoui "unterminiert" und den Beamten in Minneapolis wiederholt "Hindernisse" in den Weg gelegt. Während sich Washington bereits vor dem 11. September "über die von Moussaoui und seinen möglichen Mitverschwörern ausgehende terroristische Gefahr im klaren gewesen" sei, habe der im FBI- Hauptquartier für die Zusammenarbeit zuständige Beamte, der Supervisory Special Agent (SSA) Dave Frasca, "konsequent, quasi absichtlich die Bemühungen der Kollegen in Minneapolis blockiert". Rowley fragte zwar rhetorisch, jedoch direkt: "Warum würde ein Agent oder würden Agenten des FBI eine Ermittlung absichtlich sabotieren?" Eine angemessene Antwort auf diese Frage ist FBI-Chef Mueller und mit ihm die gesamte Bush-Regierung der Welt bis heute schuldig geblieben.

Im Buch von Schröm und Laabs wird mehrmals aus der vom Spiegel ins Deutsche übersetzten, angeblich von Mohammed Atta verfaßten Fibel für Flugzeugentführer/Selbstmordattentäter zitiert. Die Tatsache, daß Robert Fisk, der angesehene britische Nahostkorrespondent und einzige westliche Journalist, der Osama Bin Laden zweimal - einmal im Sudan und einmal in Afghanistan - begegnet ist, am 29. September 2001 in einem Artikel für den Londoner Independent Zweifel an der Echtheit dieses Dokuments äußerte und anhand zahlreicher sprachlicher und religiöser Fehler seine Verfasser zu Islamunkundigen erklärte, wird nicht erwähnt. Das gleiche gilt für die aus einem weiteren Independent-Artikel Fisks vom 17. September 2001 hervorgehende Erkenntnis, daß mehrere der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer noch am Leben sind.

Viele der in "Tödliche Fehler" präsentierten "Fakten" stammen ursprünglich aus dem am 24. Juli 2003 veröffentlichten Bericht des gemeinsamen Untersuchungsausschusses von Repräsentantenhaus und Senat der USA. Man darf davon ausgehen, daß es bei der Untersuchung weniger um Aufklärung als um Schadensbegrenzung und Vertuschung gegangen ist - der "nationalen Sicherheit" der USA wegen, versteht sich. Mit demselben Argument hat die Bush-Regierung schließlich 28 Seiten des Berichts, deren Inhalt die Beziehungen zwischen den USA und Saudi- Arabien hätte belasten können, ausschwärzen lassen. Vor diesem Hintergrund ist es gut möglich, daß das, was an "Sicherheitspannen" entdeckt und breitgetreten sowie kritisiert wird, eine weit schlimmere Wahrheit überdecken soll, nämlich die Beteiligung entscheidender Teile des amerikanischen Sicherheitsapparats am Zustandekommen der Flugzeuganschläge. So stümperhaft und unkoordiniert, wie Schröm und Laabs die US-Geheimdienste darstellen, können diese gar nicht sein.

Am schicksalhaften Morgen des 11. September 2001 frühstückten die beiden Vorsitzenden der Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus, der Demokrat Bob Graham und der Republikaner Porter Goss, in Washington mit dem Generaldirektor des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services Intelligence (ISI), Generalleutnant Mahmud Ahmed. Es handelte sich ausgerechnet um diejenige Person, die wenige Monate zuvor eine Überweisung von 100.000 Dollar an den zu diesem Zeitpunkt in Florida weilenden Mohammed Atta veranlaßt haben soll. Als die Times of India am 9. Oktober 2001 mit diesem Paukenschlag einer Verbindung zwischen Ahmed und dem mutmaßlichen Kamikaze-Piloten Atta aufwartete, mußte der ISI-Chef seinen Sessel ganz schnell räumen. Bislang haben die großen Medien wenig Neigung gezeigt, dieser nicht zu übersehenden Spur einer Verwicklung der CIA- Freunde vom pakistanischen Schwesterdienst in die Ereignisse des 11. September nachzugehen.

Jemand, der womöglich versucht hat, Licht in die dunkle Geschichte zu bringen, war der Wall-Street-Journal-Reporter Daniel Pearl. Dieser wurde zur Jahreswende 2001/2002 in Pakistan entführt und geköpft, angeblich von Khalid Scheich Mohammed persönlich, nachdem er - um die zynischen Worte des mutigen Anti-Terror-Verbündeten, des pakistanischen Diktators Pervez Musharraf, von damals zu gebrauchen - seine Nase zu sehr in Angelegenheiten gesteckt hatte, die ihn nichts angingen. Die 11.-September-Begegnung von ISI-Chef Ahmed mit den Vorsitzenden der Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus hat bis heute ihre Brisanz nicht verloren, schließlich wird derzeit Graham als möglicher Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten an der Seite John Kerrys und Goss als aussichtsreichster Kandidat für den nach dem Rücktritt George Tenets freigewordenen Posten des CIA-Direktors gehandelt. In ihrem Buch erwähnen Schröm und Laabs jedenfalls diese Washingtoner Frühstücksrunde mit keinem Wort. So gesehen ist "Tödliche Fehler" ein Buch für alle, die sich in erster Linie die offiziellen Version des 11. September vor Augen führen wollen. Jedem Leser sei nur geraten, mehr Skepsis als die beiden Verfasser walten zu lassen.

30. Juni 2004


Oliver Schröm & Dirk Laabs
Tödliche Fehler
Das Versagen von Politik und Geheimdiensten im Umfeld
des 11. September
Aufbau Verlag, Berlin 2003
256 Seiten, 29,90 Euro
ISBN 3-351-02564-5