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REZENSION/317: Baier'sches Koch- und Haushaltsbuch (1817) - M. Siegel (SB)


Jerry Hofer (Hg.)


Baier'sches Koch- und Haushaltsbuch von 1817

Ein Meisterwerk der Küchenkunst von Maria Katharina Siegel



Als ein "Meisterwerk der Küchenkunst" bezeichnet der Herausgeber Jerry Hofer schon auf dem Einband das "Baier'sche Koch- und Haushaltsbuch von 1817" und sagt über dessen Autorin: "Maria Katharina Siegel besaß ein tiefgreifendes Wissen um das Wesen der belebten und unbelebten Materie." (S. 11) Mit den Worten "Es gibt Dinge, die sich niemals ändern. Dazu gehört die Kunst, Lebensmittel mit Liebe und Sorgfalt so zu behandeln, dass gute Speisen daraus werden" (S. 10), gibt Hofer sich endgültig als Freund des alten Küchen-Handwerks zu erkennen. Für das Buch von Maria Katharina Siegel, die u.a. im großbürgerlichen Haushalt eines Vorfahren Hofers als Köchin tätig war, zeichnet er sowohl für die redaktionelle Aufarbeitung als auch für Satz und Gestaltung der Neuausgabe verantwortlich. Damit macht er der Leserschaft ein vielschichtiges Zeitdokument und zugleich umfassendes Nachschlagewerk des Küchenhandwerks zugänglich, das in vielerlei Hinsicht seinesgleichen sucht.

So gelingt es der Autorin Katharina Siegel auf klare, unverschnörkelte und dabei doch jedem Detail Rechnung tragende Weise, die Bedeutung von Sorgfalt und Achtsamkeit im Umgang nicht nur mit den Lebensmitteln, sondern ebenso mit den Kochwerkzeugen und deren unmittelbarer Umgebung als Teil einer lebensbejahenden Grundeinstellung zu vermitteln, die durch waches, vielseitiges Interesse und nicht etwa durch den moralischen Zeigefinger geprägt ist. Sie erschließt damit dem Leser auf unnachahmliche Art den Zusammenhang zwischen der ungebrochenen Zuwendung zu allen Um- und Gegenständen des Schaffens und der Fähigkeit, Resultate höchster Qualität zu erzielen - in der Küche sowie in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens.

Maria Katharina Siegels forschungsfreudige, offensive Denk- und Handlungsweise wird besonders deutlich auf dem Gebiet der Färberei, denn sie hat sich nicht gescheut, trotz der damals durchaus noch vorhandenen Gefahr, als Hexe verleumdet zu werden, sich entsprechende Kenntnisse anzueignen und in ihrem Buch weiterzuvermitteln:

Wenn beim Anrühren von Indigo ein Feuerbrand in der Färbebrühe entsteht: so fällt die Farbe zurück und sondert sich von dem Wasser. Man muß also den Farbkessel immer beobachten. In den anhaltenden abergläubischen Zeiten nannte man so etwas Hexerey; jetzt weiß man, daß es ganz natürlich zugehet. (S. 398)

Jerry Hofers Hinweis auf die Selbstgefährdung der Autorin, die er unter anderem mit der Information unterstreicht, daß erst 1793 in Posen die letzte Hexe verbrannt wurde, ist eines von vielen Beispielen, wie anschaulich Hofer dem Leser Geschichtsverständnis vermittelt und dadurch Maria Katharina Siegels Werk selbst für den Laien zu einer spannenden und überaus unterhaltsamen Reise in die Vergangenheit macht.

Allerdings verleitet Hofer im Rahmen seiner Darstellungen den Leser hin und wieder zu einem allzu liebevollen Blick auf die ersten Gehversuche der jungen Wissenschaften durch Katharina Siegels Küche.

... standen ihr die Erkenntnisse der damals noch so jungen Wissenschaft Chemie zur Seite. Höchstwahrscheinlich sogar der große französische Chemiker und Innenminister Jean Antoine Chaptal. (S. 396)

Dabei bedenkt Hofer offenbar nicht, daß mit der Fortentwicklung eben dieser Wissenschaften im Verbund mit der voranschreitenden Industrialisierung das langsame Sterben gerade jener Handwerkskunst eingeleitet wurde, deren unbestrittenem Wert Hofer in Gestalt dieses Buches seine Mühe angedeihen läßt.

Daß Hofer die in Katharina Siegels Darlegungen an vielen Stellen eindrücklich dokumentierte, beginnende Verdrängung des Handwerks durch die Wissenschaften überwiegend positiv deutet, kennzeichnet ihn als echten Sohn der Aufklärung, der seinen geistesgeschichtlichen Vorvätern Achtung zollt ("Rumford muss ein außergewöhnlicher Mann gewesen sein: hochgeachtet als Wissenschaftler, war er ein loyaler Politiker, ein Mann des Friedens, ein Mann, der Arbeitshäuser errichtete, der Armenspeisungen durchführte.... Die Liste seiner Verdienste ließe sich beliebig fortsetzen") (S. 12), ohne genauer deren augenscheinliche "Verdienste" zu hinterfragen.

Da wäre beispielsweise die sogenannte "Rumford-Suppe", der Katharina Siegel ein ganzes Kapitel ihres Buches widmet, "eine Suppe, die gut schmeckte, die billig war und sättigte. Nicht nur für seine Polizisten und Soldaten, sondern für alle, die hungerten, im ganzen Land: Männer, Frauen, Kinder, jeder konnte daran teilnehmen, und sie alle kamen von fern und nah, um für wenige Pfennige einen Teller Rumfordsuppe zu bekommen." (S. 414) Hofer, der, wie oben erwähnt, Katharina Siegels Begeisterung für die Person des Grafen Rumford teilt, versäumt es wohl aus diesem Grunde, die genaueren Entstehungsumstände besagter Suppe kritisch in Augenschein zu nehmen. Denn das Kostengünstige an dieser Suppe war nicht allein Rumfords innovative, besonders effiziente Art der Wärmenutzung beim Kochen, noch deren spezielle Rezeptur, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, zumal die Rumford-Suppe mit großen Mengen an Erbsen, Bohnen, Gerstengraupen und sogar Fleisch eine Vielzahl an Lebensmitteln enthielt, die sich arme Leute damals kaum leisten konnten. Ein wesentlicher, kostensenkender Faktor, den Maria Katharina Siegel nur ganz am Rande erwähnt, war zum einen die große Menge an eingekauften Lebensmitteln, die das Aushandeln günstiger Einkaufspreise ermöglichte, zum anderen wurde Rumfords Suppe von staatlicher Seite bezuschußt:

Der Zuschuß zu den Kosten erfolgt von milden Beyträgen, und aus dem Überschusse bey einer zur Versorgung der Amtseinwohner angeordneten Bäckerey. (S. 427)

Was abgesehen von Rumfords Befeuerungsmethode den Verbrauch an Brennmaterial immens verringert haben muß und sowohl bei Maria Katharina Siegel als bei Hofer kaum Erwähnung findet, ist die Tatsache, daß beim Kochen in sehr großen Mengen (Rumford verwendete teilweise Braukessel als Kochtöpfe) vergleichsweise wenige Feuerstellen zu unterhalten sind, was bei einer Suppe mit einer Kochzeit von geschlagenen sechs Stunden enorm ins Gewicht fällt. Anstatt nun die Bedürftigen darauf hinzuweisen, daß das gemeinsame Beschaffen von Lebensmitteln in großen Mengen und das Kochen in großen, gemeinsamen Töpfen, sofern es sinnfällig organisiert wird, sehr viel kostengünstiger bewerkstelligt werden kann als in einzelnen, kleinen Haushaltungen, stellte Rumford die Besonderheit seiner Suppenrezeptur und Befeuerungsmethode offenbar dermaßen in den Vordergrund, das Maria Katharina Siegel schreibt:

Zur sättigenden Kraft dieser Speise ist wesentlich nöthig, daß sie auf die obige Art zubereitet werde und wenigstens 6 Stunden bey gleichem gelinden Feuer langsam koche, ... . Wird diese nicht aufs genaueste beobachtet: so ist es gar nicht mehr die Speise, von der jetzt die Rede ist. (S. 426)

Selbstverständlich soll hier nicht der Beliebigkeit beim Kochen das Wort geredet werden, denn daß ein gutes Rezept die Schmackhaftigkeit und Nahrhaftigkeit einer Speise gewährleistet, steht außer Frage. Dennoch hätte die ärmere Bevölkerung sicherlich mehr von der günstigen Bereitstellung von Nahrungsmitteln wie Brot, Erbsen oder Bohnen profitiert als von einem Rezept, dessen zahlreiche Zutaten nur jemand mit dem Einfluß und den Verbindungen eines Grafen Rumford beschaffen kann. Kein Wunder also, daß mit der Rumford-Suppe als Grundidee in Bayern weniger der Hunger in der Bevölkerung gemindert, als die Popularität Rumfords unter den Armen gemehrt wurde, was für ihn als Adligen gerade in der damaligen Zeit von enormer Wichtigkeit war.

Ob Rumfords Suppe als frühes Beispiel für die Verwissenschaftlichung und Institutionalisierung der Essenszubereitung, die später in der Lebensmittelchemie und -industrie ihren Ausdruck fanden, zu den Vorläufern von Tütensuppe, Instant-Kartoffelpürree und Fertig- Bratkartoffel gerechnet werden kann, sei hier einmal dahingestellt.

Der Eindruck, daß Hofer sich der Materie, die er bearbeitet, eher als ein Mann der Wissenschaften denn des Handwerks nähert, ergibt sich nicht nur aus seiner wenig kritischen Umgangsweise mit der damaligen Wissenschaftsgeschichte im Hinblick auf die Verdrängung des Handwerks, sondern ebenso aus seiner typographischen Gestaltung des Buches. Letztere weist an vielen Stellen jene optischen Überladungen auf, die ein Schriftsetzer und Handwerker alter Schule sicherlich vermieden hätte, schon aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit und um den Leser nicht unnötig vom Inhalt abzulenken. Beispielsweise leitet Hofer in seinem Vorwort (S. 10-14) jeden einzelnen Absatz mit einem durch besondere Größe und Verzierungen hervorgehobenen Großbuchstaben ein, oder er wählt für die Überschriften der einzelnen Koch-Sachgebiete (z.B. "Austern und Krebse") eine leichte Kursivschrift, um dann jedes nachfolgende, oft nur wenige Zeilen lange Kochrezept (z.B. "Austern an Fleischtagen" oder "Austern-Ragu") mit einer fettgedruckten Frakturschrift zu erdrücken. In der alphabetischen Inhaltsanzeige des Buches hingegen, wo ein hervorgehobener Anfangsbuchstabe, zumindest aber eine Leerzeile vor dem nächstfolgenden Buchstaben als Orientierungshilfe überaus nützlich wäre, entscheidet Hofer sich, auf beides zu verzichten. Insgesamt erweckt er dabei den Eindruck, vornehmlich von ästhetischen Gesichtspunkten denn von solchen wie einer leichten Handhabbarkeit und klaren Überschaubarkeit des Buches geleitet zu werden.

Diese beispielhaften, aber ganz sicher nebensächlichen Mängel seien hier nur deshalb ausdrücklich erwähnt, um Hofers Standpunkt als den eines wissenschaftlich denkenden Menschen zu markieren, der das Handwerk sicher hoch zu achten glaubt, aber doch nicht hoch genug, um sich nicht anzumaßen, es mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln leidlich meistern zu können.

Auf den weniger handwerklich orientierten Gebieten, beispielsweise was Hofers Umgang mit dem Originaltext angeht, dessen Sprache, Satzbau und Orthographie er nahezu unverändert läßt, sowie im Hinblick auf seine anschaulichen Kommentare und geschichtlich erhellenden Erläuterungen, nicht zu vergessen sein umfangreiches, dem Text nachgestelltes Wörterbuch, in dem er Maria Siegels veraltete oder bayerische Ausdrücke sowie Namen, Begriffe und Maße ins Hochdeutsche überträgt, verdient seine Arbeit hohe Anerkennung. Daß das Buch im Verlagsprospekt zwischen "Cocktails ohne Alkohol" und "Weihnachtsbäckerei" angeboten wird, mag der Tatsache Rechnung tragen, daß viele Verlage sich heutzutage eher durch ihre Kochbücher als durch geschichtliche Dokumentationen finanzieren. Denn was die Ergiebigkeit des Buches allein an geschichtlichen Informationen angeht, ist es zweifellos in der Lage, manches Werk über das beginnende 19. Jahrhundert im südlichen Deutschland weit in den Schatten zu stellen. Bedenkt man noch die zahlreichen erprobten Rezepte und Ratschläge rund um den Haushalt, ist es keinesfalls übertrieben, das "Baier'sche Koch- und Haushaltsbuch", wie im Verlagsprospekt geschehen, als echtes Kleinod zu bezeichnen.


Jerry Hofer (Hg.)
Baier'sches Koch- und Haushaltsbuch von 1817
Ein Meisterwerk der Küchenkunst
von Maria Katharina Siegel
Originalausgabe, Regensburg 1817
Pabel-Moewig Verlag, Rastatt
448 Seiten, gebunden, Euro 19,95
ISBN 3-8118-1013-8

29. März 2006