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REZENSION/332: E. Klein - Bilinguales Wörterbuch Biologie (Lexikon) (SB)


Eckart Klein


Bilinguales Wörterbuch Biologie

Deutsch - Englisch Teil I
Englisch - Deutsch Teil II (mit phonetischer Transkription)


"Bilingualismus", d.h. per Definition "die individuelle Fähigkeit, sich in zwei Sprachen auszudrücken", einzulösen, erfordert einen hohen Anspruch an Sprachvermögen und Flexibilität, dem in der Praxis nicht einmal Kinder, die vermeintlich ideal zweisprachig aufwachsen, gerecht werden können.

Kompetenz erwächst aus der Praxis, und es läßt sich für jeden leicht nachvollziehen, welche Mängel und Lücken zwangsläufig im Sprachvermögen entstehen müssen, wenn beispielsweise ein Kind mit der Mutter nur deutsch und mit dem Vater nur englisch spricht. Es wird dabei vollkommen verschiedene und nur für die Kommunikation mit der jeweiligen Person bestimmte Bereiche in der dafür verwendeten Sprache beherrschen lernen, je nach den Interessen und den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der dafür zuständigen Personen. Es denkt und träumt dann auch - je nach Thema - in dieser Sprache. Statt eine erweiterte Sprachkompetenz zu erreichen, bekommen Kinder, die zweisprachig aufwachsen, später die allergrößten Schwierigkeiten, sich überhaupt in einer der beiden Sprachen richtig und verständlich auszudrücken, was in Folge auch die Entwicklung ihres Denkvermögens beeinflußt, das unmittelbar mit der Entwicklung der eigenen Sprachmöglichkeiten einhergeht.

Vor diesem Hintergrund läßt sich denken, wie schwierig es sein muß, die von der aktuellen Bildungspolitik angestrebte "koordinierte zweisprachige Kompetenz" auch nur annähernd im normalen Unterricht zu vermitteln, zumal die meisten Lehrer nicht die Gnade einer bilingualen Geburt vorzuweisen haben und ihre zweisprachliche Kompetenz also, wie jeder andere auch, mehr oder weniger mühsam nacheinander erworben haben.

Um sich den oben beschriebenen Idealbedingungen auch nur hinlänglich anzunähern, müßten dem Lehrer - wenn er sich denn nur einen Teil der Bilingualität, d.h. die Fremdsprache in einem bestimmten Interessengebiet (z.B. Biologie) vornimmt - mindestens die Hälfte des Tages zur Verfügung stehen, um mit seinen Schülern Englisch zu sprechen. In einer oder zwei Unterrichtsstunden pro Tag, wie es meistens Praxis ist, läßt sich selbst in einer Sprache keine "Kompetenz" erreichen. Mit der Aufgabe, auch noch ein gleichwertiges Sprachgefühl neben zwei verschiedensprachigen Wortschätzen zu lehren, muß ein Lehrer hoffnungslos überfordert sein, zumal dann, wenn gleichzeitig auch noch naturwissenschaftliche Inhalte und wissenschaftliches Denken vermittelt werden sollen. Und last but not least soll dies alles auch noch gegen den natürlichen Widerstand der Lernenden bzw. Schüler geschehen, die den Unterricht als zwangsweise Verfügung über ihre Lebenszeit verstehen.

Es stellt sich nun die Frage, inwiefern ein solches Spezialwerk wie das "Bilinguale Wörterbuch Biologie" von Eckart Klein für den bilingualen Unterricht Lehrer wie Lernende hilfreich unterstützen kann und inwiefern es sich von herkömmlichen Wörterbüchern unterscheidet. Immerhin bieten einige Lehrbuchverlage für verschiedene naturwissenschaftliche Bereiche auch schon entsprechende Fachwörterbücher an, und man könnte daher zu der Auffassung gelangen, daß diese für den Biologieunterricht in englischer Sprache doch vollkommen ausreichen.

Während man mit einem konventionellen Lexikon, in dem jeweils ein Begriff mit einer mehr oder weniger großen Anzahl von Synonymen in der gesuchten Sprache beantwortet wird, häufiger peinlich danebentippen kann, wenn man den inhaltlichen Kontext nicht kennt, soll das neue Konzept einer sogenannten "Synopse" zwischen englischem und deutschem Lexikon wesentlich "freigebiger" mit relevanten Informationen und damit auch treffsicherer in der Übersetzung bzw. im Sprachgebrauch sein.

Unter dem lexikalen Teil in deutscher Sprache steht ein ebenso ausführlicher bzw. ebenso kurzer Erklärungsversuch in englischer Sprache, der laut Verfasser nicht unbedingt die entsprechende Übersetzung des deutschen Textes sein muß. Der Leser kann also zwischen der britischen oder deutschen Interpretation wählen und die jeweils zweite Version als Ergänzung hinzuziehen, wird dabei aber hin und wieder sogar auf entscheidende Unterschiede stoßen, die laut Verfasser auf die unterschiedlichen, landestypischen Lehrmeinungen zurückzuführen sind.

Man hat also gewissermaßen zwei Biologielexika in eines zusammengefaßt, so daß der zunächst nachfragebedürftige Begriff "bilingual" (laut Duden "zweisprachig sprechen") im Titel wörtlich genommen werden kann: auf eine Frage bekommt der Leser zweisprachig Antwort.

In der Hektik der alltäglichen Unterrichtspraxis wird allerdings weder für Lehrer noch für Schüler ausreichend Zeit bleiben, die Möglichkeiten lexikaler Nutzung voll auszuschöpfen. Tatsächlich zeigt sich doch im praktizierten Unterricht, der genaugenommen nur in einer Fremdsprache wie Englisch oder Französisch stattfinden soll, angewandte Zweisprachigkeit in ihrer vorstellbar schlimmsten Form. Schüler, die ermutigt werden, sich mündlich zu äußern, sprechen deutsch und englisch wahllos durcheinander ohne Grammatik und nutzen Handzeichen oder Körpersprache, wenn weder die eine noch die andere Sprache hinreicht: "Mr. Meißner, I have a problem with my Stichling...".

In solchen Fällen von durchaus wünschenswertem Schülerengagement streitet sich dann der vielleicht angebrachte Blick ins bilinguale Wörterbuch, um dem Lernziel "korrektes Englisch" gerecht zu werden mit der wissenschaftlichen Begeisterung und der notwendigen experimentellen Problembewältigung, die dann doch vielfach auf deutsch stattfindet, da eigenständiges Denken nur schwer in den erlernten Versatzstücken möglich ist. Die individuelle Korrektur seitens des Lehrers geht dabei im Eifer des Gefechts nicht selten verloren.

Im Fall des Stichlings wäre die Entscheidung für die Sprachkompetenz und für den Blick ins Lexikon auch noch auf frustrierende Weise ergebnislos, da das stetig wiederkehrende Beispiel eines der wohl gefürchtetsten Schülerexperimente zur Verhaltensforschung im Bilingualen Wörterbuch Biologie von Eckard Klein nun gerade mal nicht vertreten ist.

Schon dieses praktische Beispiel zeigt, daß durch die Entscheidung für Bilingualität im Unterricht auch eine kaum zu überwindende Diskrepanz formuliert und festgeschrieben wird. Denn wie will man sprachliches Schubkastenlehren und -lernen ausschließen, wenn die Betonung des Sprachvergleichs (der letztlich doch auf das Auswendiglernen von Vokabeln und fremdsprachigen Versatzstücken hinausläuft) den inhaltlichen Teil des Sachunterrichts oder den Anspruch, eigenständiges wissenschaftliches Denken bei den Schülern zu fördern, völlig in den Hintergrund rücken läßt. Eine Kreativität, die nicht nur Bekanntes in anderen Variationen wiederholt, sondern tatsächlich etwas Neues formuliert, ist eigentlich nur vorstellbar, wenn der Betroffene über die Sicherheit in der eigenen Sprache zu einer zunehmenden Beweglichkeit im Denken gelangt.

Das Sprechen über die Zusammenfügung von sogenannten "Chunks" (in den Kontext eingebundene Teilsätze, Versatzstücke), wie es derzeit im Sprachunterricht vorgeschlagen wird, schließt das aber von vornherein aus. Zudem leidet zwangsläufig auch die Entwicklung der eigenen Muttersprache unter der im zweisprachigen Unterricht geförderten Beliebigkeit, so daß sich beinahe so etwas wie eine Zwischensprache entwickelt, die man weder als "gut beherrschtes Englisch" noch als "fundiertes Deutsch" bezeichnen könnte.

Als bilingual unterrichtender Lehrer hat der Autor aus der sachgerechten Auseinandersetzung mit den Problemen seit dem Beginn seiner Arbeit am "Bilingualen Wörterbuch Biologie" 1990 gewissermaßen zur Selbsthilfe gegriffen, um der wachsenden Beliebigkeit zumindest mit Orientierungshilfen und Struktur zu begegnen. Denn die Idee der Bilingualität scheint er trotz alledem nicht in Frage stellen zu wollen.

Die ungemein mühevolle, umfangreiche und detailgenaue Arbeit wie auch die Initiative und die Idee zu diesem Projekt sollte jeder zu würdigen wissen, selbst wenn der ursprünglich ungewöhnliche Ansatz einer Synopse zwischen englischem und deutschem Lexikon einer linguistischen Auseinandersetzung doch nicht ganz gerecht wird. Denn das in der Buchvorstellung beispielhaft angeführte Wissen darüber, daß britische Wissenschaftler bei der Haut nur zwei Schichten unterscheiden, während deutsche von drei Schichten ausgehen, sorgt zwar für zusätzliche Informationen, aber nicht automatisch für ein tieferes Verständnis der Haut. Das gleiche gilt auch für das Beispiel Rotbuche, "Blutbuche" und "copper beech".

Über die gelobte Detailgenauigkeit hinaus überflügelt das Lexikon andere Nachschlagewerke nicht unbedingt an Präzision. Fetakäse wird hier beispielsweise als Weichkäse aus Schafsmilch oder einer Mischung aus Schafs-, Ziegen- und Kuhmilch bezeichnet. Daß sein charakteristisches Merkmal die Reifung in Salzlake ist und es u.a. hierzulande auch Fetasorten aus reiner Kuhmilch gibt, wird dagegen nicht erwähnt. Zugunsten sprachlicher Vereinfachungen bleibt eine weitreichendere Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge auf der Strecke.

Der Autor nennt sein Lexikon ein "aktives" Wörterbuch:

Wäre das BILI kein aktives Wörterbuch, wäre es zu umfangreich geworden. Aktiv bedeutet in diesem Fall, dass bestimmte Begriffe erst gesucht werden müssen, ehe der Leser deren englische Übersetzungen erhält.
[aus Infoblatt: Das Konzept hinter dem Wörterbuch]

Sucht man etwa nach einem bestimmten englischen Begriff, den man ins Deutsche übersetzen will, muß man diesen zunächst im Englisch- Deutsch-Teil nachschlagen, um dann im ausführlicheren Deutsch- Englisch-Teil auch die weiteren Erklärungen dazu zu finden. Ein Nutzer soll dann über den deutschen Erklärungsteil hinaus auch die englischen Erklärungen lesen und das neue Wort so besser in einen Kontext einbinden. Falls der Leser dabei auf weitere unbekannte Worte stößt, kann er diese entweder durch erneutes Lesen des deutschen Teils aus dem Kontext "erraten" oder seinen Wortschatz durch weiteres Nachschlagen immer mehr erweitern.

Der zunächst unbequeme Umstand, daß man viele Dinge nicht sofort findet und erst einmal (wie bei der im Flyer erwähnten Spritzflasche oder dem Schwertwal) darüber nachdenken muß, wo man sie sonst noch finden könnte (unter Laborgeräte, Geräte bzw. Wal), soll die Entwicklung von Initiative und Beweglichkeit beim Nachforschen und Recherchieren fördern. Daß der Stichling (stickleback) diesem System durchs Netz schlüpfen konnte, wirft allerdings die Frage nach den Auswahlkriterien für die einzelnen Einträge auf.

Laut Autor liegen der Auswahl des Vokabulars die Fachvokabular- Empfehlungen des "Institute of Biology" (London) unter dem Titel Biological Nomenclature für Prüfungen an Schulen im United Kingdom (1. und 2. Aufl.) zugrunde, in der ca. 2000 Fachwörter aufgelistet sind, die der A-level student (Abiturient), der an einer britischen Universität Biologie studieren möchte, als Wissen mitbringen sollte. Diese stellen jedoch nur etwa 15 Prozent der Einträge dar. Darüber hinaus wurden Fachwörter berücksichtigt, die in die Richtlinien für Abiturprüfungen Eingang gefunden haben.

Der Flyer weist darauf hin, daß kein Bereich der
Biowissenschaften ausgeschlossen wurde:

Fachbegriffe der Entwicklungsbiologie, wie ooplastische Determinante und Homöobox, stehen neben Fachbegriffen aus der Ökologie (35 Einträge beginnen mit "Umwelt-" und 16 mit "Öko-"), Evolution, Botanik, Zoologie, Anatomie und Humanbiologie. Auch Begriffe aus dem Bereich der Sexualerziehung, wie "Safer Sex", "Lesbierin" und "tertiäres Geschlechtsmerkmal" und viele andere, finden Erwähnung. [aus: Informationen zum Bilingualen Wörterbuch Biologie, Flyer]

Das Wörterbuch "spricht" übrigens britisches Englisch. Amerikanismen werden jedoch in einer Kursivzeile berücksichtigt.

Fazit: Die Vermutung, daß hinter den Argumenten für den bilingualen Unterricht die politische Entscheidung steht, Englisch als globale Wissenschaftssprache einzuführen oder zu fördern, wie es sich heute schon in vielen Wissenschaftsbereichen an den Universitäten abzeichnet, drängt sich geradezu auf. Wie sollte auch das Beherrschen der englischen Sprache quasi wie von selbst einer Vertiefung von Fachkompetenzen dienen?

Eine Brücke zwischen bildungspolitischem Anspruch und realer Unterrichtspraxis zu schlagen, scheint allerdings einem Spagat gleichzukommen, den ein unkonventionelles, aber letztlich doch schlichtes Wörterbuch einfach nicht schaffen kann.

Das Bilinguale Wörterbuch ist im Buchhandel oder direkt beim VdBiol erhältlich.

8. Dezember 2006


Eckart Klein
Bilinguales Wörterbuch Biologie
Dt./Engl.+ Engl./Dt, 2005
Hrsg. Verband dt. Biologen e.V.
Deutsch-Englisch Teil I:
1072 Seiten mit mehr als 13.500 Einträgen
Englisch-Deutsch Teil II:
284 Seiten mit der phonetischen Transkription für alle
der in Teil I erwähnten englischen Übersetzungen
Preis: 34,90 EUR
ISBN 3-980 68039 8